14.05.2022: Viele Schleswig-Holsteiner*innen freuen sich, dass die AfD am zurückliegenden Sonntag nicht mehr in den Landtag eingezogen ist. Mit nur 4,4, % verfehlte diese Partei ihr Ziel und flog damit erstmals aus einem Landtag raus.
Sehr gern nehmen die antifaschistischen Initiativen die Glückwünsche an, denn beigetragen haben auch Kampagnen wie "8. Mai – Landtag nazifrei!" von Aufstehen gegen Rassismus Schleswig-Holstein. Ein engagierter Kampf der letzten Monate gegen die AfD war erfolgreich. Zu den wenigen geplanten Veranstaltungen hatte die AfD Probleme bei der Wahl der Versammlungsorte. Bereits in den vergangenen Jahren wurden Raumvermietungen storniert, wenn Antifaschistische Initiativen über die Partei aufklärten und ihren Prostest äußerten, auch Informationsstände der AfD "begleitet" hat.
Doch die in Schleswig-Holstein seit langer Zeit zerstrittene AfD hat selbst auch dazu beigetragen – insbesondere die Auseinandersetzung mit der 2017 als AfD-Kandidatin in den Landtag gewählte Doris von Sayn-Wittgenstein ist eine Dauerschleife. Obwohl aus der Partei inzwischen ausgeschlossen, wird sie in Schleswig-Holstein immer wieder von führenden Mitgliedern eingeladen und vorgeschlagen als Kandidatin. Damit geht eine tiefe Spaltung der AfD in SH einher, die sich auch auf den Wahlkampf dieser faschistischen Partei auswirkte.
Der schleswig-holsteinische Spitzenkandidat der AfD für die Bundestagswahl 2021, Uwe Witt, trat wegen "Grenzüberschreitungen" innerhalb der AfD im Dezember aus Partei und Bundestagsfraktion aus. Witt behielt sein Mandat und wurde Mitglied der Zentrumspartei.
Ob dieser Rausschmiss aus dem Landtag in Schleswig-Holstein in anderen Bundesländern wiederholt werden kann, liegt auch daran, wie sich die Auseinandersetzung innerhalb der AfD fortsetzt. Der absolute Rechtsaußen dieser rechten Partei, Björn Höcke, will dem Vernehmen nach für den Bundesvorsitz kandidieren. Das wird bereits vor dem im Juni in Riesa stattfindenden Parteitag in der AfD zu einigen Diskussionen führen. An dieser Personalie wird auch in der AfD festgemacht werden, wie die eingeschlagene Richtung sein wird. Eine weitere Spaltung wird dieser Partei dann vielleicht das Aus bescheren, zumindest soweit, dass der Einzug in die Parlamente gestoppt werden kann.
Bei aller Genugtuung darüber, dass die AfD aus dem Landtag flog, kann nicht übersehen werden, dass das Wahlergebnis nicht zum notwendigen Wechsel zu einer sozialeren und ökologischen Entwicklung beiträgt. Im Gegenteil.
Die Landtagswahl hat in Schleswig-Holstein nur einen Sieger, CDU-Ministerpräsident Daniel Günther wurde mit 43,4 % in seinem Amt bestätigt.
Außer ihm freut sich noch die Partei der dänischen Minderheit, der SSW, die von der 5%-Hürde befreit ist. Seit 1954 wurde diese erstmals wieder übersprungen und der SSW nimmt mit jetzt vier Sitzen im Landtag Platz. Mit 5,7 % hat der Südschleswigsche Wählerverband das beste Ergebnis seit seinem Bestehen 1948 erhalten. Dabei muss festgehalten werden, dass die Wählbarkeit mit der Zweitstimme für diese Partei erst seit der Wahlrechtsreform im Jahr 2000 in beiden Teilen Schleswig-Holsteins möglich ist. Vorher war diese auf den nördlichen, den schleswigschen, Landesteil begrenzt. Bis heute gibt es auch nur hier Erststimmenkandidaturen.
Bündnis90/Die Grünen haben an Stimmen und prozentual satte 5,4 % zugewonnen. Im Mai 2021 wurden jedoch 27 % prognostiziert, im Dezember immerhin noch 20 % aus denen jetzt 18,3 % erreicht sind. Verloren haben die Grünen gegenüber ihrem Vorhaben, mit der bisherigen Finanzministerin der Jamaika-Koalition die Ministerpräsidentin zu stellen. Es schien verwegen, auf den Ministerpräsident*innen-Sitz zu schauen, aber dadurch gelang es in den Medien mehr Präsenz zu bekommen. Und mehr Präsenz bedeutet dann eben auch, mehr Möglichkeiten sich den Wähler*innen für eine neue Rolle vorzustellen.
Dies scheint zumindest mehr Früchte getragen zu haben, als mit einer FDP, die den bisher bestehenden Tross an Parlamentarier*innen wieder in den Landtag hieven wollte. Mit ihren nur wirtschaftsliberalen Aussagen und auch der bisher in der Regierung so vertretenen Politik, holten sie 5,1 % weniger und sind mit 6,4 % und nur noch mit 5 Abgeordneten im Landtag.
Von Interesse bei einer Einschätzung der Wahl sind beide oben genannten Parteien deshalb, da sie in den letzten fünf Jahren mit der CDU gemeinsam die Jamaika-Koalition bildeten. Jetzt sind sie enttäuscht vom Wahlergebnis und fragen, weshalb nur der Ministerpräsident Günther so extrem von der ihrer Meinung nach guten Arbeit der Regierung profitiert.
Tatsächlich haben weniger der Ministerpräsident und seine CDU die Arbeit gemacht und die wichtigen Entscheidungen in der Regierung getroffen. Die Unterstützung der Wirtschaft, ob nun mit Finanzgeschenken in der Corona-Pandemie, mit Maßnahmen für die Tourismusindustrie und die Deals mit für die Organisation der Impfzentren und Teststationen werden – auch mit dem Einsatz von Bundeswehr – erscheinen auf der Habenseite des Ministerpräsidenten und nicht der FDP-geführten Wirtschafts- sowie des Gesundheitsministeriums des Landes oder der grünen Finanzministerin.
Auf der anderen Seite wurden jedoch soziale Fragen nicht angegangen. Wurde den touristischen und wenigen Industriebetrieben geholfen, dann gilt dies nicht für die oft ohnehin prekär Beschäftigten in diesem Bereich. In Schleswig-Holstein ist außerdem die Kinderarmut seit 2011 gestiegen, von 17,8 % auf 21,2 % in 2018. Die bislang eingeleiteten Maßnahmen und die Ausgaben der Regierung reichen auch nach Aussage der Finanzministerin Heinold (Grüne) nicht. Hinzu kommt der fehlende soziale Wohnungsbau. Der DGB Nord geht hier von einem Investitionsbedarf von 5,85 Mrd. Euro in den nächsten 10 Jahren aus.
In der Energiepolitik hat die Jamaika-Koalition aktuell über den Bau eines LNG-Terminals bei Brunsbüttel beraten, wie er auch von der Ampel-Bundesregierung gewünscht wird. Die bisherige Landesregierung in Schleswig-Holstein hat noch im April dazu den Entwurf einer Änderung des Wassergesetzes beschlossen. Dagegen stehen die Umweltverbände im Land und sogar die Landesmitgliederversammlung von Bündnis90/DieGrünen hat sich mit Mehrheit gegen den Bau ausgesprochen und die Fraktion der Grünen im Landtag an die bestehenden Beschlüsse gegen ein LNG-Terminal erinnert.
Daniel Günther stand immer parat um Positives, Erfolge zu vermitteln. Die negativen Schlagzeilen überlässt er den Ministerien. So stärkt sich der Eindruck vom "Bonus des Amtsinhabers" und der daraus resultierenden Stimmen an den Wahlurnen.
Seinen Dank nach der Wahl richtete er obligatorisch dann an seine Partei und die Wahlhelfer*innen gerichtet, um sich dann direkt über die Fernsehkameras an seine bisherigen Koalitionspartner*innen Grüne und FPD zu wenden, die "mit ihrer Arbeit zu dem Erfolg der Regierung beigetragen haben."
Günther weiß allem Anschein nach, was er an dieser Jamaika-Konstruktion hatte: die Koalitionspartner*innen haben ihm oft den Rücken freigehalten, wenn begründet werden musste, weshalb kein Geld da ist für Soziales, wenn der Straßenbau stockte, weshalb das Öffnen und Schließen von Test- und Impfzentren sein muss – waren es oft die Ministerien von gelb/grün.
Die CDU scheint sich auch nach dem furiosen Wahlerfolg vom 8. Mai des für ihn hilfreichen Mitregierens seiner Koalitionäre bewusst zu sein. Ebenso wird ihm klar sein, dass ihm auch in der folgenden Amtszeit als Ministerpräsident mitregierende Parteien helfen können. Schaden, mindestens unter Druck setzen, könnten sie ihm als starke Opposition im Landtag. Darauf wird er verzichten wollen.
Ob Günther zur weiteren Regierungsarbeit die Grünen oder die FDP wählt oder weiterhin eine Jamaika-Koalition anstrebt – er wird die Themen im Landeshaus setzen und andere ausführen lassen.
Die SPD wird in der Opposition zeigen müssen, dass sie nicht nur mit Aussagen und Wahlversprechen angetreten war um Jamaika abzulösen. Ihr gescheiterter Spitzenkandidat spielt eine Rolle, denn es wurde ein Personenwahlkampf geführt. Losse-Müller war Investmentbanker in London, hat für die Weltbank in Washington gearbeitet und war in Schleswig-Holstein Staatssekretär der Grünen, Chef der Staatskanzlei unter Ministerpräsident Albig (SPD) und wechselte nach dessen verpassten Wiedereinzug 2017 zur Beratungsgesellschaft EY-Parthenon.
Bei Bündnis90/Die Grünen 2020 ausgetreten und das Parteibuch für einen Job getauscht, wurde er bereits im Frühjahr 2021 von der Landesvorsitzenden und Fraktionschefin der SPD in Schleswig-Holstein, Serpil Midyatli, der Öffentlichkeit als Kandidat für den Posten des Ministerpräsidenten vorgeschlagen. Auch in der SPD wurde es mit Erstaunen aufgenommen.
In einem Interview im Dezember erklärte Losse-Müller, weshalb er kandidiert: "Serpil hat mir damals gesagt, dass es ihrer Analyse nach jetzt um die Themen Klima, Digitalisierung und Wirtschaft geht. Sie wollte, dass die SPD von jemandem repräsentiert wird, der genau diese Themen aus dem Maschinenraum heraus kennt und Regierungserfahrung hat."
Hier gab es dann wohl einige Probleme. In Schleswig-Holstein könnte man die SPD mit der teuren Reparatur des Segelschulschiffs Gorch Fock vergleichen: trotz der Investitionen, trotz des vermeintlichen Profils, das dieses Schiff für die Marine und ihren Heimathafen Kiel hat, gibt es zu viele Hoch und Tiefs, es fehlt immer wieder etwas um richtig Fahrt aufzunehmen. Aktuell ist es wieder mit einem Getriebeschaden manövrierunfähig.
Auch die in den Hochburgen der SPD geführten Kämpfe um die vermeintlich sicheren Direktwahlkandidaturen, danach um die Listenplätze und wurden als "Schlammschlacht" um die Posten dargestellt.
Dem Spitzenkandidaten Losse-Müller ist es nicht gelungen ein eigenes Profil zu entwickeln. Mit seinem Auftreten hat er sich mehr am weithin bekannten Ministerpräsidenten Günther orientiert. Wenn dieser mit einem Bauhelm auf dem Plakat erschien, trug die SPD die Arbeitsweste. Da die Themen im SPD-Wahlprogramm zu wirtschaftlichen, klimapolitischen und digitalen Aussagen auch von den Parteien der Jamaika-Koalition überzeugender vertreten wurden, wählten die Menschen lieber die Originale statt der Kopie. Die sozialen Fragen, mit der die SPD hätte punkten können, wurden insbesondere in den letzten Monaten durch den Krieg in der Ukraine an den Rand gedrängt. Nicht etwa, weil der Krieg den Wahlkampf bestimmte, sondern weil der SPD-Spitzenkandidat sich an den bundespolitischen Aussagen seiner Partei orientierte ohne dabei Überzeugung auszustrahlen.
Die SPD hat 62.000 Wahlstimmen an die CDU und 36.000 an die Grünen verloren (infratest dimap). Es zeigt wie wenig die SPD es verstanden hat, wirklich eigene Themen zu setzen, bzw. diese überzeugend zu vermitteln.
DIE LINKE hatte bereits in den vergangenen Wahlen mit einem Rückgang der Stimmen zu kämpfen. Im Landtag waren sie ohnehin nicht mehr vertreten, zu den Bundestagswahlen im September 2021 blieben sie deutlich unter dem bundesweiten Ergebnis. Viel Zeit blieb der Partei nicht, um zu den Landtagswahlen Spurensuche zu betreiben und sich besser aufzustellen.
Aus der geringen Sichtbarkeit während der Corona-Pandemie, den bundesweiten auch in Schleswig-Holstein diskutierten inhaltlichen Themen und der unklaren Meinungsäußerungen zum Krieg Russlands in der Ukraine war der Wahlkampf in den letzten Wochen nicht mehr als der Versuch, die Stimmen zu retten, die als Stammwähler*innen zählen.
Bei landesweit eher unbekannten Kandidat*innen, die sich mit einem großen Wahlprogramm präsentieren und dies vertreten sollten, war das Unterfangen mehr Stimmen zu holen von vornherein eher aussichtslos. Obwohl auf den Plakaten die sozialen Fragen nach vorn getragen wurden, spiegelte sich dies im Wahlkampf wenig und nicht überzeugend wieder. Das Thema der Klimakrise wurde versucht in fast alle anderen Fragen einzubauen – was den Wähler*innen oft nicht vermittelbar war. Hinzu kamen die Aus- und Rücktritte von bundesweiten Persönlichkeiten von DIE LINKE.
Die Diskussionen in der Partei sind, bei bestem Willen der Mitglieder und Kandidierenden, nicht aus einem Wahlkampf, nicht aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. Es gibt widersprüchliche Aussagen zu wichtigen Fragen wie zur Friedens- und Rüstungspolitik, es gab eine öffentliche Meinung des Spitzenkandidaten zur seiner Ansicht nach veränderten Rolle der NATO, die in einer Wahlkundgebung nicht diskutiert und nicht vermittelt werden kann. Einzig in einigen eher kommunalen Fragen, traten die Wahlkämpfer*innen von DIE LINKE selbstbewusst und überzeugend auf. Dort, wo sie in Bündnissen wie dem "Für bezahlbaren Wohnraum" in Kiel aktiv mitarbeiten, können auch Themen konstruktiv besetzt werden. Im Frühjahr 2023 finden Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein statt. Dies kann ein Ziel sein, sich dort als Partei neu aufzustellen.
Schleswig-Holstein ist für bundesweite Trends in der politischen Entwicklung nicht ausschlaggebend. Es stellt sich die Frage welchen Wert Umfragen vor der Wahl und Ergebnisse in einem Bundesland auch bundesweit haben können. Welchen Einfluss hat Bundespolitik auf die Wahl in den Ländern? Die Werte für die CDU in Schleswig-Holstein waren in den Umfragen kurz nach der Bundestagswahl 2021 eingebrochen. Die Zustimmung für die SPD stieg im selben Maß an. Mit dem Beginn des Krieges von Russland gegen die Ukraine drehte sich dies wieder zugunsten der CDU.
Am Sonntag wählt NRW. Die CDU und die SPD liegen dicht beieinander in den Umfragen. Und in diesem größten Land wird es für die SPD und dem Kanzler Scholz eine erste echte Abrechnung geben.
txt: Bettina Jürgensen, marxistische linke - Schleswig-Holstein