17.09.2021: Umfragen lassen eine rot-grün-rote Mehrheit greifbar werden ++ SPD und Grüne mit wenig Begeisterung für linke Reformregierung ++ ISM, Campact, Fridays for Future: Mit dem ′Weiter so’ der GroKo muss endlich Schluss sein ++ Carola Rackete: "Ich wähle DIE LINKE"
Nachdem der schwarze Balken von CDU und CSU zuletzt von Umfrage zu Umfrage nach unten ging, legt die Union lt. Deutschlandtrend der ARD jetzt wieder zu: von unterirdischen 20% auf grottenschlechte 22%. Eine Aufholjagd sieht anders aus. Die Partei, die in den letzten Jahren ein Abo aufs Kanzleramt hatte, könnte nach dieser Bundestagswahl in der Opposition landen , wenn ihr nicht SPD oder Grüne doch wieder auf die Regierungsbank helfen. Es geht auch anders: Die Umfragewerte der letzten Wochen lassen eine rot-grün-rote Mehrheit greifbar werden. ″Noch nie war die Gefahr so groß, dass ein Linksbündnis die Macht übernimmt″, orakelt CSU-Chef Markus Söder.
Dabei machen SPD-Scholz und die Grünen-Spitzenkandidatin Annalena Baerbock bei jeder Gelegenheit deutlich, dass sie eine Koalition unter Beteiligung der Linken nicht wollen. SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz schließt zwar eine Koalition mit der Linkspartei nicht grundsätzlich aus, stellt aber ein Bekenntnis zur Nato als wesentliche Bedingung für eine künftige Koalition. ″Wer in Deutschland Regierungsverantwortung übernehmen will, muss sich klar bekennen zur Zusammenarbeit mit den USA, zur transatlantischen Partnerschaft und dazu, dass wir die Nato für unsere Verteidigung und unsere Sicherheit brauchen″, wiederholt er immer wieder.
Annalena Baerbock steht dem nicht nach. In einem Interview mit der ″Süddeutschen Zeitung″ (14.9.) sagte sie, sie schließe zwar ″Gespräche zwischen demokratischen Parteien″ nicht ″kategorisch″ aus. Aber: ″Wenn man außenpolitische Handlungsfähigkeit einer Regierung nicht sicherstellen kann, gibt es keine Regierungsgrundlage″, erklärte die grüne Kanzlerkandidatin.
Nach Ansicht von Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion, zeigen die Aussagen Baerbocks, dass die Grünen ″weiter eine Koalition mit Union und FDP″ vorbereiten. ″Damit ist klar, dass sie zentrale Punkte ihres Wahlprogramms niemals umsetzen werden. Das ist Wahlbetrug mit Ansage″, sagte Korte gegenüber der Zeitung ″nd″.
″Ich finde eine Außenpolitik unverantwortlich, die die Patente von Biontech schützt, während in Afrika von 1,3 Milliarden Menschen nicht mal zwei Prozent geimpft sind.″
Jan Korte, DIE LINKE
Die Ko-Spitzenkandidatin der Linkspartei, Janine Wissler, kritisiert, dass bei SPD und Grünen ″außenpolitische Verlässlichkeit und Verantwortung offenbar nur noch mit Militärbündnissen, Aufrüstung und Interventionen gleichgesetzt″ werde. ″Und wenn das wichtigste Anliegen der Grünen der Klimaschutz ist, dann frage ich mich, warum sie sich von uns distanzieren und wie sie Klimaschutz ausgerechnet mit der FDP oder der Union durchsetzen wollen″, so Wissler.
Monitor: "Wen wählst Du, Carola Rackete? https://www.facebook.com/watch/?v=1709935655862029 |
Es geht also am 26. September darum, ob die Politik in der Bundesrepublik in Richtung progressive Mehrheit geht oder eine solche aktiv verhindert wird. ″Wer eine Mitte-links-Regierung will, muss die Linke wählen″, meint der Spitzenkandidat der Linkspartei Dietmar Bartsch. Denn nur mit einer starken Linken werde Druck auf SPD und Grüne für die Umsetzung sozial-ökologischer Verbesserungen aufgebaut.
"Wer ein Linksbündnis will, muss DIE LINKE wählen. Nur so werden wir Druck auf die rot-rot-grüne Koalition ausüben können".
Dietmar Bartsch, DIE LINKE
Unterstützung erhalten die Befürworter*innen einer Reformregierung von außerparlamentarischer Seite:
ISM: ″Warum es eine linke Reformregierung braucht″
″Ein politischer Linksrutsch, der sich in eine linke Reformregierung übersetzt, ist bitter nötig. Der sozial-ökologische Umbau in Wirtschaft und Gesellschaft, die Bekämpfung von Kinderarmut und sozialer Ungerechtigkeit, die Umverteilung von Reichtum und Privilegien, eine menschenwürdige Migrationspolitik, die Durchsetzung feministischer Grundanliegen und jede progressive, emanzipatorische Politik sind nicht mit CDU und FDP zu machen. Wir brauchen einen neuen und ökologischen Gesellschaftsvertrag, wie wir ihn in unseren Thesen für eine progressive Zeit [1] beschreiben″, heißt es vom Institut Solidarische Moderne ISM.
Das ISM hat die Kampagne ″Warum es eine linke Reformregierung braucht″ gestartet, mit der auf politische Kernfragen aufmerksam gemacht wird, für die es zu kämpfen gilt und für die viele Menschen bereits kämpfen. ″Dabei geht es uns nicht um die Loyalität zu bestimmten Parteien oder um eine Vorab-Vertrauenserklärung für eine rot-grün-rote Regierung. Es geht um das Möglichkeitsfenster, hier und jetzt einen politischen Wandel herauszufordern und deutlich zu machen, worfür es sich in den nächsten Jahren zu kämpfen lohnt.″
Kerem Schamberger, ISM-Vorstandsmitglied, bekräftigt, dass es nicht darum gehe, ″Mehrheitsbeschafferin″ für SPD und Grüne zu werden, sondern dass wirklich eine linke Reformerpolitik im Interesse der Mehrheit der Bevökerung durchgesetzt wird. ″Für etwas anderes stehen wir nicht zur Verfügung″, so der Münchner Kommunikationswissenschaftler und Bewegungsaktivist.
Eine Auswahl der Menschen und ihrer Argumente für eine linke Reformregierung:
Weitere Stellungnahmen auf Twitter https://twitter.com/ism_e_v und Facebook https://www.facebook.com/solidarische.moderne/.
Campact: Das Klima hat absolute Priorität
Das Campact-Vorstandsmitglied Christoph Bautz wendet sich an die Freund*innen von Campact, weil er in seinem Freundes- und Bekanntenkreis sieht, ″dass sehr viele eine entscheidende Frage quält: Wen soll ich jetzt wählen?″
Christoph Bautz: ″Sie schwanken, wälzen taktische Argumente. Sollen sie ihre Stimme dieses Mal strategisch einsetzen? Oder doch wieder der Partei geben, deren Programm sie am meisten überzeugt? Viele, die eigentlich von der SPD enttäuscht sind, wollen nun doch Scholz wählen. Damit Laschet nicht Kanzler wird. Andere wenden sich von den Linken ab – sie glauben nicht, dass es die Partei in eine neue Regierung schafft. Und etliche Grünen-Anhänger*innen sind unsicher, ob sie grün wählen sollten, solange die eine Jamaika-Koalition nicht klar ausschließen.
Das alles kann ich gut verstehen. Aber es macht mir auch Sorgen. Wenn viele Menschen taktisch wählen – und zwar mit Blick auf mögliche Bündnisse und nicht auf Inhalte –, geht ein entscheidendes Thema unter: das Klima. Das wäre eine Katastrophe. Denn diese Wahl ist unsere letzte Chance, das 1,5-Grad-Ziel noch einzuhalten. Im Pariser Klimaabkommen haben wir uns verpflichtet, die Erderwärmung unter dieser Grenze zu halten. Klappt das nicht, könnten wir endgültig in die Klimakrise abrutschen.
″Diesmal müssen wir unsere Kräfte bündeln. Auf die Parteien, die ambitionierten Klimaschutz wollen – und die eine echte Chance haben, der nächsten Regierung anzugehören.″
Christoph Bautz, Campact
Ich bin überzeugt: Dieses Mal müssen wir dem Klima bei unserer Wahlentscheidung absolute Priorität einräumen. Doch ich weiß auch, dass viele Menschen noch grübeln und unsicher sind. Sie will ich erreichen – und mit den Fakten versorgen, die im Wahlkampfgetöse untergehen. Die entscheidende Frage ist: Wie stehen die Parteien zu den wichtigsten, ganz konkreten Vorhaben zum Klimaschutz?″
Fridays for Future: Mit dem ′Weiter so’ der GroKo muss endlich Schluss sein.
Für ″Fridays fior Future″ handelt es sich bei der Wahl am 26. September um eine ″Jahrhundertwahl″.
″Sie ist entscheidend, um die schlimmsten Klimakatastrophen noch abzuwenden – uns bleibt kaum Zeit, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Die politischen Entscheidungen der nächsten vier Jahre werden das Schicksal meiner Generation bestimmen. Dürren, Stürme, Überflutungen: Das Klima kollabiert gerade vor unseren Augen. An vielen Orten der Welt sind Klimaextreme schon Alltag. Wenn wir jetzt nicht alle Kräfte bündeln, wird das Leben im Laufe dieses Jahrhunderts für Millionen Menschen immer mehr ein Kampf ums Überleben. Dieser Gedanke macht mir Angst – und vielleicht geht es Ihnen ja genauso″ schreibt Luisa Neubauer von Fridays for Future.
″Unsere Botschaft ist klar: 1,5 Grad sind nicht verhandelbar! Und unsere Bewegung ist entschlossen: Um unsere Gegenwart zu schützen und unsere Zukunft zu retten, müssen wir jetzt richtig loslegen. Mit dem ′Weiter so’ der GroKo muss endlich Schluss sein.″
Luisa Neubauer, Fridays for Future
Luisa Neubauer weiter: Dabei wissen wir, was uns in diese Krise manövriert hat: Profitgier, Machthunger und Skrupellosigkeit einiger weniger aus Politik und Wirtschaft. Doch die Ausbeutung der Natur und unserer Lebensgrundlagen funktioniert nur, weil die meisten Menschen bisher die Füße stillhalten. Gemeinsam können wir das jetzt ändern. Mit der Bundestagswahl haben wir die Chance, für mehr Klimagerechtigkeit zu stimmen.″
Fridays for Future setzt aber nicht nur auf den Stimmzettel, sondern mobilisiert für den Klimastreik am 24. September.
″Aktuell besteht ein System, das auf der Ausbeutung von Menschen und Lebensgrundlagen basiert. Am 24.09. streiken wir dafür, dass dieses System an der Wurzel verändert wird und die Stimmen der Menschen im Fokus stehen, die am stärksten unter Klimafolgen leiden.″ Fridays for Future (https://www.facebook.com/fridaysforfuture.de) |
Raul Zelik: Jede soziale und ökologische Reform muss in die ″Freiheit″ zur Kapitalvermehrung eingreifen
Raul Zelik, Mitglied des Parteivorstands von DIE LINKE, führt in einem Artikel in der Zeitung ″der Freitag" auf, ″was eine linke Reformregierung tun müsste″ und kommt zu der Schlussfolgerung:
″Eine Regierung, die die oben genannten Reformen in Angriff nimmt, wird den heftigsten Widerstand von Unternehmerverbänden, Immobilien-Lobbys und Medienkonzernen mobilisieren. Ihr würde nicht nur der Wind ins Gesicht blasen, sie hätte es mit einem wahren Orkan zu tun.
Wer ist heute bereit, solche Konflikte auszutragen? Wo man auch hinblickt: Es fehlt an Bewusstsein dafür, wie linke Reformen historisch eigentlich möglich waren. Die gesellschaftlichen Kompromisse, die wir heute als soziale und demokratische Errungenschaften schätzen, gehen nämlich nicht in erster Linie auf das Konto von Regierenden. Es waren die gesellschaftlichen Kämpfe und die Angst der Mächtigen vor radikalen Brüchen, die den Spielraum für den sozialliberalen und sozialdemokratischen Reformismus überhaupt erst eröffneten.
Wenn wir heute etwas Vergleichbares anstreben, dann müssen wir zunächst begreifen, dass wir uns mit den mächtigsten Interessen unserer Gesellschaft anlegen – den Eigentumsverhältnissen. Eine linke Reformregierung muss sich in diesem Sinne auf politischen Realitätssinn stützen – aber ganz anders als gemeinhin unterstellt. Realpolitisch sein heißt zu verstehen, dass alle anstehenden sozialen und ökologischen Reformen die Freiheit des Kapitals beschneiden und deswegen von ihm bekämpft werden. Dennoch brauchen wir diese Veränderungen, weil sie die einzige Chance sind, sich auf die heraufziehende sozialökologische Großkrise vorzubereiten.
Möglich werden solche Reformen nur sein, wenn sich sowohl ein breites gesellschaftliches Bündnis als auch eine Reformregierung den Interessen der ökonomisch Mächtigen mit aller Kraft widersetzen. Fehlt diese Bereitschaft, wird sich die Erfahrung der 1990er Jahre wiederholen – eine nominell linke Regierung macht rechte Reformen.″ [2]
Anmerkungen
[1] ISM: ″Wir brauchen einen neuen ökologischen und solidarischen Gesellschaftsvertrag. Vier Thesen für eine progressive Zeit″
https://www.solidarische-moderne.de/de/article/639.wir-brauchen-einen-neuen-solidarischen-gesellschaftsvertrag.html
[2] der Freitag, Raul Zelik: ″Seid doch mal ehrlich″
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/rot-rot-gruen-seid-doch-mal-ehrlich
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