27.12.2013: Noch ist es nicht Realität, aber so könnte eine Meldung im Jahr 2018 lauten: "Berlin, 28.08.2018. Die Bundesrepublik Deutschland muß 123 Mio. Euro an den us-amerikanischen Konzern Amazon als Ausgleich für entgangene Gewinne zahlen. Das entschied ein nichtöffentlich tagendes Schiedsgericht, das gemäß dem im Herbst 2016 vom EU-Parlament ratifizierten 'Transatlantic Trade and Investment Partnership'-Abkommen, abgekürzt TTIP, über die Klage verhandelte. Rechtsmittel dagegen gibt es nicht. Der Konzern führte an, daß die von der rot-rot-grünen Bundestagsmehrheit gesetzlich sanktionierte Streik- und Blockadepraxis von ver.di und die Beschränkung der Arbeitszeit auf höchstens 40 Stunden pro Woche ohne Ausnahme eine indirekte Enteignung eines Investors darstellten. CDU/CSU fordern gemeinsam mit BDI und BDA die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit am Standort Deutschland. Es passe nicht in eine wirtschaftskonforme Demokratie, wenn Gewerkschaften ihre Macht derart missbrauchten und der Staat dann in Regress genommen werde."
Ob eine rot-rot-grüne Mehrheit je solche Gesetze wie oben genannt beschließen wird, ist auch abhängig davon, ob es gelingt, mit breiten gesellschaftlichen Allianzen unter Einschluss der Gewerkschaften das Kräfteverhältnis zu verändern. Der Kern der Meldung aus der Zukunft könnte aber Realität werden, wenn die geheimen Verhandlungen über eine transatlantische Freihandelszone die von den Multis gewünschten Ergebnisse brächten.
Während Gewerkschaften und NGO erst in einem späteren Stadium gehört werden sollen, schreibt Le Monde diplomatique am 8.11.2013: "Andererseits haben 600 offizielle Berater der Großkonzerne privilegierten Zugang zu den Dokumenten und zu den Entscheidungsträgern. Textentwürfe werden nicht veröffentlicht, die Öffentlichkeit und die Presse werden außen vor gelassen, bis der endgültige Deal unter Dach und Fach ist". So wollen die Konzerne und Regierungen scheinbar verhindern, daß das TTIP wie vor einen Jahrzehnt das ähnlich angelegte MAI (Multilaterales Investitionsabkommen) nach der Veröffentlichung durch die US-Politikerin Elizabeth Warren mittels weltweiter Proteste zu Fall gebracht werden könnte.
Die Gewerkschaften sind alarmiert. "Die TTIP-Verhandlungen finden hinter verschlossenen Türen statt. Welche Lobbygruppen Zugang und Einfluss haben, ist undurchsichtig", kritisiert ver.di dieser Tage und sieht den "Angriff auf Löhne, Soziales und Umwelt". Abgerechnet wird auf 15 Seiten u.a. mit der Ideologie des Freihandels, die schon immer nicht eingelöste Versprechungen bezüglich Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätzen gemacht habe. Obwohl nach einer von der EU-Kommission in Auftrag gegebenen Studie mal gerade ein jährlicher "Wachstumsschub" von 0,034% bis 2027 zu erwarten sei, jubeln die Befürworter das Ganze zu einen kräftigen Konjunkturpaket hoch. Die Erfahrungen des EU-Binnenmarktes zeigen, dass nur die starken Ökonomien profitieren, während die südlichen Länder immer mehr verarmen bis verelenden.
Laut ver.di ist ein wichtiger Punkt in den Verhandlungen die Liberalisierung des Dienstleistungssektors. Hier bestehe die Gefahr, daß die öffentliche Daseinsvorsorge, soweit nicht eh schon privatisiert, privatkapitalistischen Anbietern geöffnet werden müsse. Die könnten dann vor geheimen Schiedsgerichten auf Augenhöhe mit den Nationalstaaten versuchen, diese zu zwingen, alles aus der Hand zu geben, bis hin zum Trinkwasser. Erfolgreiche Initiativen wie z.B. in Berlin oder die EU-Bürgerinitiative gegen die Wasserprivatisierung wären damit wieder vom Tisch. "Damit droht", so ver.di, "ein weiterer Privatisierungsschub bei Bildung, Kulturförderung, Gesundheit, sozialen Dienstleistungen, Abwasser- und Müllentsorgung, Energie und Verkehr" (s. Anlage).
Es ist zu befürchten, dass die angestrebte Angleichung von sozialen Standards und Rechten der Arbeitenden zu einer Nivellierung auf unterster Ebene führen könnte. So haben z.B. die USA bis dato 6 von 8 Vereinbarungen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO über Kernarbeitsnormen nicht unterschrieben. So wie heute schon deutsche Konzerne mit dem Personal in amerikanischen Tochterunternehmen umspringen, das könnte zum Modell für Mitteleuropa werden. Ver.di verweist hier insbesondere auf T-Mobile USA. Wie US-Firmen glauben, nationales Arbeitsrecht durch 'hire and fire' ersetzen zu können, zeigen nicht nur jahrelange Auseinandersetzungen der Gewerkschaft NGG mit multinationalen Hackfleischbratereien.
Hier nur erwähnt sei, dass sich die US-Multis von dem Abkommen auch versprechen, Verbraucher- und Umweltschutzbestimmungen knacken zu können. Der Fall des Verbots chlorgetränkter Hühnerteile in der EU über das genmanipulierter Lebensmittel bis hin zu dem der Emmissionsbeschränkungen im Luftverkehr sollen ihnen die neue Märkte öffnen. Umgekehrt hofft das deutsche Bankkapital darauf, dass in den USA strengere Finanzmarktregulierungen fallen sollen. Die US-Firma Lone Pine z.B. verklagt derzeit Kanada, das mit den USA schon einen vergleichbaren Vertrag hat, auf Schadensersatz wegen eines Fracking-Moratoriums.
Das ISW stellte schon im Sommer die Frage nach den Interessen hinter dieser "Wirtschafts-NATO". Der Rückgang des Handels der EU mit den USA seit 2009 von 22,3 auf 11,5% bei den Importen und 27,4% auf 17,3% bei den Exporten ist auch Indikator dafür, daß das ökonomische Gewicht der beiden zugunsten nicht nur der BRIC-Staaten perspektivisch abnimmt. Auch der damit einhergehende Einflussverlust soll durch eine nordatlantische Freihandelszone gestoppt werden.
Andere, so erwarten es die Befürworter des TTIP, müssten dann nach ihrer Pfeife tanzen, um auf diesem Markt agieren zu dürfen. "Die Bertelsmann-Untersuchung hat die Auswirkungen von TAFTA (Transatlantisches Freihandelsabkommen) auf 126 Länder der Welt untersucht. Ihr Ergebnis: Einkommen und Beschäftigung in den USA und der EU würden steigen, aber dies “in contrast with real income and employment losses in the rest of the world” – im Gegensatz zu Realeinkommen- und Beschäftigungsverlusten im Rest der Welt." Vor dem Hintergrund der Einkommens- und Vermögensverteilung hätte die Arbeitenden in den reichen Ländern fast genauso wenig davon wie ihre Klassenschwestern und -brüder im 'Rest'.
Als gäbe es nicht tausend andere Gründe dafür, hatten Regierungspolitiker angesichts der NSA-Spionageaffäre jüngst das Aussetzen der Verhandlungen mit den USA erwogen. Im Koalitionsvertrag liest es sich jetzt aber wie folgt: "So werden wir beispielsweise den Abschluß eines Freihandelsabkommen mit den USA vorantreiben". DGB-Vorstandsmitglied Claus Matecki forderte die Verhandlungspartner auf, "die Interessen der Bevölkerung endlich stärker in den Blick zu nehmen".
Schutzrechte der Beschäftigten und der Umwelt müssten auf höchstem Niveau abgesichert werden. "Auch die öffentliche Daseinsvorsorge ist nicht verhandelbar." Wie richtig. Richtig ist aber auch, dass gute Argumente alleine nichts nutzen, wenn es um die Profite multinationaler Konzerne geht. Linke Parteien, Gewerkschaften, Antiglobalisierungs- und Umweltbewegung sind gefordert, aufzuklären und zu mobilisieren, auf Straßen und in Betrieben. Gerade für die Gewerkschaften und ihre Mitglieder steht vieles auf dem Spiel, was sie in über 100 Jahren erkämpften.
Text: Volker Metzroth (aus UZ vom 27.12.13) Logo: Umweltinstitut München e.V. (online-Aktion)