15.04.2013: "Wir sind noch immer fassungslos", sagte die die Witwe des griechischen Schlüsselhändlers Theodoros Boulgarides und meint damit nicht nur den Schock über den Tod ihres Mannes, dem die Nazimörder des NSU dreimal in den Kopf geschossen hatten. Auch die jahrelangen Verdächtigungen, denen die Angehörigen der Opfer ausgesetzt waren, sind Grund für diese Fassungslosigkeit. Acht Jahre ist es her, nun tritt sie in der Öffentlichkeit auf. Zu sehen ist sie nicht, aus Angst verbirgt sie sich hinter einem Transparent. Nur ihre Stimme ist auf dem Stachus zu hören. Dort hatten sich am Samstag, den 13. April, Tausende, überwiegend junge Menschen versammelt, um gegen Naziterror, staatlichen und alltäglichen Rassismus und für die Auflösung des Verfassungsschutzes zu demonstrieren.
Über 200 Organisationen hatten an diesem Samstag vor Prozessbeginn zu der Demonstration aufgerufen. So etwa die ver.di-Jugend, Bund, die Föderation demokratischer Arbeitervereine aus der Türkei (DIDF), der Ausländerbeirat München und der Bayerische Flüchtlingsrat, über 30 Antifa-Gruppen aus mehreren Städten, ATTAC Deutschland und der bayerische Landesverband der Partei 'Die Linke' sowie verschiedene Ortsgruppen der Jusos und der Grünen Jugend, der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) und der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ).
Die Veranstalter sprachen am Nachmittag von 7.000 bis 10.000 Teilnehmern. Das Mitgefühl gehöre den Angehörigen, sagte der Imam der muslimischen Gemeinde von Penzberg, Benjamin Idriz: "Wir fühlen und trauern mit ihnen." Die Opfer seien nach Deutschland gekommen, um für ihre Familien eine sichere Zukunft aufzubauen. "Aber Deutschland hat es nicht geschafft, sie zu schützen", sagte Idriz. "Das Vertrauen ist tief zerstört."
Eine rassismusfreie, solidarische Gesellschaft« forderten die RednerInnen der Auftaktkundgebung als Konsequenz. Die Opferfamilien sollten für diffamierende polizeiliche Ermittlungen entschädigt, der Verfassungsschutz abgeschafft werden. Den Nebenklägern gehe es im Prozess auch um die Aufdeckung der lokalen Unterstützernetzwerke des NSU, betont Angelika Lex, Anwältin der Familie von Theodoros Boulgarides. Die Organisatoren der von Ex-Grünen-Stadtrat Siegfried Benker angemeldeten Demonstration verlangen auch neue Ermittlungen zur Aufklärung des Attentats auf das Münchner Oktoberfest 1980, bei dem 13 Menschen starben.
Ein kilometerlanger Demozug zum Mahnmal des Oktoberfestattentates, wo eine Zwischenkundgebung stattfand, zog dann zur Abschlusskundgebung auf dem Marienplatz, begleitet von drei Lautsprecherwagen.
Nach Meinung vieler Teilnehmenden wäre es schon angebracht gewesen, dass der Münchner Oberbürgermeister Ude an der Spitze der Demonstration geht und damit ein Beispiel dafür gibt, was in dieser Stadt nötig ist, um Neonazis zurückzuweisen.
In einem Flugblatt der DKP München werden Fragen aufgeworfen:
"Hat der Verfassungsschutz versagt, oder 'ganze Arbeit' geleistet? Entspringt aus dem gemeinsamen antikommunistischen und nationalistischen Nenner von Verfassungsschutz und Neonazis so etwas wie 'betreutes Morden' und wer ist eigentlich von wem unterwandert?"
Weiter heißt es: "Warum ließ man sie gewähren; und wer hat Interesse daran, dass die NPD nicht verboten wird? Die NSU-Mörder sind sie finsteren Widergänger einer Politik, die deutsch-nationalen Dünkel braucht um Kriegsbeteiligungen der Bundeswehr zu legitimieren. Nazis werden gebraucht, damit sich Empörung und Protest gegen die Auswüchse des Kapitalismus nach rechts orientiert. Im Schatten einer europaweiten Diktatur der Finanzmärkte wächst die Gefahr rechtspopulistischer und nationalistischer Tendenzen in ganz Europa. Sie zielen auf die Angstgefühle der wachsenden Schicht von Verlierern des kapitalistischen Globalisierungsprozesses und versuchen, diese für nationalistische 'Lösungen' zu instrumentalisieren. Dagegen ist gemeinsames Handeln nötiger denn je."
Weitere Aktionen sind am ersten Prozesstag geplant.
Am Mittwoch, 24. April findet um 19:30 Uhr im Münchner EineWeltHaus eine Veranstaltung der DKP statt mit dem Thema 'Das braune Netzwerk von Geheimdiensten und Nazis' mit dem Bundessprecher der VVN, Ulli Sander.
Text: WL Fotos: DKP München/DKP Nordbayern
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