Meinungen

07.03.2013: Wir veröffentlichen einen Kommentar von Claudio Grassi zur Situation nach dem verheerenden Wahlergebnis für die italienischen KommunistInnen und die Linke. (siehe auch Wahl in Italien: Kommt Berlusconi zurück?) Claudio Grassi war 1991 Mitbegründer der Partito della Rifondazione Comunista (PRC), Koordinator der Strömung "Kommunist sein" und ist Mitglied des nationalen Sekretariats der PRC:

Vieles ist über diese Wahlen bereits gesagt worden. Es wird auch noch Weiteres dazu geschrieben werden, angesichts des Erdbebens das sie ausgelöst haben und des komplett instabilen politischen Spektrums, das sie auf den Plan gerufen haben. Ich begrenze mich auf einige kurze Anmerkungen und Schlussfolgerungen.


Wer hat gewonnen?
Beppe Grillo und das M5S (Bewegung 5 Sterne). 25 Prozent. Weit über die optimistischsten Voraussagen hinaus. Ein Ergebnis, das einen Kreis von 360 Grad beinhaltet, von - in der Mehrzahl - enttäuschten Wählern von Mitte-Rechts, Mitte-Links und Links, und von den Sich-Enthaltenden. Meiner Meinung nach sind die meisten dieser Stimmen nicht aufgrund einer Zustimmung zum Programm, das die M5S präsentiert hat, zustande gekommen. Stattdessen ist es ein Votum GEGEN etwas gewesen. Gegen die Politik, gegen die Parteien, gegen die Kaste – alle in ihrer Gänze verantwortlich für die aktuelle Katastrophe. Schicken wir sie alle nach Hause. Die Verflechtung zwischen der wirtschaftlichen Krise - die nicht nur die Lebensbedingungen der schwächsten sozialen Schichten verschlechtert hat, sondern auch die der Händler, Handwerker, Bauern und Kleinunternehmer - und der Ekel vor der politischen Klasse, die fortwährend mit aufgehaltener Hand gestohlen haben was nur ging, sind der starke Antrieb dieser Zustimmung gewesen.

Wer hat nicht verloren?
Berlusconi - und die Pdl. Gegenüber den vorhergehenden Wahlen hat er Millionen Stimmen verloren, aber der Vergleich muss mit der katastrophalen Situation, in der er sich im letzten Jahr befand, gemacht werden. Zunächst einmal, er ist imstande gewesen – und das ist nicht das erste Mal – ein Riesen-Comeback hinzulegen, das ihm als Koalition beinahe den Sieg im Senat eingebracht hat. Er hat das gemacht, wie er es halt macht, auf die eigene Art, indem der die Botschaften die er gibt ins Extreme radikalisiert, wissend, dass er auf der einen Seite die Instinkte der Leute kitzelt, die im Land Steuerflucht begehen - siehe die Amnestie für Steuerkriminelle -, auf der anderen Seite den Hebel ansetzend bei den materiellen Bedürfnissen all der armen Leute die es gibt, und zwar indem er Geld verspricht - Rückgabe der Immobilien-Steuer IMU auf den 1. Wohnsitz. Das Ganze, indem er Monti angreift und sich von seiner Politik distanziert - für die er jedoch gestimmt hatte -, die im Land ein großes Unbehagen geschaffen hat. Über seine Skrupellosigkeit gelacht zu haben und diesen Themen auf "aristokratische" Art und Weise begegnet zu sein - wie das die Pd (Demokratische Partei) getan hat - ist einer der Hauptfehler von Bersani in diesem Wahlkampf gewesen.

Wer hat verloren?
Zweifellos die Pd, und in der Pd, Bersani. Zunächst siegessicher, hat er ein Resultat bekommen, das ihm nicht erlaubt, das Land zu regieren. Die Pd hat nicht genügend Stimmen, um zu regieren – nicht nur wie Sel (Sinistra Ecologia Libertà) vorausgesagt hatte, als Mitte-Links-Koalition, sondern auch nicht – wie es Bersani immer zugesagt hat – zusammen mit Monti. Heute muss sich der Parteisekretär der Pd dazu erniedrigen, einem Abkommen mit Beppe Grillo hinterherzulaufen, der ihn noch dazu als „toter Mann“ oder „Arschgesicht“ bezeichnet. Das Abkommen wird nur schwerlich zustande kommen und das wird den Untergang Bersanis bedeuten. Er wird nicht in der Lage sein, die Regierung zu führen, und er wird nach einer so schweren Niederlage auch die Zügel der Pd nicht in der Hand behalten.

Aber auch Monti hat verloren, und mit ihm diejenigen die auf eine Regierung Bersani-Monti gesetzt haben - wie der Economist und die starken pro-europäischen Kräfte -, um der Sparprogramm-Politik und der Austerität Kontinuität zu verleihen. Der Professor der Wirtschaftsuniversität Bocconi hat nicht nur sein Ziel , wie ein Magnet zwischen einem Teil der Pd und einem Teil der Pdl zu fungieren, nicht erreicht, sondern mit den Stimmen, die auf ihn gefallen sind, kann er nicht einmal die Rolle des Züngleins an der Waage spielen.

Aber wer am meisten verloren hat, sind wir, die Liste der Rivoluzione Civile. Nicht nur, weil wir ein Resultat eingefahren haben, das nicht einmal die Pessimistischsten unter uns im Entferntesten prognostiziert haben, sondern weil außer diesem negativen Resultat für die Rifondazione Communista jetzt auch noch zum zweiten Mal der Sprung ins Parlament nicht gelungen ist.

Hätten wir etwas anderes tun können? Gab es eine andere Hypothese, die uns ein besseres Resultat eingebracht hätte?

Das scheint mir nicht. Es sind sicherlich Fehler gemacht worden, sowohl bei der Zusammensetzung der Liste, als auch bei der Wahl der Themen, mit denen wir uns im Wahlkampf präsentiert haben. Aber diese Elemente sind für den Ausgang der Wahlen nicht entscheidend gewesen. Die Wahrheit ist, dass es uns nicht gelungen ist, uns einen Raum zu öffnen zwischen dem bestehenden Mitte-Links-Potential und der attraktiven Kraft Grillos, die die Protestwähler anzog. Im Wesentlichen sind wir als "weder Fleisch noch Fisch" aufgetreten. Weder ein Stachel für die eventuelle Mitte-Links-Regierung, noch glaubhafter Pol gegenüber Mitte-Rechts und Mitte-Links. Das mag unangenehm sein, aber so war der Eindruck, den die Menschen von uns hatten.

Das politische Resultat dieser Wahlen ist für Rivoluzione Civile sehr negativ gewesen, aber es ist auch nicht positiv für diejenigen gewesen, die auf eine Mitte-Links-Regierung gesetzt haben. Trotz des starken Rückgangs an Stimmen für die Pd und unseres Misserfolgs hat auch Sinistra Ecologia Libertà (Sel) diese Stimmen keinesfalls auffangen können, und bekam nur etwas mehr als 3 Prozent. Ich glaube, dass die Genossinnen und Genossen von Sel einen großen Fehler machen würden, wenn sie sich – geblendet durch die Gewinnung einer großen Zahl von Abgeordneten, dank des monströsen Wahlsystems (Anm.: die stärkste Partei oder Parteienkoalition erhält im Abgeordnetenhaus automatisch einen "Bonus", der ihre Abgeordnetenmandate auf mindestens 55% der Abgeordneten erhöht) – nicht ebenfalls Gedanken über die Schwierigkeiten ihres politischen Projektes machen würden, um einen Dialog zwischen den Linkskräften zu eröffnen. Umso mehr in einer Situation, in der die Führung der Pd höchstwahrscheinlich von Bersani auf Renzi (Bürgermeister von Firenze) übergehen wird und auch angesichts der Tatsache, dass es sehr gut möglich ist, dass die gerade begonnene Legislaturperiode sehr viel früher beendet sein wird, als ihre normale Zeitdauer umfasst.

Was tun?
Bezüglich der Rifondazione Communista kann man diese Fakten nicht als einen Endpunkt des Scheiterns eines Zyklus bezeichnen, der 2008 begonnen hätte. Vielleicht hatten diejenigen nicht ganz Unrecht, die auf dem Kongress von Chianciano (VII. Kongress der PRC im Juli 2008) bis zuletzt versucht haben, diesen Ausgang zu vermeiden. Jedenfalls ist es so, dass der Versuch, Rifondazione Communista neu an den Start zu bringen, nicht geglückt ist, wie auch der Versuch nicht geglückt ist, um sie herum eine linke Alternative aufzubauen.

Es genügt, sich die wesentlichen Punkte anzusehen: Bei den Europawahlen 2009 hat die Liste Prc-Pdci 3,4 Prozent geholt und damals haben wir das als nicht positiv eingeschätzt. Bei den Regionalwahlen 2010 haben wir als Föderation der Linken 2,7 Prozent erreicht, was sich dann bei den kommunalen Wahlen wiederholt hat. Die Föderation der Linken hat sich bei den nationalen Wahlen gespalten, auch wenn es nie eine offizielle Auflösung gab. Zum Schluss, trotz der Chance die durch Ingroia (Initiator und Spitzenkandidat von Rivoluzione Civile) entstanden war, der die Liste von Rivoluzione Civile anführte - und die zusätzliche Beteiligung von Fds, Italia dei Valori und Grüne -, ist die Stimmenanzahl nun auf 2,2 Prozent gesunken.

Bei einer so negativen Bilanz muss man Entscheidungen fällen, die nicht einfach nur an der Oberfläche bleiben. Vor allem muss dies die Gruppe der Führungspersonen tun, die die Verantwortung dafür übernehmen muss, dass die Ziele die man sich vorgenommen hatte, nicht erreicht wurden. Das ist keine Flucht aus der Realität im Moment der größten Schwierigkeiten. Es ist genau das Gegenteil. Gerade um ein wichtiges menschliches und politisches Erbe zu retten, wie das immer noch in Rifondazione Communista enthalten ist und das sich so großartig auch in diesem Wahlkampf gezeigt hat, müssen wir etwas tun, was nicht einfach nur ein normaler administrativer Akt ist.

Wir müssen die ersten sein, die ein Zeichen der Wende und des Wechsels geben. Dieses Zeichen muss in zwei Richtungen gehen.

Einerseits ist es notwendig, die Gruppe der Führungspersonen zu ersetzen. Es gibt keine Partei, in der es nach einer so großen Zahl an Misserfolgen nicht zu Veränderungen gekommen wäre.

Andererseits müssen wir den Anstand haben, anzuerkennen, dass wir es alleine nicht schaffen und wir müssen fähig werden, einen Dialog mit allen linken politischen Kräften - wie den Gewerkschaften, den Bewegungen, denjenigen die links von der Pd stehen - zu initiieren, um einen Weg zu einer neuen alternativen Linken zu eröffnen, in der das Erbe von Rifondazione und der KommunistInnen weiter leben und weiter wachsen kann. Wenn wir diese Aufgabe nicht in Angriff nehmen, werden auch die Genossinnen und Genossen, die übriggeblieben sind, das Risiko laufen, sich immer mehr zu reduzieren, wie das leider seit Jahren geschieht.

Wenn wir in dieser Frage einer Meinung sind, können wir über das Wie des Erreichens dieses Zieles diskutieren. Jedenfalls müssen die Entscheidungen, wie vorgegangen werden soll, von allen Beteiligten weitgehend geteilt werden, ansonsten wird es keine Entwicklung dieses Prozesses geben, sondern eine dramatische Rückentwicklung. Und an dem Punkt, wo wir zur Zeit stehen, können wir uns das sicherlich nicht erlauben.

4. März 2013
Claudio Grassi
Mitglied des Nationalsekretariats der PRC