30.04.2014: Sie fliesen Terrassen, streichen Wände, reißen Häuser ab oder legen Laminat. Sie stehen an einigen Ecken im Bahnhofsviertel, warten auf Arbeit, schuften für ein paar Euro, um die manche am Ende noch gebracht werden. Ihre Auftraggeber sind Baufirmen oder selbstständige Handwerker. Im Schritttempo fahren die Unternehmer an den Arbeitern vorbei, mustern sie. „Einmal hupen heißt, sie brauchen einen Arbeiter, zweimal hupen heißt zwei Arbeiter“, erzählt ein Insider. »Arbeiterstrich« wird diese Form des »flexiblen Arbeitsmarktes« umgangssprachlich genannt.
Meist sind es bulgarische Arbeiter, die auf diese Weise gezwungen sind, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen; drangsaliert von Polizei, Zoll und Anwohnern. In München haben einige Geschäftsleute im Hauptbahnhofviertel einen Security-Dienst angeworben, um Arbeitsuchende rassistisch zu markieren und zu verjagen. Die »Initiative Zivilcourage« steht an der Seite der Arbeitsimmigranten und arbeitet eng mit prekarisierten Münchnern aus neuen EU-Ländern im Bahnhofsviertel zusammen, um gemeinsam Wege zur Verbesserung ihrer Lebenssituation und des Zusammenlebens in der Stadtgesellschaft zu beschreiten.
Statement der Initiative Zivilcourage, 29.04.2014
Privatsheriff gegen Arbeitsuchende – Geschäftsleute machen sich lächerlich
Einige Geschäftsleute im Hauptbahnhofviertel haben einen Security-Dienst angeworben, um Arbeitsuchende rassistisch zu markieren und zu verjagen. Das scheint erst als reiner PR-Gag, denn der Security-Pitbull hat keinerlei Befugnisse. Die Fotos in den Boulevard-Blättern Bild und tz vom 24.04.14 sagen alles: Bullige Männer, verschränkte Arme, grimmige Mienen – Auftraggeber Grill & co machen sich mit Aggression und Rassismus in aller Öffentlichkeit lächerlich.
Sie versuchen, sich als angebliche Löser eines Problems darzustellen. Das eigentliche Problem besteht aber in ihrer eigenen Aggression und rassistischen Problemdefinition. An einer wirklichen Besserung der sozialen Realität der Betroffenen sind sie nicht interessiert.
So wäre es sinnvoll, Sitzgelegenheiten an der Kreuzung zu schaffen, damit Arbeitsuchende nicht mehr auf Treppenstufen sitzen müssen. Ein Dach über dem Kopf, wo Arbeitsuchende und Freund_innen sich etwa bei Regen aufhalten könnten, wäre ein nächster Schritt. Um rassistischen Sauberkeitsphantasien zuvorzukommen: Auch wenn die Arbeiter_innen einen eigenen Raum hätten, die Gehsteige ständen immer
noch auch zu ihrer Verfügung.
Es erschreckt uns, wieviel Verständnis dafür zu herrschen scheint, wenn wohlhabende Personen sagen: „Das ist unser Revier!“ und ihr Geld einsetzen, um mit privatisierter Gewalt den öffentlichen Raum von ärmeren Menschen zu „säubern“ und ungestört Geschäfte machen zu können.
Nicht nur dem common sense erscheinen die aggressiven Gesten als lachhaft, auch die Arbeitsuchenden selber zucken die Schultern. Der Security-Arbeiter bitte sie halt, wegzugehen. Die Geschäftsleute selber seien unfreundlicher.
Doch es bleibt etwas hängen: Zum x-ten Mal werden die Arbeiterinnen und Arbeiter als „Störfaktoren“, als „dreckig“ und als angebliche „Schwarzarbeiter“ markiert, wie schon in der Petition derselben Aggressoren und der Markierung mit Grünen Bändern durch den Zoll im letzten Jahr. Auch die alltäglichen auf racial profiling beruhenden Kontrollen der Polizei und die bundesweite Hetze gegen „Armutszuwanderung“ stellen die Arbeitsuchenden als Problem und ihnen ein Problem dar.
Nicht die bulgarischen Arbeiter_innen und ihre Präsenz aber sind das Problem, sondern die Ausgrenzung, Prekarisierung, Ausbeutung und der Rassismus, die sie erfahren. Und diese gesellschaftlichen Prozesse treffen nicht nur sie, sondern sie befinden sich im Herzen der „Weltstadt mit Herz“: Niedrige Löhne, hohe Mieten, soziale Ausgrenzungen.
Statt die Notlage ihrer Bürger_innen anzugehen, verstärkt die Stadt diese noch und geht dabei auf eben jene paradoxe und menschenfeindliche Problemdefinition ein. Auch im Falle von Unionsbürger_innen: Zwar ist die Stadt verpflichtet, in München obdachlose Menschen unterzubringen – sie schickt Unionsbürger_innen in obdachlosen Situationen aber auf die Straße.
Und auch wenn Unionsbürger_innen nach europäischem Recht als Arbeitsuchende Anspruch auf Hartz IV hätten, verweigert ihnen das Jobcenter diese Hilfen. Immerhin sind sie freizügig, und dürfen sich im öffentlichen Raum aufhalten. So treffen sie sich schon seit Jahren im Bahnhofsviertel, um Arbeit zu finden. Schon vor 2014 durften sie selbstständig arbeiten, oder eine Arbeitserlaubnis beantragen. Heute ist ihr Zugang zum Arbeitsmarkt, zumindest in der Theorie, uneingeschränkt. Viele finden Arbeit. Sie bauen die Münchner Hochhäuser und Wohnanlagen. Sie putzen Münchner Supermärkte, U-Bahnhöfe, öffentliche Ämter und Schulen.
Doch ständig wird ihnen gezeigt: Ihr gehört nicht dazu. Viele sprechen über sie, aber (fast) niemand mit ihnen. Statt dessen werden runde Tische einberufen mit Polizei, Zoll und CSU. Die Pitbulls werden herausgeholt, um die Arbeiter_innen mit Gewalt und ihrer Androhung zu vertreiben. Sie werden auf „Müll, Urin und Ärger“ (Bild) reduziert oder als „hilflose Opfer“ viktimisiert. Versuche, sie zu entmenschlichen und ihrer Stimme zu berauben. Versuche, sie aus dem öffentlichen Raum, der Sichtbarkeit und der Teilhabe am Wohlstand der Stadtgesellschaft zu verdrängen.
Respekt, Teilhabe und Dialog auf Augenhöhe sieht anders aus.