07.11.2022: Mehr als 100.000 zogen am Samstag in Rom von der Piazza della Repubblica zur etwa drei Kilometer entfernten Piazza San Giovanni: "Unterschiedlich, aber vereint, dass die Logik des Friedens über die Logik des Krieges siegt, dass die Vernunft der Gewaltlosigkeit über den Wahnsinn des Krieges siegt. Deshalb müssen die Waffen zum Schweigen gebracht werden. Im Namen der Solidarität mit dem ukrainischen Volk und den Opfern aller Kriege."
Mehr als 100.000 Menschen aus ganz Italien kamen mit Zügen, Bussen und Autos auf die Piazza della Repubblica, wo die Koalition "Europa für den Frieden" - ein Zusammenschluss von über 600 italienischen Organisationen, die sich mit Initiativen, Mobilisierungen und Vorschlägen für den Frieden in der Ukraine, gegen Krieg, Aufrüstung und nukleare Gefahren einsetzen - eine breite und sogar uneinheitliche Bewegung zusammenrief, die aber gemeinsam einen sofortigen Waffenstillstand, Verhandlungen und eine Friedenskonferenz zum Ukraine-Krieg forderte.
"Wir demonstrieren heute, dass die Logik des Friedens über die Logik des Krieges siegt, dass der Geist der Versöhnung über den Geist der Rache siegt, dass die Vernunft der Gewaltlosigkeit über den Wahnsinn des Krieges siegt. Deshalb müssen die Waffen schweigen. Deshalb ist der einzige Weg die UN-Diplomatie für einen sofortigen Waffenstillstand und Verhandlungen zwischen allen Parteien auf der Grundlage der Achtung des Völkerrechts und der gemeinsamen Sicherheit sowie - langfristig - die Einberufung einer internationalen Friedenskonferenz", heißt es in einer Erklärung des Nationalen Komitees von "Europa für den Frieden".
Die Demonstration am Samstag war mit zahlreichen Initiativen und Aktionen vorbereitet worden, wie z.B. das "Hundert-Städte-Wochenende", an dem genau hundert große und kleine Städte Veranstaltungen, Mahnwachen, Konferenzen oder Konzerte organisierten. Oder die Aktion in Mailand am vorhergehenden Samstag, wo ein Flashmob für den Frieden stattfand, bei dem sich etwa fünfzig weiß gekleidete Menschen mit Plakaten mit der Aufschrift "Frieden" in allen Sprachen der Welt versammelten, um den Text von Primo Levis "Der Waffenstillstand" vorzulesen.
Starke katholische Präsenz
Unterstützung kam von Matteo Zuppi, Kardinal von Bologna und Vorsitzender der Italienischen Bischofskonferenz, der einen Brief an "diejenigen, die für den Frieden marschieren" veröffentlichte, in dem er betont, dass "... einige sagen werden, dass eine Demonstration nutzlos ist, dass es größere Probleme gibt und erklären werden, dass es immer etwas Entscheidenderes zu tun gibt... stattdessen ist es wichtig, dass jeder sieht, wie groß unser Wunsch nach Frieden ist."
Eine Woche vor der Demonstration in Rom veröffentlichten die Vorsitzenden von 47 katholischen Vereinigungen und Bewegungen ein Dokument, in dem sie die Machthaber auffordern, die Waffen niederzulegen - sie nicht zu benutzen, nicht zu verbreiten, nicht mit dem Einsatz von Atomwaffen zu drohen - und den Dialog und die Diplomatie wieder aufzunehmen. "Das Kriegsdrama ist wieder ganz in unserer Nähe", schreiben die Verbände und verurteilen den Krieg, der "durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine" ausgelöst wurde", und die "vielen anderen Kriege, die über die ganze Welt verstreut sind und meist vergessen werden, weil sie weit von uns entfernt sind. .. Wir wollen wir uns der Stimme von Papst Franziskus anschließen, um ein entschlosseneres Engagement für die Suche nach Frieden zu fordern. Sich ausschließlich auf die Logik der Waffen zu verlassen, ist ein Versagen der Politik. Als Protagonist muss sich unser Land in der Europäischen Union, der UNO und der NATO für den Frieden einsetzen. Dialog, Konfrontation und Diplomatie sind die Wege, die wir mit Entschlossenheit beschreiten müssen".
Papst Franziskus: "Dies ist ein Weltkrieg. Ich sehe Imperialismen im Konflikt." |
Demonstration: Ein buntes Volk mit vielen roten Fahnen
Der Demonstrationszug setzte sich kurz nach 13 Uhr in Bewegung, als der Bürgermeister von Rom, Roberto Gualtieri, auf dem Platz eintraf. "Jetzt", sagt ein Moderator der Kundgebung ins Mikrofon, "ist der Bürgermeister da und wir können gehen". Zu den Klängen von Bella Ciao zogen die Demonstrant:innen los. Ein buntes Volk, das sich der Plattform "Europa für den Frieden" angeschlossen hat, aber nicht auf seine Plakate, Abzeichen und Fahnen verzichtete: Fahnen der Union der Universitätsstudent:innen, die weißen Fahnen der katholischen Arbeitnehmerbewegung ACLI, die blauen Fahnen der katholischen Laienbewegung Sant'Egidio, der große LKW der Kulturorganisation ARCI mit einem riesigen Bild von Guernica umgeben von roten Luftballons und unübersehbar die roten Fahnen der Gewerkschaften. Dabei kam es auch zu dem ungewöhnlichen Bild, dass die katholischen Pfadfinder:innen vom "legendären" Ordnertrupp der CGIL begleitet wurden.
In der Demonstration auch Vertreter:innen von denjenigen, die unter anderen Kriegen leiden: palästinensische Fahnen, aber auch iranische. Es gibt eine Gruppe von Hazara, einer verfolgten Gemeinschaft in Afghanistan, und eine Gruppe von burmesischen Frauen aus der Vereinigung Italien-Burma. Unter ihnen befinden sich wie immer auch Nonnen. Ihre Anwesenheit lässt die in der Plattform Europa für den Frieden geforderte Solidarität mit den Opfern "aller Kriege" deutlich werden.
Es dauerte zwei Stunden von Beginn der Demonstration bis die letzten die Piazza della Repubblica mit einem weißen Banner mit der Aufschrift "Frieden" in zehn Sprachen verlassen konnten.
Bei der Kundgebung auf der Piazza San Giovanni wechselten sich etwa zehn Redner:innen alle drei Minuten am Mikrofon ab: Lisa Clark (Kampagne für ein Atomwaffenverbot ICAN), Rossella Miccio (Emergency, eine Organisation, die zivilen Kriegsopfern medizinische Hilfe leistet), Gianfranco Pagliarulo (Vereinigung der italienischen Partisanen ANPI), Emiliano Manfredonia (katholische Arbeitnehmervereinigung ACLI), Gianpiero Cofano (Stop the War Now), Francesco Scoppola (katholischen Pfadfinder:innen AGESCI), Nicolas Marzolino (Civilian War Victims-ANVCG), der selbst durch eine nicht explodierte Bombe verstümmelt wurde.
Raffaella Bolini, die für die Kulturassoziation ARCI sprach, sagte: "Um Frieden zu schaffen, ist es nicht sinnvoll, sich am Krieg zu beteiligen. Wenn wir warten, bis die Soldaten abgezogen sind, und erst dann anfangen, über den Frieden zu reden, riskieren wir, so lange zu warten, dass wir in der Zwischenzeit alle tot sein könnten."
Don Luigi Ciotti (Anti-Mafia Organisation LIBERA) wandte sich an die "befriedeten Gewissen", die sich nicht über das derzeitige Wirtschaftssystem empören, das Ungleichheit und Ungerechtigkeit hervorbringt. Er bezeichnete die Großfinanz, die großen Reichtümer, die multinationalen Konzerne als "weniger sichtbare Orte", "hinterhältig", nie Gegenstand der Kritik. Am schlimmsten seien die, die sich über den Pazifismus lustig machen, die große Ergriffenheit für die angegriffene Ukraine zeigen, die jedoch nicht mit der gleichen Besorgnis für all das Übel einhergeht, das dieses System hervorbringt.
Don Camillo und Peppone
Das Neueste und Interessanteste an dieser Demonstration war die außergewöhnliche katholische Präsenz, die sich in den Reden auf der Bühne widerspiegelte, so dass am Schluss ein ungewöhnliches Paar mit längerer Redezeit auf der Bühne steht: der Gründer der katholischen Laienbewegung Sant'Egidio, Andrea Riccardi, und der Vorsitzende der linksorientierten Dachgewerkschaft CGIL, Maurizio Landini.
"Wir sind nicht neutral", erklärte Andrea Ricciardi zu Beginn seiner Rede, "wir sind auf der Seite des Friedens. Und wir fordern, dass die Konflikte ohne Gewalt gelöst werden müssen". "Aber der Frieden ist zu lange vergessen worden, vielleicht weil wir Europäer ihn für selbstverständlich gehalten haben, vielleicht weil die Generation, die den Zweiten Weltkrieg und die Shoah erlebt hat, verschwunden ist. Ich höre die Leute von 'Frieden als Verrat' sprechen, aber wenn man dies genau betrachtet, dann ist es der Frieden, der verraten wird. Der Krieg in Syrien, der immer noch andauert, war die Generalprobe für den Krieg in der Ukraine. Heute beginnen Kriege, die nie enden, und so werden Völker ausgelöscht." Und weiter: "Der Frieden muss für die von Russland vergewaltigte Ukraine gewährleistet werden." An Putin appellierte er, "Russland aus der Spirale des Krieges herauszuholen". Zelenski fordert er auf, ernsthafte Friedensgespräche zu akzeptieren, anstatt jedes Treffen abzulehnen.
Im Sinne der von der Gemeinschaft Sant'Egidio initierten Konferenz, zu der vor zwei Wochen nicht nur der Papst, sondern auch Staatsoberhäupter wie Emmanuel Macron nach Rom gekommen waren, um über eine mögliche Wiederaufnahme der Verhandlungen zu sprechen, forderte Ricciardi zum Schluss seiner Rede, "eine neue Initiative für die Diplomatie", denn "nur der Dialog und die Diplomatie werden uns den Frieden bringen, unter Einbeziehung der Vereinten Nationen, der USA und Europas, das seine eigene Friedenspolitik haben muss". "Frieden ist keine Schwäche, Frieden gehört allen: seid mutig".
Die letzte Rede hielt Maurizio Landini, der Mann, der mit der Mobilisierung der Gewerkschaften am meisten zur großen Beteiligung an der Demonstration beigetragen hat. Die starke Präsenz der CGIL und der Einzelgewerkschaften, die bei der Demonstration in den vorderen Reihen marschierten, war unübersehbar: Metallarbeiter:innen der FIOM, Eisenbahner:innen, Lehrer:innen, Delegationen von Betrieben, Rentner:innen.
"Wir sind über 50, aber wir sind nicht gefährlich", scherzt Landini zu Beginn seiner Rede und spielt auf das Rave-Dekret der neuen Regierung an, nachdem bei mehr als 50 Beteiligten an einer Rave-Party Haftstrafen drohen. Aber dann wird der CGIL-Vorsitzende, der "im Namen der Gewerkschaftsbewegung" spricht, sofort ernst: "Wir sind gegen diejenigen, die den Krieg verursacht haben, d.h. gegen Putin", begann Landini, um noch einmal die Unterstützung des ukrainischen Volkes zu verdeutlichen, "aber wir können uns nicht mit einem Krieg abfinden, denn die Gefahr eines nuklearen Konflikts ist konkret. ... Im Mittelmeer sind Atom-U-Boote unterwegs, der Menschheit setzt ihre Existenz aufs Spiel". Für Landini ist "jetzt die Zeit für Politik".
"Das Schöne auf diesem Platz ist die Einheit, die Tatsache, dass er so viele verschiedene Menschen zusammengebracht hat, das ist der Platz der Brüderlichkeit". Dann folgt der Angriff auf diejenigen, die die Demonstration als Pro-Putin diffamieren. "Sie haben absolut nichts verstanden, wir sind nicht äquidistant, wir sind gegen diejenigen, die diesen Krieg verursacht haben und wir verteidigen das ukrainische Volk. Aber wenn die Diplomatie nach acht Monaten nicht wieder aufgenommen wird, riskieren wir einen Atomkrieg". Dann kehrt er zur Gewerkschaftsbewegung zurück: "Die Welt der Arbeit zahlt für diesen Krieg mit ihrer Haut: Ungleichheiten und Armut nehmen zu. Deshalb sind wir keine Utopisten, sondern die Realisten, wenn wir zum Frieden aufrufen".
Landini sprach auch den Skandal an, dass Rettungsschiffe mit Geflüchteten nicht in italienische Häfen eingelassen werden und sagte empört, dass es "inakzeptabel ist, dass wir den Menschen auf den Schiffen, auf denen sich auch viele Kinder befinden, nicht helfen".
Er stellt konkrete Forderungen: "Ratifizierung des UN-Vertrags zur Abschaffung von Atomwaffen und Stopp der Investitionen in Rüstungsgüter". Dann richtet er den Blick wieder in die Zukunft: "Wir müssen uns an die anderen Hauptstädte wenden, um eine internationale Demonstration für den Frieden zu organisieren". Und zum Platz sagt er: "Ich weiß nicht, wie ich euch nennen soll: Genossen, Freunde, Brüder. Wir werden nicht aufhören, bis Frieden herrscht und das ukrainische Volk in seinem eigenen Land in Frieden leben kann".
PD und M5S orientieren sich neu
Die bei der zurückliegenden Wahl in die Opposition geschickte Demokratische Partei (PD) und die 5-Sterne-Bewegung (M5S) nutzen die Demonstration, um wieder den Schulterschluss mit der Friedensbewegung zu suchen. Insbesondere PD-Chef Enrico Letta musste aber viele Pfiffe und Häme einstecken, als er sich in die Demonstration einreihte. "Der doppelzüngige Letta ist ein unter die Pazifisten eingeschleuster Kriegstreiber", sagte der Vorsitzende von Rifondazione Comunista, Maurico Acerbo.
Guiseppe Conte (M5S): "Wir brauchen einen Durchbruch in Richtung Waffenstillstand und Friedensverhandlungen"
Giuseppe Conte, M5S-Vorsitzender und Ex-Ministerpräsident, versucht die 5-Sterne-Bewegung nach links zu schieben und eine Hegemonie der M5S auf dem gesamten Gebiet der Linken und des Pazifismus aufzubauen, das seit Jahren keine stabilen Formen der politischen Vertretung mehr hat. "Wir haben diese Strategie satt, die nur auf eine militärische Eskalation hinausläuft", sagte er rechtzeitig vor den Mittagsnachrichten in die Mikrophone von Fernsehen und Rundfunk. "Wir brauchen einen Weg zum Frieden, er ist schwer zu bauen, aber wir müssen ihn auch mit diesem Aufruf gehen, der von der schweigenden Mehrheit des Landes kommt."
Für Conte hat sich das Szenario geändert. "Als dieser Konflikt begann, dachte niemand, dass die Ukraine sich selbst überlassen bleiben sollte", sagt er. "Aber diese Strategie hat nichts gebracht, außer Eskalation". "Die Ukraine ist jetzt voll bewaffnet, wir brauchen einen Durchbruch in Richtung Waffenstillstand und Friedensverhandlungen", so Conte weiter. Er gibt zu verstehen, dass der Krieg zwischen Russland und der Ukraine zu groß geworden ist, um nur den Aggressor und das angegriffene Land zu betreffen: "Die Verhandlungen müssen von der internationalen Gemeinschaft geführt werden. Wir können die Festlegung der Bedingungen für diese Verhandlungen nicht allein den kriegführenden Ländern überlassen". Dann warnte er den neuen Verteidigungsminister vor neuen Waffenlieferungen an die ukrainische Front.
Maurizio Acerbo, Nationaler Sekretär von Rifondazione Comunista, sagte, dass Rifondazione und Unione Popolare trotz dieser Heuchelei mit dabei sind, "denn jetzt kommt es darauf an, die Friedensbewegung zu stärken und die kriegerische Hysterie zu stoppen, die uns an den Rand eines Atomkriegs führt". Mit der Demonstration gehe es darum, "einen Waffenstillstand und die Aufnahme von Verhandlungen zu fordern, Nein zur Invasion Putins und zum Stellvertreterkrieg der NATO und der USA gegen Russland zu sagen, eine diplomatische Lösung und eine Friedenskonferenz, einen Stopp der Waffenlieferungen, den Beitritt Italiens zum Vertrag über das Verbot von Atomwaffen und eine Reduzierung der Militärausgaben zu fordern".
Der ehemalige Vorsitzenden der linken Metallgewerkschaft FIOM-CGIL, Giorgio Cremaschi, fasst zusammen:
"Für mich ist die unmittelbare und entscheidende Forderung der heutigen PEACE-Demonstration der Waffenstillstand. Denn sie richtet sich wirklich an alle Kriegsparteien, an Russland, an die Ukraine, an die NATO.
Denn wenn die Waffen jetzt schweigen, hört auch das Töten auf.
Denn wenn man die Kämpfe an der gegenwärtigen Frontlinie einstellt, erkennt man praktisch an, dass niemand den Krieg militärisch gewinnen kann, dass Russland die Ukraine nicht besiegen und die Ukraine keine verlorenen Gebiete zurückgewinnen kann.
Denn nach dem Waffenstillstand wird das Wort an Verhandlungen und Friedenskompromisse weitergegeben, ohne die der Krieg auf unbestimmte Zeit weitergehen oder in eine nukleare Katastrophe ausarten wird.
Diejenigen, die für den Waffenstillstand sind, können nicht für die Entsendung von Waffen sein, die dieses Feuer anheizen. Wer, wie die Demokratische Partei, für den Frieden auf die Straße geht, dann aber für die Lieferung von Waffen stimmt, ist moralisch und politisch unehrlich gegenüber anderen und auch gegenüber sich selbst.
Heute stehen sich zwei Parteien gegenüber: die eine will den Krieg gewinnen und riskiert dabei sogar die Auslöschung der Menschheit, und die andere will Frieden, weil niemand diesen schmutzigen Krieg gewinnen kann oder soll.
Es gibt keinen Mittelweg, denn die einzige Möglichkeit, den Krieg zu beenden, besteht darin, Frieden zu schließen.
WAFFENSTILLSTAND JETZT!
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