Warum der "BAMF-Skandal" ein "Seehofer-Skandal" ist
05.05.2021: 2018 erregte der Bremer ″BAMF-Skandal″ die Gemüter ++ angeführt von Innenminister Horst Seehofer (CSU) erfolgt eine Hetzjagd gegen die Leiterin der Bremer BAMF-Stelle ++ Sahra Wagenknecht: "offenkundig organisierte Kriminalität" ++ jetzt Einstellung des Verfahrens: Ulrike B. unschuldig ++ "BAMF-Skandal war politische Inszenierung zur Flüchtlingsabwehr ++ ″BAMF-Skandal″ beendet, ″Seehofer-Skandal″ bleibt
Der sogenannte Bremer BAMF-Skandal war 2018 in allen Zeitungen auf Seite Eins. Über den Verdacht auf massenhafte Korruption und systematischen Betrug bei Asylbescheiden in Bremen berichtete der Rechercheverbund von Süddeutscher Zeitung, NDR und Radio Bremen im April 2018. Anschließend beherrschte der angebliche ″Bremer BAMF-Skandal″ monatelang die Schlagzeilen. Ulrike B. , die 23 Jahre lang die Bremer Außenstelle des BAMF leitete wurde öffentlich vorverurteilt. Der Vorwurf: Die Leiterin einer Bremer BAMF Behörde Ulrike B. habe in mehr als 1.000 Fällen zusammen mit Anwälten und weiteren Beschuldigten dafür gesorgt, dass Asylbewerber*innen zu Unrecht einen Schutzstatus erhielten. Angeblich hätten sie Flüchtlinge gezielt zum BAMF nach Bremen gelockt, wo die Asylsuchenden mit Hilfe der Amtsleiterin zu Unrecht positive Asylbescheide erhalten hätten. Als Motiv für den vermeintlichen Asylmissbrauch dichteten die Ermittler*innen Ulrike B. sogar eine Liebesbeziehung mit einem Hildesheimer Anwalt an und ermittelten wegen ″Gewerbs- und bandenmäßige Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung in rund 1.200 Fällen″.
Die Bundespolizei beteiligte sich an den Untersuchungen im Rahmen einer Ermittlungsgruppe, der auch die ″Zentrale Antikorruptionsstelle″ und das Landeskriminalamt angehörten. Selbst der Innenausschuss des Bundestages befasste sich mit der Angelegenheit.
Die damalige Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Sahra Wagenknecht, machte sich sogar für einen speziellen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Asyl-Affäre in der Bremer Außenstelle des BAMF stark. "Es geht offenkundig um organisierte Kriminalität und schwerwiegenden Betrug. Diese Vorgänge müssen schleunigst aufgeklärt werden“, sagte sie am 27. Mai 2018 der Berliner Morgenpost.
Mehr Ermittler als bei Cum-Ex
Zeitweise waren 40 Ermittler*innen – die größte Ermittlungsgruppe, die jemals in einem Kriminalfall in Bremen tätig war – mit dem angeblichen Skandal betraut. Die genaue Zusammensetzung der Ermittlungsgruppe ist bis heute ein Geheimnis.
Zum Vergleich: Beim größten Steuerbetrug in der Geschichte der BRD, dem ″Cum-Ex-Betrug″, bei dem kriminelle Banken, Anwälte und Vermögensverwalter die Staatskassen von elf europäischen Ländern plünderten - allein in Deutschland erstattete das Finanzamt mindestens 31,8 Milliarden Euro an die Betrüger für Steuern zurück, die sie nie bezahlt hatten - ermittelten nur 15 Staatsanwält*innen. Viele Cum-Ex-Fälle sind inzwischen steuerlich verjährt. Das Geld ist weg. Geld, mit dem Brücken hätten saniert, das Gesundheitswesen verbessert und Kindergärten gebaut werden können, floss stattdessen an Banken, hochvermögende Investoren und ihre Berater*innen.
Hetzjagd gegen Ulrike B. und weitere ″Verantwortliche″
Insbesondere das von Horst Seehofer (CSU) geführte Bundesinnenministerium und Politiker*innen von CDU/CSU heizten die Debatte an. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erregte sich über einen vermeintlichen ″handfesten, schlimmen Skandal″. Sein Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Stephan Mayer (CSU), warf den BAMF-Mitarbeiter*innen sogar vor, "hochkriminell und bandenmäßig" gehandelt zu haben.
Stephan Mayer (CSU): "hochkriminell und bandenmäßig"
Mit "hochkriminellem und bandenmäßigem" Handeln kennt sich Stephan Mayer allerdings aus: Neben der CSU-Europaabgeordneten Monika Hohlmeier, Tochter des CSU-Übervaters Franz Josef Strauß, ist er in einen Skandal um die Vermittlung von völlig überteuerten FFP2-Corona-Schutzmasken verwickelt, die die Schweizer Firma Emix Trading AG dem Land Bayern geliefert hat; noch dazu fehlen den Masken die Zertifikate. "Eine Million falscher FFP2-Masken zum Mondpreis von 10,60 Euro das Stück", sagte der SPD-Landtagsabgeordnete Florian von Brunn (SPD) und erstattete Strafanzeige.
″Bremer Asylskandal″: eine politische Inszenierung zur Flüchtlingsabwehr
Horst Seehofer und die BAMF-Spitze ordneten eine systematische Überprüfung aller positiven Asylbescheide aus Bremen an und versetzte damit Hunderte von anerkannten Flüchtlingen in Angst. Ein Team von 70 BAMF-Mitarbeiter*innen prüfte alle 16.000 Bremer BAMF-Akten von 2002 bis 2016.
Bald stellte sich heraus, dass die Bescheide korrekt waren. Aber die Leiterin der Bremer Außenstelle war mit unbegründeten Vorwürfen verunglimpft und ihres Amtes enthoben worden. Sie wurde Opfer einer Intrige von Asylgegner*innen, die wahrscheinlich aus dem Bundesinnenministerium gesteuert war. Geflüchtete und ihr Schutzanliegen wurden massiv diskreditiert und standen im Verdacht, sich ein Asylrecht ″erschlichen″ zu haben.
Im Ergebnis der Hetzjagd gegen Ulrike B. und weitere ″Verantwortliche″ hat Horst Seehofer sein Ziel erreicht: Nicht nur die BAMF-Leiterin in Bremen, sondern auch die BAMF-Chefin Jutta Cordt musste ihren Hut nehmen. Sie wurde durch Dr. Hans-Eckhard Sommer (CSU) ersetzt, einen Hardliner und engen Gefolgsmann von Bundesinnenminister Seehofer.
Der ″Bremer Asylskandal″ war in erster Linie eine politische Inszenierung, in deren Folge sich der Umgang des BAMF mit Geflüchteten gravierend veränderte. Doch dies war den Medien schon keine Schlagzeile mehr wert.
″Erst wurden unbelegte Falsch- und Vorverurteilungen in Medien und Politik verbreitet, dann hat eine ebenso große wie voreingenommene Ermittlungsgruppe der Staatsanwaltschaft die BAMF-Inszenierung weiter vorangetrieben. All dies hat zur öffentlichen Delegitimation von Flucht und zur weiteren Entrechtung von Geflüchteten beigetragen.″
Holger Dieckmann, Flüchtlingsrat Bremen
Im Juni 2020 wandte sich sogar ein Mitglied der Ermittlergruppe in der "BAMF-Affäre" anonym an das Landgericht in Bremen und erhob schwere Vorwürfe gegen seine Kolleg*innen. Die Ermittlungen seien einseitig geführt und entlastende Dokumente nicht berücksichtigt worden, berichteten NDR und Süddeutscher Zeitung. Als sich im Laufe der Ermittlungen herausstellte, dass die allermeisten der untersuchten Fälle rechtlich nicht zu beanstanden gewesen seien, habe sich in der Ermittlungsgruppe "Verzweiflung" breit gemacht, soll es in dem Schreiben wörtlich heißen.
Bei der systematischen Überprüfung aller positiven Asylbescheide aus Bremen stellte sich nämlich heraus, dass 99,3 Prozent der ausgestellten Asylbescheide korrekt waren.
BAMF: Ein Drittel der Entscheidungen rechtlich nicht haltbar - Keine Konsequenzen für Seehofers ″willigen Vollstrecker*innen″
Dies lässt sich von den Entscheidungen der BAMF sonst nicht sagen. Allerdings ist die Sachlage meist umgekehrt. Die ″willigen Vollstrecker*innen″ von Horst Seehofers Politik im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) schicken Asylsuchende widerrechtlich zurück in Krieg, Folter und Tod. Fast ein Drittel aller Flüchtlinge, die im Jahr 2020 gegen die Ablehnung ihres Asylantrags klagten, hatten bei inhaltlicher Prüfung durch die Verwaltungsgerichte Erfolg. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor: Von 68.000 ablehnenden Entscheiden des BAMF verstießen 21.200 gegen das geltende Asylrecht und wurden von den Gerichten einkassiert.
Im Unterschied zu Ulrike B. haben diese BAMF-Mitarbeiter*innen keine Konsequenzen zu befürchten. Da halten Horst Seehofer und sein Mann im BMF, Hans-Eckhard Sommer, ihre schützenden Hände darüber. So eifrig die Staatsanwaltschaft in Bremen ist, so gering ist der Ermittlungseifer der Staatsanwaltschaften bei den viel viel häufigeren falsch negativen Entscheidungen/Rechtsverstößen des BAMF.
Ermittlungseifer der Bremer Staatsanwaltschaft ungebrochen
Unbeeindruckt von den Tasachen ermittelte die Bremer Staatsanwaltschaft unbeirrt weiter gegen Ulrike B. und zwei Anwälte. Die Anklage schrumpfte von Woche zu Woche zusammen.
Im September 2019 brachte die Staatsanwaltschaft Bremen dann von den ursprünglich in Rede stehenden rund 1.200 Verfahren lediglich noch 121 zur Anklage. In mindestens einem Fall stützte sie sich auf einen positiven Asylbescheid, der zwar von der BAMF-Leitung in Nürnberg kassiert, längst aber vom zuständigen Verwaltungsgericht wieder in Kraft gesetzt wurde, weil er nach dessen Auffassung einwandfrei war.
Am 13. November 2020 lehnte dann das Landgericht Bremen eine Hauptverhandlung gegen die ehemalige Leiterin des BAMF Bremen sowie zwei Anwälte in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle wegen mangelnden Tatverdachts ab und ließ die meisten Anklagepunkte fallen. Gegen einen der Anwälte konnte das Gericht überhaupt keinen hinreichenden Tatverdacht feststellen und lehnte die Anklage gegen ihn insgesamt ab. Der Vorwurf massenhafter rechtwidriger Asyl-Anerkennungsbescheide war damit gänzlich vom Tisch.
Jetzt erhob die Staatsanwaltschaft den Vorwurf gegen Ulrike B., sie habe sich seinerzeit im Amt der Vorteilsnahme, Fälschung von Daten und Verletzung des Dienstgeheimnisses schuldig gemacht. Von Gefängnis war da selbst seitens der Anklage gar nicht mehr die Rede.
″BAMF-Skandal″ beendet, ″Seehofer-Skandal″ bleibt
Am 20. April hat das Landgericht Bremen das Verfahren eingestellt - gegen eine empfindliche Geldbuße. Das bedeutet: Ulrike B. ist unschuldig im Sinne des Gesetzes, wenn sie 10.000 Euro bezahlt.
Die Anwälte von Ulrike B. hätten gern einen Freispruch erzielt. Das aber hätte weitere Belastungen für ihre Mandantin bedeutet, teilten sie mit. Verteidiger Johannes Eisenberg sprach von einer ″prozessökonomischen Verfahrenseinstellung″. B. gehe ″ohne Strafmakel″ aus dem Verfahren hervor. Die Geldbuße ist der Preis, den Ulrike B. hat zahlen müssen, um jetzt endlich ihr beamtenrechtliches Verfahren vorantreiben zu können.
Ermittlung gegen Staatsanwälte
Inzwischen wird gegen den Leiter der Bremer Staatsanwaltschaft Janhenning Kuhn strafrechtlich ermittelt. Außer ihm werden auch eine Oberstaatsanwältin, der Dezernent, der die Anklageschrift gegen Ulrike B. federführend verfasst hatte, sowie der Pressesprecher der Ermittlungsbehörde, Frank P., als Beschuldigte geführt. Die Ermittlungen werden von der Bremer Generalstaatsanwältin, Kirsten Graalmann-Scheerer, geleitet.
Das Verwaltungsgericht Bremen hatte schon im Mai 2019 geurteilt, dass die Äußerungen der Staatsanwälte über Ulrike B. gegenüber der Presse ″die Grenzen staatsanwaltlicher Äußerungsbefugnisse″ überschritten hätten. Die Staatsanwälte hätten ″ein ehrenrühriges Bild″ von Ulrike B. entworfen. Die Staatsanwälte hatten gegenüber Pressevertreter*innen behauptet, über ″zahlreiche Beweise für eine kriminell kollusive Zusammenarbeit″ zu verfügen und sprachen von einer unabwendbaren Haftstrafe für Ulrike B.. Ulrike B. hätte ihre Amtspflichten verletzt, so die Staatsanwälte, ″um einem der beteiligten Anwälte zu gefallen, ohne dass er ihre Zuneigung erwiderte.″
Bundesinnenminsiter Seehofer ficht das alles nicht an. Weder eine Entschuldigung bei Ulrike B. und den zahlreichen Asylsuchenden, die er in Angst und Schrecken versetzt hat, noch der eigentlich fällige Rücktritt.
Nachdem die Akten für ″BAMF-Skandal″ geschlossen werden, muss die Akte über den ″Seehofer-Skandal″ eröffnet werden.
Solidarität mit Ulrike B.Der angebliche Bremer "BAMF-Skandal" bildete 2018 die Begleitmusik zur Verschlechterung des Asylrechts und zur Ablösung der Präsidentin des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Die Leiterin der Bremer Außenstelle wurde mit unbegründeten Vorwürfen verunglimpft und ihres Amtes enthoben. Am Ende des Verfahrens soll die Geschädigte nun auch noch 10.000 Euro dafür bezahlen, dass sie Opfer einer Intrige von Asylgegnern wurde, die wahrscheinlich aus dem Bundesinnenministerium gesteuert wurde. Deshalb wird hier gesammelt, damit die Betroffene dieses Geld nicht selbst aufbringen muss. Sollte ein höherer Betrag zusammenkommen, wird der Überschuss zugunsten von gemeinnützigen Organisationen in der Flüchtlingsarbeit verwendet. |
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