27.02.2015: Heute hat der Deutsche Bundestag mit einer großen Mehrheit der Verlängerung des Hilfsprogramms für Griechenland zugestimmt. Neben den Koalitionsfraktionen stimmten auch LINKE und Grüne mehrheitlich für den Antrag von Finanzminister Wolfgang Schäuble. Schäuble zeigte sich vor der Abstimmung "fassungslos" über den griechischen Finanzminister Varoufakis, weil dieser über die Schulden Griechenlands verhandeln will.
Währenddessen macht "Bild" mit einer widerlichen und volksverhetzenden Kampagne Stimmung gegen Griechenland.
Varoufakis für Umschuldung
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU)zeigte sich vor der Abstimmung "fassungslos" über den griechischen Finanzminister Varoufakis. Dieser hatte am Mittwoch einem griechischen Rundfunksender auf die Frage, wie er sich ein Lösung der griechischen Schuldenkrise vorstellen könne, aber nur die bekannte Position der griechischen Regierung vorgetragen: "Ich spreche über Umschuldungen, die unsere Schuldenlast deutlich senken (würden)". Griechenland und die Europartner müssten über eine Umstrukturierung der griechischen Schulden reden, bekräftigte er noch einmal am Freitag im griechischen Fernsehen Antenna. "Noch ist nichts zu Ende. Uns steht ein Berg so groß wie Everest bevor." Der Grund, weswegen Athen eine viermonatige Verlängerung des Sparprogramms gewollt habe, sei, dass eine "Neuverhandlung über die Schulden beginnt", sagte Varoufakis. Varoufakis wiederholte seinen Vorschlag, die Rückzahlung der griechischen Schulden an das Wirtschaftswachstum des Eurolandes zu koppen. Die Europäer müssten umdenken. "Wir müssen aufhören als Deutsche oder Griechen zu denken", sagte er.
In einem Interview mit der französischen Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" warnte Varoufakis Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und dessen Eurokollegen, demokratisch gewählten Regierungen wie der seinen die Luft abzuschnüren und die WählerInnen in die Verzweiflung zu stürzen: "Wenn ihr denkt, ihr tut gut daran, progressive Regierungen wie unsere zur Strecke zu bringen, dann macht euch auf das Schlimmste gefasst … dann profitieren davon nur die Fanatiker, die Rassisten, die Nationalisten und all diejenigen, die von Angst und Hass leben", sagte er in Richtung Berlin und Brüssel.
Große Mehrheit für Verlängerung
Schäuble bemühte sich nicht, seinen Unmut über die griechische Regierung zu verbergen. Bereits in den Verhandlungen der Euro-Gruppe mit Griechenland war Schäuble der Kopf der Austeritäts-Hardliner. Mit dieser harten Haltung will er die Geschlossenheit der Euro-Gruppe gegenüber Griechenland erhalten und die Zweifler und Opponenten in den eigenen CDU/CSU-Reihen besänftigen. Ausdrücklich äußerte er Verständnis für die Abgeordneten, die Probleme mit der Zustimmung haben. Die Entscheidung über eine Verlängerung des aktuellen Hilfsprogramms für Griechenland falle keinem Abgeordneten des Deutschen Bundestags leicht, sagte er im Parlament.
Am Ende stimmten 541 Abgeordnete aus allen Fraktionen zu – so viele waren es noch nie, wenn es um "Rettungsprogramme" für Griechenland ging. Nur 32 Abgeordnete - darunter 29 der Unionsfraktion - stimmten mit Nein, 13 enthielten sich. Doch gerade in Schäubles CDU und bei der CSU ist die Ablehnung groß. Viele Abgeordnete werden sich wohl das letzte Mal zu einer Zustimmung haben bewegen lassen. Und das wohl auch nur, weil mit der Entscheidung keine neuen Finanzhilfen verbunden sind, sondern bereits beschlossenen nur verlängert werden.
LINKE erstmals für "Rettungsprogramm"
Während in der Unionsfraktion die Zahl der Ablehner sprunghaft angestiegen ist, hat die Fraktion der LINKEN erstmals mehrheitlich einem Griechenland-Paket zugestimmt. Am Freitag votierten nur noch drei Abgeordnete der LINKEN dagegen, neun enthielten sich.
Sabine Leidig erklärte in einer persönlichen Stellungnahme ihre Solidariät mit SYRIZA und begründete ihre Enthaltung mit der "Absicht der Bundesregierung, die bisherige Erpressungspolitik gegenüber Griechenland nahtlos weiter zu betreiben, wie sie in dem heute dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegten Antrag zum Ausdruck kommt. Finanzminister Schäuble unterstreicht, dass kein einziger Euro fließt, bis das Troika-Diktat aus Sicht der Institutionen in den nächsten Wochen erfolgreich abgearbeitet wird. Zudem gibt es keinerlei Entgegenkommen hinsichtlich der untragbaren Schuldenlast Griechenlands." (Stellungnahme im Wortlaut weiter unten)
Bild hetzt
Die "Bild" Zeitung hatte mit einer widerlichen, anti-griechischen Kampagne versucht, Druck auf den Bundestag auszuüben. Sie druckt ein riesiges NEIN zu weiteren Finanzhilfen- "NEIN! Keine weiteren Milliarden für die gierigen Griechen!" – und fordert ihre LeserInnen auf, sich mit mit dieser Schlagzeile zu fotografieren und die Bilder an die Redaktion senden.
Der Deutsche Journalistenverband (DJV) forderte das Springer-Blatt auf, diese Aktion gegen die Verlängerung der Griechenland-Hilfen sofort zu stoppen. Es handele sich um eine "Kampagne", die direkten Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen wolle, erklärte der DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken. Zeitungen wie die "Bild" würden zwar einen anderen journalistischen Stil pflegen, aber die Selfie-Aktion überschreite "die Grenze zur politischen Kampagne" und diffamiere ein ganzes Volk, sagte Konken.
Der Liedermacher Konstantin Wecker schrieb an den Bild-Herausgeber Kai Diekmann, der sich in eine Reihe mit den "Stern"- und SPIEGEL-Gründern Henri Nannen und Rudolf Augstein gestellt hatte:
Herr Diekmann,
Sie twitterten gestern: „Politische Kampagne ist Grenzüberschreitung? Das hättet ihr mal Henri Nannen oder Augstein erzählen sollen!“ Man mag die beiden mögen oder nicht - sie waren Journalisten. Sie sind hingegen nur der Herausgeber eines Schmierblattes.
Sie haben mit Nannen und Augstein so wenig gemein, wie ein Furz mit einem Sommerwind.
Es reicht! Die langjährige menschenverachtende Hetze der BILD gegen Griechenland hat mit der Selfie-Aktion „NEIN zu weiteren Milliarden für die gierigen Griechen“ ihren verabscheuungswürdigen Höhepunkt erreicht.
Nicht die Griechen sind gierig, sondern Ihre Zeitung ist gierig. Gierig danach, die Menschen systematisch zu verdummen.
Liebe Griechen,
wir schämen uns für diese Zeitung.
Schon seit langem.
Und jetzt erst recht.
Konstantin Wecker
Auch Blockupy Europe stellt sich der Hetze von "Bild" entgegen und organisiert eine Gegen-Kampagne "Selfies gegen Hetze- Solidarität statt Austerität! Mehr Athen, weniger Berlin!". Blockupy fordert auf, sich mit einem Poster zu fotografieren und das Foto per Facebook-Nachricht an Blockupy zu senden und/oder auf die eigene facebook-Seite zu stellen.
txt: lm
Persönliche Erklärung von Sabine Leidig:
„Ich habe mich bei der Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung zur Verlängerung der Stabilitätshilfe für Griechenland enthalten aus folgenden Erwägungen:
Die neue vom Linksbündnis Syriza geführte griechische Regierung ist eine riesige Chance nicht nur für das massiv unter der von der Troika verordneten Kürzungspolitik leidende Griechenland, sondern für ganz Europa. In Griechenland wird der Kurs zur Beendigung des Kürzungsdiktats in einer Umfrage nach der Wahl von einer überwältigenden Mehrheit von 80 Prozent der griechischen Bevölkerung unterstützt.
Die Bilanz von Merkels Kürzungsdiktat ist auch für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland und Europa vernichtend. Rund 90 Prozent der „Griechenland-Kredite“ kamen nie in diesem Land an. Sie dienten der Befriedigung des Schuldendienstes und flossen an den Finanzsektor. Banken, Hedgefonds und andere privaten Gläubiger wurden mit öffentlichen Mitteln gerettet. Durch das Kürzungsdiktat der Troika wurde soziale Not und Verelendung für die Mehrheit der Bevölkerung organisiert, die griechische Wirtschaft eingebrochen und die Superreichen wurden geschont. Deshalb war es richtig, die vergangenen Hilfspakete für Griechenland abzulehnen.
JA: Nur durch einen Kurswechsel der bisherigen Krisenpolitik um 180 Grad lässt sich in Europa eine gedeihliche Entwicklung einleiten. Genau dafür steht die neue griechische Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras.
Syriza hat recht, wenn sie für Griechenland einen „New Deal“ fordern. Eine Entschuldung, wie sie auch Deutschland 1953 erfahren hat. Um ein Umschuldungsprogramm neu verhandeln zu können, braucht die griechische Regierung Zeit.
In den harten Verhandlungen der vergangenen vier Wochen hat Syriza der Eurogruppe bedeutsame Zugeständnisse für einen alternativen Pfad abgetrotzt und in der Reformliste festgehalten. Die Nicht-Besteuerung und Steuerflucht der Reichen wird entschieden bekämpft und es wird keine weiteren Kürzungen im sozialen Bereich, oder Steuererhöhungen für Arme und Mittelstand geben. Damit ist ein Paradigmenwechsel markiert.
NEIN: zur Absicht der Bundesregierung, die bisherige Erpressungspolitik gegenüber Griechenland nahtlos weiter zu betreiben, wie sie in dem heute dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegten Antrag zum Ausdruck kommt. Finanzminister Schäuble unterstreicht, dass kein einziger Euro fließt, bis das Troika-Diktat aus Sicht der Institutionen in den nächsten Wochen erfolgreich abgearbeitet wird. Zudem gibt es keinerlei Entgegenkommen hinsichtlich der untragbaren Schuldenlast Griechenlands.
Vollkommen indiskutabel und zynisch ist zudem, dass die Bundesregierung ihr Erpressungspotential dazu genutzt hat, um der griechischen Regierung in ihre Reformliste hereinzudiktieren, dass sie sicherzustellen hat, dass „die Haushaltslage durch die Bekämpfung der humanitären Krise nicht beeinträchtigt wird.“
Ich erkläre mich mit der Syriza-Regierung solidarisch und zolle ihrer hartnäckigen und mutigen Verhand¬lung unter äußerst schweren Bedingungen unseren tiefen Respekt. Die andauernde Erpressungsstrategie und neoliberale Ausrichtung der Bundesregierung lehne ich klar ab. Das bedeutet für mich, dass ich mich bei der heutigen Abstimmung zum Antrag der Bundesregierung der Stimme enthalte.
Berlin, 27.02.2015
siehe auch
- SYRIZA beriet über Vereinbarung
- Macht ohne Kontrolle – Die Troika
- Elena Papadopoulou: Zehn Punkte über die Einigung vom 20. Februar
- Lenin und Volker Braun über das Besteigen hoher Berge
- Es geht nicht nur um Wahlversprechen, sondern um das Leben von Abertausenden GriechInnen
- Dokumentiert: Fernsehansprache von Alexis Tsipras
- Dokumentiert: "Was wollen die Griechen"