Europa

Kind Stacheldraht11.10.2021: Zwölf EU-Länder fordern Geld von der EU zur Finanzierung von Mauern gegen Migrant*innen ++ die Zwölf wollen spärlichen Rest der EU-Aufnahmepolitik endgültig und für immer zunichte machen ++ "Die Nationalisten organisieren sich und gehen zum Angriff über", warnt der Europaabgeordnete und ehemalige Arzt im Aufnahmelager Lampedusa Pietro Bartolo ++ unterschiedliche Reaktionen innerhalb der EU ++ staatliche Füchtlingsabwehr hat einen Wachstumsmarkt angekurbelt

 

Die Regierungen von 12 EU-Mitgliedsländern fordern Geld, um neue Mauern an den Grenzen zur Abwehr von Flüchtenden zu errichten. Es geht aber nicht nur um Mauern von der Ostsee bis zum Mittelmeer, sondern um eine Änderung der Einwanderungspolitik der EU, die darauf abzielt, eine Europäische Union zu schaffen die sich gegenüber Ausländer*innen noch mehr verschließt als es bereits der Fall ist.

Dies ist der Tenor eines Briefes, der am Freitag (8.10.21) von 12 Regierungen an die Europäische Kommission und die slowenische Präsidentschaft geschickt wurde. Das Schreiben wurde von Estland verfasst, aber sofort von Österreich, Bulgarien, Zypern, der Tschechischen Republik, Dänemark, Griechenland, Ungarn, Litauen, Lettland, Polen und der Slowakei unterzeichnet und an dem Tag veröffentlicht, an dem die Innenminister der 27 Mitgliedstaaten in Luxemburg zusammenkamen, um über Einwanderung zu beraten.

Die EU muss den bestehenden Rechtsrahmen an die neuen Realitäten anpassen, die durch die Migrationsströme diktiert werden", schreiben die 12 Unterzeichner*innen. "Wir sind davon überzeugt, dass es sinnvoller und nachhaltiger ist, sich auf einen verbesserten Grenzschutz, gemeinsame Normen für den Schutz der Außengrenzen und die Verhinderung illegaler Grenzübertritte zu konzentrieren". Die vorgeschlagene Schlussfolgerung liegt auf der Hand: "Die physische Barriere scheint eine wirksame Grenzschutzmaßnahme zu sein, die dem Interesse der gesamten EU dient".

Mauern gegen Flüchtende

Flucht Festnahme Pro asylDer Bau von Mauern ist eine Praxis, die schon seit Jahren besteht, um Menschen, die vor Krieg und Elend fliehen, abzuwehren. In den 1990er Jahren errichtete Spanien in der marokkanischen Enklave Ceuta und Melilla einen historischen Zaun, der im Laufe der Zeit immer höher und gefährlicher wurde und mit Klingen versehen ist, um Migrant*innen am Überqueren zu hindern. Griechenland baut eine mehr als 40 Kilometer lange Mauer entlang des Flusses Evros an der Grenze zur Türkei. Athen kündigte außerdem den Bau einer neuen 2,7 Kilometer langen Seebarriere zwischen der Türkei und der Insel Lesbos an, um den Grenzübertritt zu verhindern. In Ungarn ließ Regierungschef Vicktor Orbán einer 289 Kilometer lange Mauer an den Grenzen zu Serbien und Kroatien bauen und bemühte sich bisher erfolglos darum, dass Brüssel die für den Bau ausgegebenen Gelder erstattet. Auch Bulgarien versucht Einreisen aus der Türkei durch den Bau einer 235 Kilometer langen Sperre zu verhindern. Slowenien hat an der Grenze zu Kroatien und Österreich Mauern gegen Migrant*innen errichtet. Und jüngst haben Polen und Litauen mit dem Bau von zwei Mauern begonnen, um Flüchtende abzuhalten, die laut Warschau vom Regime Alexander Lukaschenkos als Vergeltung für die von Brüssel beschlossenen Sanktionen in die EU durchgelassen werden.

GR Mauer Evros 2021 08 2″Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und des Schengen-Raums haben seit den neunziger Jahren fast 1.000 km Mauern errichtet, was mehr als der sechsfachen Gesamtlänge der Berliner Mauer entspricht, um die Einwanderung von Vertriebenen nach Europa zu verhindern. Zu diesen physischen Mauern gesellen sich noch längere ′Seemauern’, d. h. Marineoperationen, die im Mittelmeer patrouillieren, sowie ′virtuelle Mauern’, d. h. Grenzkontrollsysteme, die darauf abzielen, Menschen daran zu hindern, nach Europa einzureisen oder auch nur innerhalb Europas zu reisen, und die Bevölkerungsbewegungen zu kontrollieren″, schrieb das Transnational Institute TNI bereits Ende 2018 in seinem Report ″Building walls″. [1]

Wachstumsmarkt "Flüchtlingsabwehr"

Es sind nicht nur einfach Mauern. Nach dem anfänglichen Einsatz von Metallzäunen, NATO-Stacheldraht und Betonwänden geht es jetzt um eine immer ausgefeiltere Überwachungssysteme mit Kameras, Sensoren zur Erkennung der Bewegung von Personen, biometrischen Systemen zur Erkennung von Fingerabdrücken und Radarsystemen bis hin zum Einsatz von Drohnen.

TNI Business of building walls

Die staatliche Füchlingsabwehr hat ein Geschäft angekurbelt, das laut dem Bericht "The Business of Building Walls" des Transnational Institute (TNI) aus dem Jahr 2019 im Jahr 2018 einen weltweiten Umsatz von schätzungsweise 17,5 Milliarden Euro erzielte, mit einer erwarteten jährlichen Wachstumsrate von 15% in der Europäischen Union. Und auf diesem Markt, von dem die Europäische Union Europa einen großen Teil ausmacht, spielen nicht nur Bauunternehmen eine führende Rolle, sondern auch Rüstungskonzerne wie BAE Systems, Airbus, Thales, Leonardo sowie Unternehmen, die auf IT und Sicherheit spezialisiert sind.

″Wie die Untersuchungen im Rahmen unserer Border Wars-Reihe immer wieder gezeigt haben, hat die Militär- und Sicherheitsindustrie durch wirksame Lobbyarbeit den Diskurs über die Sicherheits- und Militärpolitik der EU sehr stark beeinflusst. Der Industrie ist es gelungen, sich selbst als Experten für Grenzsicherheit zu positionieren und das zugrunde liegende Narrativ zu verbreiten, dass Migration in erster Linie eine Sicherheitsbedrohung ist, die mit sicherheitspolitischen und militärischen Mitteln bekämpft werden muss. Mit dieser Prämisse schafft sie eine kontinuierliche Nachfrage nach dem ständig wachsenden Katalog von Ausrüstungen und Dienstleistungen, die die Industrie für die Grenzsicherung und -kontrolle liefert″, heißt es in diesem Report. [2]

Es geht um den spärlichen Rest der EU-Aufnahmepolitik 

"Die Nationalisten organisieren sich und gehen zum Angriff über."
Pietro Bartolo, Europaabgeordneter und ehemaliger Arzt im Aufnahmelager Lampedusa

Mit ihrem Schreiben an die EU-Kommission verfolgen die 12 Regierungen jedoch ein Ziel, das ehrgeiziger ist, als dass Brüssel für die Mauern bezahlt und der ″Flüchtlingsabwehr-Industrie″ lukrative Aufträge besorgt werden. Der im vergangenen Jahr von der EU-Kommission vorgelegte Plan für Einwanderung und Asyl ist immer noch nicht verabschiedet worden, und damit auch nicht die von den Mittelmeerländern geforderten Änderungen, die über die fehlende Reform der Dublin-Verordnung enttäuscht sind. Diese Länder, allen voran Italien, wünschen sich, dass die Mitgliedstaaten mehr Verantwortung für den Umgang mit Migrant*innen und die Verteilung innerhalb der EU übernehmen. Sollten der von den 12 Mitgliedstaaten vorgelegte Antrag angenommen werden, würde dies wahrscheinlich jede Hoffnung auf eine Verteilung der Asylbewerber*innen auf die Mitgliedstaaten und den spärlichen Rest der EU-Aufnahmepolitik endgültig und für immer zunichte machen.

Dementsprechend fiel die Reaktion der Innenminister*innen unterschiedlich aus. Während die slowenische Ratspräsidentschaft den Forderungen der 12 aufgeschlossen begegnet - der slowenische Innenminister Ales Hojs sagte, dass "Slowenien den Vorschlag unterstützen wird" - wies die italienische Innenministerin Luciana Lamorgese bei dem Treffen in Luxemburg darauf hin, dass die meisten Menschen nicht über die Balkanroute, sondern nach wie vor auf dem Seeweg ankommen, über das Meer, auf dem man keine Mauern bauen kann. Sie forderte Brüssel erneut auf, die wirtschaftlichen Verpflichtungen gegenüber den Herkunftsländern der Migrant*innen und gegenüber den EU-Ländern, bei denen die Flüchtenden anlanden, einzuhalten.

Auch die EU-Kommission und insbesondere Ylva Johansson, Kommissarin für Inneres in der Kommission von der Leyen, lehnte die Forderung der Zwölf ab: "Wenn ein Mitgliedstaat der Meinung ist, dass es notwendig ist, einen Zaun zu errichten, kann er das tun, und ich habe keine Einwände", sagte die Sozialdemokratin Ylva Johansson. "Die Verwendung von EU-Mitteln zur Finanzierung des Baus eines Zauns anstelle anderer sehr wichtiger Aktivitäten ist aber eine andere Sache.″

Der ehemalige Arzt im Aufnahmelager von Lampedusa und jetzige Europaabgeordnete Pietro Bartolo kommentierte das Schreiben der zwölf Regierungen scharf, dass "wir jetzt vor der entscheidenden Herausforderung stehen". "Die Nationalisten organisieren sich und gehen zum Angriff über. Wir sind wieder bei den Mauern und der Unfähigkeit, einem Phänomen zu begegnen, das keine Barriere jemals eindämmen kann".

Nichts desto trotz wird der Bau des Eisernen Vorhangs, der Europa durchschneidet, weitergehen.

Foto: Pro Asyl


Anmerkungen:

[1] Transnational Institute, 2018: ″Builiding Walls. Fear and securitization in the European Union″
https://www.tni.org/en/publication/building-walls
[2] Transnational Institute, 2019: ″The Business of Building Walls″
https://www.tni.org/en/businessbuildingwalls


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