01.12.2020: Das Bayerische Oberste Landesgericht hat heute die Revision der Staatsanwaltschaft gegen einen YPJ-Freispruch des Amtsgerichtes München zurückgewiesen. Damit ist das Zeigen von YPJ/YPG-Fahnen auf Versammlungen und im Internet in Bayern erlaubt. Das Urteil dürfte bundesweite Wirkung haben.
Was war passiert? Bei einer Demonstration gegen den türkischen Angriffskrieg auf Afrin, zeigte Kemal G. eine Fahne der Frauenverteidigungseinheiten YPJ. Er wollte seine Solidarität "mit den Mädchen und Jungs der YPJ/YPG deutlich machen", wie er heute vor Gericht erneut betonte. Die Staatsanwaltschaft München 1 schickte ihm deshalb wegen Verstoß gegen das Vereinsgesetz §20 einen Strafbefehl in Höhe von 2.400 Euro. Er habe, so die Argumentation, ein von der PKK vereinnahmtes Symbol gezeigt.
In nahezu allen Prozessen wegen des Zeigen von YPG/YPJ-Symbolen traten hochrangige Beamte des Bundesinnenministeriums zur Unterstützung der Staatsanwaltschaft auf. Zwar seien YPG und YPJ sowie deren Symbole in Deutschland nicht verboten, aber die verbotene PKK bediene "sich der Kennzeichen ersatzweise"; die PKK "usurpiert" die Symbole, so die "Terrorismusexperten" des Bundesinnenministeriums. Des weiteren seien die syrische Partei PYD sowie die syrisch-kurdischen Milizen YGP und YPJ von Kadern der PKK aufgebaut worden und deshalb als Teile der PKK anzusehen, so die Behauptungen aus dem Hause Seehofers.
Der Betroffene akzeptierte die Strafe nicht und es kam zur Verhandlung, bei der das Amtsgericht den Angeklagten am 13.06.2019 freisprach. Es stellte fest, dass die Fahne der YPJ grundsätzlich nicht verboten ist und ein Tragen nicht bestraft werden kann. Daraufhin ging die Staatsanwaltschaft wegen angeblicher Rechtsfehler in der Urteilsbegründung in Revision und damit in die nächsthöhere Instanz.
Die Rechtsanwälte Mathes Breuer und Dirk Asche, die die Verteidigung des Angeklagten übernahmen, machten in der heutigen Verhandlung die Absurdität der Verfolgung deutlich. Sie verwiesen darauf, dass eine FC Bayern-Fahne, die selbst von einem angeblichen Sympathisanten der PKK getragen werde, damit noch lange nicht zu einem Symbol werde, dass von der PKK usurpiert, also vereinnahmt sei. Eine Verurteilung würde die Meinungsfreiheit massiv einschränken.
"Die Anklage ist politisch motiviert und erfolgt in geistiger Brüderschaft mit dem türkischen Diktator Recep Tayyip Erdogan“
Rechtsanwalt Mathes Breuer
Breuer verwies auch auf die politische Dimension des Verfahrens hin. Auf der einen Seite die Bundesregierung, die in enger Partnerschaft mit der Erdogan-Diktatur stehe. Auf der anderen Seite die YPJ/YPG, die einen heldenhaften Kampf gegen den IS geleistet habe und auch in der Bundesrepublik als Organisation nicht verboten sei.
Der Einschätzungen der Anwälte schloss sich das Landesgericht heute an und verwarf die Revision als unbegründet. Sämtliche Argumentationsketten der Staatsanwaltschaft wurden in der mündlich vorgetragenen Urteilsbegründung zurückgewiesen.
Der Freispruch des Angeklagten durch das Amtsgericht sei nicht zu beanstanden, denn es gebe keinerlei Belege dafür, dass die PKK die Symbole der YPJ/YPG tatsächlich usurpiert habe. Im Gegenteil, hoben die Richter hervor, sei die YPJ kein PKK-Ersatz, sondern eine Organisation mit eigener Rechtspersönlichkeit, die nicht verboten sei. Deshalb könne man das Zeigen der Fahnen auch nicht verfolgen. Etwaige Verbindungen zwischen der YPJ und der PKK fallen nicht ins Gewicht und sind für eine Verurteilung nicht relevant, da nichts dafür spreche, dass die PKK die YPJ-Symbole tatsächlich usurpiert habe.
Zudem entfalte das interne Informationsschreiben des Bundesinnenministeriums vom 02.03.2017, bei der unter anderem die Symbole der YPG/YPJ der PKK zugeordnet wurden und das die Grundlage der Verfolgung in Bayern und ganz Deutschland darstellt, keine Rechtswirkung, da es eben nur ein Schreiben mit einer Rechtsauffassung des Ministeriums sei. Dieses Schreiben sei "keine Verbotsverfügung, sondern ein verwaltungsinternes Schreiben", stellten die Richter des BayObLG in ihrem Urteil dazu fest. Es könne keine Strafbarkeit begründen. Sprich: es ist eine Rechtsmeinung unter vielen, die gerichtlich nicht geklärt ist und deshalb ohne Konsequenzen bleibt.
Das Gericht fuhr fort, dass vor allem bei Demonstrationen, die auf die Situation in Afrin oder ganz Rojava fokussieren, ein Bezug zur PKK nicht gegeben sei, denn es gehe um Solidarität mit Nordsyrien. Es sei bekannt, dass die YPJ an der Seite der USA gegen den IS kämpfen. Diese Sachen zu thematisieren seien keine Propaganda für die PKK, auch wenn politische und persönliche Verflechtungen zwischen der YPJ und der PKK bestünden.
Die Zurückweisung der Revision ist eine politische Niederlage für den Freistaat, der eine massive Verfolgung sämtlicher politischer Aktivitäten von linken Kurd*innen betreibt. Die Staatsanwaltschaft München 1 stand dabei immer an vorderster Stelle und zeichnete sich durch einen extremen Verfolgungswillen aus. Wohl auch in der Hoffnung auf dem Rücken der Kurd*innen und solidarischer Menschen Karriere machen zu können.
Doch auch das Bundesinnenministerium wird durch das Urteil in seine Schranken verwiesen, weil klargestellt wurde, dass das Rundschreiben zur Erweiterung der Symbolverfolgung vom März 2017 nur eine Rechtsmeinung unter vielen sei und somit keine Rechtsverbindlichkeit entfalte.
Wenn das Urteil nun ernst genommen wird, müssen tausende Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Menschen, die auf Demonstrationen in Bayern oder auf Facebook Symbole der YPG/YPJ gezeigt hatten, eingestellt werden. Alleine Aufgrund von geteilten Facebook-Posts von Kerem Schamberger wurden mehrere hundert Verfahren eingeleitet, Menschen aus verschiedensten Gesellschaftsschichten vor Gericht gestellt, darunter ein Schauspieler, eine Regisseurin und viele politische Aktivist*innen.
Rechtsanwalt Breuer betont, dass dies auch Auswirkungen auf die Rechtsprechung in anderen Bundesländern haben müsste, denn für Gerichte habe der Beschluss des Obersten Landesgerichts Ausstrahlungskraft und Symbolcharakter. Er verweist aber auch darauf, dass unklar sei, welche neue Gemeinheiten sich die Staatsanwaltschaft in Folge ihrer Niederlage ausdenken wird.
Dennoch ist dieses Urteil ein Grund zur Freude. Es beendet eine jahrelange Unsicherheit darüber, welche Symbole auf Demonstrationen gezeigt werden dürfen, ohne dafür im Anschluss strafrechtlich verfolgt zu werden. Der staatsanwaltschaftliche Verfolgungswahn hatte zu Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und vielen Strafbefehlen geführt.
Das heutige YPJ/YPG-Urteil ist auch und gerade ein Erfolg des Drucks der Straße und aus dem Internet. Von hunderten Menschen, die sich nicht einschüchtern haben lassen und ihr demokratisches Recht in Anspruch genommen haben, die Symbole ihrer Verteidiger*innen zu zeigen. Die die Fahnen getragen haben, sie auf Twitter und Facebook gepostet haben, obwohl sie wussten, dass es Stress geben könnte.
Dieser öffentliche Druck hat das heutige Urteil möglich gemacht.
txt: Kerem Schamberger