Im Interview

bresil carvalho hd06.08.2016: Interview der „Humanité Dimanche“ mit José Reinaldo Carvalho, Verantwortlicher für Internationale Beziehungen bei der Kommunistischen Partei von Brasilien (PCdoB)

Humanité Dimanche: Welche Aktionen haben die „Arbeiterpartei“ und die Linke vorgesehen vor der endgültigen Entscheidung über das Schicksal von Dilma Rousseff, die Ende August kommen soll?

José Reinaldo Carvalho: Auf der politischen Ebene stellt sich die Linke immer noch entschieden gegen die usurpatorische Regierung von Michel Temer und kämpft sie für die Wiederherstellung des Mandats der Präsidentin Dilma Rousseff, das sie mit der Zustimmung von 54 Millionen Brasilianern demokratisch erhalten hat.  Am Sonntag, den 31. Juli haben Demonstrationen stattgefunden unter der Losung „Fora, Temer!“ („Temer verschwinde!“).

Aber die Linke hat bezüglich dieses politischen Anliegens nicht das notwendige Niveau von Einheit an den Tag gelegt. Manche Organisationen befürworten eine Volksabstimmung über das Abhalten einer neuen Präsidentenwahl, damit Dilma ihren Platz als Staatschefin zurückbekommt. Andere wollen die Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung als ausschließliches Mittel für die Verwirklichung einer politischen Reform. Ebenso führt das Herannahen der Gemeindewahlen zu Differenzen in zahlreichen Bundesstaaten und Gemeinden innerhalb der Gesamtheit der Parteien. Eine Situation, die Schwierigkeiten schafft für die Einheit auf nationaler Ebene im Kampf gegen das Impeachement (Amtsenthebung) der Präsidentin.

HD: Werden die Demonstrationen weitergehen während der Olympischen Spiele? Werden Sie sich in den Medien ihrer bedienen als Druckmittel gegenüber der neuen Regierung?

José Reinaldo Carvalho: Es ist vorgesehen, eine Demonstration in Rio de Janeiro zu organisieren am Tag der offiziellen Eröffnung der Spiele (5. August), und eine weitere am 9. August. Das Ziel ist, den kämpferischen Geist zu aktivieren und das Volk zu mobilisieren, um Druck auszuüben auf den Senat.

HD: In welcher Geistesverfassung ist die brasilianische Bevölkerung nach den ersten Maßnahmen der Regierung und den Kosten für die Organisierung der Olympiade, und besonders die unteren, in prekären Verhältnissen lebenden Volksschichten und die Mittelklassen?

José Reinaldo Carvalho: Generell herrscht Unmut in der Bevölkerung. Diejenigen, die für die Amtsenthebung der Präsidentin Dilma Rousseff waren, sind enttäuscht. Und diejenigen, die sie unterstützt haben und gegen die Regierung Temer stellten, sind wütend. Die Meinungsumfragen zeigen, dass mehr als 60 Prozent der Bevölkerung die rasche Umsetzung einer neuen Präsidentenwahl wollen.

HD: Wie steht es um den Vorschlag von Dilma Rousseff, eine vorgezogene Präsidentenwahl abzuhalten?

José Reinaldo Carvalho: Quellen aus der Nähe von Präsidentin Dilma signalisieren, dass sie in den nächsten Tagen einen Offenen Brief an die Bevölkerung und an die Senatoren starten wird, in dem sie sich für ein Referendum einsetzt. „Ich bin für ein Referendum, denn es ist weder der Kongress noch eine Untersuchung noch irgendetwas anderes, das sagen kann, was ich zu tun habe. Wer das sagen kann, ist nur die Gesamtheit der Bevölkerung, die mir 54,5 Millionen Stimmen gegeben hat“, hat sie gesagt.

HD: Kann eine Allianz der gesamten fortschrittlichen Parteien sich ergeben um Lula und mit welchem Programm?

José Reinaldo Carvalho: Der Rahmen der nächsten Präsidentenwahl ist noch ungewiss. Die Kandidatur von Lula ist noch nicht beschlossen aus politischen Gründen, weil die Linksparteien die Frage noch nicht diskutiert haben und auch aus juristischen Gründen. Die Strategie der Parteien der herrschenden Klasse ist es, über juristische Maßnahmen zu verhindern, dass Lula seine Kandidatur für die nächsten Wahlen startet. Auf alle Fälle ist offensichtlich, dass die Kandidatur von Lula mit der vereinten Unterstützung der progressiven Parteien auf der Grundlage eines Programms demokratischer Strukturreformen und der Verteidigung der nationalen Souveränität und der sozialen Gerechtigkeit eine echte Alternative ist.

Zur Erinnerung:

In Brasilien herrschte bis 1985 eine 1964 durch einen Putsch an die Macht gekommene Militärdiktatur. Nach einer wechselhaften Übergangsperiode wurde im Oktober 2002 erstmals der Kandidat der linksorientierten brasilianischen „Arbeiterpartei“ (Partido dos Trabalhadores - PT), Luis Inacio Lula da Silva, zum Präsidenten gewählt. Er trat sein Amt am 1.1.2003 an und regierte bis 2010. Die von ihm initiierten Sozialprogramme zur Bekämpfung der Armut führten zu einer spürbaren Verbesserung der Lebensverhältnisse für die ärmeren Volksschichten, besonders in den wirtschaftlich geringer entwickelten Gebieten im Norden und Nordosten Brasiliens.

Nach zwei Amtszeiten durfte Lula laut Verfassung nicht erneut kandidieren. Bei der Präsidentenwahl am 3.10.2010 wurde die von ihm nominierte Kandidatin Dilma Rousseff, ebenfalls von der „Arbeiterpartei“ und ehemalige Guerilla-Kämpferin in der Zeit der Militärdiktatur, als seine Nachfolgerin gewählt. Sie wurde bei der Präsidentenwahl 2014 mit 51,5 % in diesem Amt bestätigt.

Vor dem Hintergrund der Auswirkungen der kapitalistischen Wirtschafts- und Finanzkrise 2007-2010, zunehmender wirtschaftlicher und finanzieller Schwierigkeiten, fallender Rohstoffpreise, dadurch rückläufiger Staatseinnahmen und reduzierter Ausgaben im Infrastruktur- und Sozialbereich sowie einer hohen Inflationsrate entwickelten maßgebliche Teile der brasilianischen Unternehmerschaft und ihnen verbundene politische Parteien seit 2012 eine wilde Destabilisierungskampagne gegen Dilma Rousseff und ihre Regierung, verbunden mit in den Medien groß aufgebauschten Korruptionsvorwürden. Diese mündete im März/April 2016 in ein von den Rechtsparteien initiierten Amtsenthebungsverfahren. Tatkräftig unterstützt wurde die rechte Opposition dabei von führenden Kreisen der USA, nachdem Rousseff es gewagt hatte, deren imperialistische Interventionspolitik und internationale Bespitzelungsaktionen durch die Geheimdienste in der UNO zu kritisieren. Teil dieser Kampagne war auch die Einleitung eines Gerichtsverfahrens gegen Lula wegen angeblichen „Versuchs der Behinderung der Justiz´“ in der Korruptionsaffäre um den Petrobras-Konzern. Im Gegenzug ernannte Rousseff Lula zum Kabinettschef.

Am 11. Mai 2016 beschloss der Senat nach einer entsprechenden Mehrheitsentscheidung im Abgeordnetenhaus die Suspendierung von Dilma Rousseff für 180 Tage bis zur endgültigen Entscheidung über das Amtsenthebungsverfahren, die jetzt für Anfang September vorgesehen sein soll. Gleichzeitig wurde der bisherige Vizepräsident Michel Temer von der liberalen „Partei der Demokratischen Bewegung Brasiliens“ (Partido do Movimento Democrático Brasileiro - PMDB) als Interimsstaatschef eingesetzt, der im März aus dem bisherigen Bündnis mit der PT in das Lager ihrer erbitterten Gegner überwechselte und aus der Regierung austrat.

Die Kommunistische Partei von Brasilien (Partido Comunista do Brasil – PCdoB), gegründet im März 1922, bezeichnet sich als die älteste Partei Brasiliens. Sie war gezwungen, über 60 Jahre ihrer Geschichte in der Illegalität zu arbeiten, mit nur kurzen legalen Zwischenperioden. Erst im Mai 1985 nach der Überwindung der Militärdiktatur konnte sie ihre Legalität erringen. Allerdings entstand 1960/61 parallel zu ihr die „Brasilianische Kommunistische Partei“ (Partido Comunista Brasileiro (PCB) im Ergebnis von Meinungsverschiedenheiten nach dem 20. Parteitag der KPdSU. Während die kleinere PCB einen strikten Oppositionskurs verfolgt, hat die PCdoB seit der Präsidentenwahl 2002 die Kandidatur von Lula und danach von Dilma Rousseff, beide Mitglieder der (linkssozialistischen) Arbeiterpartei (PT), unterstützt. Die PCdoB konnte bei der letzten Wahl zum Abgeordnetenhaus die Zahl ihrer Sitze von 13 auf 15 erhöhen und hat 2 Sitze im Senat. Sie stellt in einem Dutzend Kommunen die Bürgermeister. Die PCB ist im Parlament nicht vertreten.

Quelle: „Humanité Dimanche“, 4. August 2016


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