Der Kommentar

11.01.2011: Kommentar von Paolo Ferrero, Nationaler Sekretär von Partito della Rifondazione Comunista, zu dem Konflikt bei Fiat, der eine Bedeutung hat, die weit über das Unternehmen hinausgeht. Am Donnerstag und am Freitag dieser Woche werden die Beschäftigten im Turiner Fiat Werk über ein bereits abgeschlossenen Abkommen zwischen dem Konzern und verschiedenen Gewerkschaften abstimmen. Konzernchef Sergio Marchionne verlangt flexiblere Verträge, längere Arbeitsschichten, kürzere Pausen und den Verzicht auf das Streikrecht. Nur dann werde in Italien investiert und neue Produktionslinien hochgefahren. Gegen das Abkommen wehren sich die Metallgewerkschaft FIOM und Italiens stärkste Gewerkschaftsdachorganisation CGIL.

Paolo Ferrero:
"Die kommende Woche wird ein markantes Zeichen in der Geschichte unseres Landes hinterlassen. Wie die Liberazione (Anm.d.Ü.: Zeitung von Partito della Rifondazione Comunista) in diesen Wochen klar aufgezeigt hat, ist die mafiöse Erpressung Marchionnes, der das Produktionsverhältnis ins Zentrum stellt, von grundsätzlicher, politischer Bedeutung.
Der Widerruf der Möglichkeit, dass Fabrikarbeiter sich gewerkschaftlich organisieren können, ist nicht nur ein Angriff auf die Errungenschaften der 70er Jahre, sondern gleich ein Angriff auf die Verfassung unseres Landes.

Die Reduktion der Arbeitskraft auf eine pure Ware bedeutet die Ablehnung der Republik, wie sie aus der Resistenza, dem Widerstand geschaffen und auf die Arbeit gegründet wurde.
Die Fiat-Offensive leitet somit einen Regimewechsel ein; die symbolische Sanktion der materiellen Verletzung der Verfassung unseres Landes, die auf Plebiszit basiert, ist Voraussetzung für die formale Verletzung der Konstitution.

Wir haben es mit einer echten konservativen Revolution zu tun. Fiat ist wohlvertraut mit diesen Druckmitteln.

Nach dem Scheitern der Fabrikbesetzungen 1920 begann Fiat eine Offensive, die die Regeln für die Aufstellung von Abteilungskommissaren (die Gewerkschaftsdelegierten) zu Fall bringen und damit die Gewerkschaftspräsenz in der Fabrik beenden sollte. Gegen den Widerstand der Metallgewerkschaft Fiom wurden die Arbeiter durch Aussperrung erpresst. Nach einigen Wochen, bereits bis zum Hunger zermürbt, nahm die Mehrheit der Arbeiter die neue Fabrikverordnung zur Abschaffung der Abteilungskommissare an und unterschrieb einzeln. Daraufhin sperrte Fiat die Fabrik wieder auf unter Inkrafttreten der neuen Verordnung, die nur durch Erpressung von der Mehrheit der Arbeiter unterschrieben worden war, und übergab 1.500 Arbeitern die Entlassung, großenteils Abteilungskommissaren und Kommunisten.
Was sich danach mit dem Beginn des Faschismus ereignete, ist bekannt.

Das kämpferische Jahrzehnt der 70er Jahre beendete eine neue Fiat-Initiative und machte den Weg frei zur Zerstörung des Rückgrats dieses Jahrzehnts, der Gewerkschaftsräte.
1979 erhielten 61 Fiatarbeiter die Entlassung mit formell nichtigen Begründungen; man ließ durchblicken, es würde sich um Terroristen handeln. Die Antwort war schwach und die Initiative gelang. Den durch Gerichtsurteil reintegrierten Arbeitern wurde einfach der Zugang zur Fabrik verweigert. Nach der "Kostprobe" dieser ersten Offensive ging dann der wirkliche Angriff los mit der Forderung nach 14.000 Entlassungen, die umgewandelt wurden in "Integrationskasse" (Anm.d.Ü. Arbeitsfreistellung) zu 0 Stunden für 23.000 Leute. Diese verhängnisvolle Abmachung beendete nicht nur die Zeit der Gewerkschaftsräte, sondern öffnete der Restauration unter Craxi Tür und Tor.

Heute ist es schon wieder Fiat, die den Ton vorgibt, sich zur Partei erklärt und die Bourgeoisie lenkt. Das Ziel von Fiat ist es, grundsätzlich einen rechten, reaktionären Weg aufzuzeigen, um der Krise des Kapitals zu begegnen.

Reduktion der Arbeitskraft auf eine nur mehr variabel Abhängige ist Voraussetzung für die Reduktion von Politik auf eine reine Dienerin der Unternehmen im globalen Wettbewerb. Fiat will die kapitalistische Utopie verwirklichen, Unternehmen vom Territorium abzukoppeln und für das globalisierte Kapital Arbeitskonditionen von gleicher Gültigkeit zu schaffen, egal wo immer man arbeitet.

Bis heute haben die Bosse die Fabriken verlagert auf der Suche nach vorteilhafteren Bedingungen. Jetzt macht Fiat den nächsten Schritt und senkt die Bedingungen für die italienischen Arbeiter einheitlich ab. Fiat will den nationalen Arbeitsvertrag zerreißen und durch den Vertrag der Globalisierung ersetzen, jenen individualistischen, bei dem jeder Arbeiter in Konkurrenz mit dem Nächsten steht in weltweitem Maßstab.

Fiat - in vollem, solidarischem Wettstreit mit Berlusconi - will in Italien ein echtes Negativ- Laboratorium der europäischen Umstrukturierung schaffen. Wenn ein erster Schritt die Arbeitsverhältnisse betrifft, muss der nächste die Verfassung und Gesetzgebung angehen, die diese Arbeitsverhältnisse bestimmen.

Ganz banal gesagt, die Demokratie ist die Form, mit der der Kapitalismus seine Wachstumsphase verwaltet hat, aber mit dieser Form kann der Kapitalismus nicht die Verarmung eines Landes verwalten. Ich spreche von einer Verarmung mit Bedacht.

Wenn man sich dafür entscheidet, die nationalen Verträge zu zerstören und die Arbeit integral zu prekarisieren, ist das eine Entscheidung für niedrige Löhne und für die Zerstörung des Wohlfahrtsstaats; das heißt eine Entscheidung, die die Verarmung breiter Schichten der Bevölkerung bedeutet, gleich bei der Jugend angefangen. Damit schafft man eine hierarchischere und ungleichere Gesellschaft.

Diese konservative Revolution, als deren Träger Marchionne und Berlusconi fungieren, wird nicht ohne Schmerzen gehen und kein vorhersehbares Ergebnis haben.

Das primäre Problem ist der Einbruch des Fortschrittshorizonts, der den wahren Gemeinsinn der Massen im Land ausmacht. Es ist überhaupt nicht leicht, Millionen von Eltern davon zu überzeugen, dass es ihren Kindern schlechter gehen sollte als ihnen. Es ist gar nicht leicht, diese jungen Burschen und Mädchen zu überzeugen, denen man das Leben gestohlen hat; die ohne zu wissen, wie ihnen geschah, in den Krieg geraten sind, die dafür mit Folgen bezahlen müssen, während ihnen die Reichen von oben zusehen.
Es ist gar nicht leicht, ganze Generationen davon zu überzeugen, dass es bei ihnen "dumm gelaufen ist", dass sie Opfer von Pech und Geduld sind. Der Angriff ist zwar stark, aber nicht ohne Widersprüche und Schwachpunkte.

Für uns ist entscheidend, nun aktuell und mit Klarheit zu handeln. Wir müssen wissen, dass die nächsten Tage entscheidend für den Fortgang der Schlacht sein werden.

Drei Felder sind es, auf denen wir mit Priorität handeln müssen.

  • In erster Linie müssen wir bei Fiat aktiv sein, damit Marchionne die Abstimmung verliert.
  • Zweitens muss ein massenhaftes Einverständnis zwischen jungen Leuten und Arbeitern geschaffen werden bezüglich der Vorgänge bei Fiat, der Auswirkungen auf alle und der Notwendigkeit einer einheitlichen Antwort: Generalstreik!
  • Drittens muss eine Massenkampagne gegen den Föderalismus begonnen werden, über den man in den nächsten Wochen abstimmen wird, und der territorial das darstellt, was die Anwendung der Marchionne-Linie auf das Unternehmen bedeutet.

Die Wiederbelebung der Partei "Rifondazione Comunista" und der Föderation der Linken, die Wiederbelebung unseres Vorschlags zur Einheit, vor dem die anderen linken Kräfte ihre Ohren versperren, kann nur in der lebendigen Auseinandersetzung geschehen."

Paolo Ferrero, 10.1.2011, http://home.rifondazione.it
Übersetzung aus dem Italienischen:  Elfi Padovan

siehe auch Italien: Die kampfbereiten Gewerkschaften sollen ausgeschaltet werden