12.06.2013: Nach Informationen des britischen "Guardian" und der "Washington Post" hat der us-amerikanische Militärgeheimdienst NSA regelmäßig und systematisch zig-Milliarden Telefondaten und E-Mails in aller Welt gesammelt und ausgewertet. So sollen alleine in einem Monat die unvorstellbare Zahl von sage und schreibe 97 Milliarden Informationen verarbeitet worden sein. Dabei sammelt der Geheimdienst mit seinem Überwachungsprogramm "Prism" offenbar besonders viele Daten auch in Deutschland; analysiert Serverdaten us-amerikanischer Internetkonzerne sowie Verbindungsdaten von Telefongesellschaften. Die US-Regierung kritisierte unterdessen die Enthüllungen und drohte offen mit strafrechtlichen Konsequenzen, da durch die Enthüllungen angeblich die nationale Sicherheit der USA gefährdet werde. Grundlage für die umfangreichen Überwachungsmaßnahmen der 16 staatlichen Geheim- und Abwehrdienste und darüber hinaus vieler privater Sicherheitsunternehmen, die Informationen sammeln und auswerten, ist der "Patriot Act", der wenige Wochen nach dem 11. September 2001 verabschiedet wurde.
Die Chefs der großen Internetkonzerne (Google, Facebook, Yahoo, Apple, Microsoft) gaben sich von den Enthüllungen "überrascht" und dementierten halbherzig, dem NSA "uneingeschränkten" Zugang zu Nutzerdaten zu gewähren. "Facebook ist weder jetzt noch war es jemals Teil eines Programms, um der amerikanischen oder jedweder anderen Regierung direkten Zugang zu unseren Servern zu geben", so z.B. Marc Zuckerberg (FAZ 11.6.13). Diese wachsweichen Aussagen sind aber nicht weiter überraschend, wie Frank Rieger vom Chaos Computer Club (CCC) in einem Gespräch mit der FAZ (8.6.13) feststellt: "Wenn man sich einmal ansieht, welche Leute bei diesen Unternehmen in den Aufsichtsräten sitzen und wie viele ehemalige NSA-Mitarbeiter dort angestellt sind, ist vollkommen klar, dass diese 'Überraschung' der Unternehmen nur geäußert wird, weil man sich der Entrüstung und dem Zorn der Kunden nicht aussetzen will."
Linke, Grüne und SPD drängen die Bundesregierung zu kritischen Nachfragen bei US-Präsident Barack Obama. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sagte, derzeit werde ein Fragenkatalog an die Amerikaner formuliert, man wolle von den USA wissen, in welchem Umfang und auf welcher Grundlage Daten gesammelt worden seien.
Demgegenüber warnte der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft vor "völlig überzogenem Datenschutz und wilden Überwachungsphantasien." Damit befindet sich der Gewerkschafter voll und ganz auf BILD-Linie, wo Chef-Kolumnist Franz-Josef Wagner lapidar feststellte: "Ich mag die Überwachung, sie ist ein Schutz. Ich bin lieber überwacht als tot".
Danach befragt, wie man sich vor dem Ausschnüffeln im Internet durch us-amerikanische Geheimdienste schützen kann, gibt Thilo Weichert, Leiter des unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz in Kiel, folgenden Rat: "Wir empfehlen dringend, keine us-amerikanischen Dienste zu nutzen. Es gibt mit Ixquick z. B. eine datenschutzkonforme Suchmaschine, da muss man nicht Google oder Bing nutzen. Es gibt auch eine Vielzahl von E-Mail-Anbietern, die ihren Datenverkehr nicht über die Vereinigten Staaten leiten." Und vor allem könne er niemanden raten, bei Facebook mitzumachen und dort viele persönliche Daten preiszugeben.
Auf die Frage, ob er davon ausgehe, dass es in der Bundesrepublik einen ähnlichen Zugriff der Geheimdienste auf den Online-Datenverkehr gibt, stellt Frank Rieger (CCC) fest: "Inwieweit der BND sich Zugänge verschafft und derartige Kooperationen (mit IT-Konzernen und Geheimdiensten, gst) organisiert, liegt in einem Graubereich. (...) Bei den Verhandlungen zur Datenschutznovelle muss das Thema auch auf den Tisch. Wir können in Europa nicht von Datenschutz reden, wenn Daten, die bei amerikanischen Anbietern liegen, direkt von den dortigen Geheimdiensten ausgewertet werden."
In der medialen Berichterstattung wird wohlweislich ausgeblendet, dass die geheimdienstliche Sammelwut kein alleiniges US-Phänomen ist. Schon fast vergessen scheinen Meldungen aus dem April dieses Jahres zu sein, in dem darüber berichtet wurde, dass der BND allein im Jahr 2011 fast drei Millionen E-Mails und SMS überprüft hat. So sind nach deutscher Rechtsprechung alle sozialen Netzwerke, also Twitter, Facebook, Google+ verpflichtet, auf richterliche Anordnung Daten an Behörden herausgeben. Darüber hinaus ist ein Netzwerk polizeilicher Ermittler und Geheimdienstler rund um die Uhr damit beschäftigt, auf Webseiten, Blogs und in Chaträumen nach Vorkommnissen oder "Auffälligkeiten" zu suchen. Dabei geht es nicht nur um Straftaten, die im Internet begangen werden - recherchiert wird auch, wie sich Straftaten (wie auch immer definiert) des "wirklichen Lebens" im Internet abbilden.
Ganz weit vorn in der Perfektionierung von Überwachungs-Software ist übrigens die US-Rüstungsfirma Raytheon. Raytheon war bisher als Fabrikant von Flugabwehrsystemen wie dem Patriot und von Drohnen bekannt. Das Unternehmen, das zu den größten Rüstungskonzernen der Welt gehört, macht aber auch in Elektronik. Der Konzern verspricht den Nutzern seiner Software, dass er damit herausfinden kann, ob eine Person die nationale Sicherheit gefährde - nach der Devise: "Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast - und vielleicht sogar, was du im nächsten Sommer tun wirst", in dem die Daten einzelner Personen aus den sozialen Netzwerken ausgewertet werden, um damit dann Bewegungsprofile zu erstellen und Handlungsoptionen zu prognostizieren.
Übrigens: Nach Bekanntwerden des Überwachungsskandals ist in den USA der Verkauf von Orwells "1984" sprunghaft angestiegen.
Text: gst Foto: ekurvine