26.07.2020 update: EU-Parlament lehnt Gipfel-Beschluss ab
23.07.2020: EU-Regierungschefs einigen sich auf Finanzpaket ++ Mark Rutte macht auf Schäuble ++ Catarina Martins: "Die 'Geizigen Vier' sind die Länder, die von Steuerdumping profitieren" ++ Heinz Bierbaum (Europäische Linke): "ein bedeutender Kompromiss, aber voller Mängel" ++ Martin Schirdewan (GUE/NGL): "ein Sieg nationaler Egoismen über gemeinsame Interessen" ++ Özlem Alev Demirel (MdEP, DIE LINKE): erstmals Militärbudget im EU-Haushalt ++ Yanis Varoufakis: "Das letzte, was Europas zerstörte Unternehmen brauchen, sind noch mehr Kredite"
26.07.2020:
Gipfelbeschluss: EU-Parlament fordert Nachbesserung
Die Abgeordneten des EU-Parlaments lehnten am 22. Juli in Brüssel in einer mit breiter Mehrheit von 465 Ja-Stimmen (gegen 150 Nein-Stimmen und 67 Enthaltungen) verabschiedeten Entschließung den beim EU-Gipfel erzielten Kompromiss "in seiner derzeitigen Fassung" ab. Das Parlament werde seine Zustimmung "verweigern, bis (…) eine zufriedenstellende Einigung erzielt wird", heißt es.
Die Abgeordneten begrüßten grundsätzlich den Coronavirus-Fonds, für den die EU-Kommission künftig hohe Schulden im Namen der EU aufnehmen soll. Beim Budget habe es aber "massive Kürzungen" gegeben. Diese Einschnitte bei Gesundheits-, Forschungs- und Bildungsprogrammen, beim Klimaschutz und der Digitalisierung sowie in der Außen- und Migrationspolitik liefen den gemeinschaftlichen Interessen zuwider.
In der Entschließung wenden sich die Abgeordneten auch gegen die Rabatte, die einigen Nettozahlerländern auf ihre EU-Beiträge gewährt werden. Parlament und Kommission fordern schon lange die Abschaffung dieser "Korrekturmechanismen". Beim EU-Gipfel hatten Österreich, die Niederlande, Dänemark und Schweden aber sogar höhere Nachlässe für sich ausgehandelt. Der ebenfalls beträchtliche Rabatt Deutschlands blieb gleich.
Die höheren Rabatte waren den vier Ländern zugestanden worden, weil sie sich lange gegen die Grundidee des Coronavirus-Hilfsfonds gewehrt hatten: dass die EU-Kommission Schulden aufnimmt und das Geld als nicht rückzahlbare Zuschüsse zur Krisenbewältigung an bedürftige Länder verteilt.
Auch die heikle Frage der Rechtsstaatlichkeit wurde dem Parlament zufolge nicht gelöst. Wie auch die EU-Kommission wollen die Abgeordneten, dass EU-Ländern in Fällen von Verstößen gegen rechtsstaatliche Prinzipien die Mittel aus Brüssel gekürzt werden können. Die Gipfeleinigung sieht diese Möglichkeit grundsätzlich vor, auf Druck von Polen und Ungarn wurden die Details des Rechtsstaatsmechanismus aber nicht verabschiedet.
23.07.2020
Die »Geizigen Vier« gegen den Süden
Vier Tage und vier Nächte verhandelten die EU-Staaten über ein Programm zur Bewältigung der Folgen der durch Corona ausgelösten Wirtschaftskrise. Sie einigten sich schließlich auf ein 1,8 Billionen Euro schweres Finanzpaket - davon 1.074 Milliarden Euro für den nächsten siebenjährigen Haushaltsrahmen und 750 Milliarden Euro für ein Konjunktur- und Investitionsprogramm. Für dieses Programm werden erstmals im Namen der EU Schulden aufgenommen, das Geld umverteilt und ab 2028 gemeinsam über 30 Jahre getilgt.
Dem Deal vorangegangen ist ein zähes Feilschen. Ein paar Milliarden hier, ein paar Milliarde dort, Erhöhung der "Beitragsermäßigungen" für die Nettozahlerländer, 50 Millionen mehr für Österreich, 25 Millionen für Dänemark und Schweden; eine Flut von Geschenken, 100 Millionen mehr für die schwer betroffenen Regionen Spaniens und Portugals, 200 Millionen für Belgien, 1 Milliarde für die Tschechische Republik, 100 Millionen für Zypern, 240 Millionen für Slowenien und sogar 100 Millionen für Luxemburg im Rahmen des ReactEu-Programms. Und um diese "Zuckerpillen" ein wenig auszugleichen, ein paar kurzsichtige Kürzungen: 2 Milliarden weniger für das europäische Forschungsprogramm Horizon, 2,7 Milliarden weniger für das Gesundheitswesen, 5 Milliarden weniger für die ländliche Entwicklung.
Die "Geizigen Vier"
Doch der härteste Knackpunkt war der Widerstand der "Geizigen Vier" (Niederlande, Dänemark, Schweden, Österreich) gegen nicht rückzahlbare Zuschüsse für die von der Corona-Pandemie besonders hart geschlagenen Länder. Der Niederländer Mark Rutte übernahm die Rolle, die der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble während der Euro-Krise in den Verhandlungen mit Griechenland gespielt hatte. Er wollte überhaupt keine schuldenfinanzierten Zuschüsse und verlangte sog. "Strukturreformen" im Gegenzug für Kredite, streng kontrolliert durch die EU-Regierungschefs.
Sekundiert wird der konservativ-neoliberale Niederländer von der sozialdemokratischen Regierungschefin Dänemarks Mette Frederiksen, dem schwedischen Sozialdemokraten Kjell Stefan Löfven und dem rechtspopulistischem Regierungschef Österreichs Sebastian Kurz. Im Laufe der Verhandlungen wuchsen die "Geizigen Vier" auf Fünf an: die als progressive gehandelte Ministerpräsidentin Finnlands, die Sozialdemokratin Sanna Mirella Marin schlug sich auf die Seite der Geizigen. Diese Koalition markiert die starken Verschiebungen der politischen Landschaft in Europa zur Verteidigung des Neoliberalismus.
"Die sogenannten 'Sparsamen Vier' setzen sich für die großen Konzerne ein"
Yanis Varoufakis
Die "Geizigen Vier" setzen sich für die Konzerne ein, meint der griechische Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis:
"Die sogenannten 'Sparsamen Vier' setzen sich für die großen Konzerne ein, die ihren Teil vom Kuchen fordern. Ihnen gefällt außerdem die Tatsache, dass wegen Italien und Griechenland der Euro niedrig bewertet bleibt. Damit können sie den Profit ihrer Exporte maximieren, etwa nach China. Außerdem bleiben die Zinssätze unter null, womit die Banken und Konzerne kostenloses Geld von der EZB erhalten können. Wie alle Trittbrettfahrer nutzen sie alles, was ihnen zum Vorteil gereicht. Sie übernehmen jedoch keine Verantwortung für den Schaden, den die Politik, von der sie profitieren, sowohl dem Süden als auch ihrer eigenen Arbeiterklasse zufügt. Die Arbeiter fühlen sich im Rahmen des Prozesses zunehmend in die Enge getrieben und überschuldet – genauso wie der ganze Süden Europas." (Berliner Zeitung, 14.7.20: Varoufakis: "Europa wird traurig und geteilt sein")
"Die 'Sparsamen Vier' sind die Länder, die von Steuerdumping profitieren"
Catarina Martins, Koordinatorin des portugiesischen Linkblocks
Die Koordinatorin des portugiesischen Linkblocks, Catarina Martins, kritisiert die "Geizigen Vier" für ihren "Sparsamkeitsdiskurs", mit dem sie davon ablenken, wie sie mit Steuerdumping Geld aus anderen Ländern abziehen. Catarina Martins:
"Und was die »Sparsamen Vier« angeht, habe ich auch die Nachricht für Sie, dass die gar nicht so sparsam sind. Denn das sind Länder, die von Steuergeldern der anderen Länder profitieren, die denen durch ein Steuerdumping verloren gehen. Viele große Firmen Portugals haben ihren Sitz nun in den Niederlanden und bezahlen die Steuern in den Niederlanden anstatt in Portugal, womit die Niederlande von dem profitiert, was hier erarbeitet wird. Mit dem Geld, das in Portugal fehlt, kann man dann schön »sparsam« sein. Mit einem moralischen Diskurs darüber, wer sparsamer ist, werden doch nur die viel wichtigeren Fragen verdeckt, wie eben die Debatte über Offshorefirmen und Steuerparadiese mitten in Europa." (nd, 18.7.20: »Sparsame Vier« profitieren von Steuerdumping)
Bruch mit einigen neoliberalen Dogmen, um den Neoliberalismus zu retten
Doch auch die Gegenposition zu den "Geizigen Vier" ist keinesfalls eine, die grundsätzlich mit der neoliberalen Geschäftsgrundlage der EU brechen möchte. Auch sind die populistischen Forderungen von Rutte, Kurz und Co. nicht grundsätzlich gegen die Kommissionsvorschläge gerichtet, sondern halfen in gewisser Weise der EU-Kommission ihre ursprüngliche Position ohne Zugeständnisse an die südeuropäischen Staaten durchsetzen zu können. Zudem wird der Widerspruch zwischen den Interessen des Kapitals und den Lohnabhängigen in Europa von den politischen Differenzen dieser beiden Lager übertüncht.
Als Angela Merkel am 18. Mai 2020 mit Emmanuel Macron vor die Kameras trat und sich für einen Wiederaufbaufonds zur Bewältigung der durch Covid-19 ausgelösten Wirtschaftskrise in der Höhe von 500 Milliarden Euro und finanziert durch eine begrenzte europäische Verschuldung aussprach, war dies zwar ein punktueller Bruch mit den eigenen, neoliberalen Dogmen, aber mit dem Ziel, die neoliberale Europäisierung als solche zu retten.
Das exportorientierte deutsche Wirtschaftsmodell, das auf Offenheit und Handel beruht, ist bedingt mit einem europäischen Binnenmarkt, dem Euro und letztlich der Macht der EU als weltweit größter Handelsblock. Der Wiederaufbaufonds, als ein neues Instrument für gemeinsame europäische Aufgaben - allen voran die Finanzierung des ökologischen und digitalen Wandels -, ist ein Mittel, um die EU langfristig global wettbewerbsfähig zu machen und um sich gegenüber China und den USA behaupten zu können. Der Wiederaufbauplan soll den Finanzmärkten die Stabilität und Unwiderruflichkeit des neoliberalen Integrationsprojektes garantieren.
Die Europäische Kommission nahm denn auch den deutsch-französischen Steilpass an und legte einen bis auf die Höhe (750 Milliarden Euro) weitgehend deckungsgleichen Vorschlag für einen Aufbauplan vor. 500 Milliarden sollen über das EU-Budget im Rahmen des kommenden mehrjährigen Finanzrahmens (2021–27) in Form von Zuschüssen verteilt werden, 250 Milliarden in Form von Krediten ergehen.
Kompromiss voller Mängel
Nach dem EU-Gipfel sollen nun für den Wiederaufbau nach der Coronakrise 360 Milliarden Euro an Krediten und weitere 390 Milliarden als Zuschüsse fließen, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Das ist weniger als die 500 Milliarden, die Merkel und Macron an Zuschüssen vorgeschlagen hatten. Aber weit mehr als die Forderung, mit der die sogenannten "sparsamen Länder" die Verhandlungen eröffnet hatten.
Doch selbst die 500 Milliarden Euro wären viel weniger als z.B. Deutschland alleine für Rettungspakete ausgibt. Die Bundesregierung stellte den Unternehmen bisher über 1.000 Milliarden Euro an Corona-Hilfen zur Verfügung. Während Deutschland also fast ein Drittel seines BIP für Hilfsmaßnahmen aufwendet, bringt es Frankreich auf 13 Prozent, Italien auf 17 Prozent und Spanien sogar nur auf 2,2 Prozent. Entsprechend ungleich erhöhen sich auch die öffentlichen Schulden – in Italien auf 160 Prozent des BIP, in Deutschland auf 77 Prozent. Im Ergebnis wird Deutschland seine Hegemonie innerhalb der EU ausbauen können. Zudem eignet sich die Verschuldung wiederum bestens für den Klassenkampf von oben, um Austeritätsdruck auf die Unteren auszuüben.
Wir fordern deshalb eine direkte Finanzierung durch die Zentralbank.
Catarina Martins, Koordinatorin des portugiesischen Linkblocks
Catarina Martins ist besorgt, dass wieder viel über Kredite finanziert werden soll:
"Wir, die Länder am Rande Europas, waren sehr großzügig mit dem Finanzsystem Zentraleuropas. Portugals Bevölkerung hat hart gearbeitet, um den Schuldendienst aufbringen zu können. Sie hat dafür bezahlt, dass die Banken Zentraleuropas gestützt werden und damit auch das Finanzsystem der Nordländer in der Eurozone. Es kann nicht sein, dass von denen, die ohnehin wenig haben, erneut viel abverlangt wird. Insbesondere sollten nicht die Bevölkerungen der verschiedenen Länder gegeneinander aufgebracht werden, sondern wir sollten gemeinsam dafür sorgen, dass das Finanzsystem reguliert wird.
Die Pläne der EU, wie wir sie bisher kennen, bereiten uns große Sorgen, weil wieder viel Kredite auf den Tisch gelegt werden, was die Schulden und damit die Abhängigkeit vom Finanzsektor erhöht. Dazu soll zwar nun auch Geld ausgegeben werden, das soll aber nur vorgezogen werden und fehlt dann in zukünftigen Haushalten. Wir fordern deshalb eine direkte Finanzierung durch die Zentralbank. Die EZB sollte wie eine Zentralbank handeln und direkt Staaten und Unternehmen finanzieren, anstatt den Finanzmarkt dazwischen zu schalten. Es sollte frisches Geld in einen Kooperationsfonds fließen - mit langen Laufzeiten wie etwa 80 Jahre. Damit würden die Staaten jetzt die Möglichkeit erhalten, langfristig zu planen und effektive Pläne zum Umsteuern zu entwerfen, ohne sie über neue Kredite an den Rand des Ruins zu treiben." (nd, 18.7.20: »Sparsame Vier« profitieren von Steuerdumping)
"ein bedeutender Kompromiss, aber voller Mängel"
Heinz Bierbaum, Präsident der Europäischen Linken
Für Heinz Bierbaum, Präsident der Europäischen Linken, ist der EU Recovery Fund ein "bedeutender Kompromiss, aber voller Mängel". Heinz Bierbaum:
"Der EU-Wiederaufbaufonds ist das erste Mal, dass die EU Geld leiht, um es als Zuschüsse an schwer betroffene Teile der EU zu vergeben. Dies ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Aber diese historische Chance, sich vor der Wirtschaftskrise zu vereinen, wurde von der Spaltung über die mangelnde Bereitschaft der Regierungen, ihre Finanzkraft zu bündeln, überschattet. Sie ist dem Diktat der 'Sparsamen Vier' unter Führung von Premierminister Rutte geschuldet. Die Kürzung der Zuschüsse von 500 auf 390 Milliarden ist eine erhebliche Verschlechterung und nicht akzeptabel. Dadurch werden auch wichtige Programme für die zukünftige Entwicklung verkürzt.
Abgesehen von der Tatsache, dass die Höhe nicht ausreicht, sind die Bedingungen entscheidend.
Wir sind gegen den Anschluss an das Europäische Semester. Die Rückkehr von nachfragehemmenden Bedingungen wie Lohn- und Rentenkürzungen oder die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen muss verhindert werden.
Was die EU braucht, ist ein Sanierungsplan, der das Wohlergehen der Menschen, die öffentliche Gesundheit und die sozial-ökologische Umgestaltung in den Vordergrund stellt.
Wir brauchen einen sozialen und gerechten Green New Deal, der die Menschen und nicht nur den Profit in den Mittelpunkt stellt.
Als Sofortmaßnahme brauchen wir mehr Investitionen in öffentliche Dienstleistungen und Steuergerechtigkeit, um Wohlfahrtssysteme aufzubauen, die in der Lage sind, die Krise zu bewältigen.
Darüber hinaus muss die EZB in die Lage versetzt werden, einen europäischen Investitionsplan zu finanzieren, der in der Lage ist, Beschäftigung zu schaffen und die ökologische und soziale Umstellung von Produktion und Wirtschaft zu gewährleisten." (Heinz Bierbaum, Facebook)
"Sieg nationaler Egoismen über gemeinsame Interessen"
Martin Schirdewan, Ko-Vorsitzender GUE/NGL
Für den Ko-Vorsitzenden der Linksfraktion im EU-Parlament, Martin Schirdewan, stellt der Deal der Regierungschefs einen "Sieg nationaler Egoismen über gemeinsame Interessen" dar. Außerdem seien die Mittel real viel niedriger als öffentlich dargestellt. "Von diesen 1,8 Billionen Euro entfallen allein ungefähr 1,1 Billionen auf den mehrjährigen Finanzplan. Darüber wäre ja sowieso verhandelt worden. Ein Teil der Mittel, die von der Kommission aufgenommen und an die Mitgliedsstaaten vergeben werden, wird als Kredit ausgereicht. Als Zuschüsse stehen real nur 390 Milliarden Euro zur Verfügung", so Schirdewan. Die vorgesehenen Kontrollen laufen auf den Zwang zu "Strukturreformen" hinaus , warnt der Linkspolitiker. "Die Vorschläge, die in Bezug auf die Kontrolle unterbreitet wurden, laufen aber darauf hinaus, dass die Mitgliedsstaaten innere Reformen durchzuführen haben. Das bedeutete schon in der Vergangenheit Kürzungen bei der öffentlichen Daseinsvorsorge und den sozialen Sicherungssystemen. Angesichts der Pandemie ist das der komplett falsche Weg. Wir brauchen öffentliche Investitionen und wir brauchen eine stabile Binnennachfrage." (nd, 21.7.20: Martin Schirdewan: Schwarzer Tag für Europäische Union)
"Die vielbeschworene Zivilmacht Europa wird endgültig zu Grabe getragen"
Özlem Alev Demirel (MdEP, DIE LINKE)
Die EU-Abgeordnete Özlem Alev Demirel (DIE LINKE) verweist darauf, dass der Haushalt der EU zum ersten Mal einen Militärbudget enthält.
"Die heutige Einigung der Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten wird den Anforderungen keineswegs gerecht. Die Zuschusssummen sind für die Dimension der Krise lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein. Falsche Konditionen, keine sozialen Komponenten – so lässt sich das als historisch gefeierte Paket zusammenfassen.
Für Millionen Menschen insbesondere für sozial benachteiligte Schichten und Erwerbstätige in der EU bedeutet es, dass sie für die Krise direkt und indirekt zahlen sollen. Ein weiterer Abbau sozialer Leistungen, die Zerschlagung der ohnehin zu schwachen öffentlichen Daseinsvorsorge und eine Privatisierungswelle sowie Massenarbeitslosigkeit sind nicht ausgeschlossen. Mit 'Sparsamkeit' hat dieses Paket nichts zu tun, sondern mit Verblendung und es führt vielmehr zu einem weiteren Ausbluten. Allerdings gilt dies nicht für den Rüstungsbereich.
Zum ersten Mal in ihrer Geschichte soll die Europäische Union mit dem neuen Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) einen über mehrere Töpfe verteilten Militärhaushalt erhalten. Spätestens hierdurch wird die vielbeschworene Zivilmacht Europa endgültig zu Grabe getragen, eine Entwicklung, der bedauerlicherweise kaum Beachtung geschenkt wird.
Im Einzelnen fächern sich die Militärbudgets wie folgt auf: Für die Erforschung und Entwicklung von Rüstungsgütern soll ein 'Europäischer Verteidigungsfonds' mit einem Umfang von 7,014 Milliarden Euro eingerichtet werden. Für die 'Militärische Mobilität', die vor allem die schnelle Verbringung von Truppen und Gerät an die russische Grenze 'optimieren' soll, sind 1,5 Mrd. Euro vorgesehen. Außerdem sind für die militärisch wichtigen EU-Weltraumprogramme (v.a. Galileo und Copernicus) 13,202 Mrd. Euro eingestellt. Zudem verständigten sich die Staats- und Regierungschefs auf ein irreführend als 'Europäische Friedensfazilität' benanntes Budget im Umfang von 5 Mrd. Euro. Es ist zwar nicht offizieller Teil des EU-Haushaltes, soll aber nicht zuletzt künftige EU-Militäreinsätze finanzieren.
Massiver Sozialabbau und gleichzeitige Militarisierung der Politik, dieses Paket gehört einfach schnellstmöglich zurück an den Absender." (Özlem Alev Demirel, Facebook)
"Europa wird traurig und geteilt sein"
Yanis Varoufakis
Für Yanis Varoufakis wird Europa nach dem Deal "traurig und geteilt" sein, selbst wenn die 500 Milliarden als nichtrückzahlbare Zuschüsse beschlossen worden wären.
Auf die Frage, wie Europa aussehen wird, wenn der Corona-Fonds tatsächlich 750 Milliarden Euro auf den Markt werfen würde, antwortet er:
"Europa wird traurig und geteilt sein. Von diesen 750 Milliarden Euro werden etwa 250 Milliarden als Kredite vergeben werden. Das letzte allerdings, was Europas zerstörte Unternehmen brauchen, sind noch mehr Kredite. Sie stehen ja jetzt schon vor der Insolvenz. Das Schicksal Griechenlands ist eine deutliche Lehre für diejenigen, die sich weigern, diese einfache Wahrheit anzuerkennen. Von den verbleibenden 500 Milliarden Euro sind mehr als 100 Milliarden Euro Mittel, die von anderen Programmen abgezogen wurden – also kein neues Geld. Weitere 200 Milliarden Euro werden eingesetzt, um die Zustimmung der „Sparsamen Vier“ zu kaufen. Damit haben wir bestenfalls 300 Milliarden Euro. Das klingt nach viel, ist aber mickrig. In drei Jahren macht es weniger als ein Prozent des BIP der Euro-Zone aus. Die Austerität, die Berlin fordern und Brüssel den EU-Staaten auferlegen wird, wird im selben Jahr mehr als vier Prozent des BIP betragen."
Sein Vorschlag:
"Die EZB muss 30-jährige Eurobonds mit langer Laufzeit für eine Billion Euro ausgeben. Diese sollen ausschließlich von der EZB gedeckt werden. Das Geld sollte dann verwendet werden, um eine Staatsverschuldung durch die Corona-Kosten für die öffentliche Gesundheit und die Kosten der Rezession zu vermeiden. Die EZB sollte außerdem jedem in Europa ansässigen Bürger eine Barzahlung in Höhe von 2.000 Euro gewähren. Die EU muss ein europäisches Green Recovery & Investment-Programm erstellen, das aus EIB-Anleihen finanziert und von ihr unterstützt wird." (Berliner Zeitung, 14.7.20: Varoufakis: "Europa wird traurig und geteilt sein")