Auftakt zu Sozialprotesten in Hannover
20.09.2022: Unter dem Motto "genug ist genug – protestieren statt frieren!" haben sich am vergangenen Mittwoch (14.9.) rund 500 Teilnehmer:innen zu einer ersten Kundgebung in Hannover versammelt. Aufgerufen hatte ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, niedersächsischem Flüchtlingsrat, VVN-BdA, Landesarmutskonferenz, Auf die Plätze! und weiteren linken und sozialen Gruppen.
Aufruf GENUG IST GENUG!Protestieren statt frieren!Die steigenden Kosten für Lebensmittel und Energie sind eine extreme Belastung für Viele. Schon jetzt wird es für die Meisten noch vor dem Monatsende knapp. Ein Großteil des Einkommens geht für die Miete drauf. Viele Menschen wissen nicht mehr, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen. Das neue Entlastungspaket bringt kaum Entlastung. Diese Krise sollen wir alle bezahlen. Die Bundesregierung spricht von Solidarität und ruft zum Sparen auf. Wer aber nichts oder auch nur ein Normaleinkommen hat, kann nicht sparen. Während auf der einen Seite viele Menschen im Winter vor der Wahl stehen, ob sie hungern oder frieren, streichen auf der anderen Seite Energie- und Ölkonzerne als Krisengewinner milliardenschwere Übergewinne ein. Die bisherigen Entlastungspakete der Bundesregierung reichen nicht aus, um an dieser sozialen Schieflage nachhaltig etwas zu ändern. Für Aufrüstung und Militär finden sich mal eben 100 Milliarden Euro. Für bezahlbaren Nahverkehr ist aber kein Geld da. Auch die jetzige Bundesregierung setzt die bisherige Umverteilung von unten nach oben fort. Aber nicht mit uns! Wir fordern, dass das Leben bezahlbar bleibt! Das heißt: • Weg mit der unsozialen Gasumlage! Her mit einem Energiepreisdeckel - Jetzt! Wir rufen alle Menschen auf, gegen die unsoziale Politik zu protestieren und sich für eine solidarische Gesellschaft einzusetzen, in der niemand frieren oder hungern muss. Genug ist genug! Nur gemeinsam können wir unser Recht auf warme Wohnungen und volle Teller erkämpfen! Bei unserem Protest haben Verschwörungsideologien, Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und Hetze keinen Platz. Für ein solidarisches Miteinander! |
Von den steigenden Kosten für Energie und Lebensmitteln sind alle betroffen, auch der sog. Mittelstand gerät unter Druck, wie der zeitgleiche Protest der Bäcker:innen einige Straßen weiter zeigt.
Harald Haupt, GEW-Kreisvorsitzender in Hannover, schildert eindrücklich, wie Kinder sich in diesen ersten Wochen nach den Sommerferien gehäuft dafür entschuldigten, dass sie noch keine neuen Mappen oder passende Turnschuhe hätten, weil den Familien dafür gerade das Geld fehle. Wütend mache ihn dann umso mehr, wenn der Bundesfinanzminister in TV-Interviews davon spreche, dass es auf Grund der Krise allen schlechter gehen werde und er sich kurz darauf bei seiner Hochzeit auf Sylt und im protzigen Porsche ablichten lasse. Für Haupt sei damit klar, dass die FDP nicht in den Landtag in Niedersachsen gehöre.
Der Redner vom Studierendenverband Die Linke.SDS verzichtet seit 2 Jahren! Studierende hätten während der Pandemie durch online-Seminare und geschlossene Mensen auf soziale Kontakte und studentischen Austausch verzichtet. Jetzt explodierten die Preise. Nudeln kosteten z.B. das Doppelte, die Mieten seien schon vorher viel zu hoch gewesen. Rentner:innen und Studierende seien bislang vergessen worden, jetzt bekämen sie immerhin eine Einmalzahlung, aber die reiche noch nicht einmal für die Energiekosten-Nachzahlung.
Der niedersächsische Flüchtlingsrat befürchtet eine weitere Verschärfung der besonders prekären Lebensumstände der Geflüchteten. Je nach Status gelte ein Arbeitsverbot, so dass es keine Möglichkeit gebe, der Armut zu entkommen. Etwa 250.000 Menschen lebten seit Jahren mit einer Duldung. Das Asylbewerberleistungsgesetz, wonach die Geflüchteten unter dem Existenzminimum leben müssten, gehöre abgeschafft. Der jetzige Wohlstandsverlust in unserer Gesellschaft sei die Grundlage für Verschwörungserzählungen und das Ausmachen von Sündenböcken. Wir müssten uns deshalb deutlich für eine solidarische Gesellschaft einsetzen.
Für Klaus Dieter Gleitze von der Landesarmutskonferenz Niedersachsen ist die jetzt drohende Existenznot einer größer werdenden Bevölkerungsschicht auch eine Folge von 30 Jahren neoliberaler Umverteilungsorgien. Die Armen würden immer ärmer und immer mehr. Jeder 6. Mensch in Niedersachsen sei so arm, dass am Monatsende kein Geld für Essen da sei. Arme seien von der Inflation 5x mehr betroffen durch die steigenden Lebensmittelpreise. Die Not lindern und zur Tafel gehen sei auch keine Option mehr, da die Tafeln einen Aufnahmestopp hätten. Notwendig sei jetzt eine vollständige Übernahme der Energierechnungen von Hartz-IV-Empfänger:innen, die Fortführung des 9-Euro-Tickets und eine Beteiligung der Super-Reichen durch Vermögensabgaben. Gleitze habe vor 3 Tagen, dem Tag der Wohnungslosen, interessiert Steinmeiers Rede gehört in der er fragte: "Warum kriegen wir das eigentlich als reiche Gesellschaft nicht in den Griff?" Die richtige Antwort an den Bundespräsidenten wäre: "Weil es politisch nicht gewollt ist!"
Andrea Wehmheuer, stellvertretende Landesbezirksleiterin von ver.di Niedersachsen-Bremen fordert deutliche Nachbesserungen des 3. Entlastungspakets. Wir bräuchten einen Gas- und Strompreisdeckel. Während wir 100 Milliarden zusätzlich für Aufrüstung und Militär ausgeben, könne es nicht sein, dass kein Geld für bezahlbaren Nahverkehr da sei. Für die anstehende Tarifrunde im öffentlichen Dienst halte sie eine 10% Tarifforderung für berechtigt, um zumindest die Inflation auszugleichen.
Auffällig bei der Kundgebung war, dass sich alle drum herum gedrückt haben, etwas zum Krieg zu sagen. Vielleicht um keinen Widerspruch zu provozieren.
In Niedersachsen wird am 9. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Die aktuellen Preisexplosionen schüren Existenzängste. Das Einschwören auf Verzicht und Entbehrungen angesichts des Krieges gegen die Ukraine drohen bei vielen Menschen Abwehrreaktionen zu befeuern und wie so oft in Krisen, weiter nach unten zu treten. Rassistische, antisemitische, nationalistische Parolen treffen leichter auf Menschen, denen Angst gemacht wird und die derzeit von massiven Einschränkungen bis hin zu real bedrohlichen Szenarien von Hunger und Frieren im Winter betroffen sind. Darum ist es richtig und wichtig jetzt breite Bündnisse zu stärken, sich gegen die unsoziale Politik zu stellen und den rechten Parolen unsere berechtigten Forderungen entgegen zu stellen und sich solidarisch zusammen zu schließen. In Niedersachsen gilt es, den Wiedereinzug der AfD in den Landtag zu verhindern. Auch dafür brauchen wir einen breiten Protest gegen ein erneutes Abwälzen der Krisenlasten auf uns unter Verschärfung der sozialen Schieflage, während Großkonzerne als Krisengewinnler "Übergewinne" einfahren. Der Gefahr, dass sich Rechte wie die AfD die Krise zunutze machen, müssen wir uns gemeinsam entgegenstellen.
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