Meinungen

Bolivien Linera Quito-2010 PresidenciaEcuador24.08.2013: Im April dieses Jahres setzte sich Boliviens Vizepräsident Álvaro García Linera mit die Kritik an der Rohstoffpolitik linker Regierungen in Lateinamerika auseinander. Einige ökologisch orientierte NGOs lehnen deren Nutzung der Rohstoffe ab und brankmarken sie mit dem denunziatorisch gemeinten Begriff 'Extraktivismus'. Wie auch Präsident Evo Morales gehört Linera der Regierungspartei 'Bewegung zum Sozialismus' (MAS) an. Seine Kritik lautet:

Seit Marx wissen wir, dass Gesellschaften sich dadurch auszeichnen und unterscheiden, wie sie Produktion, Verteilung und Nutzung der ihnen zur Verfügung stehenden materiellen und symbolischen Ressourcen organisieren. Mit anderen Worten, die Produktionsweise1 bestimmt den materiellen Inhalt des gesellschaftlichen Lebens jeder einzelnen menschlichen Gemeinschaft in einem bestimmten Gebiet (Nation, Volk, Gemeinde). In ihrem Rahmen ist es möglich, die historisch-spezifische Art, wie ihre einzelnen Komponenten sich entwickeln sowie die Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen existierenden Produktionsweisen innerhalb einer Gesellschaft zu unterscheiden.

Eine Produktionsweise ist ein Netz von gesellschaftlichen Beziehungen, das bestimmte Formen der materiellen Verhältnisse zwischen Arbeitsmitteln (Werkzeuge), Arbeitsobjekten (Rohstoffe), Arbeitskräften (Arbeiter), Arbeitsprodukt (Resultate), dem Eigentum an jeder dieser Komponenten, den wechselseitigen Herrschafts- oder Abhängigkeitsverhältnissen, der technischen Organisation der Arbeitsprozesse, der gesellschaftlichen Nutzung der Arbeitsprodukte usw. beinhaltet. In jeder dieser Beziehungen, die alle Teil der gesellschaftlichen Produktionsweise sind, werden Menschen miteinander und mit der Natur durch materielle Dinge verbunden, die nichts anderes sind als die durch gesellschaftliche Arbeit veränderte Natur.

Dies bedeutet, dass es eine natürliche Dimension in jeder produktiven gesellschaftlichen Tätigkeit gibt und eine gesellschaftliche Dimension in jeder kreativen natürlichen Tätigkeit oder, wenn man so will, dass das Soziale eine Komponente des natürlichen Stoffwechsels ist. In diesem Sinne bildet das Verhältnis zwischen uns Menschen und der Natur einen Teil der Merkmale einer spezifischen gesellschaftlichen Produktionsweise.

In jedem Fall ist menschliche Aktivität ausschließlich durch die Umwandlung der Natur möglich, egal ob dadurch eine Hütte, eine Stadt, ein Acker, Gehwege, ein Staudamm, eine Turbine, eine Axt oder ein Lastwagen entsteht; alles, absolut alles ist, seitdem es Leben auf diesem Planeten gibt, erst durch die Bearbeitung der Natur entstanden. Das natürliche und das gesellschaftliche Leben erfordert die Bearbeitung der Natur, um die biologischen Komponenten seiner Reproduktion und die materiellen Komponenten seiner Werkzeuge zu gewinnen. Es liegt in der Natur des Menschen, die ihn umgebende Natur zu verändern und auf sie einzuwirken; das ist die unveränderliche und transhistorische natürliche Bedingung jeder Produktionsweise.

Was jedoch den gesellschaftlichen Unterschied zwischen verschiedenen Produktionsweisen ausmacht, ist die Art des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur. Alle vorkapitalistischen agrarischen Produktionsweisen haben ausnahmslos die natürliche Umwelt gewaltig verändert. Man braucht nur in unserem Land die vielen Terrassen in den Anden, die die Ernährung von Millionen von Menschen auf dem Altiplano und in den Tälern sicherstellten, das riesige System der Bergkämme4 oder die künstlichen Seen im Amazonasgebiet zu betrachten, die heute noch in der Tiefebene von Beni die Landschaft so charakteristisch prägen. Die großen Menschenansammlungen haben zwecks der eigenen Reproduktion die Umwelt drastisch verändert. Aber im großen Unterschied zu den Veränderungen, die der Kapitalismus heute der Natur zufügt, haben die nichtkapitalistischen Gesellschaften stets für die Reproduktionsfähigkeit der veränderten Umwelt und die Erhaltung eines Reservoirs an Gebauchswerten für künftige Generationen gesorgt. Die Auffassung der Natur als Lebensgrundlage, die diesen Gesellschaften eigen war, entstand durch die Art, wie sie die Natur zu kollektiven Zwecken veränderten.

Im Gegensatz dazu werden die Beziehungen zwischen Umwelt und Gesellschaft vom Kapitalismus geändert. Die Natur ist nunmehr ein Speicher der materiellen Träger des Tauschwerts, des Profits. Während sie in den anderen Produktionsweisen die große Quelle der Lebensmittel, der begehrten Gebrauchswerte ist, wird sie im Kapitalismus zu einer bloßen materiellen Voraussetzung für die Tauschwerte (Profite), die die Produktion bestimmen. Und Zerstörung, Schutz, Plünderung und Erhaltung sind lediglich abwechselnde Begleitumstände eines einzigen gesellschaftlichen Zwecks: Profit – die ununterbrochene und endlose Inwertsetzung von Kapital. Diese Logik ist der Hauptzweck, der alles durchdringt: Gesellschaften, Individuen und Natur. Somit erscheint letzten Endes der Kapitalismus als eine große zerstörerische Kraft zum Nachteil der menschlichen Natur und der Natur im Allgemeinen.

Eine Komponente der Produktionsweisen ist die technische Seite der Beziehungen zwischen Mensch und Natur. Dazu gehören zunächst die Werkzeuge und Werkzeugmaschinen, die zwischen der Arbeit und dem Rohstoff vermitteln, und außerdem die Komplexität der Veränderung des Rohstoffs, der vorhandenen oder bereits veränderten Natur. Bei dieser ersten Komponente der technischen Seite ist die Rede von den Merkmalen und der Art der Produktivkräfte (einfach oder komplex; technisch, belebt, symbolisch usw.; kollektiv oder individuell; handwerklich oder industriell; geistig; lokal, regional oder international; Produkt der gesellschaftlichen Intelligenz usw.). Dies ist zum Teil der wesentliche, sich technisch entwickelnde Kern, der die verschiedenen gesellschaftlichen Produktionsweisen unterscheidet.

Die Komplexität der Veränderung der Natur kann von der Gewinnung von Rohstoffen (erneuerbaren wie Nahrungsmitteln, Holz und Gummi oder nicht erneuerbaren wie Mineralien und Kohlenwasserstoffen) bis zur (handwerklichen oder industriellen) Verarbeitung der Rohstoffe reichen oder eine höhere Ebene betreffen, wenn die "Rohstoffe" Symbole und Ideen sind und sie durch die Produktion neuer, komplexerer Ideen und Symbole bearbeitet werden.

In allen Gesellschaften und Produktionsweisen sind die verschiedenen Stufen der Verarbeitung von Rohstoffen in jeweils eigener Ausprägung vorhanden. Wenn wir unter Extraktivismus die bloße Gewinnung von (erneuerbaren sowie nicht erneuerbaren) Rohstoffen verstehen, ohne größere Veränderungen der verrichteten Arbeit, dann sind alle Gesellschaften der Welt, kapitalistische und nichtkapitalistische, in kleinerem oder größerem Maß extraktivistisch. Die agrarischen nichtkapitalistischen Gesellschaften, die Eisen, Kupfer, Gold oder Bronze in größerem oder kleinerem Umfang verarbeitet haben, wiesen in irgendeiner Form eine spezialisierte extraktivistische Aktivität auf, manchmal ergänzt durch einfache oder komplexe Verarbeitung des Rohstoffs. Selbst Gesellschaften, die von der Gewinnung von Holz und Paranüssen in Verbindung mit Jagd und Fischfang lebten oder leben, betreiben eine Art extraktivistischer Aktivität hinsichtlich erneuerbarer Naturressourcen.

Kapitalistische Gesellschaften weisen verschiedene Stufen extraktivistischer Aktivität6 auf, die im Lauf der Zeit zur industriellen Verarbeitung geführt haben. Manche Gesellschaften sind schnell zur Produktion von Ideen und Symbolen als ihrer hauptsächlichen produktiven Aktivität übergegangen. Das impliziert den Einsatz geistiger Produktivkräfte für die Prozesse der kapitalistischen Wertsteigerung (Profit). Aber auch die früheren nichtkapitalistischen Gesellschaften haben in unterschiedlicher Ausprägung solche Methoden der Herstellung von Gemeingütern angewendet. Mathematik, Astronomie, Bewässerungssysteme oder gar religiöse Rituale, wie sie Kulturen der Andenregion oder des Amazonasgebiets, die Maya oder andere entwickelt haben, verkörpern gesellschaftliche Produktionsstätten, in denen an Ideen und Symbolen gearbeitet wird. Der Unterschied zwischen Epochen und zwischen Gesellschaften mit ähnlichen allgemeinen Produktionsweisen besteht in der Spezialisierung ihrer produktiven Tätigkeiten, das heißt in der Art ihrer Beteiligung an der regionalen Organisation der internationalen Arbeitsteilung.

Es gibt Länder, die als Produzenten von Rohstoffen begannen, dann zur Industrialisierung der Produktion von Rohstoffen übergingen und sich nun auf technisch-wissenschaftliche Produktion und Dienstleistung konzentrieren. Eine ganze Reihe von Ländern in Europa und Nordamerika hat diesen Weg zurückgelegt.

Andere Gesellschaften gingen in dem Maß, in dem die Länder der ersten Gruppe ihre industriellen Tätigkeiten in die Länder der Peripherie verlegt haben, von der Rohstoffproduktion für den Weltmarkt (in erster Linie Rohstoff exportierende extraktivistische Ökonomien) zu Tätigkeiten über, die ihren Extraktivismus ergänzen, zu selektiver industrieller Verarbeitung, und wurden so zu Werkstätten der Welt. Beispiele dafür sind Mexiko, die Philippinen, Brasilien, Indien und teilweise China.

Aber es gibt auch Gesellschaften, so die meisten in Lateinamerika und Afrika, die vorwiegend beim Rohstoffexport geblieben sind – vorrangig extraktivistische beziehungsweise extraktivistische und agrarische. Das kapitalistische Weltsystem ist dynamisch und rekonfiguriert sich fortwährend und nicht ohne Konflikte um die geografische Verteilung der einzelnen Produktionsprozesse in Bezug auf Profit, Zugang zu Märkten, Verfügbarkeit von Arbeitskräften und natürliche Ressourcen. Im Allgemeinen sind die kolonialen oder postkolonialen Gesellschaften tendenziell Rohstofflieferanten, aber es gibt auch zahlreiche Beispiele für koloniale Gesellschaften, die zur industriellen Verarbeitung übergegangen sind (Brasilien, Mexiko usw.), was auch die Produktion von Wissen einschließt (Südafrika und teilweise China), obwohl das nicht heißt, dass sie nicht mehr kapitalistisch sind.

Das bedeutet, dass der Kapitalismus nicht endet, sobald die extraktivistische Aktivität aufhört, da er sowohl extraktivistisch als auch nichtextraktivistisch sein kann. Also ist die Kernfrage bei der revolutionären Umwandlung der Gesellschaft nicht, ob sie extraktivistisch ist oder nicht, sondern inwieweit wir den Kapitalismus als eine Produktionsweise überwinden – ganz gleich, ob es sich um seine extraktivistische oder nichtextraktivistische Variante handelt.

Im Rahmen des Kapitalismus als weltumspannende Produktionsweise ist jede Arbeitsteilung in den jeweiligen Ländern und Regionen Teil der Struktur innerhalb der Vorherrschaft des globalen kapitalistischen Systems. Und solange sie anhielt, haben die revolutionären sozialistischen Prozesse, die sich in den letzten 150 Jahren entwickelten, diese Verortung in der internationalen Arbeitsteilung sowohl als Chance wie auch als Beschränkung geerbt. Die Pariser Kommune, die Sowjetunion zur Zeit Lenins oder das China Maos haben mit dieser weltweiten materiellen Basis nicht gebrochen. Das konnten sie nicht. Stattdessen haben sie ihren Platz in der Arbeitsteilung und das Niveau ihrer Produktivkräfte als Ausgangspunkt dafür genommen, ihre internen wirtschaftlichen Strukturen in einem langen Prozess der Sozialisierung der Produktionsbedingungen zu revolutionieren und den noch bedeutenderen und längeren Prozess eines revolutionären Wandels der internationalen Wirtschaftsbeziehungen zu fördern.

Lenins bemerkenswerte Betrachtungen über die Vorherrschaft des Kapitalismus zur Zeit der russischen sozialen Revolution und die rigorose internationale Arbeitsteilung, trotz der Existenz von Sowjetrussland, verfügen über die notwendige Breite und Tiefe zum Verständnis der Relevanz der heutigen Revolution vom Standpunkt des Sozialismus aus, aber auch der Schwierigkeiten und Schranken, denen jeder emanzipatorische Prozess überall auf der Welt, einschließlich der bolivianischen demokratischen und kulturellen Revolution, begegnen muss.

Im Gegensatz zu den naiven Vorstellungen der Ultralinken, dass eine Gesellschaft aus eigener Kraft der Weltherrschaft entfliehen kann, erinnern uns Marx und Lenin daran, dass der Kapitalismus weltweit agiert und nur im weltweiten Maßstab überwunden werden kann. Kämpfe und Bemühungen zur Sozialisierung der Produktion in einem einzigen Land sind nichts weiter als Bemühungen, Kämpfe und verstreute Scharmützel, Ausdruck eines geschichtlichen Vorhabens. Sie können aber nur dann erfolgreich sein, wenn sie sich zu weltweiten Kämpfen ausweiten. Entweder wird der Kommunismus global sein oder es wird ihn nie geben. Auch wenn das kapitalistische System weltweit vorherrschend ist, birgt es in sich Ansätze und Tendenzen zum Kampf für eine potenziell neue Produktionsweise, die es lokal nicht geben kann und die sich nur als Neigung, Kampf oder Möglichkeit zeigen kann, denn sie ist nur im weltweiten Maßstab denkbar. Die Illusion vom 'Kommunismus in einem Land' war nur eine Illusion, die verheerende Folgen für die Arbeiter jenes Landes und für die Hoffnungen auf eine Revolution im 20. Jahrhundert gehabt hat.

Der Sozialismus ist keine neue Produktionsweise, die neben dem Kapitalismus bestehen kann und mit der Welt oder einem einzelnen Land im Wettstreit steht. Der Sozialismus bietet ein Schlachtfeld für Kämpfe zwischen einem Kapitalismus in der Krise und den Tendenzen, Möglichkeiten und Bemühungen, die Produktion in Gemeineigentum unter gemeinschaftlicher Kontrolle zu überführen. Mit anderen Worten, es ist die Zeit des historischen Kampfs zwischen der dominierenden etablierten kapitalistischen Produktionsweise und einer anderen, potenziell neuen Produktionsweise. Die einzige Produktionsweise, die den Kapitalismus überwinden wird, ist der Kommunismus – die Überführung der Produktion der materiellen Grundlagen der Gesellschaft in Gemeineigentum unter gemeinschaftlicher Kontrolle. Diese Produktionsweise existiert nicht vereinzelt, es kann sie nur im weltweiten Maßstab geben. Aber bis dahin bleibt uns nur der Kampf.

Diese kurze Erinnerung an die Logik revolutionärer Prozesse ist wichtig, weil unsere Unterordnung unter die internationale Arbeitsteilung bisweilen kritisiert wird, als ob wir als einzelnes Land uns davon lossagen könnten (Stalins Illusion), einfach weil wir uns das wünschen. Keine Revolution vermochte bisher, sich der internationalen Arbeitsteilung zu entziehen, und es wird auch dabei bleiben, solange es keine gesellschaftliche Masse gibt, die politisch mobilisiert ist, über ein ausreichendes Territorium (auf globaler Ebene) verfügt und ausdauernd genug ist, das geopolitische Kräfteverhältnis zu verändern.

Bevor wir uns also die Haare raufen über die derzeitige kapitalistische Arbeitsteilung, sollten wir lieber diese Arbeitsteilung untergraben durch die territoriale Ausdehnung der progressiven und revolutionären Prozesse der Welt. Auch der revolutionäre Prozess in Bolivien wird dafür kritisiert, dass er im extraktivistischen Stadium der Wirtschaft verbleibt, und es wird ihm nachgesagt, dass er umweltschädliche Aktivitäten betreibt und somit seine Abhängigkeit vom vorherrschenden Weltkapitalismus besiegelt.

Es gibt keinen geschichtlichen Beweis dafür, dass die industrialisierten kapitalistischen Gesellschaften der Umwelt weniger Schaden zufügen als jene Gesellschaften, die von der Gewinnung von Rohstoffen leben, seien diese erneuerbar oder nicht. Im Gegenteil, alle Informationen über die Erderwärmung weisen auf die Treibhausgasemissionen der industrialisierten Länder hin. Und was die mögliche Unabhängigkeit einzelner Regionen vom Kapitalismus betrifft, hat sich Karl Marx schon vor mehr als hundert Jahren über Utopisten lustig gemacht, die glaubten, man könne soziale "Inseln" schaffen, die immun gegen die Dominanz des Kapitalismus wären. Mit Ironie wies er darauf hin, dass man vielleicht auf einigen neu entstandenen Korallenriffen in der Südsee12 diese Utopie verwirklichen könnte, aber der Rest der Gesellschaft sei in der einen oder anderen Art abhängig von der Dominanz des Kapitalismus in ihren wirtschaftlichen Beziehungen.

Der Extraktivismus in unseren Gesellschaften ist ein integraler Bestandteil der international vernetzten Arbeitsteilung. Sowohl die industrielle Verarbeitung der Rohstoffe als auch die Wissensindustrie sind Teil der weltweiten Arbeitsteilung im globalen Kapitalismus. Weder der Extraktivismus, noch dessen Ablehnung helfen gegen diese weltweite Dominanz.

Es ist allerdings vorstellbar, dass im zukünftigen Aufbau einer gemeinschaftlichen Produktionsweise, in der alle gemeinsamen Ressourcen, materielle und immaterielle, von den Produzenten selbst produziert und verwaltet werden, es auch dann einige Länder und Regionen geben wird, die extraktivistisch sind.

Es ist daher naiv zu glauben, dass Extraktivismus oder dessen Ablehnung oder Industrialisierung immun machen gegen Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Ungleichheit, denn – für sich genommen – sind sie weder Produktionsweisen noch Methoden zur gerechten Verteilung der Güter. Sie sind nur technische Systeme zur Nutzung der Natur durch Arbeit. Sie können in vorkapitalistischen, kapitalistischen oder gemeinschaftlichen Gesellschaften bestehen.

Wirtschaftssysteme mit mehr oder weniger Gerechtigkeit, mit oder ohne Ausbeutung der Arbeiter hängen davon ab, wie diese technischen Systeme eingesetzt werden, und wie das erwirtschaftete Vermögen verwaltet wird.

Die Kritiker des Extraktivismus verwechseln technische Systeme mit Produktionsverhältnissen. Wegen dieses Missverständnisses assoziieren sie Extraktivismus mit Kapitalismus und vergessen dabei, dass es industrialisierte Gesellschaften gibt, die überhaupt keinen Extraktivismus betreiben, aber total kapitalistisch sind!

Es kann extraktive Gesellschaften geben, die kapitalistisch, nicht kapitalistisch, vorkapitalistisch oder postkapitalistisch sind. In gleicher Weise kann es nichtextraktive Gesellschaften geben, die kapitalistisch, nicht kapitalistisch, vorkapitalistisch oder postkapitalistisch sind.

Extraktivismus ist nur ein Mittel zum Zweck, aber er könnte der Anfang zu seiner eigenen Überwindung sein. Sicherlich ist in ihm die ganze territoriale Verteilung der weltweiten Arbeit konzentriert. Eine Verteilung, die meist kolonial geprägt ist. Um diese koloniale Subordination zu durchbrechen, genügt es nicht, den Extraktivismus zu diskreditieren, die Rohstoffgewinnung zu beenden und die Völker in noch schlimmeres Elend zu stürzen, denn dann werden die Rechten kommen und wenigstens teilweise die Bedürfnisse der Menschen befriedigen, ohne den Extraktivismus zu verändern. Das genau ist die Falle, in die gedankenlose Kritiker tappen, die den Extraktivismus ex cathedra verdammen und dabei die revolutionären Kräfte und Regierungen der materiellen Ressourcen berauben, die sie brauchen, um die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen und den Wohlstand gerecht zu verteilen und in der Folge eine neue materielle Basis ohne Extraktivismus zu schaffen, um den Wohlstand der arbeitenden Bevölkerung zu erhalten und zu mehren.

Um den Extraktivismus zu überwinden, müssen wir, wie bei jeder Emanzipation, bei ihm selbst anfangen. Von da aus müssen wir analysieren, was er als technische Methode für die Gesellschaft geleistet hat. Derzeit ist er für unser Land die einzige technische Methode, die wir haben, um den materiellen Wohlstand zu verteilen, der durch den Extraktivismus entstand (allerdings auf eine andere Art als bisher). Zusätzlich ermöglicht er uns, die materiellen, technischen und kognitiven Voraussetzungen zu schaffen, mit denen wir seine technische und produktive Grundlage verbessern können.

Wie anders sonst sollen wir den Extraktivismus überwinden? Indem wir mit der Rohstoffgewinnung aufhören, die Zinnbergwerke und die Gasquellen schließen und damit unsere materielle Existenzgrundlage verlieren, wie die Kritiker vorschlagen? Ist das nicht der direkte Weg zu wachsender Armut und zu einer Restauration des Neoliberalismus? Ist das nicht, was die konservativen Kräfte so sehr wünschen? Sollen mit der Ablehnung des Extraktivismus in diesem revolutionären Prozess unsere Hände gebunden werden und soll dieser Prozess somit abgewürgt werden?

Durch die Überwindung des Extraktivismus werden wir nicht den Kapitalismus überwinden. Wenn das so einfach wäre! Wenn dem so wäre – so der kindliche Glaube einiger unserer Kritiker –, dann wären die USA das erste kommunistische Land auf der Welt!

Aber Vorsicht! Das bedeutet nicht, dass die Überwindung des Extraktivismus dem laufenden revolutionären Prozess nicht nützlich sein kann. Es kann helfen:

  • erstens weil eine Phase der industriellen Entwicklung und der Gewinnung von Know-how einen größeren wirtschaftlichen Ertrag bringt, der auf die Menschen verteilt werden kann, um die Bedürfnisse der Gesellschaft zu befriedigen;
  • zweitens weil damit Umweltschäden verringert werden können;
  • drittens weil die Gesellschaft größere technische und produktive Kapazitäten gewinnt und so die gesamten Produktionsprozesse besser steuern kann.

Wie auch immer, der Extraktivismus verdammt uns weder zum Kapitalismus noch führt uns seine Ablehnung direkt zum Sozialismus. Alles hängt von der Fähigkeit der Politik und der gesellschaftlichen Mobilisierung ab, die Produktionsprozesse so zu leiten – extraktiv oder nicht – dass das Gemeineigentum vermehrt wird und der Mitteleinsatz und die soziale Verteilung zu mehr Wohlstand führen.

Ist es nicht möglich, im Anfangsstadium dieser Aufgabe, aus den Ressourcen, die durch den staatlich kontrollierten Rohstoffexport gewonnen werden, einen Überschuss zu erwirtschaften, mit dem die Mindestbedürfnisse der Menschen in Bolivien gedeckt werden und mit dem eine multikulturelle, wissenschaftliche Ausbildung ermöglicht wird, die eine kritische Masse an intellektuellen Fähigkeiten heranbilden wird, imstande, die neuen Industrialisierungsprozesse zu starten und zu lenken und schließlich eine Wissensgesellschaft herbeizuführen? Wird der Sozialismus an die Türen Boliviens klopfen, wenn wir aufhören, Rohstoffe zu gewinnen? Wenn die Bolivianer vorzeitig mit dem 'Extraktivismus' aufhörten, hätten sie dann materielle und intellektuelle Ressourcen, um unmittelbar in das Stadium der industriellen und Wissensproduktion einzutreten? Ließe nicht die unkritische Verdammung des sogenannten Extraktivismus den plurinationalen Staat in Armut und Hilflosigkeit zurück und damit unfähig, die sozialen Rechte zu vermehren, die mit dem revolutionären Prozess seit dem Jahr 2000 initiiert wurden?

Es ist dringend notwendig, über das Stadium des Rohstoffproduzenten hinauszuwachsen. Das ist doch klar. Das wird aber nicht erreicht werden, wenn Bolivien zurückfällt in eine Bettlerrolle so wie vor 2005, als der Ertrag, den wir erwirtschafteten, in die Hände ausländischer Konzerne floss.

Das wird auch nicht erreicht werden, wenn der Produktionsapparat gelähmt wird, wenn Überschüsse aus der Rohstoffgewinnung schlecht gemacht werden und wenn wir zurückfallen in eine Subsistenzwirtschaft.

Damit würden wir noch hilfloser dastehen als früher, das kleine Flämmchen Souveränität würde wieder erlöschen. Souveränität erfordert eine materielle Basis, so dass das Land von seiner Hände Arbeit leben und essen kann.

Das würde auch dem neoliberalen Unternehmertum wieder alle Türen und Tore öffnen. Diese Restauration würde uns dann präsentiert als das Allheilmittel für alle materiellen Bedürfnisse der Gesellschaft.

Hinter der kürzlich konstruierten Kritik am 'Extraktivismus' der revolutionären und progressiven Regierungen steckt der drohende Schatten einer konservativen Restauration. So wie wir es sehen, kann dieser Kritik am besten begegnet werden, indem zuerst die dringendsten Bedürfnisse der Menschen befriedigt werden, die wesentlichen Sozialleistungen für die Arbeiterklasse verbessert werden und auf dieser Basis Kultur, Bildung und materieller Wohlstand gefördert werden. Damit kann die Kontrolle über die gesellschaftlichen Ressourcen demokratisiert werden.

Am Ende sollte sogar über die staatliche Kontrolle hinaus das Modell eines Gesellschaftseigentums entwickelt werden. Eine Perspektive für die Kontrolle des öffentlichen Eigentums und der Produktionsmittel durch eine tiefgreifende soziale Mobilisation, damit der Extraktivismus Schritt für Schritt überwunden werden kann. In diesem Prozess wird es nötig sein, zugleich neue technologische Grundlagen für die Produktion von Wohlstand zu schaffen, mit deren Hilfe der Extraktivismus überwunden werden kann.

Wir tun als Regierung genau dies: Wir schaffen Wohlstand und verteilen ihn an die Menschen. Wir reduzieren die Armut und die extreme Armut. Wir verbessern den Bildungsstand der Bevölkerung. Parallel zu all dem, beginnen wir mit der Industrialisierung.

Zum Thema fossile Brennstoffe: Wir haben in zwei Flüssiggasanlagen investiert. Eine entsteht in Gran Chaco, sie wird 2014 die Produktion aufnehmen, eine andere in Rio Grande, die 2013 starten wird. Wir bauen eine Fabrik für Harnstoff und Ammoniak, die 843 Millionen US-Dollar kostet und 2015 zu produzieren beginnen wird, eine für Äthylen und Polyäthylen, Produktionsbeginn 2016, eine andere zur Gasverflüssigung, die 2014 die Produktion aufnehmen wird.

Bei der industriellen Verarbeitung von Lithium haben wir einige wichtige Schritte hinter uns. Mit bolivianischen Wissenschaftlern und bolivianischer Technologie begann im August dieses Jahres die halbindustrielle Produktion von Kaliumchlorid und noch vor Jahresende werden wir auch Lithiumkarbonat zu produzieren beginnen. Bis 2014 planen wir eine großindustrielle Kalium- und Lithiumproduktion, sowie Fabriken für Kathoden und Batterien.

Der Präsident hat kürzlich allen Bolivianern seine Absicht erklärt, dass zum 200. Jahrestag der Unabhängigkeit (das ist 2025) alles, was in diesem Land gewonnen wird, nicht ohne irgendeine industrielle Weiterverarbeitung, nicht ohne eigene Wertschöpfung verkauft werden soll. Das erfordert eine grundlegende wissenschaftliche und technische Umgestaltung des ganzen Landes und noch nie dagewesene Investitionen in Know-how. Und wir werden das natürlich auch machen.

Natürlich ist das kein einfacher Prozess. Er wird Jahre, vielleicht Jahrzehnte brauchen. Das Wichtigste ist, die Ausrichtung der Produktion zu erneuern, ohne die Tatsache zu übersehen, dass auch die schweren Nöte der Menschen beseitigt werden müssen. Jene Nöte, wegen derer das Volk die Schaffung der staatlichen Macht übernahm. Das ist es, was wir in Bolivien tun.

Quelle und CR: Lateinamerikaportal amerika21.de (dort mit Anmerkungen und Zwischenüberschriften)  bzw. attac

Foto: Presidencia de la Republica del Ecuador

Farkha2023 21 Buehnentranspi

Farkha-Festival 2024 abgesagt.
Wegen Völkermord in Gaza und Staatsterror und Siedlergewalt im Westjordanland.
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Vereint in Menschlichkeit, vereint in Aktion

Mehr als 2 Millionen Menschen, darunter 1,7 Millionen Palästina-Flüchtlinge, zahlen den verheerenden Preis für die Eskalation im Gazastreifen.
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Das UNRWA fordert den sofortigen Zugang zu humanitärer Hilfe und die Bereitstellung von Nahrungsmitteln und anderen Hilfsgütern für bedürftige Palästina-Flüchtlinge.
Dies ist ein Moment, der zum Handeln auffordert. Lassen Sie uns gemeinsam für die Menschlichkeit eintreten und denjenigen, die es am meisten brauchen, die dringend benötigte Hilfe bringen.

Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

Spenden: https://donate.unrwa.org/gaza/~my-donation


 

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