13.01.2023: Grüne verteidigen die Räumung: Der Kompromiss mit RWE nütze dem Klima ++ Klimaaktivist:innen: Mit Verfeuerung der Kohle unter Lützerath können Pariser Klimaziele nicht eingehalten werden ++ Offener Brief der Grünenbasis an Habeck: "Grüne Grundwerte nicht verraten: Lützerath muss bleiben"
Die Räumung von Lützerath hat am Mittwoch (11.1.) begonnen. Wer Lützerath nicht freiwillig verlasse, "müsse mit der Anwendung unmittelbaren Zwangs rechnen", schallte es am Mittwochmorgen aus Lautsprechern der Polizei. Nach kurzer Unterbrechung setzt die Polizei die Räumungen in Lützerath am Freitag fort.
Die Spitze der Grünen verteidigt die Räumung. Die Braunkohle unter Lützerath sei notwendig, um die Energieversorgung in Deutschland angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine zu gewährleisten, heißt es von den Grünen, wobei verschwiegen wird, dass die Energieversorgung durch den von EU und der Bundesregierung geführten Wirtschaftskrieg gegen Russland verursacht wird. Der Abbau sei Teil eines "Kompromisses", den er "wirklich gut tragen" könne, sagte Grünen-Chef Omid Nouripour. Der Deal habe fünf Dörfer vor der Räumung bewahrt und den auf 2030 vorgezogenen Ausstieg aus der Kohle ermöglicht.
Der Kompromiss mit RWE nütze dem Klima, heißt es, denn RWE habe im Gegenzug zur Abbaugenehmigung für die schmutzige Braunkohle am Tagebau Garzweiler wesentliche Zugeständnisse gemacht. Die von den Grünen geführten Wirtschaftsministerien in Bund und Land NRW konnten so mit dem Energiekonzern einen auf 2030 vorgezogenen Kohleausstieg vereinbaren. "Wir haben eine Vereinbarung mit RWE geschlossen, die dazu führt, dass der Tagebau um die Hälfte verkleinert wird", sagte NRW-Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) am Mittwoch im Deutschlandfunk. Dadurch blieben 280 Millionen Tonnen Kohle unter der Erde. "Das ist einer der größten Fortschritte, die wir in den letzten Jahren gemacht haben."
Unsinn, heißt es von den Klimaaktivist:innen. "Der sogenannte Kompromiss, von dem Herr Nouripour spricht, ist ein Greenwashing-Deal mit RWE." Sie verweisen auf eine Studie des Energieberatungshauses Aurora, nach der der vorgezogene Kohleausstieg wenig zum Klimaschutz beiträgt. Im Gegenteil. Durch die kurzfristige "Rückholung" von Kohlemeilern würden sogar bis zu 61 Millionen Tonnen CO₂ mehr ausgestoßen.
"Der Deutsche Bundestag befürwortet zudem den Erhalt des Dorfes Lützerath am Tagebau Garzweiler und den Verzicht auf die Nutzung der Braunkohle unter dem Dorf." |
"Lützerath ist schlicht das falsche Symbol“
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck
Von Seiten der Grünen heißt es, der Protest gegen den Kohleabbau in Lützerath sei reine "Symbolpolitik". Lützerath sei die falsche, weil aussichtslose Baustelle. Der Blick müsse nach vorn gehen: zum Engagement für eine substantielle Verkehrswende, zu Ausbau der erneuerbaren Energien, der Gebäudesanierung usw.
Aus Kohleausstieg wird Kohleintensivierung
Die Klimaaktivstinnnen und Sprecherinnen von Fridays for Future, Luisa Neubauer und Pauline Brünger, entgegnen, dass es "praktisch unmöglich" wird, die Pariser Klimaziele einzuhalten, wenn die Kohle von Lützerath gefördert und verbrannt wird:
"Die Kohleflöze unter dem Dorf sind besonders dick, bis zu 280 Millionen Tonnen CO2 würden emittiert, sollte die gesamte Menge verbrannt werden. Laut Studien des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung [2] wird es praktisch unmöglich, die Pariser Klimaziele und damit das Verfassungsgerichtsurteil noch einzuhalten, sobald diese Kohle unter Lützerath einmal im Kraftwerk am anderen Ende der Garzweiler Grube angekommen ist. Doch genau das soll passieren. ...
Klimaschutz passiert nicht dann, wenn Ausstiegszahlen nach vorne verschoben werden, sondern wenn real Emissionen Richtung Null gefahren werden. Der Kohleausstieg 2030 ist für uns als Klimabewegung deshalb wichtig, weil wir dahinter einen realen Rückgang der Kohleverstromung in Deutschland fordern. Genau diese Idee entkernen die Grünen und RWE in ihrem Deal. Zwar werden die Ausstiegsdaten für die Kraftwerke vorgezogen, die Menge an Kohle jedoch nicht begrenzt. Mehrere unabhängige Berechnungen legen nahe, dass durch den Deal keine einzige Tonne CO2 eingespart wird.
Die Kohlemenge, die RWE vorher bis 2038 fördern und verbrennen wollte, wird jetzt schlicht schon in der Hälfte der Zeit verstromt. Aus Kohleausstieg wird Kohleintensivierung. ... Dieser Kohleausstieg ist vor allem eins: eine Profitschutzmaßnahme für RWE. ...
Statt die Krise argumentativ zu nutzen, um das Ende von Kohle, Öl und Gas einzuläuten, räumen die Grünen den Weg frei für weitere Energieverschwendung. Alles für das fossile Weiter-So, koste es, was es wolle. In diesem Falle: Milliarden Euro und unsere Lebensgrundlagen." [3]
"Seit heute Morgen räumt die Polizei das von Klimaaktivist:innen besetzte Lützerath, das den Kohlebaggern von RWE weichen soll. Dabei ist schon jetzt klar, dass mit der hier zusätzlich geförderten Braunkohle das 1,5-Grad-Ziel in Deutschland nicht mehr erreicht werden kann. Fakt ist auch: trotz der aktuellen Energiekrise wird die klimaschädliche Braunkohle unter Lützerath nicht benötigt. Das geht aus einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hervor. Dennoch soll das Dorf plattgemacht werden, denn für RWE winken Profite in Milliardenhöhe. Ausgerechnet die Grünen erteilten dem Konzern für diesen klimapolitischen Wahnsinn den politischen Segen. Zusammen mit der schwarz-grünen Landesregierung handelte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im Oktober einen Deal mit RWE aus, der dem Energieriesen die Ausbeutung der Kohlevorräte unter Lützerath zusichert.  Führende Grünen-Politiker:innen verteidigen nun sogar die gewaltsame Räumung der friedlichen Besetzung. Nicht erst der Wechsel von Annalena Baerbocks Büroleiter zu RWE zeigt die Verfilzung der »Ökopartei« mit der Kohleindustrie – auf Kosten von Mensch und Umwelt. DIE LINKE unterstützt die Proteste und den gewaltfreien zivilen Ungehorsam gegen den Braunkohleabbau im rheinischen Revier. Es ist längst offensichtlich, dass Klimaschutz nicht durch Grüne in Regierungen erreicht wird, sondern durch Protest und Widerstand." Nicole Gohlke, MdB, DIE LINKE |
Als Preis für die Regierungsbeteiligung werfen die Spitzengrünen nicht nur in der Kohlepolitik ihre Prinzipien über Bord: AKW-Laufzeitverlängerung, Bückling für Gas von Wirtschaftsminister Robert Habeck vor dem Emir von Katar, Einkauf von umweltschädlichem Fracking-Gas aus den USA und Scharfmacherei für Waffenlieferungen an die Ukraine - bis hin zur Lieferung von Kampfpanzern Leopard II.
Da geht den Grünen geht die ureigene Klientel auf die Barrikaden: Am Dienstag (10.1.) kippte ein Düsseldorfer Bündnis 250 Kilo Braunkohle-Briketts vor die nordrhein-westfälischen Parteizentrale – und bezeichnete die Grünen als "Kohle-Partei". "Im Wahlkampf den Klimaschutz plakatieren. Nach der Wahl mit RWE paktieren!", war auf Bannern zu lesen. "Wir wollten den Grünen den Spiegel vorhalten, dass sie nicht mehr die Partei der Klimaschützer sind, sondern die Kohle-Partei", sagte ein Sprecher des Bündnisses.
"Grüne Grundwerte nicht verraten: Lützerath muss bleiben."
Auch an der Parteibasis der Grünen rumort es: Einen Offenen Brief gegen die Räumung des Dorfes Lützerath für den Braunkohle-Abbau hatten bis heute Mittag mehr als 2.000 Grünen-Mitglieder unterzeichnet. Darin werden die NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne) aufgefordert, "unmittelbar zu handeln, die Räumung in Lützerath sofort und dauerhaft zu stoppen, die Polizeigewalt zu beenden und den Konflikt und die Klimakrise nicht eskalieren zu lassen".
"Grüne Grundwerte nicht verraten: Lützerath muss bleiben" ist der Brief überschrieben. [4] Als Grünen-Mitglieder könne man die Räumung des Dorfes Lützerath weder verstehen noch hinnehmen.
"Wir Bündnisgrüne haben unsere Wurzeln in der Umweltbewegung. Wir sind die Partei, die Jahre lang Seite an Seite mit NGOs und der Klimabewegung für den Erhalt aller Dörfer und den schnellstmöglichen Kohleausstieg gekämpft hat", stellen die Initiator:innen, darunter die Berliner Bundestagsabgeordnete Canan Bayram, fest.
Der "ausgehandelte Deal mit dem Energiekonzern RWE droht mit den Grundsätzen unserer Partei zu brechen", heißt es weiter. "Und nicht nur das, wir brechen damit auch mit dem Pariser Klimaabkommen, dem Ampel-Koalitionsvertrag und dem letzten Vertrauen der Klimagerechtigkeitsbewegung." Die Kohle unter Lützerath abzubauen bedeute, dass weitere 280 Millionen Tonnen Kohle verbrannt würden. Deutschlands CO2-Budget lasse aber nur noch 47 Millionen Tonnen zu. Damit sei klar, dass Deutschland die 1,5-Grad-Grenze überschreiten werde."
Zum Schluss des Offenen Briefes bedanken sich die Unterzeichner:innen "bei allen Aktivist*innen, die sich für Lützerath einsetzen und damit für Klimagerechtigkeit kämpfen".
Anmerkungen
[1] Deutscher Bundestag, Drucksache 20/2594
https://dserver.bundestag.de/btd/20/025/2002594.pdf
[2]DIW: "Kein Grad weiter - Anpassung der Tagebauplanung im Rheinischen Braunkohlerevier zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze"
https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.819609.de/diwkompakt_2021-169.pdf
[3] taz, 7.1.2023, Luisa Neubauer: "Ihr habt euch verrechnet"
https://taz.de/Fridays-for-Future-ueber-Luetzerath/!5903446/
[4] "Grüne Grundwerte nicht verraten: Lützerath muss bleiben"
https://luetzibleibt.antragsgruen.de/luetzibleibt/grune-grundwerte-nicht-verraten-lutzerath-muss-bleiben-offener-brief-56039