24.09.2024: Anura Kumara Dissanayake, Vorsitzender der kommunistischen Partei Janatha Vimukthi Peramuna (JVP), gewann am Sonntag die zweite Runde der Präsidentschaftswahl und wurde gestern als neuer Staatspräsident Sri Lankas vereidigt. ++ Erster Schritt: Neuverhandlung der mit dem Währungsfonds vereinbarten Sparmaßnahmen
Der 55-jährige Anura Kumara Dissanayake, in seinem Heimatland besser bekannt unter dem Kürzel AKD, hat am Sonntag, den 22. September, die zweite Runde der Präsidentschaftswahl mit rund 42 Prozent und einem Vorsprung von 1,27 Millionen Stimmen vor dem Zweitplazierten gewonnen und sich damit als der Kandidat erwiesen, den fast sechs Millionen Wähler in der Hoffnung auf einen Neubeginn für das Land gewählt haben.
Dissanayake schloss sich im Jahr 1987 der kommunistischen Janatha Vimukthi Peramuna ("Volksbefreiungsfront") an und ist heute ihr Vorsitzender. Bei der Parlamentswahl im Jahr 2001 wurde er als Abgeordneter für die JVP über die Landesliste ins Parlament gewählt und war ab 2004 in der Regierung unter Premierminister Mahinda Rajapaksa Minister für Landwirtschaft und Bewässerung. Am 16. Juni 2005 verließ die JVP und mit ihr Dissanayake wieder die Regierung.
Bis vor fünf Jahren hatte die JVP immer nur mickrige Prozentzahlen erreicht, nie über 5%. Dann, im Jahr 2022, traf die schlimmste Wirtschaftskrise Sri Lankas über 22 Millionen Bürger, die der Familie Rajapaksa, einer der mächtigsten politischen Dynastien Südasiens, ausgeliefert waren.
Die Auswirkungen der Pandemie hatte die Wirtschaft Sri Lankas schwer getroffen, und die von Gotabaya Rajapaksa geführte Exekutive war angesichts von Massenprotesten gegen Korruption, 70% Inflation und eine explodierende Staatsverschuldung von über 83 Milliarden Dollar zum Rücktritt gezwungen worden: Da es unmöglich war, Lebensmittel oder Medikamente zu kaufen, hatte Sri Lanka im April den Zahlungsausfall erklärt.
Auf dem Höhepunkt der Proteste, als die Menge die Residenz des Präsidenten stürmte, floh Rajapaksa an Bord eines Militärflugzeugs auf die Malediven. (siehe kommunisten.de, 15.7.2022: Volksaufstand in Sri Lanka)
Als die Exekutive an den amtierenden Präsidenten Ranil Wickremesinghe überging, begann Dissanayake seinen Aufstieg.
Jetzt, an der Spitze der sozialistischen Koalition National People's Power, ist Dissanayake aufgerufen, seinem Sieg, der bereits ein Ereignis von historischer Bedeutung in Sri Lanka ist, konkrete Taten folgen zu lassen.
"Ich bin kein Zauberer"
Dissanayake in seiner Antrittsrede
In seiner ersten präsidialen Rede sagte Dissanayake: "Ich verspreche ... mich für den Schutz und die Aufrechterhaltung der Demokratie einzusetzen" und erklärte, dass er sein Amt in einer schwierigen Zeit für die Nation im Indischen Ozean antrete.
"Ich bin kein Zauberer. Ich bin ein gewöhnlicher Bürger. Es gibt einige Dinge, die ich weiß, und einige, die ich nicht weiß. Mein Ziel ist es, diejenigen zu versammeln, die Fähigkeiten und Fertigkeiten haben, um dem Land wieder auf die Beine zu helfen".
"Unsere Politik muss sauberer werden, und die Menschen haben eine andere politische Kultur gefordert", fügte er hinzu. "Ich bin bereit, mich für diesen Wandel einzusetzen."
"Wir haben sehr hart für diesen Sieg gearbeitet. Zum ersten Mal haben die armen Menschen jemanden, der für sie einsteht."
Ein Aktivistin der JVP bei der Kundgebung anlässlich der Amtseinführung von Dissanayake
An seiner Seite hat er Persönlichkeiten wie seine Parteigenossin Harini Amarasuriya, eine Akademikerin und Aktivistin für das Recht auf Bildung und Kinderschutz. Amarasuriya ist eine von nur drei kommunistischen Abgeordneten, die bei den letzten Parlamentswahlen im Jahr 2020 gewählt wurden, und gilt als Favorit für das Amt des Premierministers.
Im Parlament nur drei von 225 Sitzen
Die parlamentarische Hürde ist das Problem, das auf der Liste des neuen Präsidenten ganz oben steht. Seine Partei hat nur drei von 225 Sitzen. Nach der Flucht Rajapaksas im Jahr 2022 gab es keine neuen Parlamentswahlen, und die 225 Sitze in der Versammlung spiegeln noch immer die Ergebnisse der letzten Wahlen im Jahr 2020 wider.
Während seines Wahlkampfs versprach Dissanayake, das Parlament innerhalb von 45 Tagen nach seinem Amtsantritt aufzulösen und vorgezogene Parlamentswahlen auszurufen. So ist es wahrscheinlich, dass sehr bald Neuwahlen abgehalten werden, in der Hoffnung, dass sich der Wahlkampf und die Abläufe der Präsidentschaftswahlen wiederholen, als Sri Lanka mit einer Wahlbeteiligung von fast 80% seinen neuen Präsidenten ohne Blutvergießen wählte.
Staatsverschuldung und IWF-Auflagen erwürgen Sri Lanka
Dann ist da noch die Frage der Staatsverschuldung und des Kredits, den die vorherige Regierung mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) vereinbart hat. Der IWF gewährte eine Kreditlinie in Höhe von 2,9 Mrd. USD. Wie üblich hat der IWF als Gegenleistung für die Rettungsaktion strenge Sparmaßnahmen auferlegt. Die Renten wurden gekürzt, die Lohn- und Einkommenssteuern um 36% erhöht und Subventionen für Lebensmittel und andere lebensnotwendige Güter wurden gestrichen. Die Stromrechnungen stiegen um 65%. Bis 2032 soll die Verschuldung auf 95% des BIP gesenkt werden (Stand Dez. 2022: 118%) und bis 2025 ein Primärüberschusses, also höhere Einnahmen als Ausgaben im Haushalt, von 2,3% erreicht werden.
Laut Vereinbarung mit dem IWF wird sich der Auslandsschuldendienst für Sri Lanka in den kommenden zehn Jahren auf 4,5 Prozent des jährlichen BIP belaufen. Das BIP-Wachstum dürfte in den nächsten Jahren nur drei Prozent betragen. Ein solch mickriges zukünftiges Wachstum kann den massiven Rückgang von 7,8 Prozent im vergangenen Jahr und den anhaltenden Abschwung in diesem Jahr nicht ausgleichen. Somit würde das 1,5-fache des Produktionswachstums Sri Lankas in die Rückzahlung der Auslandsschulden fließen. Sri Lanka wird weiter ausgeblutet.
Dissanayake will die IWF-Auflagen nun erneut zur Diskussion stellen, um den Druck auf die Bevölkerung zu verringern. Er muss versuchen, die Versprechen, den Armen des Landes zu helfen, mit der Notwendigkeit in Einklang zu bringen, die dringend benötigten Geldmittel des Internationalen Währungsfonds weiter fließen zu lassen.
Der IWF erklärte, er werde mit Dissanayake zusammenarbeiten und den Zeitpunkt seiner dritten Überprüfung des aktuellen Programms mit Sri Lanka "so bald wie möglich" besprechen.
Die wahre Schuldenfalle: Sri Lanka schuldet den größten Teil dem Westen, nicht China |
Die Staatsanleihen Sri Lankas verloren am Montag im frühen Handel 2,88 bis 3,28 Cent auf den Dollar und notierten zwischen 49,14 und 49,77 Cent. Die internationalen Finanzinvestoren befürchten, dass das Versprechen Dissanayakes, die Parameter des IWF-Rettungspakets und vor allem die Art und Weise, wie die Höhe der tragbaren Verschuldung festgelegt wird, zu ändern, künftige Auszahlungen verzögern könnte und dass er die Kreditgeber auch dazu zwingen könnte, einen in der vergangenen Woche abgeschlossenen Schuldenvertrag mit Anleihegläubigern neu zu verhandeln.
Innenpolitisch schließlich wird die Herausforderung darin bestehen, eine Zivilgesellschaft zusammenzuhalten, die noch immer entlang ethnischer und religiöser Trennlinien gespalten ist, die aus dem mehr als zwei Jahrzehnte währenden Bürgerkrieg herrühren, der 2009 offiziell beendet wurde. Die hinduistische tamilische Minderheit im Norden wartet immer noch auf Initiativen zur Strafverfolgung, die die singhalesische Mehrheit mit in den Prozess einbeziehen sollten, und auch die muslimischen und christlichen Minderheiten sind weiterhin von Diskriminierung betroffen.
Insel mit hoher geostrategischer Bedeutung
Sri Lankas enge Nachbarn Indien, Pakistan und die Malediven gratulierten Dissanayake zu seinem Sieg, ebenso wie China.
China und Indien, die beiden Regionalmächte, die um die Gunst der Insel mit hohem geostrategischem Wert wetteifern, beobachten die Entwicklungen mit großem Interesse.
"China hofft, dass Sri Lanka seine nationale Stabilität und Entwicklung aufrechterhalten wird, und ist bereit, eine konstruktive Rolle bei der reibungslosen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu spielen", sagte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums am Montag. Der Sprecher lehnte es ab, Einzelheiten über die Aussicht zu nennen, dass Sri Lanka die mit Peking geschlossenen Schuldenabkommen neu verhandeln wolle, sagte aber, China hoffe, die qualitativ hochwertige Entwicklung beim Bau des 'Belt and Road'-Projekts gemeinsam zu vertiefen.
Peking setzt auf weitere Infrastrukturinvestitionen im Rahmen der Seidenstraße: Häfen und Flughäfen in Sri Lanka, die China bereits gebaut hat, bereits kontrolliert und nun ausbauen will, während Dissanayake die "nationalen strategischen Vermögenswerte" besser schützen möchte, indem er allzu belastende ausländische Beteiligungen vermeidet.
Eine Position, die auch das Vorankommen indischer Investitionen erschweren dürfte. Angefangen bei einem 442 Millionen Dollar teuren Windpark, den die Adani-Gruppe - die Premierminister Narendra Modi sehr nahe steht - im Norden des Landes bauen will, steht dieser seit Monaten im Mittelpunkt einer Kontroverse über manipulierte Ausschreibungen und nicht eingehaltene Umweltauflagen.
mehr zum Thema auf kommunisten.de
- 18.7.2022: Die wahre Schuldenfalle: Sri Lanka schuldet den größten Teil dem Westen, nicht China
Sri Lanka schuldet 81% seiner Auslandsschulden den US-amerikanischen und europäischen Finanzinstitutionen sowie den westlichen Verbündeten Japan und Indien. China ist mit 10% beteiligt. Doch ... - 15.7.2022: Volksaufstand in Sri Lanka
Präsident Gotabaya Rajapaksa wurde von der Macht vertrieben. ...