21.10.2020 | update: offizielle Auszählung der Wahlbehörde TSE: MAS über 50%
19.10.2020: Nach Hochrechnungen großer Vorsprung von MAS-Kandidat Luis Arce vor Carlos Mesa ++ Putschpräsidentin Jeanine Áñez, Luis Almagro und Carlos Mesa gratulieren Arce ++ Wahlbehörde TSE sieht Mesa vorne ++ Endergebnis erst in einigen Tagen
21.10.2020: Nachdem mehrere Stunden der Stand der ausgezählten Stimmen von der Obersten Wahlbehörde TSE über Internet wegen technischer Probleme (Überlastung des Computers) nicht veröffentlicht wurde, gibt es jetzt nach Auszählung von 86% der Stimmen ein Zwischenergebnis: MAS liegt mit 54% weit vorne.
Die TSE versichert, dass auch ohne laufende Veröffentlichung der Zwischenergebnisse die Auszählung korrekt weitergelaufen und von Beobachter*innen aller Parteien überwacht worden ist.
Damit nimmt die Auszählung der Stimmen einen ähnlichen Verlauf wie bei der Wahl 2019, bei der Morales bei der Auszählung der letzten Stimmen, die aus den schwerer zugänglichen Wahllokalen aus dem Hochland kommen, seinen Vorsprung so ausbaute, dass eine Stichwahl hinfällig wurde. Die OAS nahm diesen Auszählungsverlauf als Beleg für Unregelmäßigkeiten bei der Wahl und löste damit den Putsch aus.
19.10.2020: Überraschend deutlich hat sich Luis Arce von der "Bewegung zum Sozialismus" (MAS) am Sonntag bei der Präsidentenwahl in Bolivien durchgesetzt.
Zwar geht die Auszählung der Stimmen nur schleppend voran und zudem hatte die Oberste Wahlbehörde TSE am Tag vor der Wahl beschlossen, das System der Schnellauszählung (Direpre), mit der während der laufenden Auszählung die Grundtendenz erfasst und bekanntgegeben worden ist, abzuschaffen, um keine "Unsicherheit" in der Bevölkerung zu erzeugen, aber die Hochrechnungen der Beratungsfirma CIESMORI weisen auf einen Sieg in der ersten Runde für Luis Arce mit 52,4% der Stimmen gegenüber den 31,5% für Carlos Mesa hin. Der Rechtsextremist Luis Camacho kommt demnach auf 14,1%.
Am Montagmittag waren erst 21% der Stimmen ausgezählt. Die von der Wahlbehörde veröffentlichten Zwischenergebnisse weichen stark von den Hochrechnungen von CIESMORI ab. Demnach würde Carlos Mesa vor Luis Arce liegen und es käme zu einer Stichwahl.
Die Entscheidung der Wahlbehörde, keine Hochrechnungen zu veröffentlichen ist auf heftige Kritik des MAS gestoßen. Zudem hatte der Präsident des TSE, Salvador Romero, zuvor erklärt, dass es in diesem Jahr keine Fotos der Wahlprotokolle geben werde. Damit können weder Medien noch die Bevölkerung die Zählung überprüfen, kritisiert die MAS.
Das Centre for Economic Policy Research (CEPR), das nachgewiesen hat, dass die OAS mit ihrem Vorwurf der Wahlfälschung bei der Wahl von Evo Morales die Unwahrheit behauptet hat, äußerte in einer Presserklärung die gleichen Bedenken. Es kritisiert, "dass es keine seperate Downloadmöglichkeit der Ergebnisse im Excel-Format" geben werde. Das war bei den Wahlen im vergangenen Jahr noch der Fall gewesen. Dies hatte es ermöglicht, den Vorwurf der OAS, es habe Unregelmäßigkeiten in einem Umfang gegeben, dass die Wahl entscheidend zu Gunsten der MAS manipuliert war, zu widerlegen.
Obwohl es noch kein offizielles Ergebnis gibt, hat der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), Luis Almagro, bereits dem Duo der MAS, dem ehemaligen Wirtschaftsminister Luis Arce und dem ehemaligen Außenminister David Choquehuanca zum Sieg gratuliert. "Die Menschen in Bolivien haben sich an den Urnen geäußert. Wir gratulieren Luis Arce und David Choquehuanca und wünschen ihnen viel Erfolg bei ihren zukünftigen Bemühungen", twitterte Almagro.
Die OAS hatte mit ihrem Vorwurf von angeblich festgestellten Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen vom 20. Oktober 2019 zum Sturz des gewählten Präsidenten Evo Morales und der darauffolgenden Entwicklung mit der Verfolgung von MAS-Politikern sowie Massakern gegen deren Anhänger*innen maßgeblich beigetragen. Später wurden diese Vorwürfe mehrfach entkräftet und widerlegt, wie Studien und Analysen der US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation Center for Economic and Policy Research (CEPR) [1] oder der US-Tageszeitung New York Times [2] belegten.
Als Provokation wertet die MAS, dass die OAS-Wahlbeobachtermission unter der gleichen personellen Führung wie im vergangenen Jahr fungiert. Für die Sprecherin der MAS, Marianela Paco, handelt es sich um einen "Affront gegen das bolivianische Volk".
Umso bedeutender ist, dass sich jetzt der OAS-Generalsekretär zum Wahlsieg von Luis Arce äußerte.
Auch die Putschpräsidentin Jeanine Áñez beglückwünschte Luis Arce zum Sieg, obwohl noch kein offizielles Wahlergebnis vorliegt. "Wir haben noch keine offizielle Auszählung, aber nach den Daten, die uns vorliegen, haben Herr Arce und Herr Choquehuanca die Wahl gewonnen. Ich gratuliere den Siegern und fordere sie auf, im Sinne Boliviens und der Demokratie zu regieren", schrieb sie in ihrem Twitter-Account.
Für diese Äußerung wird sie in den sozialen Medien von ihren Anhänger*innen heftig angegriffen und aufgefordert, die Regierungsgewalt nicht an die MAS abzugeben.
Áñez hatte einen Monat vor der Wahl ihre eigene Kandidatur zurückgezogen. Mit diesem Schritt wolle sie verhindern, dass "die Wilden" (Jeanine Áñez) an die Regierung zurückkehrten, erklärte sie. "Wenn wir uns nicht vereinen, kehrt Morales zurück", so ihr Appell an die Oppositionskandidaten zur MAS.
"Das Volk hat gewonnen und die Demokratie wird gestärkt!!!
Wir haben gesagt, wir werden zurückkommen und wir sind zurückgekommen, um dem Vaterland die Freiheit, die Würde und die Souveränität zurückzugeben."
Andrónico Rodríguez
Am Montagmittag erkannte auch Carlos Mesa, der Hauptrivale von Luis Arce, den "durchschlagenden" Sieg von Luis Arce an. Der ehemalige Präsident (2003-2005) und Kandidat der Comunidad Ciudadana sagte, dass alles dafür spreche, dass das MAS-Duo "ein klarer Sieger in der ersten Runde" sein wird, weshalb die Comunidad Ciudadana für den Zeitraum 2020-2025 als "Oppositionsführer" fungieren werde. "Das Ergebnis der schnellen Zählung ist sehr eindringlich und sehr klar", sagte Mesa während eines auf Facebook übertragenen Auftritts. "Der Unterschied zwischen dem ersten Kandidaten und der Comunidad Ciudadana ist groß, und es liegt an uns, die wir an die Demokratie glauben, anzuerkennen, dass es bei dieser Wahl einen Gewinner gegeben hat", sagte er. Er äußerte die Gewissheit, dass die offiziellen Ergebnisse die Umfragen bestätigen werden, obwohl nach Auszählug von 19% der Stimmen sich eine zweite Runde anzeigen würde.
Luis Arce (MAS) sagte in einer Rede in La Paz: "Wir haben die Demokratie und die Hoffnung mit einem friedlichen, ruhigen Tag wiedergewonnen, in dem ein großer Teil der Bolivianer*innen mit ihrer Stimme gehandelt hat".
Arce versprach, auf das Wahlergebnis, das zu diesem Zeitpunkt noch nicht offiziell ist, mit einer Verpflichtung zur Arbeit zu reagieren. Und er versprach, einen Prozess des Wandels ohne Hass und aus Fehlern lernend zu führen. "Wie wir gesagt haben, werden wir für alle Bolivianer*innen regieren, wir werden eine Regierung der nationalen Einheit bilden, wir werden das Land vereinen", fügte Arce hinzu.
Luis Arce hatte vor der Wahl eindringlich an die "historische Verantwortung, insbesondere unserer jungen Menschen, den Weg zum Fortschritt zurückzuerobern" appelliert. Er versicherte, dass sein Einzug in den Präsidentenpalast das Projekt von Ex-Präsident Evo Morales zu Ende bringen und die Rohstoffausbeutung vor dem Zugriff transnationaler Konzerne schützen werde.
Die Oberste Wahlbehörde, die Putschregierung von Bolivien und internationale Beobachtermissionen haben die Bevölkerung zur Ruhe aufgerufen, bis das offizielle Ergebnis vorliegt, was mehrere Tage dauern kann.
Fußnoten
[1] https://cepr.net/report/observing-the-observers-the-oas-in-the-2019-bolivian-elections/
[2] https://www.nytimes.com/2020/06/07/world/americas/bolivia-election-evo-morales.html
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