Im Interview

Hugo Braun 045430.04.2013: "Umverteilen.Macht.Gerechtigkeit" lautet der Titel eines Kongresses, der vom 24. bis zum 26. Mai in der Technischen Universität Berlin stattfinden wird. Hugo Braun vertritt das globalisierungskritische Netzwerk Attac im Trägerkreis dieses Kongresses.

Frage: Seit dem Perspektivenkongress im Jahre 2004 und dem Kapitalismuskongress 2009 gelten solche politischen Großveranstaltungen in der TU Berlin als besondere Meilensteine in der linken Protestbewegung. Worum geht es diesmal?

 Hugo Braun: Mit dem jüngsten Armutsbericht der Bundesregierung ist noch einmal deutlich geworden, dass die Kluft zwischen Armut und Reichtum auch in Deutschland mit einer erschreckenden Gesetzmäßigkeit immer größer wird. Und eben diese Gesetzmäßigkeiten des kapitalistischen Systems aufzudecken und für jedermann begreifbar zu machen, ist ein  zentrales  Anliegen dieses Kongresses. Es soll deutlich werden, dass wir es hier nicht mit der Gier einer Managerkaste zu tun haben sondern mit den Ergebnissen dieser allein von Profitineressen getriebenen Marktwirtschaft. Eine große Mehrheit empfindet dies als ungerecht und wünscht sich Veränderungen. Was aber verändert werden muss in Deutschland, um mehr Gerechtigkeit zu schaffen, das ist das zweite große Kongressthema. Wie dieser seit Jahrzehnten andauernde Prozess der Umverteilung von unten nach oben wirksam umgekehrt werden kann – diese Frage soll im Mai in Berlin beantwortet werden.

Frage: Das klingt nach mehr als einem wissenschaftlichen Diskurs. Geht es auch um strategische Überlegungen?

Hugo Braun: Die Initiatoren dieses Kongresses waren sich von Beginn an einig darin, dass die Veranstaltung in Berlin nicht folgenlos bleiben darf, dass mehr Gerechtigkeit einen tiefgreifenden  Politikwechsel erfordert und dass wir in diesem Zusammenhang auch gründlich über Systemalternativen nachdenken müssen. Die Erarbeitung einer konkreten gemeinsamen Handlungsoption gehört zu den vereinbarten Zielen. Da der Kongress im Vorfeld des Bundestagwahlkampfes stattfindet, in dem selbst die Regierungsparteien wieder ihr Herz für die Armen entdecken, ist es auch eine gute Gelegenheit, die politisch Verantwortlichen für Sozialabbau, Lohndumping und Bildungsmisere beim Namen zu nennen.

Frage: Konkrete Handlungsoptionen – wie könnten die aussehen?

Hugo Braun: Es lassen sich die Ergebnisse des Kongresses nicht vorwegnehmen. Aber im Trägerkreis des Kongresses waren Straßenaktionen im Herbst im Gespräch, insbesondere aber eine öffentlichkeitswirksame Kampagne für mehr Gerechtigkeit im Rahmen des Bündnisses  'UmFairTeilen', das mit seinen Aktionen Mitte April seine Handlungsfähigkeit bewiesen hat, und das aus der Berliner Veranstaltung gestärkt und deutlich erweitert hervorgehen könnte.

Frage: Wer sind die Initiatoren und die Träger dieses Kongresses? Handelt es sich um die "üblichen Verdächtigen" aus den linken Bewegungen?

Hugo Braun: Die Initiatoren waren Ver.di und Attac gemeinsam. Tatsächlich gibt es einige vertraute Gesichter in dem Trägerkreis. Neu ist jedoch, dass hier die großen Sozialverbände und  der DGB ganz offiziell mit Gruppierungen wie Attac und Medico International offen und intensiv an einem politischen Projekt gemeinsam wirken. Es hat mich persönlich tief beeindruckt , wie bei den UmFairTeilen-Aktionen Menschen aus den Reihen der Sozialverbände mit uns auf die Straße gegangen sind – das erste Mal in ihrem Leben, etwas unsicher zu Beginn aber engagiert und mit dem Herzen dabei.

Neu ist auch der Versuch, mit der Einbeziehung von Gewerkschaften und Attac Gruppen aus der Schweiz und aus Österreich die europäische Dimension des Themas zu demonstrieren. Daraus eine gesamteuropäische Initiative zu entwickeln, - etwa mit Blick auf die Europawahlen 2014 - könnte ein weiteres Ergebnis des Kongresses sein.

Frage: Eine Woche nach diesem Kongress finden wieder die Blockupy Aktionen in Frankfurt am Main statt. Ist das nicht eine Konkurrenzveranstaltung?

Hugo Braun: Im Gegenteil! Attac unterstützt beide Veranstaltungen gleichermaßen und unternimmt dabei den Versuch, zwei Strömungen der deutschen Protestbewegung – mal vereinfacht gesagt – die antikapitalistischen und kapitalismuskritischen Gruppierungen, wenn schon nicht zu einer gemeinsamen Front, so doch zu einer gleich gerichteten Strömung zu einem gemeinsamen Nahziel zu entwickeln: der Umkehr der antisozialen, menschenverachtenden Politik im Profitinteresse der großen Konzerne und ihrer Finanzoligarchien.

Frage: Sind es nicht auch die unterschiedlichen Aktionsformen, die ein engeres Zusammengehen der beiden von dir zitierten Strömungen behindern?

Hugo Braun: Es sind in erster Linie die aus unterschiedlichen Erfahrungen erwachsenen Vorstellungen über die Wege zu einer gerechteren Gesellschaft. Während die einen an die 'soziale Marktwirtschaft', an die Reformierbarkeit des Kapitalismus glauben, haben andere diese Illusionen verloren und halten grundlegende gesellschaftliche Veränderungen für unerlässlich.

Ich persönlich halte Aktionen des zivilen Ungehorsams, wie sie Blockupy in Frankfurt angündigt, für ein legitimes politisches Mittel als Ausdruck gesellschaftlichen Protests und zur Durchsetzung sozialer Forderungen. Es gibt in dem Bündnis und auch in Attac jedoch auch Zweifel, ob solche Aktionsformen gegenwärtig tatsächlich überzeugend wirken und nicht einen gegenteiligen Effekt auslösen können. Nicht Attac sondern Attac-Aktivisten rufen zu diesen Aktionen auf.

Die Fragen stellte Wolfgang Teuber

Informationen über den Kongress „Umverteilen. Macht. Gerechtigkeit“ unter
http://www.umverteilen-macht-gerechtigkeit.eu