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09.10.2012: Nach Auszählung der meisten Stimmabgaben hat Hugo Chavez die Wahlen mit 55% der Stimmen gegen Capriles mit 44% der abgegebenen Stimmen gewonnen. Chavez gewann mit der Unterstützung der PSUV und der Parteien des 'Patriotischen Pols' zudem in 21 Bundesstaaten Venezuelas, darunter der Distrikt der Hauptstadt (Caracas) und die Region Miranda, wo Capriles der amtierende Gouverneur ist. Capriles gewann die Mehrheit in den Staaten Merida und Tachira. Die anderen Kandidaten der Präsidentschaftswahl lagen allesamt bei Stimmergebnissen unter 1%. Der Stimmanteil der Kommunistischen Partei Venezuelas lag bei 3,29%.

Die Präsidentschaftswahlen am letzten Sonntag waren also tatsächlich eine Wahl nur zwischen Chavez und Capriles. Wenn man den Abstand der beiden Kandidaten und vergleichbare Wahlen in anderen Ländern betrachtet, so erscheint der Stimmenabstand von 11% durchaus erheblich. Aber verglichen mit den Wahlergebnissen von 2006 (damals erhielt Chavez 63%, Manuel Rosales 37% - ein Unterschied von 26%) ist der Abstand doch erheblich geringer geworden. Das sollte zum Nachdenken Anlass geben, wenn man berücksichtigt, dass Chavez für sich persönlich deutlich mehr Stimmen erhält, als Kandidaten der PSUV bei Wahlen zur Nationalversammlung oder in Regionalwahlen. Zudem zeigt das Wahlergebnis des Patriotischen Pols, dass Chavez ohne ihn nur knapp 43% der Stimmen erhalten hätte, was wieder einmal beweist, wie wichtig solche linken Bündnisse sind.

Dank einer sehr hohen Wahlbeteiligung haben beide Kandidaten eine Spitzenanzahl von Stimmen erhalten, aber auch hier ist zu bedenken, dass die Opposition diesmal mit 6,5 Mio. Stimmen etwa 20-50% mehr Stimmen erhielt, als es in den letzten 13 Jahren die Regel (mit 4-5 Mio. Stimmen) war. Die knapp über 8 Mio. Stimmen für Chavez waren ebenfalls wesentlich mehr, als die früheren standardmäßigen 6 Mio. Stimmen. Die Wahlforschungsinstitute - private wie öffentlich-rechtliche - sahen in ihren Befragungen seit Februar und bis zum September Capriles ziemlich konstant bei einer Wählerzustimmung von 35%. Das jetziges Ergebnis bedeutet demnach, dass ein großer Teil der Unentschlossenen sich zuletzt für den Kandidaten der Opposition entschied und ihm die Stimme gab.

Trotzdem bringt der Wahlausgang ein klares, unstrittiges Mandat für Chavez und für die Weiterführung des Entwicklungswegs unter der Losung 'Sozialismus des 21. Jahrhunderts'. Bemerkenswert ist dabei die hohe Wahlbeteiligung. 81% der Stimmberechtigten gingen am Sonntag und trotz heftiger Regenfälle in einigen Regionen Venezuelas zur Wahl. Auch für Venezuela ist das ein historischer Rekord, bei den Präsidentschaftswahlen 2006 lag die Wahlbeteiligung noch bei 75%. Im Vergleich dazu lag etwa die Wahlbeteiligung in den Präsidentschaftswahlen der USA 2008 bei knapp 56% und Barack Obama erhielt dabei 52% der abgegebenen Stimmen.

Dies ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Es zeigt einmal, dass die Menschen in Venezuela offenbar erkennen, dass die Ergebnisse dieser Wahlen wichtige und starke Konsequenzen auf ihr eigenes Leben haben und dass Venezuela durchaus nicht die Diktatur ist, als die inländischen und die ausländischen beherrschenden Medien glauben machen wollen. Viel eher und in Kontrast zu vielen anderen Ländern, betrachten die Menschen Venezuelas den Wahltag als etwas, an dem sie Mitwirkung einbringen und sich erfreuen können, der sowohl ernst genommen wird, als auch mit leidenschaftlichem Feiern beendet wird.

Hugo Chavez, seine PSUV und der Patriotische Pol wollen in Venezuela eine vom Volk mitbestimmte Demokratie aufbauen und weiter entwickeln. Das Verständnis der Volksmassen für Demokratie und deren Bedeutung im eigenen Interesse ist weit höher, als in den meisten Ländern der Welt. Das Wahlsystem des Landes hat sich zum x-ten Mal als offen, fair und vertrauenswürdig erwiesen - aller gegenteiliger Verleumdung unserer Medien zum Trotz. Dies war ein kräftiger Schlag gegen Teile der Opposition Venezuelas, die in zunehmender Nervosität Wahlbetrug proklamieren wollte und einige Monate lang, Capriles eingeschlossen, Zweifel an der Unparteilichkeit und Ehrlichkeit des Nationalen Wahlausschusses verbreiten wollte. Doch diese Strategien gingen nicht auf, nicht einmal ihre eigenen Unterstützer ließen sich deswegen zu einem Wahlboykott bewegen. Es gab am Sonntag auch keine Auseinandersetzungen bzgl. der Wahldurchführung und die Opposition hatte mit ihren undemokratischen Strategien keinen Erfolg.

Es gibt unbegründete und lächerliche, aber auch konkrete und berechtigte Gründe, warum so viele Menschen in Venezuela gegen Chavez stimmten. Man könnte hinsichtlich der berechtigten und begründeten sicherlich Seiten über die offenen oder neu entstehenden Probleme der revolutionären Bewegung unter Chavez füllen. Kurz zusammengefasst geht es jedoch sehr stark um die Unzufriedenheit mit der andauernden Bürokratie und Korruption innerhalb der Führungsreihen der PSUV und der Institutionen der Regierung, und es geht um die Langsamkeit, mit der wirklich etwas gegen das schlechte Arbeiten der Justizorgane und gegen die hohen Kriminalitätsraten getan wird. Es gibt eine Schicht in der Führung der Chavez-Reihen, die ein niedriges politisch-gesellschaftliches Bewusstsein hat und ihre Arbeiten nicht ordentlich macht. Viele Menschen sehen das und sind häufig direkt dadurch betroffen - mit entsprechender Wirkung.

Viele Menschen stimmten jedoch gegen Chavez als Folge der intensiven Lügenkampagnen der privaten Medien des Landes gegen die 'bolivarische Revolution'. Getragen von Leuten der Mittelklasse, die es sich gut gehen lassen, Autos und Flachbildschirme haben, üppige Mahlzeiten genießen können und dennoch von Venezuela als einem "Unglück" reden, von "Mangel an Nahrungsmitteln", vom "ökonomischen Wrack" usw. Die kräftige Unterstützung der internationalen bürgerlichen Medien half zusätzlich, Capriles nach vorne zu bringen. (Dazu gehört auch die Verbreitung der Legende eines echten Kopf-an-Kopf-Rennens der Präsidentschaftsbewerber.)

Manche andere Wähler glaubten, dass Chavez sein sozialistisches Vorhaben "zu weit voran getrieben" habe, über fortschrittliche kapitalistische Sozialpolitik hinaus auf radikales Territorium. Wieder andere glaubten, dass ein Präsident nicht "zu lange" an der Macht sein solle. Jede andere Alternative, sei es auch eine sexistische, dümmliche und inkompetente Person wie Capriles, wäre für sie ein guter Grund für einen "notwendigen Wandel".

Dennoch wird die Opposition aus diesen Wahlen gestärkt herauskommen. Wäre es bei dem lange Zeit vorhergesagten Wahlergebnis von 35% oder einem Ergebnis wie 2006 (37%) geblieben, wäre sie wohl in die Regionalwahlen im Dezember und in die Bürgermeisterwahlen im nächsten April recht verwirrt, desorientiert und von inneren Streitigkeiten zerrissen gegangen. Das jetzige Wahlergebnis von 45% dürfte der Opposition jedoch Auftrieb geben und Optimismus schüren. Und zudem war das Ergebnis dieser Wahl in einer Reihe von Bundesstaaten sehr knapp, sodass die Opposition mit einer 'guten', kräftigen Wahlkampagne und bei einem schwachen Kandidaten aus den Reihen der Chavez-Anhänger in den nächsten Wahlen gute Möglichkeiten für einen Sieg hätte. In Betracht kommen dafür die Bundesstaaten Caracas, Amazonas, Anzoategui, Bolivar, Carabobo, Lara, Nueva Esparta, und Zulia, sowie Merida und Tachira, in denen Capriles diesmal bereits vorne lag.

Der jetzige und in diesem Sinne knappe Sieg des 'Pariotischen Pols' bedeutet jedoch, dass es eigentlich nicht zulässig ist, die bolivarische Revolution anzuhalten oder sich 'ausruhen' zu lassen. Es wird Reflexionen und Selbstkritik gegen müssen, was für sich notwendig und positiv ist. Aber es wird auch eine gewisse Gefahr in einigen Bevölkerungskreisen geben - selbst Chavez könnte dahingehend agieren - wegen der Gefahr einer Niederlage zu versuchen, die Politik der 'Revolution' zu verwässern, um den Unterstützern der Opposition etwas entgegen zu kommen.

Dann ist es zudem höchstwahrscheinlich, dass die Basisbewegungen sich demnächst auf die Wahlkampagne zu den Dezemberwahlen orientieren werden, anstatt dass sie sich in die dringende Debatte zum Arbeitsplan der Regierung für die Periode 2013-2019 massiv und mit eigenen Vorschlägen einbringen. So eine Debatte würde das Bewusstsein der Volksmassen fördern und radikalisieren, sie würde zudem den Weg für noch größere und kenntnisreichere Mitwirkung in der nächsten Umsetzungsperiode frei machen. Leider haben die nationale Exekutivführung der PSUV und Chavez bereits die Kandidaten der Regierung in den Dezemberwahlen bestimmt, ohne Aufmerksamkeit für die Unzufriedenheit der Menschen mit vielen dieser Kandidaten. So dürften die Dezemberwahlen eine noch enger ausgehende Schlacht werden, als die Präsidentschaftswahlen.

Chavez sagte, dass in den nächsten 6 Jahren Venezuela in Richtung Sozialismus "jenseits des Punktes ohne Rückweg" voran gebracht werden soll. Die Grundlagen dafür sind wohl gelegt, nur wäre es jetzt an der Zeit, Gemeinderäte und Arbeiterräte zur allgemeinen Norm zu machen und einige der vorher genannten kritischen Themen,wie Korruption und Bürokratie, sowie die Demokratisierung der PSUV ernsthaft und mit Ergebnissen anzugehen. Ansporn dazu durch Glückwünsche und Gratulationen innerhalb und außerhalb des Landes haben Chavez und sein Patriotischer Pol in Mengen erhalten, darunter von den eng verbundenen Regierungen Lateinamerikas auf Kuba und von Nicaragua und Ekuador, zudem aus Argentinien, Bolivien, Brasilien, China, Russland, Spanien und Weißrussland. Ferner gratulierten Solidaritätsgruppen und Bewegungen aus aller Welt. Viele äußerten sich sehr lobend über die Wahldurchführung und deren Gesamtorganisation.

Ein Sprecher des des US-Außenministeriums gratulierte zu der hohen Wahlbeteiligung und dem "friedlichen Ablauf" der Wahlen, forderte zudem aber, dass die Chavez-Regierung die über 6 Mio. Wähler des Gegenkandidaten "nicht außer acht" lassen solle. Ein Anspruch, der sicher viel Berechtigung hat, wenn auch nicht in der von der US-Regierung gedachten Intention.

s.a.:  Venezuela vor strategischer Entscheidung

Text: hth  / Quelle: venezuelanalysis