01.09.2010: Während begonnen wird, nun auch der Mittelteil des Nordflügels des Stuttgarter Hauptbahnhofs abzureißen, haben Ministerpräsident Mappus und der Grünen-Fraktionschef Kretschmann zu einem „Runden Tisch“ eingeladen und damit das Angebot von Bahnchef Grube angenommen. Damit setzten sich die Grünen einseitig über den bisherigen Konsens des Aktionsbündnisses hinweg, der einen Baustopp als Vorbedingung für Gespräche vorsah. Die diplomatische Sprachregelung ist nun, dass man von der Bahn erwarte, dass sie ein sichtbares Zeichen setzt. Ein nicht unwichtiger Teil des Bündnisses hat erklärt, an den Gesprächen nicht teilzunehmen, wenn der Abbruch nicht gestoppt wird.
Aus der Erklärung des Aktionsbündnisses vom 31.08.10: „Die heutigen Abrissarbeiten am Mittelteil vom Nordflügel des Stuttgarter Hauptbahnhofs haben gezeigt, wie es um die ernsthafte Gesprächsgrundlage von Bahnchef Grube und Ministerpräsident Mappus bestellt ist. Trotz dieser Provokation ist das Aktionsbündnis bei einem sofortigen Abriss-Stopp zu einem sachlichen Gespräch bereit mit dem Ziel, die Projektbefürworter davon zu überzeugen, Stuttgart 21 zu beenden.“ Das Aktionsbündnis benannte auch schon die möglichen Teilnehmer.
Es ist Landtagswahlkampf. Ministerpräsidenten Stefan Mappus (CDU), der gerade unter der Losung „Klare Linie für unser Land“ seine Sommertour 2010 durch Baden-Württemberg begonnen hat, will sich als starker Mann profilieren. Für ihn ist das Projekt Stuttgart 21 unumkehrbar.
Die Grünen gehen mit der Einladung bewusst auf vorsichtige Distanz zu Teilen der Bewegung. Sie reagieren so auf die Versuche der Landesregierung, einen Teil der Bewegung zu kriminalisieren, um damit den Widerstand zu spalten. So war es Mappus, der dem Aktionsbündnis vorgeworfen hat, für den Tod einer Frau verantwortlich zu sein, weil angeblich der Notarztwagen durch Demonstranten behindert worden sei. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft leitete daraufhin ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung ein. Das DRK ließ nun über die Presse erklären: "Weder beim Anrücken noch beim Rücktransport in die Klinik kam es zu Behinderungen durch die Demonstranten. Die polizeiliche Ermittlung habe keinerlei Abweichungen festgestellt. Die Einsatzprotokolle hätten einen reibungslosen Ablauf bestätigt.“
Der Vizepräsident des Landesamts für Verfassungsschutz, Frank Dittrich, warnte jetzt gegenüber der Presse: «Parteien aus dem linksextremistischen Spektrum wie DKP, MLPD und die Linke versuchen, den Protest seit längerem zu instrumentalisieren. Sie probieren, die Unzufriedenheit in der Bevölkerung aufzunehmen und mit ihrer Kritik am politischen System zu verbinden.».
Bund will nun vom Land mehr Geld
Als S21 beschlossen wurde, sollte das Projekt drei Milliarden Euro kosten, plus zwei Milliarden Euro für die dazugehörige ICE-Neubaustrecke nach Ulm. Im Juli wurde erstmals nachgerechnet – nun liegen die Gesamtkosten offiziell schon bei sieben Milliarden. Immer noch viel zu niedrig, meinen Experten. Neue Studien rechnen mit Gesamtkosten von mindestens neun, eher elf Milliarden Euro – das Doppelte des Betrags, der einst Basis der politischen Entscheidung war.
An der Neubaustrecke beteiligen sich das Land Baden-Württemberg mit 950 Millionen Euro und die Bahn mit 150 Mio. Die restlichen Kosten, das waren damals 925 Mio Euro, übernimmt der Bund. So steht es im Vertrag, den der damalige Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) unterschrieb. Der Bundesanteil an der ICE-Trasse hat sich bereits heute auf fast 1,8 Milliarden Euro verdoppelt. Experten erwarten aber - wie bei vergleichbaren Bahnprojekten - weitere Kostensteigerungen und rechnen vor, dass die Strecke wohl fünf Milliarden Euro kosten werde. Mehr als 60 Kilometer Tunnel müssen durch schwierigstes Karstgestein im Stadtgebiet und der Schwäbischen Alb gebohrt, 55 Brücken müssen gebaut werden.
Damit würde der Bundesanteil an der ICE-Trasse auf fast vier Milliarden steigen. Das entspricht der Summe, die Ramsauer bis 2020 voraussichtlich bundesweit für alle Schienenneubauprojekte zur Verfügung hat. Deshalb fordert Minister Ramsauer nun mehr Geld von Land und Bahn. Die Haushaltsberatungen in Berlin können zum Stolperstein für das Bahnprojekt Stuttgart 21 werden. Dies umso mehr, wenn die Politik zur Kenntnis nehmen muss, dass nicht nur in Stuttgart, sondern auch in ganz Baden-Württemberg nach einer Forsa-Umfrage für den Stern die Mehrheit gegen Stuttgart 21 ist.
Text/Foto: mami
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