28.11.2019: Eine Hiobsbotschaft jagt die andere: 11.000 Wissenschaftler*innen warnen, dass sich die Klimakrise schneller beschleunigt, als erwartet ++ Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) stellt einen Bericht vor, aus dem hervorgeht, dass es in Deutschland bereits um rund 1,5 Grad wärmer geworden ist ++ nur acht der 30 Dax-Konzerne haben Klimapläne, um ihre eigenen Emissionen bis 2050 unter zwei Grad zu drücken ++ OPEC erwartet steigenden Verbrauch von Öl, Kohle und Gas in den kommenden zwei Jahrzehnten
Kurz vor Beginn der Weltklimakonferenz in Madrid (2. bis 13. Dezember) und dem globalen Klimaaktionstag am 29. November jagt eine Hiobsbotschaft die andere:
- In einem aufsehenerregenden Appell erklären 11.000 Wissenschaftler*innen, dass die Klimakrise bereits eingetreten ist und sich schneller beschleunigt, als erwartet.
- Die Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) stellte einen Bericht vor, aus dem hervorgeht, dass es in Deutschland bereits um rund 1,5 Grad wärmer geworden ist, und dass die globale Temperatur um fast 4 Grad steigen wird.
- Eine Analyse der Klimabilanzen und Klimaziele der 30 Dax-Konzerne zeigt, dass nur acht der 30 Dax-Konzerne so ambitionierte Klimapläne haben, dass sie es schaffen könnten, ihre eigenen Emissionen bis 2050 unter zwei Grad zu drücken.
- Laut einem aktuellen Bericht der OPEC der Verbrauch von Öl, Kohle und Gas in absoluten Zahlen in den kommenden zwei Jahrzehnten kräftig zulegen.
Doch was passiert: Nichts.
11.000 Forscher warnen vor Klimakatastrophe
11.000 Wissenschaftler*innen aus 153 Ländern warnen in einem gemeinsamen Appell in der Fachzeitschrift BioScience [1] vor einer rapiden Zunahme der Erderwärmung. "Noch nie dagewesenes Leid" stehe uns bevor, wenn nicht entschlossen und rasch gehandelt werde.
"Die Klimakrise ist eingetreten und beschleunigt sich schneller als die meisten Wissenschaftler erwartet haben. … Besonders besorgniserregend sind potenzielle irreversible Klima-Kipppunkte und die verstärkten Rückkopplungen der Natur, die zu einer katastrophalen »Treibhaus-Erde« führen könnten, die weit außerhalb der Kontrolle des Menschen liegt. Diese Klimakettenreaktionen könnten erhebliche Störungen der Ökosysteme, der Gesellschaft und der Wirtschaft verursachen und möglicherweise große Teile der Erde unbewohnbar machen."
Warnung von Wissenschaftlern aus aller Welt vor dem Klima-Notstand [1]
In dem Aufruf erinnern die Wissenschaftler*innen daran, dass sich vor 40 Jahren Wissenschaftler*innen aus 50 Nationen zur Ersten Weltklimakonferenz (1979 in Genf) getroffen haben und sich einig waren, dass "alarmierende Trends für den Klimawandel es dringend notwendig machen, zu handeln".
Seitdem gab es zahlreiche Klimagipfel und unverbindliche Abkommen. Passiert ist wenig. Die Treibhausgasemissionen steigen immer noch rapide an, mit immer schädlicheren Auswirkungen auf das Klima der Erde. Wirtschaft und Regierungen haben die Warnungen der Klimaforscher*innen ein um das andere Mal in den Wind geschlagen. Ein ökologische Wende wurde und wird blockiert. In dem aktuellen Appell weisen die Wissenschaftler*innen darauf hin, dass 2018 die Subventionen für fossile Brennstoffe an Energieunternehmen sogar gestiegen sind und bei mehr als 400 Milliarden US-Dollar (360 Mrd. Euro) liegen.
"Die wohlhabendsten Länder sind hauptsächlich für die historischen Treibhausgasemissionen verantwortlich und haben im Allgemeinen die höchsten Pro-Kopf-Emissionen."
Warnung von Wissenschaftlern aus aller Welt vor dem Klima-Notstand [1]
"Um ungeahnte Leiden durch die Klimakrise zu vermeiden, bedarf es einer immensen Verstärkung der Bemühungen um den Erhalt unserer Biosphäre", heißt es in der aktuellen Erklärung. Und weiter: "Wir sollten die verbleibenden Vorräte an fossilen Brennstoffen im Boden belassen und wirksame negative Emissionen mit Hilfe von Technologien wie der Kohlenstoffgewinnung aus der Quelle und der Abscheidung aus der Luft und insbesondere durch die Verbesserung natürlicher Systeme sorgfältig verfolgen. Wohlhabendere Länder müssen ärmere Länder beim Übergang von fossilen Brennstoffen unterstützen."
Die Wissenschaftler*innen mahnen "große Veränderungen in der Funktionsweise unserer globalen Gesellschaft" an. "Unsere Ziele müssen sich vom BIP-Wachstum und dem Streben nach Wohlstand hin zur Erhaltung der Ökosysteme und zur Verbesserung des menschlichen Wohlbefindens verlagern, indem wir den Grundbedürfnissen Priorität einräumen und die Ungleichheit verringern", fordern sie.
Doch das Handeln von Konzernen und Regierungen zeigt, dass selbst unter "der Drohung der Klimakatastrophe eher die Existenz des Planeten in Frage gestellt wird als die des kapitalistischen Wirtschaftssystems" (Elmar Altvater).
So enthüllt ein neuer Bericht die skrupellose Lobbytätigkeit der fossilen Industrie in der Europäischen Union, mit der wichtige Klima- und Energiegesetze verwässert und Anforderungen an die Industrie abgeschwächt wurden und fossiles Gas als Herzstück der langfristigen Energiestrategie der EU für 2050 festgelegt wurde. (siehe kommunisten.de: "Neuer Bericht enthüllt skandalöse Lobbyarbeit der Ölmultis in der Europäischen Union")
Auch das »Klimapaket« der Bundesregierung belegt, dass in vollem Wissen mit Vollgas auf den Abgrund zugefahren wird.
In Deutschland bereits um 1,5 Grad wärmer
Um rund 1,5 Grad sei es in Deutschland schon wärmer geworden seit 1881, alleine in den vergangenen fünf Jahren um 0,3 Grad, erklärte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) in Berlin. Sie stellte einen 270 Seiten dicken Bericht der Bundesregierung über den Klimawandel vor, aus dem hervorgeht, dass die Klimakatastrophe nicht mehr auf den globalen Süden und den Nordpol beschränkt ist, sondern auch die Menschen von der Küste bis an die Alpen betrifft. In dem Bericht ist zusammengetragen, was der Klimawandel für die Menschen in Deutschland bedeutet. Und Expert*innen mahnen: Das ist erst der Anfang.
"Es ist nicht auszudenken, was es bedeuten würde, wenn sich das in dieser Geschwindigkeit wirklich fortsetzen würde", sagte Schulze und fordert: "Viel mehr Klimaschutz, und zwar weltweit." Sie wolle dafür kämpfen, dass die EU vorangehe und ihre Klimaschutz-Ziele verschärfe, sagte Schulze, denn wenn es so weitergehe wie bisher, drohe die Temperatur bis zum Ende des Jahrhunderts um 3,4 bis 3,9 Grad zu steigen.
Allerdings ist im »Klimapaket« der Bundesregierung von dieser Einsicht nichts festzustellen. Es führt noch tiefer in die Klimakrise und ist obendrein sozial ungerecht.
OPEC-Bericht: Öl auch 2040 noch wichtigster Energieträger
Die 2030er Jahre gelten als der Zeitpunkt, an dem die Treibhausgasemissionen der Welt gegenüber dem heutigen Stand um 70-90% gesunken sein müssen, um den Klimawandel auf einem zwar verheerenden, aber noch irgendwie bewältigbaren Niveau zu halten. Die OPEC freilich geht, wohl richtigerweise, davon aus, dass das weder die fossile Industrie noch die großen kapitalistischen Staaten interessiert.
In ihrem aktuellen "World Oil Outlook" [2] geht die Organisation erdölexportierender Länder OPEC davon aus, dass der Anteil fossiler Brennstoffe am globalen Energiemix im Jahr 2040 immer noch rund 75 Prozent ausmachen wird. Zwar wird der Kohleanteil laut Prognose von 26,6 auf 21,5 Prozent fallen, aber Gas wird von 22,9 auf 25,2 Prozent zulegen. Damit wird Erdgas zur zweitgrößten Energiequelle gleich nach Öl.
Beim Öl entfällt der Großteil des Bedarfs auf den Straßenverkehr: 2040 sollen rund 43 Prozent des Ölbedarfs auf das Konto von Fahrzeugen gehen.
Der Anteil erneuerbarer Energien wird nach dieser OPEC-Prognose auch 2040 noch immer eine untergeordnete Rolle spielen.
Da der weltweite Energieverbrauch in den kommenden Jahren stark steigen wird, bedeutet dies, dass der Verbrauch von Öl, Kohle und Gas in absoluten Zahlen in den kommenden zwei Jahrzehnten kräftig zulegen wird. Die OPEC geht dabei wohl auch davon aus, dass die Lobbyarbeit der fossilen Industrie so erfolgreich wie in der Vergangenheit ihre Interessen politisch durchsetzen kann.
Deutsche Konzerne heizen kräftig ein
Wenn alle Unternehmen so wirtschaften würden wie aktuell der Industriekonzern Siemens, würde sich das Klima bis 2050 um 4,5 Grad Celsius erwärmen
Wenn alle Unternehmen so wirtschaften würden wie aktuell der Industriekonzern Siemens, würde sich das Klima bis 2050 um 4,5 Grad Celsius erwärmen. Würden sie so handeln wie Dax-Mitglied Heidelberg Cement, würde die Welt sich sogar um 10,7 Grad aufheizen. Und würden sich alle Konzerne ein Beispiel an RWE nehmen, würde die Erderwärmung sogar 13,8 Grad betragen - eine Erhitzung, die die Menschheit wohl kaum überleben dürfte.
Zu diesem Ergebnis kommt ein Bericht des Beratungsunternehmens Right. [3]. Die Firma hat die Klimabilanzen und Klimaziele aller 30 Dax-Konzerne analysiert und untersucht, ob sie mit den Pariser Klimazielen vereinbar sind. Die Untersuchung geht von einer simplen Frage aus: Um wie viel Grad würde sich die Erde bis zum Jahr 2050 erwärmen, wenn alle Unternehmen so handeln würden wie die jeweils untersuchte Firma?
Das Ergebnis: Kaum ein Unternehmen steuert bislang konsequent auf eine Welt zu, in der die Erderwärmung bei einer 1,75-Grad-Erhöhung bleibt. Nur acht der 30 Dax-Konzerne haben so ambitionierte Klimapläne, dass sie es schaffen könnten, ihre eigenen Emissionen bis 2050 unter zwei Grad zu drücken (Pharmakonzerne, Finanzkonzern Allianz, Softwarekonzern SAP). Bei mehr als der Hälfte der Dax-Konzerne wird es den Prognosen des Berichts zufolge nicht zu einer signifikanten Verringerung reichen.
"Zwei Drittel des CO2-Ausstoßes gehen auf das Konto von 100 großen Konzernen. Wer also Klimaschutz betreiben will, muss sich mit Konzernen anlegen, und diese Bereitschaft ist bei der Linken besonders ausgeprägt."
Katja Kipping, Frankfurter Rundschau, 23.11.19
Einmal mehr zeigt sich, dass das Kapital in seinem systemimmanenten Streben nach Maximalprofit und getrieben von der Konkurrenz, ignorieren muss, dass wir auf unserem Planeten in einer endlichen Welt mit ihren objektiven Grenzen leben. Die Natur ist weder in der Lage, in ständig wachsendem Maße der Produktion die Rohstoffe zu liefern noch deren Abfälle aufzunehmen. Die Folge ist die unaufhaltsam voranschreitende Zerstörung der Natur.
"Wer über Kapitalismus nicht reden will, der soll zu Klimagerechtigkeit schweigen."
Stephan Lessenich
Es gibt also "Anlass, die Eigentumsfrage neu zu stellen", wie Hans-Jürgen Urban, Vorstandsmitglied der IG Metall, meint, denn "es ist ja offensichtlich, dass Eigentums- und Profitregeln einer unregulierten Marktwirtschaft eher als Blockaden denn als Unterstützung einer verträglichen Transformation wirken". [4]
29. November: Globaler Klimastreik
Infos:
29. Novemberhttps://fridaysforfuture.de/neustartklima/
Fußnoten
[1] World Scientists’ Warning of a Climate Emergency | https://academic.oup.com/bioscience/advance-article/doi/10.1093/biosci/biz088/5610806
deutsche Übersetzung: https://www.solarify.eu/2019/11/06/493-11-000-forscher-warnen-vor-klimanotstand/
[2] OPEC, World Oil Outlook 2019 | https://woo.opec.org/pdf-download/
[3] right. based on science, #whatif Report 2019 | https://www.right-basedonscience.de/
[4] der Freitag, Ausgabe 39/2019, Hans Jürgen Urban: "Wir müssen die Eigentumsfrage neu stellen" | https://www.freitag.de/autoren/sebastianpuschner/wir-muessen-die-eigentumsfrage-neu-stellen
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