07.05.2014: Nach der jetzt veröffentlichten Statistik der Bundesagentur für Arbeit gab es Ende 2013 bundesweit 6,04 Millionen Hartz-IV-Empfänger. Diese allein schon alarmierende Zahl als ein markanter Ausdruck von Armut und sozialer Ausgrenzung in einem reichen Land erhält zusätzliche Brisanz durch eine weitere Zahl: Von diesen über sechs Millionen erhielten 2,82 Millionen Betroffene, d.h. 47 Prozent, diese karge finanzielle Unterstützung schon mindestens seit 2009. Mit anderen Worten: Fast jeder Zweite bezieht schon seit mehr als vier Jahren Hartz-IV. Und bei Langzeitarbeitslosen über 50 Jahren steigt dieser Prozentsatz auf fast zwei Drittel (63,5 %). Was für eine entmutigende Perspektive! Leben im Hartz-IV-System bis zum Ende seiner Tage!?
"Armut ist für die Aufrechterhaltung der bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse erforderlich, hält sie doch unmittelbar Betroffene, Erwerbslose und Arbeitnehmer/innen gleichermaßen unter Kontrolle. Armut dient als politisch-ideologisches Druckmittel, materielles Disziplinierungsinstrument und soziale Drohkulisse zugleich: Sie demonstriert jenen Menschen, die arm sind, dass ihre Leistungsfähigkeit und/oder -bereitschaft nicht ausgereicht hat, um sich zu etablieren, und sie demonstriert jenen Menschen, die nicht arm sind, dass ihre Loyalität weiterhin nötig ist, um nicht abzustürzen," so der Kölner Sozialwissenschaftler Christoph Butterwegge. Deshalb hält die GroKo an dem neoliberalem Konsenz „Arm durch Arbeit“ als Billiglöhner oder „Arm durch Gesetz“ als Hartz-IV-Empfänger unbeirrt fest.
Ende April trug die vom Bundesarbeitsministerium eingesetzte gemeinsame Arbeitsgruppe von Bund und Ländern der Öffentlichkeit nun Vorschläge zur “Reform und Rechtsvereinfachung” bei Hartz IV vor. Wie nicht anders zu erwarten war, sehen diese Neuerungen in erster Linie das Anziehen von weiteren Daumenschrauben vor, mit dem Ziel, Hartz-IV-Bezieher noch mehr zu drangsalieren und sozial auszugrenzen. Nach Angaben des Bundesarbeitsministeriums könnten die Neuerungen zum Hartz-IV-System im Herbst beschlossen werden und dann ab 2015 in Kraft treten.
So sind als Neuerungen in Zukunft unter anderem geplant: Die Wohnungswahl wird durch noch rigidere Mietobergrenzen weiter eingeschränkt. Wer dreimal einen Termin bei seinem Jobcenter versäumt, dem wird künftig die Hartz-IV-Leistung komplett gestrichen. Bisher hatten die Jobcenter in einem solchen Fall „nur“ einen Teil der Grundsicherung einbehalten. Wer sein Einkommen oder sein Vermögen leichtfertig ausgibt, soll dafür von den Jobcentern nach der geplanten Neuregelung leichter in Haftung genommen werden können.
Die Sozialverbände (Paritätischer, SoVD) kritisierten diese “Reformpläne“ scharf. Wenn künftig die Miete auf einem bestimmten Niveau gedeckelt oder bei Terminversäumnissen die Zahlungen komplett gestrichen werde, “ist das eine unzumutbare Verschärfung” sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Wer wirklich etwas für die Menschen tun wolle, müsse die Regelsätze auf ein bedarfsgerechtes Niveau anheben und insbesondere endlich die Teilhabe von Kindern sicherstellen. Um die Menschen wirksam vor Armut zu schützen, müssten die Regelsätze deutlich von derzeit 391 Euro auf 464 Euro angehoben werden. Die Leistungen für Kinder und Jugendliche seien komplett neu zu organisieren. Notwendig sei vor allem der Ausbau öffentlich geförderter Beschäftigung für Langzeitarbeitslose.
Die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, nannte die Pläne “eine Giftliste, die in Teilen grundgesetzwidrig ist. Das Recht auf Existenzsicherung ist Verfassungsrecht” und werde schon jetzt durch das bisherige Sanktionssystem ausgehebelt. Sie erinnerte an die Petition der „Hartz-IV-Rebellin“ Inge Hannemann (Foto, vor dem Petitionsausschuss), die von Zehntausenden unterstützt wurde und die die Jobcenter-Mitarbeiterin in einer Bundestagsanhörung erläutert hatte. „Deutlicher, eindringlicher kann man die brutalen Auswirkungen von Sanktionen nicht schildern, deutlichere und eindringlichere Gründe für deren ersatzlose Abschaffung kann man nicht nennen“, sagte Kipping. Sie kritisierte zudem, dass die Bund-Länder-Arbeitsgruppe, welche die Vorschläge zur Änderung am Hartz-System formuliert hat, intransparent arbeite. “In ihr sind weder Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaften noch Mitglieder von Erwerbslosen- bzw. Hartz-IV-Initiativen zu finden”. Die LINKE bleibe dabei: “Die Sanktionen im Hartz IV-System sind verfassungswidrig und müssen umgehend abgeschafft werden. Jede Leistungskürzung verletzt das Grundrecht des Betroffenen auf Existenzsicherung und gesellschaftliche Teilhabe. Kurzfristig müssen die Hartz-IV-Regelsätze auf 500 Euro erhöht werden.“
Aktuelle Grundrechtsreform: Die Würde des Menschen ist unantastbar: Außer er ist Hartz-IV-Empfänger. Die Antastbarkeit der Würde von Hartz-IV-Empfängern ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (Werner Lutz, www.einheiztext.de)
Text: gst Fotos: Elias Schwerdtfeger / linksfraktion
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