07.11.2015: „Die Ak-Partei hat die absolute Mehrheit errungen“, hieß es in den Nachrichten um 14 Uhr am 2.11.2015 im WDR 2. In diesem kurzen Satz sind zwei Fehler. Erstens heißt es nicht “Ak-Partei“, denn es gibt den Namen „Ak“ für die Erdogan-Partei nicht, genauso wenig wie „Fd-Partei“ statt FDP. Erdogan hat auf raffinierte Weise aus den Anfangsbuchstaben zweier Begriffe das Wort „Ak“ gebildetet, das auf Deutsch „hell, klar, rein“ bedeutet und die brennende Glühbirne dazu als Symbol benutzt. Zweitens hat die AKP nun zwar im türkischen Parlament 317 von 550 Sitzen, lag aber beim Anteil der Wählerstimmen unter 50 %.
Es bleibt ein Geheimnis, weshalb bei 49,9 % der Stimmen 57,6 % der Sitze herauskommen können. Die Oppositionsparteien, die über die 10%-Hürde gelangten, erhielten immerhin zusammen 47,95 % aller Stimmen, aber nur 233 Sitze.
Alle Anschläge während des kurzen Wahlkampfes mit –zig Toten, immer unter HDP-Anhängern oder anderen Linken, wurden von Erdogan kurzerhand als „Terrorismus durch die PKK“ bezeichnet. Von ihm befohlene kriegerische, völkerrechtswidrige Attacken gegen Kurden außerhalb der türkischen Landesgrenzen kaschierte er mit „Bekämpfung des Islamischen Staates“. Kritische Medienberichte über ihn („Er hat das Volk bestohlen“) wurden mit gewaltsamen Besetzungen und Schließungen von Fernsehsendern und Zeitungen beantwortet (Kanaltürk, BugünTV).
Obwohl das Wahlgesetz vorsieht, Parlamentswahlen stets im Oktober abzuhalten, waren alle letzten Wahltermine in Ferienzeiten gelegt worden. Diesmal wurden kurzerhand 4 Tage Schul- und Behördenferien vorgeblich wegen des Feiertags der Gründung der Republik (Cumhuriyet Bayram) am 29. 10. verkündet. Dadurch sollten schwankende Wähler ermuntert werden, der Wahl fernzubleiben und stattdessen ins Heimatdorf oder die Ferienorte zu reisen, um der AKP die nötige Mehrheit zu sichern. Denn deren Wähler werden vorab in den Moscheen auf das richtige Wahlverhalten eingestellt.
Offenbar eigens von AKP-Anhängern wird seit März 2015 eine seriös wirkende Zeitung namens „Dirilis“ (= Auferstehung) herausgegeben, zum konkurrenzlosen Preis von 0,50 TL, deren einzige Aufgabe es scheint, AKP-Ideologie zu verbreiten und intellektuell zu verbrämen. Und nicht zuletzt kursieren in der Türkei Berichte über Stimmenkäufe oder –erpressungen für die AKP. So soll je Stimme mindestens 100 TL geboten worden sein. Kontrolliert werden sollte direkt im Wahlbüro, ob der Stimmenverkäufer auch Wort gehalten hatte. Fast 50 VertreterInnen der LINKEN waren zu Wahlbeobachtungen in der Türkei und berichteten über die Anwesenheit bewaffneter Kräfte in Wahlräumen (vgl. Erklärung Tobias Pflüger)
Zu all diesen Vorgängen finden Berichterstatter und Politiker in deutschen Medien keine Worte. Auch, dass Kanzlerin Merkel mitten im Wahlkampf Erdogan per Staatsbesuch hofierte, war ihnen keine Bemerkung wert. Immerhin findet sich bei Wikipedia ein Hinweis auf diese kurze Wahleinschätzung durch die OSZE: „Wegen den Einschüchterungsversuchen gegen die Opposition im Vorfeld der Wahl und der unneutralen Berichterstattung durch den staatlichen Sender TRT ist die Wahl von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sowie vom Europarat als ‚nicht fair‘ eingestuft.“ Beunruhigend, dass auf deutscher Seite diese Wahlen als normal betrachtet werden.
Text. karla-la Foto: OSCE