19.12.2013: Ungläubige Blicke bei Passanten und Zuschauern auf dem Bad Kreuznacher Kornmarkt: Punkt 16 Uhr legten sich rund 70 Frauen und Männer aller Altersgruppen auf das nicht gerade warme Pflaster. Es war nicht eine krankheitsbedingte Schwäche, die sie zu Boden zwang, sondern der Ausdruck ihres Protests gegen ein krankes System. Die „Pflege am Boden“, diese Botschaft von Beschäftigten aus Pflegeberufen prangte in roter Schrift auf einem Transparent. Zeitgleich fanden am 14. Dezember auch Flashmobs in 70 weiteren deutschen Städten statt, so auch in Berlin, Hamburg, Dortmund und München. Bereits am 16. November waren es 3 000 Beteiligte in 60 Städten. In Bad Kreuznach nahmen auch Menschen, die nicht in der Pflege arbeiten, aus Solidarität teil, darunter Gewerkschafter, Sozialdemokraten, die Ratsfraktion der Linkspartei und Mitglieder der DKP.
Es war dies der dritte bundesweite Flashmob einer laut Presseberichten von Osnabrück ausgehenden Bewegung, die nach Aussage der Veranstalter Wert auf ihre Unabhängigkeit von Parteien und Gewerkschaften legt. Was Betroffene den Pressevertretern in Bad Kreuznach berichteten, ist bezeichnend für die Situation in der Pflege bundesweit. Es fehlen mindestens 30 000 Fachkräfte. Überbelastung bei durchweg schlechter Bezahlung macht die Pflegeberufe für junge Menschen immer unattraktiver. Ständiger Zeitdruck, wenn man z. B. in der mobilen Pflege beim Wechsel des Einsatzorts auf verstopften Straßen steht, aber auch immer mehr Aufwand für Dokumentation des Geleisteten statt Zeit für Zuwendung zu den Patienten. Zudem vermissen Pflegekräfte eine angemessene gesellschaftliche Wertschätzung ihrer oft nicht nur körperlich schweren Arbeit. „Wir wollen, dass sie wieder menschenwürdig und zugewandt gestaltet werden kann. Darum legen wir uns auf den Boden – um andere dazu zu bewegen, aufzustehen und mit uns für unsere Ziele einzustehen“, hieß es im Aufruf zum Flashmob.
Der DGB-Kreisvorstand Bad Kreuznach erklärte sich mit den Pflegekräften solidarisch. In einer auf dem Kornmarkt übergebenen Erklärung hieß es u. a.: „In der Pflege zeigt sich neben der Bildung, dass in einem der reichsten Länder der Welt zu wenig Mittel für elementare Bedürfnisse der Mehrzahl der Bewohnerinnen und Bewohner aufgewendet werden“, und weiter „Nach Jahrzehnten einer Politik der Steuergeschenke an Großverdiener, Millionäre und Milliardäre lassen wir den Vorwand, es sei kein Geld da, nicht gelten. Auch hier treten wir für ein UmFAIRteilen ein.“ Die Gewerkschafter wollen vor Ort das Gespräch mit der Initiative „Pflege am Boden“ suchen, ihre organisatorische Unabhängigkeit im politischen Kampf um Veränderungen dabei achten. „Wir können mit ihnen (den Pflegekräften) kämpfen, aber nicht stellvertretend. Wären mehr als 8 Prozent der Beschäftigten organisiert, könnte mehr bewegt werden“, vor allem in den Krankenhäusern, Pflegeheimen etc.
Es gab in den letzten Jahrzehnten immer wieder Bewegung wegen des Pflegenotstands. Erkämpfte Verbesserungen änderten aber nichts am Grundübel, der Unterfinanzierung des Gesundheitswesens, aber auch der Profitmacherei der Pharmakonzerne und der Hersteller medizinisch-technischer Geräte. So sammelte ver.di 2008 gemeinsam mit dem Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe 185 000 Unterschriften für einen Stopp des Personalabbaus in der Pflege. „Wer Kranke und Pflegebedürftige versorgt, darf nicht selbst krank werden durch unerträgliche Belastungen bei der pflegerischen Arbeit“, hieß es in dem Aufruf dazu. Aktuell fordert ver.di eine gesetzliche Personalbemessung und verbesserte Krankenhausfinanzierung, damit die sinkende Versorgungsqualität und die unerträgliche Arbeitsbelastung in den Einrichtungen gestoppt werden. Die Kranken- und Pflegeversicherung solle für die Zukunft wieder solidarisch und paritätisch finanziert werden. Und ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff soll eine würdevolle Pflege im Alter garantieren.
„Das Gesundheitswesen ist lebensgefährlich. AltenpflegerInnen arbeiten bis zum Umfallen und können die alten Menschen trotzdem nicht ausreichend betreuen. Kein Geld, heißt es aus Berlin. Aber für Rüstung ist das Geld immer vorhanden.“ So stand es in einem Maiaufruf der DKP, der nicht an Aktualität verloren hat, ebenso wie die Notwendigkeit, breite Allianzen für eine menschenwürdige statt profitorientierte Versorgung bei Krankheit und im Alter zu schaffen. Der nächste Flashmob findet am 11. Januar 2014 statt.
Text/Fotos: Volker Metzroth (dieser Artikel erscheint auch in der UZ vom 20.12.2013)