11.11.2024: Die Medienberichte über "antisemitische Pogrome“ gegen israelische Hooligans in Amsterdam sind die jüngsten in einer Reihe von Falschmeldungen, die antimuslimische Gewalt schüren, den Völkermord in Gaza rechtfertigen und die Pogrome durch die Nazis relativieren.
Hunderte Israelis und Fans des Fußballvereins Maccabi Tel Aviv waren nach Amsterdam gereist, um beim UEFA-Europa-League-Spiel von Ajax Amsterdam gegen Maccabi Tel Avivi dabei zu sein. In der Nacht des 7. November kam es dann in Amsterdam zu einem antijüdischen Pogrom, als junge niederländische Marokkaner israelische jüdische Fußballfans angriffen. Zumindest ist das die Geschichte, die in westlichen Nachrichtenredaktionen und von US-amerikanischen, israelischen und europäischen Politikern erzählt wird. Vergleiche zur Reichspogromnacht werden gezogen.
Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu bezeichnete es als "schrecklichen antisemitischen Vorfall" und stellte eine Verbindung zwischen der Völkermordklage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag und den Schlägereien in Amsterdam her.
US-Präsident Joe Biden veröffentlichte eine Erklärung am X, in der er sagte: "Die antisemitischen Angriffe auf israelische Fußballfans in Amsterdam sind verabscheuungswürdig und erinnern an dunkle Momente in der Geschichte, als Juden verfolgt wurden." Er bekräftigte abschließend: "Wir müssen den Antisemitismus unermüdlich bekämpfen, wo immer er auftritt."
Der niederländische Premierminister Dick Schoof bezeichnete die Zusammenstöße als "inakzeptable antisemitische Angriffe", erwähnte jedoch nicht die Angriffe der Hooligans auf niederländische Staatsbürger. In einem Beitrag auf X sagte Schoof, er habe mit seinem israelischen Amtskollegen Benjamin Netanjahu gesprochen und ihm versichert, dass "die Täter aufgespürt und strafrechtlich verfolgt werden".
Geert Wilders, ein anti-muslimischer und pro-israelischer Anführer der ultrarechten, rassistischen Partij voor de Vrijheid, der stärksten Partei in der niederländischen Regierung, bezeichnete die Ausschreitungen als "Pogrom" und "Judenjagd". Er forderte die Verhaftung und Ausweisung des von ihm als "multikultureller Abschaum" bezeichneten Personenkreises, der an den Auseinandersetzungen beteiligt war.
EU-Kommissarin Ursula von der Leyen erinnerte daran, dass "Antisemitismus in Europa absolut keinen Platz hat".
Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte: "Die Meldungen über Gewalt gegen israelische Fans in Amsterdam sind unerträglich. Das dürfen wir nicht hinnehmen. Wer Jüdinnen und Juden angreift, greift uns alle an. Jüdinnen und Juden müssen sich in Europa sicher fühlen können."
Außenministerin Annalena Baerbock schrieb auf X: "Die Bilder aus #Amsterdam sind furchtbar & für uns in Europa zutiefst beschämend. Der Ausbruch solcher Gewalt gegenüber Juden überschreitet alle Grenzen. Dafür gibt es keine Rechtfertigung. Jüdinnen & Juden müssen in Europa sicher sein."
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, äußerte gegenüber der BILD: "Das sind Bilder des Schreckens. Die Hatz auf Juden ist wieder ausgebrochen."
Ein großer Teil der Medien heizte die Empörung über das "Pogrom" an. Im Fall von Amsterdam verstärken die mediale Darstellung und die reißerischen Schlagzeilen das Bild des israelischen Mobs als Opfer, der von einem wütenden arabischen Mob belagert wird, der auf den Straßen "Juden jagt". Der Zeitpunkt – kurz vor dem Jahrestag der Reichspogromnacht – verleiht dem Ganzen eine eindringliche Resonanz, die es ermöglicht hat, die Erzählung von der jüdischen Verfolgung in den Mittelpunkt der Berichterstattung und Verurteilung zu stellen.
Sky News veröffentlichte ursprünglich einen Videobericht über die Anstiftung und Gewalt des rassistischen israelischen Mobs - löschte ihn und veröffentlichte den Bericht erneut, wobei Inhalt und Text so bearbeitet wurden, dass der "Antisemitismus"-Rahmen im Mittelpunkt stand. Mit anderen Worten: eine Echtzeit-Erfindung einer Geschichte, die trotz aller verfügbaren Beweise in ein bestimmtes Narrativ passt. Nur wenige Dinge haben die vorsätzliche Komplizenschaft der Nachrichtenmedien beim Völkermord an den Palästinensern so transparent und eindringlich aufgezeigt wie dieses Beispiel.
" … Vor 86 Jahren brannten hier die Synagogen, und heute wird der Begriff des Pogroms, der mit diesem Datum untrennbar verknüpft ist, für Straßenkämpfe nach Randalen von Hooligans benutzt, die mit ihren Sprechchören ausgelöschte Kinder in Gaza verhöhnen und noch mehr Massaker versprechen; manche von ihnen sind als Teil der genozidalen zionistischen Armee vielleicht sogar daran beteiligt. In den Medien hören wir aber, dass sie Opfer sind, dass Juden 86 Jahre später wieder in Europa gejagt werden, dass nie wieder jetzt ist und man den muslimischen Antisemitismus mit allen Mitteln bekämpfen muss. Was für ein unwürdiges, verkommenes Theater, das Worte ihrer Bedeutung beraubt, die Realität auf den Kopf stellt und alle angreift, die das nicht akzeptieren wollen! ….
Unsere niederländischen Geschwister ErevRavNL mussten wegen der Makkabi-Randale ihre Gedenkveranstaltung zu den Novemberpogromen in Amsterdam absagen. Ein Sinnbild für die Destruktivität des Zionismus."
Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost auf X
Doch das angebliche "Pogrom" gegen israelische Fußballfans in Amsterdam fällt immer stärker in sich zusammen.
Was ist passiert
Am 5. November waren Hunderte der berüchtigten rassistischen Maccabi-Tel-Aviv-Fans – Berichten zufolge in Begleitung von Agenten des israelischen Geheimdiestes Mossad – in die Stadt geflogen, um an einem Spiel gegen Ajax FC teilzunehmen.
In den Tagen zuvor wurde berichtet, dass pro-palästinensische Gruppen vor dem Stadion eine große Protestkundgebung gegen die Anwesenheit der israelischen Fußballmannschaft planten. In den zwei Tagen vor dem Spiel kam es zu zahlreichen Gewalttaten und Einschüchterungen durch israelische Hooligans – darunter auch Hassgesänge für die Ausrottung der Palästinenser, Angriffe auf Taxis mit arabisch aussehenden Fahrern, das Herunterreißen palästinensischer Flaggen und Angriffe auf Häuser mit palästinensischen Symbolen. Im Stadion störten sie die Schweigeminute für die Opfer der Überschwemmung in Valencia mit Sprechchören und Pfiffen.
Nach dem Angriff auf ein Taxi kam es zu einer ersten Eskalation. Mehrere Fahrer in der Umgebung verfolgten daraufhin Maccabi-Anhänger, die zum Holland-Casino liefen, wo sich insgesamt 400 Fans aufhielten.
Vor dem Spiel versammelten sich Maccabi-Anhänger am Donnerstagnachmittag auf dem Dam-Platz. Auch dort sangen sie ant-arabische Haßgesänge, zeigten Transparente mit israelischen "Kriegshelden" aus dem Vernichtungskrieg in Gaza und zündeten pyrotechnische Artikel.
Im Zusammenhang mit diesen Provokationen kam es dann vor und nach dem Spiel bis spät in die Nacht zu Zusammenstößen, bei denen zahlreiche dieser Hooligans von Einheimischen verprügelt wurden. Die Regierung Israels und die zionistische Lobby stellen das nun als "antisemitischen Pogrom“ dar. Die Betroffenen wurden aber als Israelis und nicht wegen ihres Glaubens verprügelt. Auch wurden keine Amsterdamer Juden und jüdischen Institutionen in der Stadt angegriffen. Gerüchte über angebliche Entführungen israelischer Fans, die von israelischen Behörden verbreitet wurden, erwiesen sich als falsch.
Videoaufnahmen und Zeugenaussagen von Einwohnern Amsterdams (z.B. https://x.com/HarrietmBergman/status/1854859190860177602, https://x.com/ingridkerr/status/1854785822991462709, https://x.com/SanaSaeed/status/1854972558237462945) zeigen, dass die anfängliche Gewalt von Fans von Maccabi Tel Aviv ausging.
Doch trotz dieser Aufnahmen und der Aussagen von Amsterdamer hat die Berichterstattung v.a. in US-amerikanischen, israelischen und deutschen Medien die Auseinandersetzungen genutzt, um das anti-palästinensischen Narrativ zu verfestigen. Die Berichterstattung über die Ereignisse in Amsterdam offenbart ein beunruhigendes, aber immer wieder bemühtes Muster: Sie dient als rhetorisches Instrument zur Rechtfertigung von Gewalt gegen Araber und Muslime, sei es im Gazastreifen oder auf den Straßen Europas.
Tagesschau, Zeit und andere Medien verwendeten Videos aus Amsterdam und erklärten, dass es zeige wie Araber Israelis jagen würden. Was die Video tatsächlich zeigen? Eine Amsterdamer Fotografin hatte gefilmt, wie eine Gruppe von etwa 150 Maccabi-Hooligans Einwohner von Amsterdam angegriffen hatten.
Als erstes größeres Medium hat Tagesschau jetzt eingeräumt, Videos und Bilder in einem falschen Zusammenhang gezeigt zu haben. Zeitungen wie die Süddeutsche haben das Video kommentarlos gelöscht. Kein einziges deutsches Medium benannte, was im Video wirklich zu sehen war.
Bemerkenswert ist auch, dass Tagesschau wie auch viele andere Medien Bildmaterial der Amsterdamer Fotografin Annet de Graaf (https://x.com/iAnnetnl) für ihre antimuslimische Propaganda nutzten, obwohl diese von Anfang an klargestellt hatte, dass die Aufnahmen Ausschreitungen und Angriffe israelischer Hooligans zeigten.
Hier ihr Statement zur Tagesschau-Korrektur:
"Die Tagesschau ist die erste Nachrichtenagentur, die sich für die Verwendung meiner Aufnahmen von den Angriffen der Maccabi-Anhänger auf Amsterdamer Bürger in einem antisemitischen Kontext entschuldigt und sie aus der Sendung entfernt hat. Vielen Dank, das weiß ich zu schätzen. Wer ist der Nächste?" (https://x.com/iAnnetnl/status/1855245275880702458)
Dabei hatte es nicht nur die Hinweise von Annet de Graaf gegeben.
Der Chef der Amsterdamer Polizei, Peter Holla, wies schon am Freitagmittag darauf hin, dass der Gewaltausbruch in der Nacht von Donnerstag auf Freitag nicht aus heiterem Himmel kam, sondern eine Vorgeschichte hat. In einem Beitrag des TV-Senders 4-News erklärte er, dass Maccabi-Fans randalierten, ein Taxi zerstörten und den Fahrer mit marokkanischer Herkunft bedrohten, palästinensische-Flaggen herunterrissen und in Brand setzten. (Anm. kommunisten.de: aus Rache für die Ausladung israelischer Rüstungskonzerne von eine Rüstungsmesse durch die französische Regierung und den spanischen Stopp der Waffenlieferungen zündeten die Randalierer auch Fahnen Frankreichs und Spaniens an.) Die Aufnahmen von 4-News belegen weitere Provokationen durch die Maccabi-Hooligans.
Nach den Auseinandersetzungen mit israelische Hooligans waren am Sonntag von den über 60 Verhafteten noch vier Menschen in Haft, darunter zwei Minderjährige. Bisher sei aber noch niemand wegen Gewalt gegen Israelis festgenommen worden, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Die Polizei wies darauf hin, dass auch Fans des israelischen Klubs randaliert und provoziert hätten.
"Olé, olé!
Olé, olé, olé!
Lasst die IDF gewinnen und zur Hölle mit den Arabern ("fuck the arabs").
Olé, olé!
Olé, olé, olé!
Warum ist in Gaza die Schule aus? Dort gibt es keine Kinder mehr!"
"Der Geist des israelischen Faschismus hat Amsterdam erreicht"
Ofer Cassif, Knesset-Abgeordneter
"Der Geist des israelischen Faschismus hat Amsterdam erreicht", schreibt der kommunistische Knesset-Abgeordnete, Ofer Cassif, auf X. "Fans toben gewalttätig, schlagen, zerreißen palästinensische Flaggen auf den Straßen, als wären sie eine Besatzungsmacht, rufen Nazi-Parolen für die Ausrottung der palästinensischen Nation und jammern, wenn die Situation zu Ende geht und die Gewalt wie ein Bumerang zu ihnen zurückkehrt. Jegliche Gewalt ist obszön und inakzeptabel. Beide Seiten sollten für ihren Rowdytum zur Verantwortung gezogen werden. Und die israelischen Medien? Wie immer: Annäherung, Verdeckung und Verzerrung der Realität im Dienste der Obrigkeit."
Wie es begann, und wie es endete
Am selben Tag, an dem westliche Staats- und Regierungschefs sich in einer Flut von Äußerungen dazu hinreißen ließen, ein nicht existierendes Pogrom gegen Juden zu verurteilen, geht die Ausrottung des palästinensischen Volkes in Gaza ungebrochen weiter, und veröffentlichte das UN-Büro für Menschenrechte einen Bericht, aus dem hervorgeht, dass 70 Prozent der in Gaza Getöteten Frauen und Kinder sind. 44 Prozent der Opfer sind Kinder, wobei die größte Einzelkategorie die Fünf- bis Neunjährigen sind, gefolgt von den Zehn- bis Vierzehnjährigen und den bis zu Vierjährigen. Das jüngste Opfer war ein ein Tag alter Junge.
Und das Fehlen einer Verurteilung, einer Empörung – ja sogar einer Anerkennung – vonseiten westlicher Staats- und Regierungschefs und Nachrichtenredaktionen, die für diese 70 Prozent mitverantwortlich sind, ist der Grund dafür, dass ein Pogrom verurteilt wird, das nie stattgefunden hat.