Der Kommentar

30_stunden_woche21.02.2013: Die Forderung nach einer 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich beherrschte kurze Zeit Nachrichtensendungen und Schlagzeilen der gedruckten Medien. 100 Wissenschaftler, Gewerkschafter und Politiker appellierten an Gewerkschaften, Sozialverbände, Kirchen und Parteien, auf diese Weise Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung von Millionen zu beenden und auch der wachsenden Zahl arbeitsbedingter Erkrankungen entgegenzuwirken. Sie wiesen in ihrem offenen Brief darauf hin, dass seit Jahrzehnten die Produktivität schneller steigt als die Löhne. Ohne verkürzte Arbeitszeiten führt das zwangsläufig zu steigender Arbeitslosigkeit. Das sogenannte Jobwunder basiert vor allem auf der rapiden Zunahme von Mini-, Teilzeit- und sonstigen prekären Jobs, von denen Millionen trotz teilweise über 50 wöchentlichen Arbeitsstunden nicht leben können. Dem gegenüber steht eine seit den siebziger Jahren um rund 15 Prozent gesunkene Lohnquote, bezogen auf das gesamte Volkseinkommen, und eine enorme Anhäufung von Reichtum bei einer zahlenmäßig dünnen Oberschicht. Als DKP sehen wir uns vor dem 20. Parteitag bezüglich unserer Positionen in der Arbeitszeitfrage bestätigt.

Natürlich waren die Gegenreaktionen heftig. Ein sogenannter Arbeitszeitpolitischer Sprecher der FDP namens Vogel bezeichnete die Forderung als Karnevalsscherz. Eine Frau Wischhusen (27), neugewählte Bundessprecherin des Bundes junger Unternehmer, meint in der FAZ mit gleicher Wortwahl spotten und belehren zu müssen. Sie sieht die deutschen Löhne bezüglich ihrer Höhe jetzt schon in einer europäischen Spitzengruppe und die Wettbewerbsfähigkeit als gefährdet. Dabei ist nicht die absolute Lohnhöhe entscheidend, sondern die Lohnstückkosten sind es, also der Anteil des Lohnes pro produzierte Einheit. Und da bleibt Deutschland seit fast zwei Jahrzehnten hinter allen entwickelten Industrienationen zurück. Zudem zwinge eine Arbeitszeitverkürzung die Unternehmer zu einer viel höheren Effizienz, sprich Einsatz neuer Techniken und Abbau vor allem von Arbeitsplätzen sogenannter Geringqualifizierter. Nicht ganz ungeschickt knüpft sie hier propagandistisch an die vorgebliche Erfahrung vieler Arbeitender an, mit Arbeitszeitverkürzungen habe die Arbeitsdichte zugenommen. Hier gibt es aber im Wesentlichen nur einen Scheinzusammenhang, liefen doch die gleichen Prozesse auch dort ab, wo Arbeitszeiten über lange Jahre stagnierten oder gar angehoben wurden. Kein Unternehmer wird bei Strafe seines drohenden ökonomischen Untergangs im kapitalistischen Wettbewerb als „Gegenleistung“ für den Verzicht auf Arbeitszeitverkürzung auf die ständige Revolutionierung der Produktivkräfte verzichten.

Die 30-Stunden-Woche tauge nur noch für Traditionsabende ehemaliger Klassenkämpfer, meint die Jungunternehmerin und führt dann ihren Klassenkampf der Millionäre gegen die Millionen weiter mit der Behauptung, der Fachkräftemangel, die angeblich geringe Qualifizierung der Arbeitslosen und der demografische Wandel ließen keine Arbeitszeitverkürzung zu. Zunächst nutzt es den sechs Millionen den Nicht- oder Unterbeschäftigten nichts, wenn im Zuge des demografischen Wandels, der zur Begründung nicht weniger unsinniger Thesen herhalten muss, in einigen Jahrzehnten Arbeitskräfte fehlen sollten. Sie brauchen jetzt Arbeit. Seit Jahrzehnten bilden gerade große Betriebe und Verwaltungen immer weniger aus. Das gleichen auch keine „Klitschen“ aus, in denen nicht selten auf eine Fachkraft drei Auszubildende kommen. 15 Prozent der Menschen aus Frau Wischhusens Generation der 25- bis 35-jährigen haben weder einen berufsqualifizierenden Abschluss, noch sind sie in Ausbildung. Das sind 1,46 Millionen, von denen nur ein Teil in Arbeitslosenstatistiken erscheint. Hier z. B. ist jenseits aller demografischer Kristallkugelseherei ein großes Potential an Fachkräften. Vorausgesetzt, dass jene, die Fachkräftemangel beklagen, endlich anfangen mehr auszubilden.

Es ist nicht ein großteils selbstverschuldeter Fachkräftemangel, der die Unternehmer jede Arbeitszeitverkürzung fürchten lässt wie den Teufel das Weihwasser, es ist auch nicht die Profitsucht alleine, nicht nur ihr kapitalistischer Konkurrenzkampf national und international, es ist auch der Horror vor dem Verlust des Knüppels Arbeitslosigkeit, mit dem sie seit 40 Jahren erfolgreich die Arbeitenden und ihre Gewerkschaften schwächen. Der Aspekt spielt bei den 100 eine große Rolle. Nicht nur sie erwarten deshalb auch von den Gewerkschaften ein deutlicheres Bekenntnis zu massiver Arbeitszeitverkürzung als strategischem Ziel. Wobei der Kampf oft dort beginnt, wo es um die Einhaltung bestehender Regelungen wie z. B. des Arbeitszeitgesetzes geht. Die Kurzarbeit in der Krise hatte gezeigt, dass Arbeitszeitverkürzung sehr wohl Arbeitsplätze erhält. Sie muss aber anders finanziert werden, nicht durch Lohnverzicht, Sozialversicherungsbeiträge und Steuergelder, sondern zu Lasten der Profite. Auskömmliche und sichere Erwerbsarbeit ist ein Menschenrecht, explodierende Privatvermögen aber nicht.

Volker Metzroth (aus der UZ vom 22.2.13)