03.05.2015: Kämpferische Stimmung verbreitete der 92jährige Manolis Glezos bei den 5.000 Demonstrationsteilnehmern am 1. Mai in Hamburg. Der ehemalige Widerstandskämpfer und älteste Europaabgeordnete (für Syriza), eine Ikone der griechischen Arbeiterbewegung, berichtete auf der Abschlusskundgebung auf dem Fischmarkt von den Auswirkungen der Sparmaßnahmen der Troika auf sein Land. EU-Kommission und Bundesregierung reagieren aggressiv auf die berechtigten Forderungen der griechischen Regierung nach einem Weg aus der Krise und den Versuch des Wiederaufbaus der Volkswirtschaft. Auch die von der Troika verordnete unsoziale Austeritätspolitik wird weiter aufgezwungen, alle Lösungsvorschläge werden geblockt – obwohl Griechenland, Spanien, Portugal, Italien und weitere Länder Europas hauptsächlich durch die expansive Exportpolitik Deutschlands und die erzwungene Spar- und Kürzungspolitik in den Ruin getrieben wurden.
Manolis Glezos warb für ein solidarisches Europa. Er rief zur Besinnung auf die Grundbegriffe des gewerkschaftlichen Mai-Kampftages auf: Internationale Arbeitersolidarität müsse die Antwort sein auf die Angriffe der Konzerne und EU-Institutionen auf die ökonomischen und sozialen Rechte der Mehrheit der Bürger. Diese dürften sich nicht auseinanderdividieren lassen. Glezos entfachte Beifallsstürme mit seiner temperamentvollen Rede.
Schon vorher hatte Sophie Binet, Vorsitzende der französischen Angestellten-Gewerkschaft CGT in ihrer Rede angeprangert, dass in der EU 25 Millionen Jugendliche arbeitslos sind: „Die Finanzwelt hat Europa im Würgegriff.“ In Griechenland seien die erkämpften Tarifverträge mit der Finanzkrise quasi verschwunden, allein dort seien inzwischen 57 Prozent der Jugendlichen arbeitslos. Gewinner der EU-Finanzhilfen seien die Spekulanten, „beim einfachen Volk ist nichts angekommen“.
Am 2. Mai trat Manolis Glezos dann auf einer Veranstaltung im Festsaal des Hamburger Rathauses auf. Veranstalter waren die Linksfraktion im Europäischen Parlament und die Hamburgische Ratsfraktion der Partei DIE LINKE mit Unterstützung der GEW, ver.di FB 08, ver.di-jugend, der VVN-Bund der Antifaschisten, des Ausschwitz-Komites und des Arbeitskreises Distomo. Thema der Veranstaltung waren die offenen deutschen Reparationsschulden und Zwangsanleihen gegenüber Griechenland.
„Die deutschen Kriegsschulden sind noch nicht beglichen!“ Das ist die Kernbotschaft der leidenschaftlichen Rede von Manolis Glezos im hanseatischen Rathaus. „Es geht um Gerechtigkeit, nicht um Rache.“ Das sei nicht nur für ihn „eine ethische Frage, sondern eine Frage der Wiederherstellung des Rechts.“ Laut griechischem Rechnungshof stehen 278,7 Milliarden Euro an Entschädigungszahlungen Deutschlands für die in Griechenland während des Zweiten Weltkriegs begangenen Nazi-Verbrechen noch aus. Doch deutsche Regierungen haben bisher jeden Vorstoß auf Entschädigung Griechenlands abgeblockt.
Auf der Veranstaltung wurde gemeinsam mit Manolis Glezos über die historische Verantwortung Deutschlands, über Reparationszahlungen und einen konstruktiven Ausweg aus der Krise Griechenlands und Europas diskutiert. Diskussionsteilnehmer waren Rolf Becker (Schauspieler und gewerkschaftlicher Griechenlandaktivist), Martin Klingner (AK Distomo), Ulla Jelpke (MdB DIE LINKE) und Martin Dolzer (Bürgerschaftsabgeordneter DIE LINKE).
In einem Diskussionsbeitrag forderte der Historiker Karl Heinz Roth für erlittenes NS-Unrecht einen abschließenden Reparationsvertrag, der den 2+4-Vertrag nachträglich ergänzt. Roth plädiert für „eine Art Schlussakte, in der noch einmal alles auf den Tisch kommt und in der eine Bilanz der deutschen Besatzungs- und Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg gezogen wird“. Auf dieser Basis könnten dann die Ansprüche der noch nicht entschädigten Angehörigen und überlebenden Opfer befriedigt und die ausstehenden Reparationsleistungen geklärt werden. Was er in den Akten der deutschen Außenpolitik gelesen habe, die sich mit dem Thema Entschädigung befassen, habe ihn „bestürzt: Wie extrem arrogant und herablassend mit den Forderungen aus Athen umgegangen wurde! Es gab ein paar Brosamen vom deutschen Herrentisch in den 1950er und 1960er Jahren – aber letztlich wurden die Griechen immer auf den Sankt Nimmerleinstag vertröstet.“
In seinem Schlusswort rief Manolis Glezos die Anwesenden auf, den Kampf um die finanzielle Begleichung der Reparationen für Griechenland entschlossen zu führen. Er habe diesen Kampf seit 1945 geführt. Und seine Überzeugung bleibt: „Kein Kampf ist vergeblich!“
Text: gst Foto: dgb hamburg
Manolis Glezos: Am 30. Mai 1941 holten der damals 18jährige Manolis Glezos und sein Freund Apostolos Sandas die wenige Wochen zuvor von der Deutschen Wehrmacht gehisste Hakenkreuzfahne von der Akropolis und zogen wieder die blau-weiße Griechenlands auf. Beide wurden in Abwesenheit zum Tod verurteilt. Auch nachdem er gefangengenommen und gefoltert worden war, blieb Manolis Glezos im Widerstand, zunächst gegen die deutsche Besatzung, von der 1944 sein jüngerer Bruder hingerichtet wurde, danach im Bürgerkrieg gegen die von England unterstützten Königlich - Konservativen, die bereits mit den Deutschen kooperiert hatten. Es folgt ein weiteres Todesurteil 1948, aufgrund internationaler Proteste umgewandelt in lebenslange Haft. 1951 wurde Glezos – weiterhin in Haft – auf der Liste der Vereinigung der Demokratischen Linken, EDA in das griechische Parlament gewählt. Nach seiner Wahl trat er in einen Hungerstreik, um die Freilassung der anderen EDA-Abgeordneten zu erreichen, die in Haft oder auf Inseln verbannt waren. Unter dem Obristen - Regime 1967 – 74 wird er erneut verhaftet und interniert. Bei der Parlamentswahl 2.000 führte Glezos die Liste Synaspismos an, einen Zusammenschluss radikaler Linker. Zusammen mit anderen kleineren linken Parteien verschmolzen sie zur Partei SYRIZA. Heute ist er deren EU-Abgeordneter und das älteste Mitglied des Europa-Parlaments.