10.12.2013: Einer der längsten Tarifkämpfe der jüngsten Zeit geht seinem Ende entgegen. Mit dem Abschluss zwischen ver.di und dem Handelsverband Baden-Württemberg wurde das wichtigste Ziel erkämpft: der Manteltarifvertrag wurde unverändert wieder in Kraft gesetzt. Zudem wurden Lohnerhöhungen rückwirkend zum 1. Juli 2013 um 3% und ab 1. April 2014 um weitere 2,1% vereinbart. Die Ausbildungsvergütungen steigen auf 720, 800 und 920 Euro. Es wird erwartet, daß das Ergebnis in den anderen Tarifgebieten übernommen werden wird, aber es zeichnen sich noch Widerstände von Unternehmern in einigen Bundesländern ab. Ver.di und die betroffenen Kolleginnen und Kollegen werden deshalb ihre Kampfbereitschaft aufrechterhalten, bis auch anderswo die Tinte unter Verträgen, die nicht schlechter als in Baden-Württemberg sein dürfen, trocken sein wird.
Die Gewerkschaft hatte sich vor knapp einem Jahr im Einzelhandel auf eine Lohntarifrunde vorbereitet, es sollte eine Erhöhung um einen Euro pro Stunde gefordert werden. Dann aber kündigten die Einzelhandelsverbände außer in Hamburg bundesweit die Manteltarifverträge auf. Neueingestellte hätten dadurch u.a. nach dem 1. April nur noch Anspruch auf 4 Wochen gesetzlichen statt 6 Wochen tariflichen Urlaub, vor allem aber sollten Zuschläge für Arbeiten am Abend und in der Nacht entfallen. Die “Logik” der Unternehmer: wenn die Geschäfte (nach Bundesländern noch unterschiedlich) rund um die Uhr von Montag bis Samstag geöffnet sein dürfen, dann seien Zuschläge für ungünstige Zeiten nicht mehr “modern”.
Das war der Versuch, die durch endlose Öffnungszeiten bei stagnierender Massenkaufkraft gestiegenen Betriebskosten auf die Beschäftigten abzuwälzen. Wäre das hier gelungen, dann hätten die Unternehmer auch in anderen Bereichen versucht, in ihrem Sinn zu “modernisieren”. Mit der Verlängerung der Ladenöffnungszeiten, Mitternachtsshopping und verkaufsoffenen Sonntagen wurde der Einzelhandel in den letzten 25 Jahren schon oft zum “Rammbock” gegen die Wälle um arbeitsfreie Abende, Samstage und in Perspektive auch Sonntage fast aller Arbeitenden.
Ver.di eröffnete diesen Tarifkampf erfolgreich mit einer Mitgliederwerbekampagne. Dass nur für Gewerkschaftsmitglieder die Nachwirkung der bisherigen Tarifverträge gilt, war ein nicht unwesentliches Argument. In mehreren Verhandlungsrunden zeigte sich dann, dass die Bosse wohl glaubten, den oft noch wenig kampferfahrenen Verkäuferinnen, - Frauen stellen das Gros der Beschäftigten in der Branche - , ginge in langen Monaten der Auseinandersetzung die Luft aus. Weit gefehlt. Mit teils bis zu 80 Streiktagen in einigen Orten, mit gezielten Streiks an einzelnen umsatzstarken Tagen und vor allem vielen Aktionen in der Öffentlichkeit verteidigten die Mitglieder des Fachbereichs Handel ihren Manteltarifvertrag.
Einfach für die Streikenden war es oft nicht, gerade wenn nur ein Teil der Belegschaft mitzog und dann, wie bei Real, Leiharbeitskräfte an Kassen und hinter Theken auftauchten. Auch nachdem die neuen Tarifverträge zwischen dem DGB und den Verleihern abgeschlossen waren, die den Streikbrechereinsatz verbieten, wurde mit juristischen Tricks versucht, das doch zu tun. Das war den Unternehmern dann sogar “Equal Pay” wert. Mit dem gleichen Lohn wie dem der Stammbelegschaft versuchten sie, die oft auf jeden Cent angewiesenen Leiharbeitskräfte zu locken. Ver.di brachte das an die Öffentlichkeit. Wichtig für die positive Beeinflussung der öffentlichen Meinung waren auch Solidaritätsaktionen aus anderen Fachbereichen und Gewerkschaften. Hier gibt es für künftige Kämpfe noch sehr viel bis dato ungenutztes Potential.
“Mit der Regelung zur Rückführung von ausgegliederten Arbeitskräften haben wir einen tarifpolitischen Meilenstein erreicht. Es ist ein klares Signal gegen mehr Werkverträge im Einzelhandel”, so Bernhard Franke, ver.di-Verhandlungsführer in Baden-Württemberg. Es geht hier um die mit “Warenverräumung im Verkauf” beschäftigten Kräfte mit 9,74 Euro Entlohnung statt wie bisher zwischen 6 und 7 Euro.
Ver.di und die Unternehmer kamen überein, im nächsten Jahr in Verhandlungen zur Weiterentwicklung der Tarifverträge einzutreten. Die Gewerkschaft will u.a. die Unterscheidungen zwischen Arbeitern und Angestellten beseitigen. Auch dann wird es wieder gewerkschaftlicher Kraft bedürfen, da – wie oben schon ausgeführt – die Bosse unter “Modernisierung” Verschlechterung erstanden wissen wollen.
Der Lohnabschluß, in vielen Medien zu “5,1% Gehaltserhöhung” aufgeblasen, sieht nach vier Nullmonaten für weitere 8 Monate eine Erhöhung von 2,1% und dann nochmals von 2,1% für ein weiteres Jahr vor. Nach der Westrickformel sind das knapp 2,5% jährlich, was zumindest die Reallöhne in der von gnadenlosem Konkurrenzkampf geprägten Branche absichert.
Jeder Tarifabschluss ist Ausdruck der Kräfteverhältnisse. Dass der Frontalangriff auf die Manteltarifverträge abgewehrt werden konnte, ist weit über den Einzelhandel hinaus wichtig. Ver.di und die Beschäftigten konnten nicht alle Forderungen durchsetzen, sie gehen aber mit den gewonnenen Erfahrungen und gewachsenem Selbstvertrauen und nicht zuletzt mit neuen Mitgliedern gestärkt aus der Auseinandersetzung hervor.
Text: Volker Metzroth Foto: sosch