16.11.2018: erste Migrant*innen erreichen Grenze zu den USA ++ Großteil noch im Zentrum Mexikos ++ AMLO: Arbeitsvisa für Migrant*innen ++ "Sie nehmen uns die Jobs weg" ++ Wer sind die Hintermänner der Karawane?
Nach einer Tausende Kilometer langen Reise haben am Dienstag (13.11.) die ersten Migrant*innen aus Mittelamerika in Tijuana den Grenzzaun zu den Vereinigten Staaten erreicht. Am Donnerstag sind weitere 800 angekommen. Sie teilen sich dort in Gruppen von 30 bis 40 Personen auf, die bei den US-Behörden Asyl beantragen werden.
Zur gleichen Zeit besuchte US-Verteidigungsminister James Mattis die Grenze zu Mexiko, um die Durchführung der von Donald Trump angeordenten Maßnahmen - u.a. Aufstockung des Militärpersonals, Sicherung der Grenze mit Stacheldraht, teilweise Schließung der Zoll- und Grenzschutzbüros - zu überwachen.
Der größte Teil der Karawane von Flüchtlingen befindet sich derzeit jedoch noch im Zentrum Mexikos. Sie planen ebenfalls in das 2.800 km entfernte Tijuana, eine Grenzstadt zu San Diego (Kalifornien, USA), zu marschieren und dort Asyl bei den US-Behörden zu beantragen.
Massenhafte Migration aus Mittelamerika in die USA ist kein neues Phänomen. Neu ist, dass die Migrant*innen die Tausende von Kilometern gemeinsam in großer Zahl zurücklegen, sichtbar und koordiniert, um sich gegenseitig zu helfen und zu schützen. Auf diese Weise vermeiden sie es, die "Kojoten" (Schlepper) zu bezahlen, von der Migrationspolizei festgehalten zu werden oder von kriminellen Gruppen angegriffen, vergewaltigt, entführt oder getötet zu werden. Denn so war es, als sie allein oder in kleinen Gruppen unterwegs waren.
Die Karawane mit mehreren Tausend Menschen aus Honduras, Guatemala und El Salvador ist am vergangenen 13. Oktober aus dem Norden Honduras aufgebrochen und hat sich in mehrere Gruppen aufgeteilt. Der Großteil befindet sich derzeit noch im Zentrum Mexikos. Eine Gruppe von etwa 400 Migrant*innen kam am Montag in acht Lastwagen im Bundesstaat Sonora, in Nordwestmexiko gelegen, an. Eine Kolonne mit rund 4.500 Menschen ist vor wenigen Tagen in Mexico Stadt angekommen. Dort sind sie im Jesús Martínez "Palillo"-Stadion untergebracht. In den nächsten Tagen wird diese Zahl weiter ansteigen.
AMLO: Arbeitsvisa für Migrant*innen
An die Karawane gerichtet, erklärte der designierte mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador (AMLO), er habe bereits eine Strategie für das Problem der Migrant*innen. "Es ist unsere Mission, den Menschen zu helfen, dem Volk zu helfen, den Armen zu helfen", so Obrador, der am 1. Dezember das Amt des Präsidenten antreten wird. (siehe "Mexico vor einem politischen Umbruch!?")
López Obrador erklärt, dass seine Regierung den Migrant*innen, die in Mexiko bleiben wollen, Arbeitsvisa anbieten werde. "Wir werden ab dem 1. Dezember Migrant*innen eine Beschäftigung anbieten. Das ist ein Plan, den wir haben, dass jeder, der in unserem Land arbeiten will, Unterstützung haben wird, ein Arbeitsvisum bekommen wird", so AMLO. Gegenüber teleSUR sagte der in Honduras geborene Migrant Roni Alexander Vázquez, dass das Angebot von AMLO sehr verlockend sei. "Was ich will, ist ein Job. Wenn Mexiko mir die Möglichkeit gibt, hier zu arbeiten, werde ich hier bleiben", äußerte er.
Auch der derzeit noch amtierende Präsident Enrique Peña Nieto teilte in einem Video mit, dass die Migrant*innen Zugang zur Gesundheitsversorgung erhalten, ihre Kinder zur Schule schicken und arbeiten dürfen. Voraussetzung ist, dass sie in den südlichen Bundesstaaten Chiapas und Oaxaca bleiben und einen Antrag auf legale Einreise oder ein Asylgesuch stellen.
Der "Anführer der Karawane wider Willen", Bartolo Fuentes, ehemaliger Abgeordneter der linken Oppositionspartei "Libre" im honduranischen Parlament, sagte, dass die Migrant*innen prüfen werden, ob sie in Mexiko bleiben oder den Weg in die USA fortsetzen werden - und welchen Weg sie dann verfolgen werden, um trotz der Drohungen von US-Präsident Donald Trump in das Land einzureisen.
"Sie werden uns unsere Jobs wegnehmen"
Der »Nationale Rat zur Verhütung von Diskriminierung« (Conapred) mischt sich mit einer Dokumentation »Mythos und Realitäten über die Karawane von Migrant*innen und Flüchtlingen« in die öffentliche Debatte ein und entgegnet Argumenten wie "Zuerst müssen wir den Mexikanern helfen" oder "Sie werden uns unsere Jobs wegnehmen".
"Die Vorstellung, dass die Hilfe für andere uns schadet, ist einfach falsch und zielt, wie viele andere dieser Art, nur auf die Verteidigung der Privilegien einiger Minderheiten ab. Mexiko hat die Fähigkeit, viel mehr Menschen als bisher Zuflucht und Schutz zu bieten, ohne die eigene benachteiligte Bevölkerung zu vernachlässigen", erklärt Conapred. Und weiter: "Migrationen sind wichtige Beiträge zur Entwicklung der Herkunfts- und Zielländer und tragen dazu bei, die Produktivität, die Wettbewerbsfähigkeit und die internationalen Kontakte der Wirtschaft zu steigern. Migrant*innen befinden sich überwiegend in der produktiven Phase des Lebenszyklus, sie sind in der Regel gebildeter, qualifizierter, unternehmerischer und mutiger als diejenigen, die nicht migrieren."
Trump schränkt Asylrecht ein
US-Präsident Donald Trump hat angekündigt, die Migrant*innen nicht ins Land zu lassen. Am vergangenen Freitag (9.11.) unterzeichnete er ein Dekret, laut dem illegal über die Grenze von Mexiko in die USA eingereiste Migrant*innen kein Asyl erhalten. Künftig wird Asylsuchenden ein Antrag nur noch erlaubt, wenn sie ihn an offiziellen Grenzposten stellen. Dort sind lange Wartezeiten und bei Ablehnung des Asylantrags wird sofort abgeschoben. Trump bezeichnete die Rechtsverschärfung als Maßnahme gegen eine drohende "Invasion" aus Zentralamerika. Diese zwinge ihn dazu, "unverzüglich" zu reagieren.
Die US-Regierung will die Menschen aus Zentralamerika mit bis zu 15.000 Soldaten an der Grenze zu Mexiko abwehren. "Wenn nötig", werde dabei auch Gewalt zur Anwendung kommen, so Trump.
Am Samstag (10.11.) dementierte die mexikanische Regierung, dass sie eine Vereinbarung mit den USA zur Bearbeitung von Flüchtlings- oder Asylanträgen von Migrant*innen getroffen habe, die versuchen, in die USA einzureisen. Damit wies Mexiko die Aufforderung der US-Behörden zurück, dass Asylanträge der an der Mobilisierung beteiligten Migrant*innen vom mexikanischen Staat bearbeitet werden sollten.
"Hintermänner" der Migrationskarawane: ….
Inzwischen werden Verschwörungstheorien verbreitet, die wahlweise den venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro, den ehemaligen Finanzspekulanten George Soros oder sogar US-Präsidenten Donald Trump als Urheber und Hintermänner der Flüchtlingskarawane sehen.
"Die Verkünder dieser Verschwörungstheorien scheinen zu vergessen, dass die Tausenden von Landsleuten (Frauen, Männer, Kinder, Jugendliche) vor Gewalt, Armut und Perspektivlosigkeit in Honduras, Guatemala und El Salvador fliehen, wo neoliberale Wirtschaftsmodelle herrschen, die die Marginalisierung und Ausgrenzung großer Teile der Bevölkerung bewirken, während eine kleine Gruppe von oligarchischen Familien, Großunternehmen und transnationalen Konzernen den Wohlstand in ihren Händen konzentriert", heißt es dazu von der Nachrichtenagentur ARPAS in El Salvador.
… Wahlbetrug, Krise und Korruption
"Wir gehen nicht, weil wir es wünschen, sondern Unsicherheit und Armut vertreiben uns", |
Zu den wirklichen "Hintermännern" dieses Exodus zählen neben den neoliberalen Regierungen, der Oligarchie und den transnationalen Konzernen auch "die US-Regierungen, die sich - über Finanzagenturen (IWF und Weltbank), ihre Botschaften und ihre Unternehmen - für neoliberale Anpassungen eingesetzt und zentralamerikanische Regierungen und Oligarchien unterstützt haben", so ARPAS. Dies zeige sich in Honduras deutlich: "Die Gringo-Regierung hat den Staatsstreich gegen den moderat reformistischen Präsidenten Manuel Zelaya gefördert und dann den schändlichen Wahlbetrug von Juan Orlando Hernández unterstützt, einem von den Mafias finanzierten ultra-rechten Präsidenten, dessen Regierung das Bruderland in eine schwere politische, wirtschaftliche und soziale Krise gestürzt hat." (siehe auch: (siehe "Honduras zwischen Wahlbetrug und Volksaufstand"; "Wahlbetrug in Honduras")
Der honduranische Menschenrechtler Jaime Flores kommentiert:
Es ist keine Karawane – es ist das Leiden, das dort geht
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