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Syrien deutsche IS07.03.2019: Lange ignorierte Bundesregierung die Forderung, deutsche IS-Dschihadist*innen zurückzunehmen ++ Donald Trump macht Druck ++ Bundesregierung will Staatsbürgerschaft entziehen, um Rücknahme zu vermeiden ++ Ausbürgerung, ein Tabubruch nach den Erfahrungen in der Nazidiktatur ++ Entzug der Staatsbürgerschaft richtet sich nicht nur gegen Dschihadst*innen ++

Lange reagierte die Bundesregierung nicht auf die Aufforderung der Verwaltung der Demokratischen Föderation Nord- und Ostsyrien, die deutschen Staatsbürger*innen zurückzunehmen, die sich in Syrien dem "Islamischen Staat" (IS) angeschlossen haben und von den kurdisch geführten Demokratischen Kräften Syriens (SDF) gefangen genommen wurden.

Auf eine Anfrage der Linksfraktion teilte die Bundesregierung mit, dass sich nach ihren Kenntnissen 1.050 Personen aus Deutschland dem IS angeschlossen hätten. Viele von ihnen wurden bei Kämpfen getötet, einige kehrten bereits nach Deutschland zurück und andere wurden von den SDF-Streitkräften und der irakischen Armee gefangen genommen. Nach Angaben der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG (Yekîneyên Parastina Gel) von Ende Februar befinden sich 200 deutsche Staatsbürger in YPG-Gewahrsam, die meisten von ihnen Frauen und Kinder; 40 haben nach Ermittlungen der YPG Verbrechen begangen.

Syrien IS Martin LemkeEnde Januar nahmen die YPG-Streitkräfte während der Operation in Deir ez-Zor einen weiteren deutschen Staatsbürger, Martin Lemke, gefangen. Nach Kenntnissen der YPG zählte Martin Lemke zu den Führungskadern des IS und war führend beim IS-Folter- und Geheimdienst. Er sei beauftragt worden, Personen zu entführen, die dem IS als verdächtig galten, und diese zu foltern, um Informationen unter Druck zu erhalten. Viele Gefangene seien in Gefängnissen unter Lemkes Verantwortung getötet worden.

Die Bundesregierung beruft sich zum Thema der Rückführung deutscher Islamisten auf rechtliche Schwierigkeiten. "Wir haben keine offizielle Vertretung in Syrien, also haben wir keine vollständigen Informationen über deutsche Staatsbürger in der Region", heißt es aus Berlin. Außenminister Heiko Maas (SPD) betont, wie "außerordentlich schwierig Rückholungen zu realisieren" seien. Die Bundesregierung will die Freundschaft mit Erdoğan nicht auf das Spiel setzen. Dieser könnte Gespräche mit der Verwaltung der Demokratischen Föderation Nord- und Ostsyrien über die Rückführung deutscher Dschihadisten als Anerkennung der kurdischen Selbstverwaltung interpretieren. Da hilft die Ausrede, man habe "im Moment wenig Möglichkeit, in Syrien zu überprüfen, ob tatsächlich deutsche Staatsangehörige betroffen sind", wie Maas trotz der Tatsache behauptet, dass der BND regelmäßig gefangene IS-Mitglieder in Nordsyrien befragt. 

Die Tagesschau berichtete, dass 42 Namen deutscher IS-Anhänger*innen, die sich in Nordsyrien sowie im Irak, der Türkei und Griechenland in Haft befinden, auf einer vertraulichen Liste des Auswärtigen Amtes stehen. Gegen 18 von ihnen wurde ein Haftbefehl erwirkt. (Tagesschau, 18.02.2019: "Behörden arbeiten an Haftbefehlen")

Trump: Gefangene IS-Kämpfer zurücknehmen. Oder sie werden freigelassen

Trump Twitter IS Gefangene

Doch das Desinteresse an einer Rückführung der deutschen Dschihadisten hielt an. Erst auf Druck von US-Präsident Donald Trump kam das Thema dann doch ganz oben auf die Prioritätenliste der Bundesregierung. Trump hatte Mitte Februar auf Twitter gepostet: "Die Vereinigten Staaten bitten Großbritannien, Frankreich, Deutschland und andere europäische Verbündete, über 800 IS-Kämpfer, die wir in Syrien gefangen genommen haben, zurückzunehmen und vor Gericht zu stellen". Andernfalls wären die USA gezwungenen, die Kämpfer auf freien Fuß zu setzen.

Es handelt sich zwar nicht um die Gefangenen von Trump oder um von den USA gefangene Dschihadisten, aber die Bundesregierung reagierte auf die Drohung aus dem Weißen Haus.

Syrien deutscherIS Nihad 1
Deutscher IS-Kämpfer mit Namen "Nihad" spricht

 

Rückführen! Aber nur, wenn es andere Länder betrifft.

Üblicherweise vertritt die Bundesregierung ein "konsequenteres Durchgreifen", wenn es um Rückführungen von "Gefährdern" oder abgelehnten Asylsuchenden in deren Heimatländer geht. Mit einem neuen Gesetz mit dem Titel "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" soll der Ausweisungsschutz auf ein Minimum reduziert werden. Der Gesetzentwurf sieht sogar Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren für jeden vor, der die Vollstreckung einer Abschiebung beeinträchtigt, indem er etwa "geplante Zeitpunkte oder Zeiträume einer bevorstehenden Abschiebung veröffentlicht".

Ganz anders, wenn es um die Rückführung deutscher Dschihadisten nach Deutschland geht.

deutsche IS-Kämpfer ausbürgern

Seehofer BarleyDie Bundesregierung will deutschen IS-Kämpfern die Staatsangehörigkeit entziehen, um sie nicht zurücknehmen zu müssen. Das berichteten die Süddeutsche Zeitung, WDR und NDR am Sonntagabend (3.2.) unter Berufung auf Regierungskreise. Demnach hätten sich Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und Justizministerin Katarina Barley (SPD) verständigt, dass diejenigen, die im Ausland für eine Terrormiliz kämpfen, die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen werden kann.

Bereits im Koalitionsvertrag hatten sich Union und SPD geeinigt: "Wir werden einen neuen Verlusttatbestand in das Staatsangehörigkeitsgesetz einfügen, wonach Deutsche, die eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen, die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren können, wenn ihnen die konkrete Beteiligung an Kampfhandlungen einer Terrormiliz im Ausland nachgewiesen werden kann."

Die Koalitionäre beziehen sich dabei darauf, dass bereits jetzt der Verlust der Staatsangehörigkeit möglich ist, und zwar beim Eintritt in die Streitkräfte eines anderen Staates. Die Bundesregierung will das nun auch für Angehörige eines "paramilitärisch organisierten bewaffneten Verbandes" anordnen. Der Unterschied ist, dass nach dem Paragraf 28 Staatsangehörigkeitsgesetz ein deutscher Staatsangehöriger den deutschen Pass nur dann verliert, wenn diese Person in die Armee eines Staates eintritt, "dessen Staatsangehörigkeit er besitzt". Ein erheblicher Unterschied.

Bedingungen für den Entzug des Staatsbürgerschaft

Damit der Entzug der Staatsbürgerschaft "rechtsstaatlich vereinbar" ist, müssten einige Bedingungen eingehalten werden, so Justizministerin Barley.

  • Die deutsche Staatsbürgerschaft erlischt nur, wenn die Person eine andere Staatsbürgerschaft besitzt. Denn die von Deutschland unterzeichnete UN-Menschenrechtserklärung verhindert, dass Menschen "staatenlos" werden.
  • Die Person, der die Staatsbürgerschaft entzogen werden soll, muss volljährig sein. Minderjährige werden nicht ihrer Bürgerrechte beraubt.
  • Das Gesetz wird nicht rückwirkend umgesetzt.

egoistische Sichtweise auf das Problem
Astrid Wallrabenstein

Astrid Wallrabenstein, Professorin für Öffentliches Recht an der Johann-Wolfgang-Goethe Universität in Frankfurt/Main, bezweifelt, dass sich mit diesem Gesetz die Sicherheitslage verbessert. "Der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit würde dazu führen, dass ein wahrscheinlich gefährlicher Terrorist in einem anderen Staat zur Verantwortung gezogen oder vielleicht als »Gefährder« überwacht werden müsste. Da stellt sich die Frage: Sind andere Staaten wirklich besser gerüstet, um gegen einen Terroristen vorzugehen, als wir das sind, mit unserem Strafrecht und Polizeirecht?", äußert sie in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung (Süddeutsche Zeitung, 6.3.2019: "Passentzug - Ein gefährlicher Schritt") 

Da andere Staaten ebenfalls ausbürgern, befürchtet Wallrabenstein, dass es bei Doppelstaatler*innen zu einem Wettrennen um die schnellere Ausbürgerung kommen könnte. "Weil der Verlust des deutschen Passes nur möglich ist, wenn jemand dadurch nicht staatenlos wird, muss man zuerst wissen, ob nicht der andere Staat mit der Ausbürgerung schneller war. Das kann überaus kompliziert sein und wäre sehr schwer in die Praxis umzusetzen. … Ein Wettlauf, wer schneller mit der Ausbürgerung ist, kann nicht hilfreich sein. Es wäre zudem unfair, denn hier müssen die Staaten vernünftig miteinander umgehen. Das europäische Abkommen über die Staatsangehörigkeit zum Beispiel ist der Versuch, die nationalen Regelungen abzustimmen. Die geplante deutsche Regelung zeugt dagegen von einer eindimensionalen, sehr deutschen und geradezu egoistischen Sichtweise auf das Problem."

niedrige Hürden für Ausbürgerung möglich machen
Christoph Degenhart

Wenn es im Koalitionsvertrag noch heißt, dass für den Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft die "konkrete Beteiligung an Kampfhandlungen einer Terrormiliz im Ausland" vorliegen sein muss, meint der Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhart, dass die Voraussetzungen "nicht zu eng" gefasst werden sollten. "Der Nachweis einer Beteiligung an konkreten Kampfhandlungen dürfte wohl nicht zwingend erforderlich sein, anderweitige, etwa logistische Unterstützung müsste ausreichen", sagte Degenhart dem Handelsblatt. (Handelsblatt, 4.3.2019: "Staatsrechtler hält niedrige Hürden für Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft für möglich") 

Ausbürgerung nicht nur von IS-Kämpfern möglich

Wenn das Gesetz zum Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft so verabschiedet wird, wie es aus dem Hause Seehofers vorliegt, wird es nicht nur die IS-Mitglieder betreffen, sondern alle Organisationen, die als terroristisch gelten.

Erfahrungsgemäß hängt die Definition einer "Terrormiliz" von politischen Opportunitäten ab.

siehe z.B.
• Seehofer verbietet kurdische Verlage
• 1.000 Euro Strafe für das Singen eines Liedes
• Hausdurchsuchungen wegen YPG-Fahnen

In Deutschland ist nicht nur die kurdische Arbeiterpartei PKK als "terroristische Organisation" verboten, schon das Zeigen der Fahnen der gegen den IS kämpfenden YPG und YPJ wird strafrechtlich verfolgt. Dabei sind es diese Milizen, die die Welt unter großen Opfern vom IS befreien.

Die Sorge, dass deutsche Bürger*innen mit doppelter Staatsbürgerschaft, die Deutschland verlassen haben, um in den Reihen der YPG/YPJ gegen den IS zu kämpfen, vom Gesetz betroffen sein könnten, ist deshalb nicht unbegründet. Wenn dann noch dazu kommt, dass die "logistische Unterstützung" ausreicht, dann ist man schnell bei der "gesetzlichen Legitimierung zur, wie Alexander Gauland es einmal so eindrücklich nannte, »Entsorgung in Anatolien«, so Mely Kiyak in einem Kommentar bei Zeit Online. Und weiter: "Das Entsetzliche ist, dass es gar keiner Regierungsbeteiligung der Rechtsradikalen mehr bedarf, sondern dass nun ohne große Not ein Teil dieser Forderung vom CSU-Innenminister und – das ist der weitaus verstörendere Aspekt – von der sozialdemokratischen Justizministerin umgesetzt werden soll." (Mely Kiyak, Zeit Online, 6.3.2019: "Jetzt wird ausgedeutscht!")

Mely Kiyak erinnert daran, dass es bis vor kurzem nur die AfD war, die sich traute, die Idee der Ausbürgerung wiederzubeleben. Denn der Entzug der Staatsbürgerschaft war nach 1945 mit dem Grundgesetz aus gutem Grund abgeschafft worden. Politische Gegner*innen oder Jüdinnen wurden während der Nazizeit ausgebürgert, sobald sie das Land erließen. Das betraf auch Hannah Arendt, Heinrich Mann, Willy Brandt, Peter Gingold und viele andere. Deshalb gibt es den Art. 16 und 116 im Grundgesetz.

"Das ist jetzt eine Zäsur. Eine echte Zäsur", warnt Mely Kiyak in ihrem Kommentar.

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Dies ist ein Moment, der zum Handeln auffordert. Lassen Sie uns gemeinsam für die Menschlichkeit eintreten und denjenigen, die es am meisten brauchen, die dringend benötigte Hilfe bringen.

Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

Spenden: https://donate.unrwa.org/gaza/~my-donation


 

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