09.11.2019: Nach 19 Monaten Haft ist Lula in Freiheit ++ Kundgebung vor dem Gefängnis ++ Lula: "Sie haben versucht, eine Idee zu töten, aber Ideen lassen sich nicht töten, sie verschwinden nicht" ++ im Oktober hatte Lula Entlassung und Überstellung in halboffenen Vollzug abgelehnt: "Ich tausche meine Würde nicht gegen meine Freiheit"
Nach 580 Tagen in Haft, wurde der Ex-Präsident von Brasilien, Luiz Inácio Lula da Silva, gestern abend aus dem Gefängnis entlassen. Es gebe "keinerlei Grundlage mehr für den Vollzug der Strafe", begründete der Richter die Anordnung.
Am Tag zuvor (Do., 7.11.) hatte der Oberste Gerichtshof Brasiliens (STF) den Weg für Lulas Haftentlassung freigemacht, indem er eine Regelung aufhob, wonach ein Verurteilter schon vor Ausschöpfung aller Rechtsmittel inhaftiert werden kann. Dieses Verfahren sei verfassungswidrig, urteilte der Oberste Gerichtshof mit sechs zu fünf Stimmen. Lulas Verteidiger stellten beim Bundesrichter von Curitiba umgehend den Antrag auf Freilassung. Lula war in der dortigen Kaserne der Bundespolizei inhaftiert.
In Begleitung von Familienmitgliedern und führenden Mitgliedern der Arbeiterpartei PT verließ Lula die Kaserne, wo er von Anhänger*innen der Arbeiterpartei und anderer linker Parteien mit Jubel begrüßt wurde.
In der Nähe der Kaserne war eine Bühne aufgebaut, von der Lula nach seiner Freilassung sprach.
Ihr wart die Nahrung der Demokratie, die ich brauchte, um widerstehen zu können
Er dankte den Aktivist*innen, die Tag und Nacht mit einer Mahnwache vor dem Gefängnis ausgehaart und seine Freilassung verlangt hatten. Lula wandte sich an all jene, die 19 Monate lang guten Morgen, guten Nachmittag und gute Nacht schrien, sie waren "die Nahrung der Demokratie, die ich brauchte, um der schäbigen Gruppe zu widerstehen, dem, was sie mit mir und der brasilianischen Justiz gemacht haben".
"Sie wissen nicht, was es bedeutet, hier bei Ihnen zu sein. Ich, der ich mein ganzes Leben lang mit dem brasilianischen Volk gesprochen habe, dachte nicht, dass ich mit Männern und Frauen zusammen sein würde, die 580 Tage lang hier waren (...), unabhängig von Regen, Hitze und Kälte", sagte er.
An seine Begleiter*innen gewandt, darunter PT-Präsidentin Gleisi Hoffmann und der ehemalige Präsidentschaftskandidat Fernando Haddad sowie seine Anwälte, sagte er: "Ich habe keine Möglichkeit, Euch dafür zu bezahlen, und ich werde dem Kampf, den Ihr geführt habt, ewig dankbar und treu sein (....) Vielen Dank, dass Ihr »Lula Libre« aufrecht erhalten und dies 580 Tage lang gerufen habt."
"Die verrottete Gruppe der Generalstaatsanwälte arbeitete daran, die Linke zu kriminalisieren, die PT und mich zu kriminalisieren. … Ich möchte, dass das Ministerium und der Richter Sergio Moro wissen, dass alle wissen, dass sie nicht einen Menschen eingesperrt haben, sondern dass sie versucht haben, eine Idee zu töten, aber Ideen lassen sich nicht töten, sie verschwinden nicht", rief Lula den Versammelten zu.
Mit erhobener Faust fügte er hinzu: "Sie haben mit Globo TV versucht, ein Bild zu schaffen, dass ich ein Dieb sei, aber sie repräsentieren nicht 10 Prozent der Menschen, die ich vertrete."
PCdoB: "ein Meilenstein bei der Wiederherstellung der demokratischen Rechtsstaatlichkeit"
Die Präsidentin der Kommunistischen Partei Brasiliens (PCdoB), Luciana Santos, erklärte, dass die Freilassung von Lula "ein Meilenstein bei der Wiederherstellung der demokratischen Rechtsstaatlichkeit" und Ergebnis des Kampfes um "die Verteidigung der Verfassung, der Re-Demokratisierung des Landes, der riesigen Diskussionen in ganz Brasilien" sei. "Die Unschuldsvermutung ist ein zivilisatorischer Meilenstein, ein Sieg für die demokratische Rechtsstaatlichkeit und das ordentliche Gerichtsverfahren", sagte sie.
Lula kämpft für den Beweis seiner Unschuld
Lula schwor, für seine Unschuld zu kämpfen und kündigte an, dass er als nächstes nach Sao Paulo zur Metallarbeitergewerkschaft gehen werde und dann durch das Land, um den Wahlkampf wieder aufzunehmen, den er unterbrechen musste.
Lula weist alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurück. Sie seien ein Versuch gewesen, ihn von seiner erneuten Kandidatur bei der Wahl im vergangenen Jahr abzuhalten. Nach allen Umfragen hätte er die Präsidentschaftswahlen haushoch gewonnen, er durfte allerdings wegen des Urteils gegen ihn nicht antreten. Die Wahl gewann dann der ultrarechte Politiker Jair Bolsonaro.
"Lula hat kein Verbrechen begangen und ist ein Opfer des Gesetzes, das im Falle des ehemaligen Präsidenten die strategische Nutzung des Gesetzes zum Zwecke der politischen Verfolgung ist", betonten seine Anwälte.
Komplott gegen Lula
Im Juni hatte der Investigativ-Journalist Glenn Greenwald bei »The Intercept« und »The Intercept Brasil« Auszüge aus einem riesigen Fundus an geheimen Dokumenten veröffentlicht - Tonaufnahmen, Videos, Fotos und private Email-Chats, darunter private Eingeständnisse von Staatsanwälten, die darauf hinweisen, dass es nicht genügend Beweise für Lulas Schuld gab.
Komplott gegen Lula |
Die Dokumente belegen, dass der frühere brasilianische Staatschef Luis Inacio Lula da Silva gezielt hinter Gitter gebracht worden ist, um ihn an der Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl 2018 zu hindern. Lula galt als unangefochtener Favorit. Der heutige Justizminister und damalige Richter Sergio Moro und die Staatsanwaltschaft hätten dabei zusammengearbeitet. »The Intercept« spricht von "schweren Rechtsverletzungen, unethischem Verhalten und systematischem Betrug", dessen sich Staatsanwälte und Richter schuldig gemacht haben.
Auf Initiative des Ermittlungsrichters Sergio Moro wurde Lula zu 12 Jahren Haft verurteilt. Schlüssige Beweise konnte Moro für seine Behauptung, Lula habe dem Baukonzern OAS Vorteile bei der Auftragsvergabe durch den staatlichen Ölkonzern Petrobras verschafft und im Gegenzug ein Luxus-Apartment erhalten, nicht vorlegen. Sogar das Gericht bestätigte, dass sich das Apartment bis heute im Besitz der Baufirma befindet, die diese als Hypothek für einen Kredit bei der Bank Caixa Economica verwendet.
Nach dem Wahlsieg des rechtsextremen Jair Bolsonaro wurde Sergio Moro mit dem Amt des Justizministers belohnt.
"Ich tausche meine Würde nicht gegen meine Freiheit"
Ende September hatte die Staatsanwaltschaft versucht, Lula eine Falle zu stellen. Dieselben Staatsanwälte, die Hand in Hand mit dem Ermittlungsrichter Moro gearbeitet hatten, um ihn aus dem Präsidentenrennen zu entfernen, stellten einen Antrag auf die Überstellung in ein halboffenes Haftregime. Lula solle gegen die Zahlung einer Geldstrafe aus dem Gefängnis entlassen werden und mit einer elektronischen Fußfessel versehen den Rest der Strafe in Freiheit verbringen können.
Damit wollten sie dem Skandal, der mit den Veröffentlichungen von »The Intercept« auf sie zukommt - fünf der fünfzehn Staatsanwälte, die die Petition unterzeichneten, werden in den Intercept-Dokumenten als Mitverschwörer gegen Lula genannt -, und unter dem Druck der bevorstehenden Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zuvorkommen und Lula dazu bringen, die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen indirekt zuzugeben und auf seine Position als "politischer Gefangener" zu verzichten.
Doch Lula weigerte sich kategorisch, die Zelle zu verlassen, solange nicht ein Gericht die Freilassung verfüge.
"Ich tausche meine Würde nicht gegen meine Freiheit", erklärte Lula in einem handschriftliche geschrieben Brief. Er toleriere kein "Feilschen" um seine Rechte. An die Staatsanwälte und die Behörden gewandt schrieb er: "Ich habe bereits bewiesen, dass die Anschuldigungen falsch sind. Sie und nicht ich, müssen wegen der Lügen, die sie Brasilien und der Welt erzählt haben, ins Gefängnis."
Und weiter: "Angesichts der Willkür, die die Staatsanwaltschaft und Sergio Moro begangen haben, ist es nun Sache des Obersten Gerichts, das Unrecht zu korrigieren".
Mit der Entscheidung vom Donnerstag hat das Oberste Gericht diesen Schritt vollzogen.
Jetzt ist Lula in Freiheit und seine Verteidiger können nun alle verfügbaren Instanzen ausschöpfen, um seine Unschuld und die Unregelmäßigkeiten bei den Verfahren in den vorherigen Instanzen beweisen. Allerdings wurde der Hauptzweck dieser Anklagen, ihn für die Präsidentschaftswahl aus dem Verkehr zu ziehen, erreicht.
Der faschistische Regierungschef Jair Bolsonaro, der Lula "im Gefängnis verrotten" lassen wollte, kommentierte die Freilassung auf Twitter: "Wir haben vor einigen Monaten mit einer neuen Phase der Erholung Brasiliens begonnen, und es ist kein schneller Prozess, aber wir sind vorangekommen. Gebt dem Schurken keine Munition, der momentan frei, aber schuldig ist."
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