Meinungen

Syrien-YPJ-Kaempferinnen27.05.2017: Inmitten des Kampfes gegen den Islamischen Staat bombardiert der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan unsere Dörfer und Soldaten auf der Basis eines vollkommen falschen Vorwands. Von Aldar Khalil [1]:

Vergangenen Monat bombardierte und beschoss der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan unsere Dörfer in Nordsyrien. Die Anschläge töteten unsere Soldaten und ließen den Konflikt zwischen der Türkei und uns in einer Zeit, in der wir in einen historischen Kampf an der Seite der US-geführten internationalen Koalitionskräfte um die Rückeroberung Rakkas und das Ende des IS-Terrorregimes führen, unnötig eskalieren.

Ich bin ein Mitglied der Bewegung für eine Demokratische Gesellschaft (TEV-DEM), eine Dachorganisation, die aus sechs politischen Parteien und zivilgesellschaftlichen Gruppen, einschließlich der Partei der Demokratischen Union (PYD), der führenden kurdischen Partei in Nordsyrien, besteht. Wir sind sowohl von der PYD als auch von den Volksverteidigungskräften (YPG) und den Frauenverteidigungskräften (YPJ) als ihre politische Führung anerkannt. Wir widmen uns dem Aufbau einer egalitären, demokratischen und ethischen Gesellschaft, in der Araber, Kurden und Syrer – zusammen mit Muslimen, Christen und Eziden – gemeinsam friedvoll Seite an Seite leben und wo Männer und Frauen gleichbehandelt werden.

Indem er den fürchterlichen Angriff auf Nordsyrien rechtfertigte, nutzte Erdogan ein übliches Narrativ.

Erdogan wiederholte kürzlich die Behauptung, dass er "ernsthaft bedrückt" ist durch die Fernsehaufnahmen, die zeigen, wie die militärischen Kräfte der USA an der Seite dessen operieren, was er für ein terroristisches Zeichen hält – unsere Flagge. Und am 3. Mai ging einer seiner hohen Berater noch weiter: Er schlug vor, dass die US-Kräfte auch durch das türkische Militär angegriffen werden könnten, da sie an der Seite unserer Kräfte kämpfen und entlang der syrisch-türkischen Grenze patrouillieren. Diese Aussagen sind bemerkenswert – ein NATO Mitglied bezichtigt seinen amerikanischen Verbündeten der Zusammenarbeit mit Terroristen und bedroht schlussendlich US-Soldaten.

Lässt man die politischen Umstände und Rückwirkungen dieser Aussage beiseite, ist es wichtig eine Sache klarzustellen. Wir sind nicht die PKK, egal wie sehr Erdogan sich wünscht, dass es so wäre - und es ist nicht schwer zu erklären, wieso dem so ist.

Moderne kurdische Gruppen können ihre politischen Philosophien auf ein oder zwei Gründerfiguren zurückführen: Mustafa Barzani und Abdullah Öcalan. Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen diesen Beiden ist: Während Mustafa Barzani, der Vater des amtierenden Präsidenten der Autonomen Region Kurdistan (KRG) Mesut Barzani, dazu aufrief einen nationalistischen kurdischen Staat aufzubauen, der auf Aristokratie und der Herrschaft einiger Weniger basiert, rief Öcalan dazu auf einen sozialistischen Staat aufzubauen, wo alle gleichberechtigt sind. Im Laufe der Zeit entwickelte Öcalan seine Ideen vom Sozialismus zum Föderalismus, getragen von der Überzeugung, dass eine Demokratie in der die Macht dezentralisiert ist, der beste Weg ist um sowohl individuelle als auch kollektive Freiheiten zu sichern.

Die Einflüsse dieser Figuren und Ideen können bis heute gesehen werden. Die Autonome Region Kurdistan entspringt Barzani’s Denkschule und daraus resultierend wird die KRG von einigen Wenigen beherrscht, wobei die Macht und der Wohlstand in den Händen der Barzani-Familie und ihrer Freunde konzentriert sind. Öcalans Denkschule hingegen streckt sich über die PYD, die türkische pro-kurdische HDP und die PKK, sowie andere Gruppen im Irak und den Iran aus. All diese Gruppen haben Öcalans Ideen unterschiedlich implementiert und verfolgen verschiedene Ziele, da wir mit verschiedenen geopolitischen Akteuren interagieren müssen.

Wir verleugnen nicht unsere Beziehung mit allen kurdischen Parteien in den vier Teilen Kurdistans (welche über das heutige Syrien, die Türkei, den Iran und den Irak verstreut sind), wie wir auch unsere Beziehung zu Öcalan nicht verleugnen. Tatsächlich bin ich stolz, gerade in dem Moment wo ich das hier schreibe, ein Bild von Öcalan auf dem Schreibtisch neben mir stehen zu haben. Öcalans Ansichten und seine Philosophie sind der Kern der Art und Weise, wie wir die Föderation Nordsyrien bzw. Rojava verwalten. Und sie sind der Grund dafür, dass Nordsyrien unter unserer Verwaltung zu einem Modell geworden ist, das die Rechte von Minderheiten und die Rechte der Frauen respektiert, und das sicherstellt, dass die individuellen und kollektiven Freiheiten nicht nur geschützt, sondern gestärkt und gefördert werden.

Wir verleugnen auch nicht, dass die PKK ihre Denkschule auf Öcalan zurückführt. Jedoch unterscheidet sich deren Anwendung seiner Lehren sehr von unserer, wie sich auch ihre politischen Bedingungen von unseren unterscheiden. Diese Unterscheidungen sind wichtig. Aber Erdogan wünscht sich, diese ignorieren zu können. Doch wir können durchaus einen gemeinsamen philosophischen Gründervater teilen, ohne dieselbe Organisation zu sein. Wir haben unterschiedliche Führungen, unterschiedliche Mitglieder und zudem öffentlich festgestellt, dass wir unterschiedlich sind – so wie wir das in diesem Artikel tun und das zuvor mehrfach taten. Das sollte als Indiz für unsere Absichten reichen. Einfach gesagt: wir sind unsere eigene Organisation, und wir sind stolz darauf.

Als Kurden sympathisieren wir selbstverständlich mit unseren Brüdern und Schwestern in der Türkei. Viele ihrer Städte sind entlang unserer Grenze aufgeteilt und erstrecken sich teilweise über die Türkei und teilweise über Nordsyrien. Geschichtlich gesehen unterstützten viele syrische Kurden den Widerstand in der Türkei und wurden dort zu Märtyrern. Genauso kamen einige Kurden aus der Türkei und dem Irak nach Syrien, um den heldenhaften Widerstand von Kobani gegen den Islamischen Staat zu unterstützen und wurden in Rojava zu Märtyrern. Die PKK bot ihre Hilfe für Kobani an, so wie das auch die USA taten.

Es schmerzt uns, diejenigen zu sehen, die auf der türkischen Seite der Grenze in Angst und unter der Unterdrückung durch Erdogan leiden. Aber das ist nicht unser Kampf und wir sagten und sagen öffentlich, dass unser Gebiet und unsere Ressourcen nicht von der PKK oder anderen Gruppen genutzt werden, die in der Türkei kämpfen. Wir mischen uns nicht in die inneren Angelegenheiten benachbarter Länder ein und wir erwarten von anderen Ländern, dass sie dasselbe tun.

Die Tatsache, dass kurdische Städte zwischen den Staaten aufgeteilt sind, ist ein Teil der Komplexität unserer Region. Ja, es ist schwer für Menschen außerhalb unserer Region, diesen Aspekt zu verstehen - aber er ist wichtig. Wenn Beobachter oder Politiker diesen Aspekt nicht verstehen, dann werden sie dazu verleitet den falschen Erklärungen – so wie sie Erdogan macht – zu glauben, die uns mit der PKK gleichsetzen.

Für Erdogan ist die Tatsache, dass die syrischen Kurden nicht die PKK sind, eine unangenehme Wahrheit. Sie ist unangenehm, da sie bedeutet, dass seine Begründungen für die Angriffe auf Nordsyrien, seine Eskalation entlang unserer Grenze und die Drohungen seines Beraters gegen die US-Kräfte alle falsch sind. Sie ist unangenehm, da sie bedeutet, dass Millionen Dollar, die die Türkei in die USA mit bezahlten Lobbyisten und PR-Firmen steckt, um ihre öffentliche Meinung gegen uns zu wenden, nichts anderes als eine teure Propaganda-Operation sind. Leider war das aber nicht ohne Wirkung – Erdogans Druck funktionierte insofern, als dass das US-Außenministerium uns von den Friedensgesprächen in Genf ausgeschlossen hat, das Verteidigungsministerium in der Vergangenheit dazu gebracht hat, uns nicht zu unterstützen und sogar USAID und seine Partner davon abgehalten hat, uns Entwicklungshilfe zu leisten, da sie fürchteten den Zugang zu Syrien über die Türkei zu verlieren, wo gegenwärtig viele NGO’s stationiert sind. Vieles davon geschah während der Präsidentschaft von Barack Obama. Wir können nur hoffen, dass die Trump Administration trotz der falschen Anschuldigungen durch die Türkei standhaft bleiben wird.

Welche Vorwände Erdogan auch nutzen mag, wir in Nordsyrien wissen, dass er uns bombardiert, um seine eigene Bevölkerung von den inneren Problemen abzulenken. Was aber bedeutet, dass mit den wachsenden Problemen in der Türkei, sein Verlangen nach dem Konflikt in Syrien genauso wächst. Das war nicht das erste Mal, dass er uns bombardiert hat, und es wird nicht das letzte Mal sein. Bei jedem weiteren Mal, wo er dies tut, wird er uns wieder Terroristen nennen und uns beschuldigen die PKK zu sein. Alles was wir hoffen können ist, dass die Welt diese Vorwände als das sieht, was sie sind – politisch motivierte Lügen, die nicht nur unsere Sicherheit bedroht, sondern auch die Sicherheit unserer amerikanischen Kollegen.

Bis Erdogans Lügen aufgedeckt sind, bleibt es zweckmäßig für ihn, dieses Doppelspiel weiter zu betreiben. Aber das ist die Wahrheit: Wir sind nicht die PKK, egal wie oft Erdogan etwas Anderes sagt.

Aldar-Khalil 
[1] Aldar Khalil ist Mitglied des Executivkomitees  der Bewegung für eine Demokratische (TEV-DEM) in der Föderation Nordsyrien / Rojava

 

 

 

 

Der Artikel ist in englischer Sprache bei Foreign Policy erschienen: http://foreignpolicy.com/2017/05/15/syrias-kurds-are-not-the-pkk-erdogan-pyd-ypg/

Wir danken Aldar Khalil und Foreign Policy für die Genehmigung zur Veröffentlichung auf kommunisten.de.

Ebenso danken wir Dastan Jasim für die Übersetzung.


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