31.10.2021: Am vergangenen Freitag (29.10.) gingen bundesweit 50.000 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter unter dem Motto "FAIRWANDEL – Wahl 21" auf die Straßen, um ihren Forderungen an die zukünftige "Ampel-Koalition" Nachdruck zu verleihen. In Stuttgart, Eisenach, Koblenz, Bremen, Duisburg, Schweinfurt und natürlich in Berlin, direkt vor dem Parlament: Quer durchs Land haben Metallerinnen und Metaller für einen fairen, sozial-ökologischen Wandel der Industrie demonstriert.
In Frankfurt fand die regionale Demonstration, zu der neben der IG Metall, der IG BCE und dem DGB auch ver.di aufgerufen hatte, unter dem Motto statt: "FÜR EINEN FAIREN WANDEL – SOZIAL, ÖKOLOGISCH, DEMOKRATISCH".
Forderungen waren u.a.:
- Keine Entlassungen in der Transformation
- Zukunftsfähige Arbeitsplätze und sichere Ausbildung
- 500 Milliarden Euro öffentliche Zukunftsinvestitionen
- Krisengewinner zur Kasse bitten
In dem Aufruf zur Demonstration heißt es dann weiter:
"Es kann nicht sein, dass der Wandel zu einer CO2 neutralen Wirtschaft und die Digitalisierung zulasten der Beschäftigten geht. Wir haben in der Pandemie und durch die Transformation bereits viele Arbeitsplätze verloren. Wir fordern sichere Beschäftigung und eine Zukunft für die junge Generation. Wir brauchen in erheblichem Umfang öffentliche Investitionen um dies zu erreichen. In der Krise sind die Reichen noch reicher geworden. Damit muss Schluss sein. Wir fordern eine gerechte Steuerpolitik, die gut verdienende Unternehmen und die Reichen an den Lasten beteiligt."
Für diese Forderungen gingen rund 2.000 Kolleginnen und Kollegen aus dem gesamten Rhein Main Gebiet auf die Straße und kamen auf der Abschlusskundgebung an der Frankfurter Hauptwache zusammen. Dabei waren nicht nur die genannten Forderungen Thema, sondern auch die geplante Vernichtung von tausenden von Arbeitsplätzen bei Opel in Rüsselsheim und den verbundenen Zuliefererbetrieben. An der Spitze des Demonstrationszuges waren dann auch etliche Transparente mit der Aufschrift "Opel lässt sich nicht zerschlagen" zu sehen.
Empört waren viele Kolleginnen und Kollegen sowie die Redner auf der Abschlusskundgebung nicht nur darüber, dass getroffene Zusagen gegenüber der Opel-Belegschaft bzgl. der Standortes durch das Managements des Konzerns "Stallantis" gebrochen werden, sondern dass viele junge Menschen, die sich aktuell in der Ausbildung bei Opel bzw. den Zuliefererbetrieben befinden, um ihre Zukunft gebracht werden.
Der Aktionstag war Teil einer zweiwöchigen "Europäischen Aktionsorientierung für einen gerechten Strukturwandel" unter dem Motto "Just Transition" des Dachverbandes der europäischen Industriegewerkschaften "IndustriAll Europe", an dem sich Mitgliedsorganisationen auf dem ganzen Kontinent beteiligen.
In einem Aufruf zu diesen Aktionswochen heißt es:
"Heute starten die Gewerkschaften des verarbeitenden Gewerbes, des Bergbaus und der Energie unter dem Dach der "IndustriAll European Trade Union" eine europaweite Mobilisierung und fordern die europäischen Institutionen und nationalen Regierungen auf, die soziale Dimension des Grünen Deals grundlegend zu verbessern. Die Aktion findet vom 25. Oktober - 10. November 2021 statt. Während sich Europa auf die Umsetzung des Green Deal ….vorbereitet, drohen 25 Millionen Arbeitnehmern in der verarbeitenden Industrie in Europa aufgrund der grünen Transformation unserer Industrien potenziell Umstrukturierungen und Arbeitsplatzverluste – verschärft durch die COVID-19-Krise und die Digitalisierung, Handel und Marktentwicklungen. Die Gewerkschaften unterstützen den Klimaschutz, bestehen jedoch darauf, dass die grüne Transformation – der bedeutendste industrielle Wandel seit der industriellen Revolution – von einem ebenso starken Sozialprogramm begleitet wird, um einen sozial gerechten Übergang und Investitionen in neue Beschäftigungsmöglichkeiten zu gewährleisten." [1]
Was ist "fair"?
Die bundesdeutschen Demonstrationen standen unter dem Motto "FAIRWANDEL Wahl 21". Die Floskel "fair" muss von Seiten der Gewerkschaften jedoch noch genauer ausbuchstabiert werden. Was bedeutet und beinhaltet ein "fairer" Wandel in der Produktions- und Dienstleistungssphäre im Finanzkapitalismus? Wer sind hier die gesellschaftlich relevanten Akteure, mit welchen divergierenden Interessen? Und dies nicht nur national sondern auch international?
So hat beispielsweise der Verband der Autoindustrie, um bei dem zentralen Thema der Demonstration in Frankfurt zu bleiben, für die nächsten 3 Jahre die Vernichtung von mindestens 178.000 Arbeitsplätzen angekündigt – wie soll dies "fair" von statten gehen?
Einzig eine substanzielle Arbeitszeitverkürzung mit einem substanziellen Lohnausgleich, mit der das vorhandene Arbeitsvolumen auf mehr Kolleginnen und Kollegen verteilt werden könnte, würde hier einen annähernden Ausgleich schaffen. Während jedoch die Kapitalseite in der Autobranche für die anstehenden "Transformation" mit weiteren Milliarden aus dem Bundeswirtschaftsministerium "gepampert" wird, sind zielführende, zeitlich schnell umsetzbare Strategien der IG Metall und der anderen DGB Gewerkschaften bezüglich einer Umverteilung der Arbeit, nicht nur im Automobilsektor, nicht wirklich erkennbar.
IG Metall: FAIRWANDEL. Deutschland muss Industrieland bleiben
In einem Positionspapier der IG Metall wird die Erwartungshaltung der Gewerkschaft an die kommende Bundesregierung konkretisiert. [2] Dieses Positionspapier bietet, in Verbindung mit anderen programmatischen Dokumenten der IG Metall, durchaus Ansatzpunkte für eine betriebliche und gesellschaftliche Debatte in Bezug auf ein anderes Produktionsmodell. Eine Kritik der bisherigen Konsumtionsweise bleibt in dem Positionspapier aber ebenso aus, wie das kritische Hinterfragen der von den Autokonzernen angestrebten individuellen e-Mobilität. Es wird der beschleunigte Ausbau der e-Ladeinfrastruktur gefordert, aber nicht hinterfragt, welchen Sinn es macht, die Autos mit Verbrennungsmotoren innerhalb der nächsten 10 Jahre 1:1 durch e-Autos zu ersetzen, so wie dies von den Konzernlenkern und deren Kapitalgebern angestrebt wird. Hier gibt es also noch etliche Bereiche, die durch eine breite betriebliche und gesellschaftliche Debatte ausgeleuchtet werden müssen.
Adressat des Aktionstages am 29.10.21 war also auch die zu erwartenden "Ampel-Koalition" auf Bundesebene. Damit es aber nicht bei der sich bereits jetzt abzeichnenden sozial- und klimapolitischen Symbolpolitik bleibt, bei der eine neoliberale Politik des "weiter so" im Namen des Standortes Deutschland und dem damit verbundenen Wachstumsfetisch auch die nächsten 4 Jahre betrieben wird, muss sich der gewerkschaftliche Protest verstetigen und der gesellschaftspolitische Diskurs um die Frage geführt werden, wie eine Politik des "fairen" Wandels denn tatsächlich aussehen müsste und was hier unter "fair" national wie international zu verstehen ist.
Fridays for Future macht es vor, wie politische Themen zu platzieren sind, damit sich überhaupt etwas bewegt und die Klimaaktivisten schrecken dabei auch vor unbequemen Wahrheiten nicht zurück. Ein großer Teil der Klimaaktivisten hat sich von dem Mantra "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass" verabschiedet, ein Weg der Erkenntnis, der den Gewerkschaften noch bevorsteht.
Bei dem notwendigen gesellschaftlichen Umbau, der mit der Begrifflichkeit "Transformation" nicht ausreichend erfasst ist, geht es doch auch um einen Bruch mit der bisherigen kapitalistischen Konsumtions- und Produktionsweise. Dabei kommt man an einer grundsätzlichen Systemkritik nicht vorbei. Fridays for Future hat dafür die Formel "System-Change, not Climate Change" gefunden, die Gewerkschaften sollten diese Formel um eine soziale Dimension erweitern .
Eine sozial-ökologische Transformation benötigt u.a. nicht nur eine Umverteilung von Arbeit, sondern auch eine deutliche Umverteilung von Vermögen. Dazu reicht es nicht aus, an die Politik und die Kapitalseite zu appellieren, oder auf "Kamingespräche" im Kanzleramt mit Herrn Scholz zu zu hoffen. Vielmehr ist der Erkenntnis- und Mobilisierungswille aller DGB Gewerkschaften gefordert. Ebenso ist der Schulterschluss mit allen kämpfenden Belegschaften, den Sozialverbänden, den Klimaaktivisten und der Friedensbewegung zu suchen, mit dem Ziel, den eigenen Forderungen nicht nur Gehör zu verschaffen, sondern sie auch zum Erfolg zu führen. Einzelne Aktionstage werden hierzu nicht ausreichen.
txt: Falk Prahl
zum Aktionstag siehe auch:
Bundesweiter Aktionstag: 50 000 Metaller senden Weckruf an Politik und Arbeitgeber
https://www.igmetall.de/thema/fairwandel-aktionstag-29-0ktober-2021
Hessischer Rundfunk zur Demo in Frankfurt: "Bundesweiter Aktionstag der IG-Metall"
https://www.hessenschau.de/tv-sendung/bundesweiter-aktionstag-der-ig-metall-,video-161508.html
Anmerkungen
[1] Industrial workers across Europe are mobilising for a Just Transition
https://news.industriall-europe.eu/Article/661
[2] FAIRWANDEL: Deutschland muss Industrieland bleiben
https://www.igmetall.de/politik-und-gesellschaft/bundestagswahl/fairwandel-deutschland-muss-industrieland-bleiben).