Deutschland

25.04.2024: Vor sechs Jahren kam der bislang größte Steuerbetrug an die Öffentlichkeit ++ Jetzt hat Deutschlands wichtigste Cum-Ex-Ermittlerin, Staatsanwältin Anne Brorhilker, gekündigt. Sie äußert scharfe Kritik an der Strafverfolgung von Finanzkriminalität. Künftig will sie bei der Nichtregierungsorganisation Finanzwende gegen Finanzkriminalität kämpfen.

 

 

Mittlerweile sind beinahe sechs Jahre vergangen seit der milliardenschwere Steuerbetrug Cum-Ex enthüllt worden ist. Damals kam an die Öffentlichkeit, wie Bänker und Anwälte die Staatskassen von elf europäischen Ländern über Jahre hinweg geplündert hatten. Sie ließen sich Steuern zurück erstatten, die sie nie bezahlt hatten.

Im Oktober 2018 veröffentlichte ein internationales Recherche-Netzwerk unter der Leitung von Correctiv Details über den bislang größten Steuerbetrug der Geschichte. Correctiv beschreibt in "THE CUMEX-FILES. Wie Banker, Anwälte und Superreiche Europa ausrauben" wie dieses Steuerbetrugsmodell funktioniert: https://cumex-files.com/

Die Journalist:innen enthüllten, wie Banker:innen, Aktienhändler:innen und Steuerberater:innen die Staatskasse geplündert haben. Eine unglaubliche Summe von mindestens 55 Milliarden Euro wurde durch Cum-Ex und Cum-Cum-Betrügereien in Europa gestohlen. In Deutschland wurde die Staatskasse durch den Cum-Ex-Betrug, der seine Hochphase von 2006 bis 2011 hatte, nach Berechnungen von Steuerprofessor Christoph Spengel um mindestens 31,8 Milliarden Euro beraubt. Geld, mit dem Bahn, Brücken, Krankenhäuser und Schulen hätten saniert und Kindergärten und Wohnungen gebaut werden können, floss stattdessen an Banken, superreiche Investoren und ihre Berater.

Enge Verstrickungen zwischen der Finanzszene und Politik

Die kriminellen Geschäfte wurden auch durch enge Verstrickungen zwischen der Finanzszene und Politik geschützt. Bereits 2002 – der damalige Finanzminister war Hans Eichel (SPD) – kam die Warnung vor den Cum-Ex-Machenschaften. Doch es geschah nichts. Das Finanzministerium sah keinen Handlungsbedarf und deckte dadurch zumindest indirekt die kriminellen Geschäfte. 2007 reagierte zwar Eichels Nachfolger Peer Steinbrück, ebenfalls SPD, doch eher halbherzig. Die Lücke wurde immer noch nicht geschlossen. Unter CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble vergingen Jahre, ehe die Cum-Ex-Geschäfte eingedämmt wurde. Aber die Finanzindustrie hat inzwischen neue Lücken für ihre kriminellen Machenschaften entdeckt, und ihre Lobbyist:innen schreiben nach wie vor die Gesetze mit.

 

 

Hamburgs Cum-Ex-Krimi

 D CumEx Scholz Titelblatt Stern

 

Was die schleppende Aufarbeitung von CumEx langsam, aber sicher, ans Licht bringt: Die kriminellen Geschäfte wurden auch durch enge Verstrickungen zwischen der Finanzszene und Politik geschützt. Vor allem die Geschehnisse in Hamburg stehen dafür sinnbildlich. Obwohl das Hamburger Finanzamt 2016 knapp 50 Millionen Euro CumEx-Gelder von der Warburg Bank zurückfordern wollte, entschied Hamburg in letzter Minute der CumEx-Bank die gestohlenen Steuergelder einfach zu überlassen. 

Kurz zuvor traf sich Olaf Scholz, damals amtierender Bürgermeister, mit Christian Olearius, Eigentümer der Warburg Bank. An die Inhalte der Treffen kann sich der jetzige Bundeskanzler aber nicht mehr erinnern. Laut Olearius’ eigenen Tagebüchern riet Scholz ihm allerdings, ein Verteidigungsschreiben an Finanzsenator Peter Tschentscher zu schicken. Tschentscher übermittelte das Schreiben an die Steuerverwaltung, wobei pikanterweise die Argumente der Bank markiert sind. Tatsächlich wurde schlussendlich auf eine Rückforderung verzichtet, womit die Ansprüche Ende 2016 verjährten.

aus Finanzwende e.V., 28.09.2022: CumEx - Ein nicht enden wollender Skandal https://www.finanzwende.de/themen/cumex/

 

 

Staatsanwaltschaften ermitteln

Quer durch die Republik ermittelten Staatsanwaltschaften in mehr als 70 Komplexen gegen Hunderte 500 Beschuldigte. Allein in NRW geht es um insgesamt über 100 Fallkomplexe und über 1.700 Beschuldigte. Das Handelsblatt veröffentlichte eine Aufstellung eines Whistleblowers mit den Namen von 130 Banken, die an Cum-Ex-Geschäften beteiligt gewesen sein sollen. Es gibt kaum ein Geldhaus, das darauf fehlt. Diese setzten darauf, dass viele Cum-Ex-Fälle steuerlich verjährt seien, weil die Finanzämter entweder nicht rechtzeitig merkten, dass sie über den Tisch gezogen wurden, oder weil es ihnen rechtlich zu unsicher war, das Geld von den Beteiligten zurückzufordern.

 

Euro Geldkoffer  

kommunisten.de, 27.03.2019:

Organisierte Kriminalität in Nadelstreifen. Straffrei?

Mindestens 55 Milliarden Euro haben Kriminelle aus den Staatskassen geraubt ++ Deutsche Bank war Handlanger ++ Bundesregierung wusste Bescheid ++ jetzt droht Verjährung wegen Personalmangel bei der Justiz ++ Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Journalist*innen, die den Betrug aufgedeckt haben.

 

Sie dürfen die Beute behalten

Am 29 Juni 2020 wurde unter Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) mit dem zweiten Corona-Steuerhilfegesetz beschlossen, dass es Staatsanwaltschaften möglich ist, die Beute der Cum-Ex-Geschäfte auch dann noch von Banken und anderen Beteiligten einzuziehen, wenn die Fälle eigentlich schon steuerlich verjährt sind. Das ist in der Regel zehn Jahre nach Zustellung eines Steuerbescheids der Fall.

Allerdings ließ Scholz in das selbe Gesetz in einer anfangs unbeachteten Zusatzregel hineinschreiben, dass der Paragraph nicht für Fälle gilt, die zum 1. Juli 2020 bereits steuerlich verjährt waren. Doch genau das trifft auf viele Cum-Ex-Fälle zu, die meist in die Zeit zwischen 2005 und 2012 fallen. Prof. Dr. Kilian Wegner schrieb zu dieser "Einziehungs-Amnestie" im Verfassungsblog: "Ihr recht präziser Zuschnitt auf Cum/Ex-Täter macht zudem den ungünstigen Eindruck, dass die nachsichtigen Strukturen, die Cum /Ex in seinem Umfang erst ermöglichten, weiter fortwirken". [1]

Erst nach Protesten und Einsprüchen der Fraktionen der Linkspartei und der Grünen wurde zum Jahresende 2020 der Passus der "Einziehungs-Amnestie" wieder gestrichen.

Im Juli 2021 urteilte dann der Bundesgerichtshof, dass die Cum-Ex-Geschäfte kriminell waren und nicht verjährt sind. Damit brachten sie eine Verteidigungslinie der Banken und Investoren zum Einsturz.

Wenig politische Unterstützung für die Justiz

Anstatt die ermittelnden Staatsanwaltschaften bestmöglich aufzustellen, wurden der Justiz Steine in den Weg gelegt.

Anfangs trieb nur die Kölner Staatsanwältin Anne Brorhilker beherzt die Aufklärung voran – trotz des Milliardenschadens. Die 50-Jährige leitete die deutschlandweit einzige Hauptabteilung für Cum-Ex-Ermittlungen. In rund 120 Cum-Ex-Ermittlungsverfahren wurde in Köln unter Brorhilkers Führung gegen 1700 Beschuldigte ermittelt. Über lange Zeit stand den Beschuldigten mit einem Heer von Anwälten lediglich ein kleines Ermittlerteam von 55 Personen gegenüber. Wichtige Informationen zu Tatverdächtigen wurden vom Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) nicht an die Ermittler:innen in Köln weitergegeben.

2014 ließ Anne Brorhilker eine weltweite Razzia durchführen. Später führte ihre Anklage zum ersten rechtskräftigen Urteil. Auch Hanno Berger, der einst in die Schweiz geflohene "Mr. Cum Ex", wurde wegen Steuerhinterziehung zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Mit ihrem Anliegen, Ermittlungen zum Einfluss des Bundeskanzlers auf das Steuerverfahren der Warburg Bank zu führen, lief sie gegen eine Wand. Zudem ist der frühere Hamburger Bürgermeister (2011 – 2018), vormalige Bundesfinanzminister (2018 – 2021) und jetzige Kanzler Scholz (SPD) von Erinnerugslücken geplagt. An Gespräche mit führenden Cum-Ex-Bankern kann sich Scholz nicht erinnern. Und dann waren im Oktober 2023 für 20 Tage zwei (!) Laptops mit brisanten Emails verschwunden.

D CumEx Verfahren


Knüppel zwischen die Beine geworfen bekam Brorhilker von NRW-Justizminister Benjamin Limbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Nachdem 2021 noch eine personelle Aufstockung und Stärkung der zuständigen Staatsanwaltschaft veranlasst wurde -
über 64.000 Menschen hatten in einer Petition an den damaligen NRW-Ministerpräsident Armin Laschet gefordert, das Personal ausreichend aufzustocken -, wollte NRW-Justizminister Benjamin Limbach im September 2023 die Abteilung aufzuspalten und dadurch die erfolgreiche Abteilung unter Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker entmachten. Nur massive Proteste konnten dieses Vorhaben verhindern.

Cum-Ex-Chefermittlerin wirft entnervt hin: "Die Großen lässt man laufen"

 Anne Brorhilker

 

Jetzt hat die Cum-Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker gekündigt. Sie äußert scharfe Kritik an der Strafverfolgung von Finanzkriminalität: Steuerdiebstähle seien längst nicht gestoppt, es gebe Cum-Ex-Nachfolgemodelle.

"Man kommt quasi als Steuerhinterzieher, besonders wenn man es im großen Stil betreibt, deutlich besser weg als Sozialhilfebetrüger in Deutschland. (...) Die kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Das ist einfach ungerecht."
Anne Brorhilker in WDR, 22.4.2024: "Exklusiv-Interview: Cum-Ex Chefermittlerin spricht über ihre Kündigung"


Dem WDR sagte Brorhilker: "Ich war immer mit Leib und Seele Staatsanwältin, gerade im Bereich von Wirtschaftskriminalität, aber ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird." Brorhilker kritisierte auch Ungerechtigkeit im Strafverfolgungssystem. Bei der Finanzkriminalität gehe es oft um Täter mit viel Geld und guten Kontakten, die dann auf eine "schwach aufgestellte Justiz" stießen. Auch könnten sich Beschuldigte oft aus Verfahren einfach herauskaufen, indem bspw. Verfahren gegen eine Geldbuße eingestellt würden. "Dann haben wir den Befund: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen." Als einzelne Staatsanwältin könne sie daran wenig ändern.

Probleme seien unter anderem fehlende Kontrollen dessen, was bei Banken und auf den Aktienmärkten geschehe, sagte Brorhilker. Sie sprach sich deshalb für mehr Personal in der Strafverfolgung sowie für eine zentrale bundesweite Behörde zur Bekämpfung von Finanzkriminalität aus, die auch Steuervergehen verfolge. Aktuell fehle es an einer zentralen Zuständigkeit und der Bündelung von Ermittlungen. Zudem stelle sie sich die Frage, warum bestimmte Fälle nicht in den Zuständigkeitsbereich der europäischen Staatsanwaltschaft fielen.

https://youtu.be/EbqSVYt7PxI


Zukünftig will Brorhilker sich nicht mehr als Staatsanwältin dem Kampf gegen Finanzkriminalität widmen, sondern als Geschäftsführerin der Nichtregierungsorganisation Finanzwende.

Auf ihrer Website schreibt die Organisation, Brorhilker werde ihren "erfolgreichen Kampf gegen Steuer- und Finanzkriminalität" neu ausrichten: "nicht mehr als Staatsanwältin und mit Ermittlungen gegen einzelne Täter, sondern als politische Auseinandersetzung für Gerechtigkeit und Rechtsstaat". Sie werde ihre neue Stelle antreten, sobald sie aus dem öffentlichen Dienst des Landes NRW entlassen sei. [2]

Der Spezialist für Finanzverbrechen und Spitzenkandidat des Bündnis Sahra Wagenknecht zur Europawahl 2024, Fabio de Masi, meint zu dem Wechsel von Anne Brorhilker zur Finanzwende:

Fabio de Masi Buch"Für meine früheren Kolleginnen und Kollegen von Finanzwende ist das ein echter Coup auf dem 'Transfermarkt'. Aber für den Rechtsstaat ist es eine Katastrophe. Frau Brorhilker war Deutschlands wichtigste Cum-Ex Ermittlerin. Ihre Arbeit wurde von der Politik zuweilen sabotiert. Der grüne Justizminister von Nordrhein-Westfalen, Benjamin Limbach, wollte sie zu faulen Deals mit der organisierten Finanzkriminalität drängen. Auch ihr Anliegen, Ermittlungen zum Einfluss des Bundeskanzlers auf das Steuerverfahren der Warburg Bank zu führen, wurden behindert. Dies wurde mit der gehobenen Stellung des Bundeskanzlers begründet, die einer langwierigen Auswertung – etwa von beschlagnahmter Kommunikation von Scholz und Co. – entgegengestanden hätte."[3]

 

 

Fußnoten

[1] Verfassungsblog, 28.7.2020: Heimliche Großzügigkeit
https://verfassungsblog.de/heimliche-grosszuegigkeit/ 

[2] https://www.finanzwende.de/ueber-uns/aktuelles/anne-brorhilker-wird-geschaeftsfuehrerin-der-buergerbewegung-finanzwende 

[3] der Freitag: https://www.freitag.de/autoren/sebastianpuschner/cum-ex-ein-gruener-wollte-brorhilker-zu-faulen-deals-draengen-so-fabio-de-masi

 

 

Farkha Festival Komitee ruft zu Spenden für die Solidaritätsarbeit in Gaza auf

CfD communist solidarity dt
zum Text hier
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UNRWA Gazakrieg Essenausgabe

UNRWA Nothilfeaufruf für Gaza
Vereint in Menschlichkeit, vereint in Aktion

Mehr als 2 Millionen Menschen, darunter 1,7 Millionen Palästina-Flüchtlinge, zahlen den verheerenden Preis für die Eskalation im Gazastreifen.
Zivilisten sterben, während die Welt zusieht. Die Luftangriffe gehen weiter. Familien werden massenweise vertrieben. Lebensrettende Hilfsgüter gehen zur Neige. Der Zugang für humanitäre Hilfe wird nach wie vor verweigert.
Unter diesen Umständen sind Hunderttausende von Vertriebenen in UNRWA-Schulen untergebracht. Tausende unserer humanitären Helfer sind vor Ort, um Hilfe zu leisten, aber Nahrungsmittel, Wasser und andere lebenswichtige Güter werden bald aufgebraucht sein.
Das UNRWA fordert den sofortigen Zugang zu humanitärer Hilfe und die Bereitstellung von Nahrungsmitteln und anderen Hilfsgütern für bedürftige Palästina-Flüchtlinge.
Dies ist ein Moment, der zum Handeln auffordert. Lassen Sie uns gemeinsam für die Menschlichkeit eintreten und denjenigen, die es am meisten brauchen, die dringend benötigte Hilfe bringen.

Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

Spenden: https://donate.unrwa.org/gaza/~my-donation


 

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