10.10.2012: Im Januar dieses Jahres hatte sich ein iranischer Flüchtling in Würzburg aus Verzweiflung das Leben genommen. In verschiedenen Städten bildeten sich Protestcamps gegen die diskriminierenden Regeln für Flüchtlinge. Am 8. September begann in Würzburg ein einmonatiger Protestmarsch nach Berlin. Zeitgleich begann eine Bustour durch West- und Norddeutschland. Am letzten Samstag trafen sich beide Gruppen vor den Toren Berlins, um in einem gemeinsamen Marsch zu einem Protstcamp auf dem Oranienplatz in Berlin aufzubrechen. Am Samstag, den 13. Oktober wird es eine Demonstration zum Bundestag geben für ein menschenwürdiges Aufenthaltsrecht in Deutschland, für die Schließung der Asyllager und gegen Rassismus, Abschiebung und Residenzpflicht.
Wer in Deutschland Asyl beantragt, wird nach einem festgelegten Schlüssel auf die Bundesländer verteilt. Außer der Bundesrepublik gibt es in der EU nur vier weitere Länder, die Asylsuchenden verbieten, den Ort, an dem sie das Asylverfahren abwarten, selbst zu wählen. Das Verbot, dieses zugewiesene Gebiet während des gesamten Verfahrens ohne eine Sondergenehmigung zu verlassen, das 1982 eingeführt wurde, ist einmalig in der EU. Nach einer Bestimmung des Asylverfahrensgesetzes wird die Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen auf den Landkreis der jeweils zuständigen Ausländerbehörde beschränkt. Diese Residenzpflicht im Zusammenspiel mit anderen beschränkenden Regelungen dient der Isolation und dem gesellschaftlichen Ausschluss von Flüchtlingen. So werden Flüchtlinge meistens über Jahre, manchmal über Jahrzehnte auf ein extrem kleines Gebiet eingesperrt. Häufig liegen Asylheime in abgelegenen, ländlichen Gebieten. Wer die Residenzpflicht verletzt, wird mit bis zu 2.500 Euro oder mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft. Eine Residenzpflicht für Flüchtlinge existiert nur in Deutschland.
Bereits in den Jahren 2000 bis 2002 gab es eine breite Protestbewegung gegen die Residenzpflicht. So demonstrierten am 3. Oktober 2000 anlässlich der Expo 2000 in Hannover weit über tausend Flüchtlinge und UnterstützerInnen aus der Bürgerrechtsbewegung gegen die Residenzpflicht in Deutschland. Im April 2001 veranstaltete ein breites Bündnis von Flüchtlingen, antirassistischen Organisationen und Gruppen einen dreitägigen Dauerprotest mit öffentlichen Diskussionsveranstaltungen und abschließender Großdemonstration in Berlin. Mit den Aktionen in diesem Jahr ist es gelungen, eine breite Öffentlichkeit zu mobilisieren. „Wir haben die Flüchtlingslager verlassen und die Essenspakete boykottiert“, sagen die „Zeltprotestler“. „Wir haben die Gutscheine ignoriert und die Plätze der Städte besetzt. Wir sind diese 600 Kilometer gelaufen, um die Gesetze zu brechen. Wir haben es geschafft, die diskriminierenden Sondergesetze in Deutschland erneut zu einem öffentlichen Thema zu machen.“ Residenzpflicht und Heimunterbringung bröckeln bereits in einigen Bundesländern. Das diskriminierende „Asylbewerberleistungsgesetz“ muss aber vollständig fallen.
Aufruf zur Demonstration am 13. Oktober in Berlin
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
(Art 1, Abs. 1 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland)
Anfang September hat sich eine Gruppe geflüchteter Menschen zu Fuß auf den Weg von Würzburg nach Berlin gemacht, um ihre Menschenrechte einzufordern, die ihnen – wie allen Asylsuchenden – in diesem Staat verwehrt bleiben.
Mit diesem Protestmarsch setzen sie sich über die ihnen auferlegte Residenzpflicht hinweg und werden am 06.10.2012 am Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg eintreffen. Dort wird derzeit ein Aufenthaltsort für sie und ihre Unterstützer_innen errichtet, damit ihre Forderungen hier in der Hauptstadt gehört und durchgesetzt werden.
Am 13.10.2012 wird es eine große Demonstration vom Oranienplatz zum Bundestag geben, um die sofortige Abschaffung dieser menschenunwürdigen Verhältnisse einzufordern.
Wir fordern:
- die Abschaffung der Residenzpflicht, welche Flüchtlingen verbietet, ihren von den Behörden ausgesuchten Aufenthaltsort zu verlassen.
- die Abschaffung der Lagerpflicht, welche Flüchtlingen verbietet, ihren Aufenthaltsort selbst auszuwählen.
- die Abschaffung des Arbeitsverbots, welche Flüchtlingen verbietet, sich Arbeit zu su¬chen und sie in Abhängigkeit von Dienstleistern zwingt die an ihrer Zwangssituation verdienen.
- die Abschaffung der Zuteilung von Essenspaketen, welche Flüchtlingen verbietet, ihre Nahrung selbst auszuwählen.
- den Zugang zu Bildung, insbesondere zu staatlichen Deutschkursen, damit Flüchtlinge sich entfalten und aktiv an der Gesellschaft teilhaben können.
- die Beschleunigung des Asylverfahrens, das heute einen langwierigen Prozess darstellt, und für Flüchtlinge über Monate oder sogar Jahre hinweg Unwissenheit und Unsi¬cherheit bedeut und sie dadurch erheblich psychisch belastet.
- die Gewährung von unbefristeten Aufenthaltsgenehmigungen für Flüchtlinge in Deutschland, um in Deutschland lebenden Flüchtlingen Perspektiven auf persönli¬che, soziale und ökonomische Entwicklung zu eröffnen.
- die Abschaffung der Abschiebungs- und Ausweisungsvorschriften und -praktiken in der Bundesrepublik Deutschland. Keine begangene Straftat und kein Ordnungsver¬stoß rechtfertigt es, einem Menschen sein Lebensumfeld und seine Existenzgrundla¬ge in Deutschland zu entziehen.
- die Gewährung der freien Aufenthaltswahl innerhalb Deutschlands. Zur Zeit entschei¬den deutsche Behörden über den Aufenthaltsort von Flüchtlingen und Asylsuchen¬den, selbst wenn nahe Verwandte und Freund_innen der Betroffenen bereits in Deutschland leben.
- die Gewährung der deutschen Staatsbürgerschaft für in Deutschland geborene Kinder von Flüchtlingen. Nur die Staatsbürgerschaft gewährleistet, dass diesen Kindern ein Heranwachsen unter menschenwürdigen Bedingungen am Ort ihrer Geburt und eine gesicherte Zukunft in Deutschland möglich ist.
Bitte unterstützen Sie unseren Protest und unsere Anliegen
Solidarisieren Sie sich mit geflüchteten Menschen in Deutschland und nehmen Sie an unserer Demonstration am 13.10.2012 teil.
Spenden Sie für Anwält_innen und Gerichtskosten, Fahrtkosten, Kopien, Transpa¬rentstoff, Farbe usw.
Spenden können unter dem Stichwort „Protestcamp Berlin“ auf folgendes Konto überwiesen werden:
Förderverein Karawane e.V. GLS Gemeinschaftsbank eG Stichwort: „Protestcamp Berlin“ Kontonummer: 4030780800 Bankleitzahl: 43060967 IBAN: DE28 4306 0967 4030 7808 00 BIC: GENODEM1GLS