09.05.2014: Über 400.000 Menschen folgten dem Aufruf des DGB zu fast 500 Maiveranstaltungen. „Gute Arbeit. Soziales Europa“ war die Losung. Mobilisierend waren vor allem die Forderungen nach einem Mindestlohn von 8,50 Euro ohne Ausnahmen und nach der Rente ab 63. Sowohl einen gesetzlichen Mindestlohn, bald höher als 8,50, als auch einen früheren Renteneintritt wollen rund drei Viertel der Menschen. Die 400.000 widersprachen der Meinungsmache in Medien, die Unternehmerpositionen als Mehrheitsmeinung darstellen. Vielfach war die örtliche Beteiligung größer als 2013. Die insgesamt etwa gleiche Teilnehmerzahl erklärt sich auch aus witterungsbedingt ausgefallenen oder in strömendem Regen stattgefundenen Veranstaltungen.
Der scheidende DGB-Vorsitzende Sommer unterstrich wie viele andere mehr, daß der Mindestlohn auch eine Frage von Gerechtigkeit, Respekt und Würde sei. „Den arbeitenden Menschen gebührt Anerkennung und Würde – in Deutschland, Europa und in der Welt“, so Michael Sommer in seiner Fernsehansprache und auf der Kundgebung in Bremen. Ausnahmen für Jugendliche und Langzeitarbeitslose könnten nicht hingenommen werden.
Viele kritisierten die Austeritätspolitik der EU, die gerade in Südeuropa die Verhältnisse verschlimmert habe und zum massiven Abbau gewerkschaftlicher Rechte führte. So z.B. in Griechenland, wo auf Druck der sog. Troika alle Flächentarifverträge aufgehoben wurden. Sommer forderte stattdessen ein EU-weites Investitionsprogramm. Für Deutschland forderten Rednerinnen und Redner eine Stärkung der Tarifautonomie ein, unter anderem durch mehr Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von Tarifverträgen und der Ausweitung der Geltungsbereiche des Entsendegesetzes. Auf die Gefahr, daß die Große Koalition mit ihrer geplanten gesetzlichen Tarifeinheit eine weitere Beschränkung des Streikrechts durchsetzen wolle, wiesen Gewerkschaftsmitglieder mit Flugblättern und Transparenten hin. Weitere Themen gingen vom TTIP bis hin zur Solidarität mit den Lampedusa-Flüchtlingen.
Vielfach versuchten Neofaschisten wieder, den 1. Mai für ihre Aufzüge zu mißbrauchen. Überall wurde vor der braunen Gefahr und vor Rechtspopulisten wie der AfD gewarnt, die die Unzufriedenheit mit der EU-Politik zur nationalistischen Stimmungsmache nutzen wollten. Sommer nannte die EU ein Friedensprojekt, was aber viele anders sahen. Daß eine EU, die in den Lissabonverträgen ihre Mitglieder zu ständiger Aufrüstung verpflichtete und mit ihrer Expansion bis an die Grenzen Rußlands den Konflikt in und um die Ukraine eskalierte, ein Friedensprojekt sei, das bezweifeln viele Gewerkschafter.
In einigen Städten gab es Kritik an Michael Sommers Treffen mit dem damaligen Verteidigungsminister de Maizière, das viele als Schulterschluß von Gewerkschaftsspitze und Militärs sahen.
In Hamburg riegelte die Polizei das Gewerkschaftshaus ab, während Olaf Scholz, SPD, dortiger Erster Bürgermeister, drinnen an einer Podiumsdiskussion teilnahm. Es gab im Haus und davor Proteste dagegen, daß die Polizei willkürlich entschied, wer rein durfte und wer nicht. Proteste auch in Stuttgart, wo Kundgebungsteilnehmer beim Anmarsch z.T. eine Stunde von der Polizei des grün-rot regierten Landes durch Kontrollen aufgehalten wurden.
Stärker als sonst war vielerorts die Präsenz der wechselnden Regierungsparteien. Zu den aktiven Gewerkschaftern mit Parteibüchern, die jedes Jahr dabei sind, gesellten sich viele, die kurz vor Wahlen die Arbeitenden und die Gewerkschaften für sich entdecken. Die DKP zeigte wie immer Flagge, auch mit der Maiausgabe der UZ, die in hoher Auflage bei vielen Demonstrationen und Kundgebungen und in den Tagen zuvor auf Straßen und vor Betrieben verteilt wurde.
Zu den Maivorbereitungen des Kapitals zählten Presseartikel und Interviews wie z.B. mit einem sogenannten „Gewerkschaftsexperten“ des unternehmernahen DIW, der mit Hinweisen auf die Situation in Bangladesch und Indien weismachen wollte, daß die Maidemonstrationen in Deutschland ihren Sinn verloren hätten. Den Originalton des DGB fand man in vielen Blättern nicht. Kopfschütteln auch bei Mitgliedern der Partei DIE LINKE löste ein Vorschlag von Katja Kipping und anderen aus, den Tag der Arbeit in einen Tag der Gerechtigkeit umzuwandeln. Daß er als Tag der Arbeit, der Arbeitenden, des Aufstehens gegen die Zumutungen des Kapitals und des Einstehens für eine sozialere und friedlichere Welt gebraucht werde, auch dafür legten die 400.000 Mitglieder der acht DGB-Gewerkschaften Zeugnis ab.
Text: Volker Metzroth (der Artikel erscheint auch in der UZ vom 09.05.2014) Fotos: mami
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Fotos vom 1.Mai in Berlin:
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