13.02.2014: 'Studie entzaubert Hartz-Mythos' - dieser Satz auf Spiegel-Online ließ Kritiker des staatlichen Verarmungsprogramms aufhorchen. Mutierte da ein Saulus zum Paulus? Was bezweckt die dort vorgestellte Studie, die im 'Journal of Economic Perspectives' erschien? Da ist von Einigkeit von Merkel über Schröder bis Sarkozy die Rede, nach der die Agendapolitik Europa – gemeint ist die EU – zu einer "wirtschaftlichen Supermacht mit niedrigen Arbeitslosenzahlen" gemacht habe. Aber hatten wir mit 26 Mio. je so viele Arbeitslose in der EU wie heute? Ist es nicht überall so wie in Deutschland, wo nur die Hälfte der 6 Mio. Erwerbslosen in amtlichen Statistiken erscheint? Jeder Vierte arbeitet für Niedriglohn und kann oft von seiner Arbeit alleine nicht leben. Ganz zu schweigen von Portugal und Griechenland z.B., wo über die Hälfte der jungen Menschen erwerbslos ist. Misst man Erfolg am Reichtum einer Oberschicht, an wachsenden Zahlen der Millionäre und Milliardäre, dann waren 'wir' sehr erfolgreich.
Die Studie sieht den Erfolg aber nicht Hartz II und IV geschuldet, sondern einem "deutschen Wundermittel". Dies sei "nämlich die einzigartige Unabhängigkeit der Tarifpartner vom Staat und die damit verbundene freie Entscheidung über Löhne, die Branchen, die Größe und konjunkturelle Lage von Unternehmen berücksichtigt". Im Klartext heißt das, dass in den niedrigen Tarifabschlüssen die Wurzel des Erfolgs läge, darin, dass in 10 Jahren die Reallöhne im Schnitt um vier Prozent sanken und die deutsche Exportwalze so schwächere Ökonomien überrollen konnte.
Hier keinen Zusammenhang zur Agenda 2010 zu sehen ist mehr als Realitätsverweigerung. Der Druck auf Arbeitslose, wie z.B. Arbeitszwang unterhalb des Tariflohns, führte auch zur Einschüchterung der Arbeitenden. Leih- und Zeitarbeit, Befristungen und Missbrauch von Werkverträgen spalteten Belegschaften und schwächten die Gewerkschaften. Für das Kapital waren und sind die Hartzgesetze ein voller Erfolg.
Am Ende wird die Katze aus dem Sack gelassen. Der gesetzliche Mindestlohn sei "ein Schritt zu weniger Autonomie im Tarifsystem" und führe zu Rückschritten. Netter Versuch, im Gewand der Hartz-Kritik gegen den Mindestlohn zu polemisieren. Dem Druck der gewerkschaftlichen und politischen Arbeiterbewegung dafür, dass von seinem Lohn leben können muss, wer Vollzeit arbeitet, konnten sich die Großkoalitionäre nicht mehr entziehen. Der Mindestlohn wäre aber der erste erkämpfte Erfolg im Kapitalismus, den die Kapitalisten nicht sofort zu verwässern und rückgängig zu machen suchten, auch mittels dubioser Studien. Seine Durchsetzung ist ein Etappensieg. Die nächsten Etappen heißen "keine Ausnahmeregelungen" und "mindestens 10 Euro pro Stunde".
Text: Volker Metzroth
Bild: Studie "From Sick Man of Europe to Economic Superstar: Germany's Resurgent Economy"
Dieser Beitrag erschien auch in der UZ vom 14.02.14