11.06.2017: In der Kieler Innenstadt haben am Samstag (10.6.) 1.000 Bürger*innen dafür demonstriert, dass afghanische Flüchtlinge in Schleswig-Holstein bleiben dürfen und nicht abgeschoben werden. Nach einer Kundgebung am Hauptbahnhof zog de Demonstrationszug zum Landeshaus. Dort übergab eine Abordnung den im Landeshaus über eine Koalition verhandelnden Politikern von CDU, Grünen und FDP eine Petition, in der sie von der künftigen Landesregierung forderten, weiterhin auf Abschiebungen nach Afghanistan zu verzichten und sich dafür auch auf Bundesebene einzusetzen.
Aufgerufen zur Demonstration hatten neben dem Flüchtlingsrat und dem Beauftragten für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen des Landes Schleswig-Holstein weitere siebzig Organisationen, Verbände und Einzelpersonen des Bundeslandes – so u.a. der DGB, die Flüchtlingsbeauftragte der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland, der PARITÄTISCHE, die VVN/BdA, attac, die Afghanische Gemeinde Kiel, die marxistische linke und die LINKE.
Bereits am 6. Juni hatten Flüchtlingsaktivisten anlässlich der konstituierenden Sitzung vor dem Landtag mit einer Mahnwache einen grundsätzlichen Abschiebestopp nach Afghanistan gefordert.
Küsten-Koalition will weiter verhindern, dass Flüchtlinge nach Afghanistan abgeschoben werden
Schleswig-Holsteins Noch-Innenminister Stefan Studt (SPD) will den derzeit verhängten Abschiebestopp für „ausreisepflichtige Personen“ aus Afghanistan um weitere drei Monate verlängern. Ein entsprechendes Schreiben an Innenminister de Maizière sei in Vorbereitung heißt es aus Regierungskreisen. Schleswig-Holstein geht in der Abschiebepolitik einen Sonderweg. Anders als im Bund werden afghanische Flüchtlinge, die in Schleswig-Holstein leben, nicht abgeschoben. Die völkerrechtlichen Standards für ausreisepflichtige Afghanen sind derzeit nicht gesichert, argumentiert das Kieler Innenministerium. Schleswig-Holstein konnte diesen Abschiebestopp entsprechend des „Aufenthaltsgesetzes“ einmalig eigenständig anordnen. Nun lief diese Frist am 13. Mai aus. Das Innenministerium ist also zum Handeln gezwungen und muss – um den Abschiebestopp verlängern zu können - einen Antrag beim Bundesinnenministerium stellen. Ob CDU-Bundesinnenminister Thomas de Maizière dem zustimmt, ist allerdings mehr als fraglich.
Besonders brisant ist der Vorstoß Studts vor dem Hintergrund, dass die Küsten-Koalition bei der Landtagswahl ihre Mehrheit verloren hat und Wahlgewinner Daniel Günther (CDU) und die Kubicki-FDP gegen den Abschiebestopp sind. Studts Erlass könnte von einer neuen Landesregierung also umgehend rückgängig gemacht werden. Das Thema könnte dann aber ein Knackpunkt in den anstehenden Koalitionsverhandlungen werden, da die Grünen bislang den Abschiebestopp befürworten. Aus Grünen-Kreisen wird die Fraktionsvorsitzende Eka von Kalben zitiert, die dafür plädiert, zunächst einmal eine Gesetzeslücke auszunutzen: Durch einen redaktionellen Fehler schreibt nämlich das Aufenthaltsgesetz des Bundes bislang noch vor, dass der Bundesinnenminister einem Landes-Abschiebestopp erst nach „sechs Monaten“ statt nach drei Monaten (wie es eigentlich heißen sollte) zustimmen muss. Kiel könnte seinen Abschiebestopp also einfach weiter aufrecht erhalten.
Forderungen an die künftige Landesregierung
Jenseits dieser taktischen Finten fordern die Aufrufer der Demo am 10.6. die künftige Landesregierung dringend auf, auch in Zukunft auf Abschiebungen nach Afghanistan zu verzichten und sich diesbezüglich gegenüber dem Bund und den anderen Bundesländern stark zu machen. In dem Aufruf heißt es:
„Im Dezember 2016 hat der hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) auf Anfrage des Bundesinnenministeriums festgestellt, dass das gesamte Staatsgebiet Afghanistans von einem bewaffneten Konflikt betroffen sei. Sichere und zumutbare interne Schutzalternativen seien nicht gegeben. Dass die Lage am Hindukusch seither weiter eskaliert, zeigen opferreiche Anschläge in diesem Jahr. Im ersten Quartalsbericht 2017 dokumentierte UNAMA erneut mindestens 2.181 zivile Opfer. UNAMA geht davon aus, dass regierungsfeindliche Gruppen weiterhin gezielt die Zivilbevölkerung angreifen und zeigt sich besonders besorgt über einen Anstieg von Frauen und Kindern unter den Opfern.
Diese Erkenntnisse müssen in einen Beschluss der Innenministerkonferenz vom 12. bis 14. 6. in Dresden, Abschiebungen nach Afghanistan zu beenden, einfließen.
Wir fordern von der künftigen Landesregierung:
- Keine Abschiebungen von afghanischen Geflüchteten!
- Regelmäßiges Bleiberecht für afghanische Flüchtlinge nach den Möglichkeiten des Aufenthaltsgesetzes (insbes. § 25, Abs. 5, AufenthG)!
- Öffnung von Integrationsmaßnahmen für alle afghanischen Staatsangehörigen!“
Text/Fotos: gst