01.10.2024: israelische Angriffe auf Libanon, Jemen und Syrien ++ neues Massaker an Palästinensern in Gaza: 22 Tote, fast alle Zivilisten ++ In den letzten drei Tagen haben die israelischen Bomben, die auf den Gazastreifen fielen, 119 Opfer gefordert ++ Besatzerterror und Vertreibung im Westjordanland ++ Gegenschlag des Iran
Die iranische Revolutionsgarde (IRGC) hat eine groß angelegte Raketenoperation angekündigt und heute mit Dutzenden ballistischer Raketen die "erste Welle“ von Angriffen auf militärische Ziele in Israel gestartet, wie es in einer Erklärung der IRGC heißt. Ein Ziel unter anderem war das Hauptquartier des israelischen Geheimdienstes Mossad, das sich mitten in einem Wohngebiet am Stadtrand von Tel Aviv versteckt. Außerdem wurden drei Militärstützpunkte in Tel Aviv angegriffen: Nevatim, Hatzerim und der Luftwaffenstützpunkt Tel Nof.
Die IRGC betonten, dass die Angriffe eine Reaktion auf die jüngsten Morde an hochrangigen Persönlichkeiten, darunter den von Israel in Teheran ermordeten Ismail Haniyeh und Hassan Nasrallah, seien.
"Diese Operation ist unser legitimes Recht, uns zu verteidigen“, so die Revolutionsgarde. Die iranische Vertretung bei den Vereinten Nationen erklärte: “Sollte Israel es wagen, Vergeltung zu üben oder böswillige Handlungen zu begehen, wird unsere Antwort verheerend sein.“
Der iranische Außenminister Abbas Araghchi erklärte, der Iran habe "fast zwei Monate lang enorme Zurückhaltung geübt, um Raum für eine Waffenruhe in Gaza zu schaffen." Die Waffenstillstandsverhandlungen mit der Hamas sind steckengeblieben, da Netanjahu immer neue Forderungen erhob, um die Verhandlungen zu sabotieren. Araghchi appellierte an die Unterstützer Israels, die jetzt eine größere Verantwortung hätten, "die Kriegstreiber in Tel Aviv zu zügeln, anstatt sich an deren Wahnsinn zu beteiligen".
Mit diesem seit längerem erwarteten Gegenschlag des Iran ist eine neue Eskalationsstufe des Krieges erreicht, der durch den anhaltenden Völkermord in Gaza und die israelischen Angriffe auf mehrere Länder (Libanon, Jemen, Syrien, Iran) und die Ermordung von Politikern und Führern von Hamas und Hezbollah ausgelöst wurde.
30.09.2024: Israel has been bombing Yemen, Lebanon, Syria and Gaza | Al Jazeera Newsfeed
https://youtu.be/bYfLjuouXrk
oder https://fb.watch/uYNyLeh6jU/
Massive Angriffe auf den Libanon
Nach dem beispiellosen Terroranschlag mit Sprengstoff beladenen Pagern und Walkie-Talkies, die mindestens 32 Menschen töteten, darunter zwei Kinder und mehrere Sanitäter, und Tausende verletzten und zu Krüppeln machten, begann Israel mit groß angelegten Bombardierungen des Libanon.
Er erreichte am Freitag (27.9.) seinen Höhepunkt mit der Ermordung des Hezbollah-Führers Hassan Nasrallah durch einen massiven Bombenangriff mit bunkerbrechenden US-Bomben auf sechs Wohnblöcke. Neben Mitgliedern der Hezbollahführung wurden zahlreiche Zivilisten - Berichte sprechen von 300 Menschen, von denen die meisten Zivilisten gewesen sein dürften - geradezu pulverisiert.
Israel setzt seine Angriffe im Libanon fort, wobei am Dienstag etwa 55 Menschen getötet wurden. Am Montag waren es etwa 95. In den letzten zwei Wochen wurden bei israelischen Angriffen im Libanon mehr als 1.000 Menschen getötet, fast ein Viertel davon Frauen und Kinder, wie das Gesundheitsministerium des Landes mitteilte. Infolge der israelischen Angriffe sind nach libanesischen Regierungsangaben rund eine Million Libanesen auf der Flucht. Die Hezbollah reagierte mit massiven, aber weit weniger tödlichen Raketenangriffen.
Wie in Gaza versucht Israel die Ermordung unzähliger Zivilisten mit dem "präzisen Schlag gegen Kommandozentralen" zu legitimieren. In einer Videoanimation behauptet die israelische Armee sogar, dass die Hezbollah ihre Marschflugkörper in Wohnzimmern versteckt und damit Wohnblocks zum legitimen Angriffsziel werden. Dazu kommt das Mantra des "Rechts auf Selbstverteidigung", bereitwillig von den internationalen Unterstützern der israelischen Terrormaschine aufgegriffen und wiederholt. Israels "Recht auf Selbstverteidigung“ bedeutet, dass jedes Wohngebiet, das das Pech hat, in der Nähe einer angeblichen "Kommandozentrale"zu liegen, dem Erdboden gleichgemacht wird.
Krieg für Großisrael
Doch den Gotteskriegern der israelischen Regierung geht es um etwas anderes. Nach der Ermordung von Hassan Nasrallah erklärte Netanjahu, dass es jetzt darauf ankomme, "das strategische Gleichgewicht im Nahen Osten radikal zu verändern".
"Grenzlinie mit der Entität, die sich Staat Libanon nennt, neu berechnen"
Amichai Chikli, Minister im Kabinett Netanjahu
So diskutiert eine der größten Zeitungen Israels, ob der Libanon nicht eigentlich zu Israel gehört, "Teil des verheißenen Landes" ist.
Das Regierungsmitglied Amichai Chikli von Netanjahus Likud Partei gibt die Antwort und sagt ganz offen, dass Israel Teile des Libanons annektieren soll. "Der Libanon entspricht nicht der Definition eines Landes, auch wenn er eine Flagge und politische Institutionen hat", schrieb Chikli am 21. September und fordert die "Grenzlinie mit der Entität, die sich Staat Libanon nennt, neu zu berechnen". [https://x.com/AmichaiChikli/status/1837550594170466487]
Eine einflussreiche israelische Siedlerorganisation wirbt bereits für den Kauf von Immobilien im Südlibanon, im "Land unserer Vorfahren". Auf der Website von Uri Tzafon, der Bewegung für die Besiedlung des Südlibanons, werden geräumige, lichtdurchflutete Wohnungen mit Blick auf einen Swimmingpool angeboten, die ab 300.000 Schekel (80.000 US-Dollar) erhältlich seien.
"Träumen Sie nach der Beseitigung der Hisbollah-Führung auch von einem großen Haus, einem Blick auf schneebedeckte Berge und einer herzlichen Gemeinschaft im Land unserer Vorfahren?“, heißt es in der Anzeige.
Die Menschen dort sollen vorher natürlich erst vertrieben werden.
Israel befiehlt Zehntausenden Libanesen, ihre Häuser zu verlassen und 60 km nach Norden zu fliehen
Wenige Stunden, nachdem Israel gestern (30.9.) erklärt hatte, es habe seine Invasion des Libanon gestartet, kam der Befehl an die libanesische Bevölkerung, sich 60 km von der Grenzregion zu entfernen. Die Bewohner von 26 Städten müssten ihre Häuser sofort verlassen und sich zu ihrer "eigenen Sicherheit“ nördlich des Awali-Flusses begeben, so die Anordnung.
"Jeder, der sich in der Nähe von Hisbollah-Mitgliedern, -Einrichtungen und -Kampfausrüstung aufhält, bringt sein Leben in Gefahr. Jedes Haus, das von der Hisbollah für militärische Zwecke genutzt wird, wird voraussichtlich angegriffen werden.“
Völkermord in Gaza geht unvermindert weiter
Aus dem Gazastreifen kam zur gleichen Zeit die Nachricht von einem neuen schrecklichen Massaker in einem Schulgebäude, in dem Tausende von Vertriebenen untergebracht sind. Mindestens 21 Palästinenser, fast alle Zivilisten, wurden durch zwei israelische Raketen getötet, die auf eine Schule in Zeitoun abgefeuert wurden, einem östlichen Vorort der Hauptstadt des Gazastreifens, der seit Monaten Ziel von Luftangriffen und Angriffen mit Panzerfahrzeugen ist. Dies war der 17. Angriff auf eine Schule oder ein öffentliches Gebäude seit Anfang August, der damit begründet wurde, dass sich dort eine "Hamas-Kommandozentrale“ befinde.
Mindestens 12 Palästinenser, darunter auch Kinder, wurden am Dienstag bei einem israelischen Luftangriff auf ein Zelt westlich der Stadt Khan Younis im südlichen Gazastreifen getötet, in dem Vertriebene Zuflucht gesucht hatten.
Allein am heutigen Dienstag wurden nach Angaben der Gesundheitsbehörden bei sieben Luftangriffen im Gazastreifen mindestens 37 Palästinenser getötet.
In den letzten drei Tagen wurden 119 Palästinenser im Gazastreifen getötet, und die Gesamtzahl der Toten seit dem 7. Oktober ist auf mindestens 41,638 gestiegen.
Seit Beginn des völkermörderischen Vernichtungskrieges gegen Gaza im Oktober 2023 wurden bei israelischen Angriffen 41.638 Menschen getötet, mehr als 96.460 verwundet und schätzungsweise 10.000 werden vermisst und gelten als tot. Unter den Todesopfern befinden sich mindestens 16.800 Kinder, 11.400 Frauen, fast 1.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens, 174 Journalisten und 220 UN-Mitarbeiter.
Die tatsächliche Zahl der Toten infolge der Bombardierungen, der Hungerblockade, des Abschneidens von Trinkwasser, der systematischen Zerstörung der Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen, der katastrophalen hygienischen Zustände mit der Folge von Epidemien liegt weit über den vom Gesundheitsministerium in Gaza bekanntgegebenen und von der UN übernommenen Zahlen. Das medizinische Fachmagazin »The Lancet« hat eine Studie veröffentlicht, derzufolge bis zu 186.000 oder sogar mehr Todesfälle "auf den aktuellen Konflikt im Gazastreifen zurückzuführen seien". Die Toten würden demnach 7,9 Prozent der Gesamtbevölkerung in Gaza entsprechen. Neue Studien gehen davon aus, dass bis zu 20 Prozent der Bevölkerung des Gazastreifens an den Kriegsfolgen sterben werden, wenn es nicht zu einem baldigen dauerhaften Waffenstillstand und zu umfassenden Hilfslieferungen kommt.
Derweilen geht auch die ethnische Säuberung von Nord-Gaza weiter.
Terror und Verwüstung im besetzten Westjordanland
Im besetzten Westjordanland kam es zwischen Freitag und Samstag zu stundenlanger Hochspannung mit Razzien und Übergriffen der israelischen Armee. Mindestens 20 Palästinenser wurden in den Gouvernements Hebron, Jenin, Qalqilya und Ostjerusalem festgenommen, während es in Jenin zu Feuergefechten zwischen Soldaten und palästinensischen Kämpfern kam, bei denen ein israelischer Soldat im Viertel Al-Bayader verwundet wurde.
Die Annexion des Westjordanlandes schreitet voran mit der Beschlagnahmung von Hunderten von Hektar, dem Wachstum von Kolonien und der Legalisierung von Siedlungen, die die Drecksarbeit der Regierung erledigen, indem sie Beduinen und Hirtengemeinschaften vertreiben. Die Isolierung palästinensischer Gemeinden, die Blockierung von Kommunikationswegen, der Bau neuer israelischer Infrastruktur bedeutet die Zementierung der Apartheid.
Das israelische Regime und sein Militär sind gnadenlos. Sie hinterlassen nichts als zerstörte Häuser, aufgerissene Straßen, zerstörte Wasser- und Stromleitungen, um Palästinenser zum Verlassen ihres Landes zu zwingen und israelische Siedlungen zu erweitern. Nach Angaben der Vereinten Nationen zerstörten israelische Besatzungstruppen bei den Ende August begonnenen Razzien in Jenin und Tulkarm die Wasserversorgung von 68.000 Palästinensern.
17.9.2024: Invasion der israelischen Besatzungstruppen in Tulkarm
https://youtu.be/do_6z2FrVOk
Keine roten Linien für Israel
Der endlose Krieg von Benjamin Netanjahu mit dem Ziel, "das strategische Gleichgewicht im Nahen Osten radikal zu verändern“ kann sich nach Meinung einiger Analysten über Jahre hinziehen.
In diesem Krieg müssen israelische Piloten und Drohnenführer nicht darüber nachdenken, wie viele Zivilisten durch eine Rakete, die auf ein mutmaßliches Ziel gerichtet ist, getötet werden könnten. Alle Zivilisten im Libanon, im Gazastreifen und im Westjordanland sind Ziele.
Das Tabu, keine Kinder zu töten, ist gefallen. In diesem Krieg gibt es keine Grenzen oder roten Linien. Israel kann eine Nation aushungern, es hat routinemäßig Folter und Vergewaltigung in seinen Gefängnissen eingesetzt und es kann damit prahlen.
Der Wunsch der USA, Israel als strategischen Verbündeten zu behalten, ihre Entschlossenheit, dafür zu sorgen, dass die Regierung Netanjahu nicht stürzt, und das blinde Festhalten der europäischen Akteure an den strategischen Vorgaben der USA machen eine Verringerung der Feindseligkeiten und ein Ende der völkermörderischen Gewalt in Palästina und im Nahen Osten so gut wie unmöglich. Israel wird weiterhin seine strategischen Interessen verteidigen und in Richtung eines regionalen Krieges drängen.
"Israel kann Teile des Libanon in Gaza verwandeln. Es kann den Südlibanon und den nördlichen Gazastreifen erneut besetzen. Es kann Häuser zerstören und unzählige Menschenleben vernichten. Es kann die gesamte Region in einen Krieg stürzen. Aber es kann die Hauptursache des Konflikts nicht ignorieren, nämlich die nationale Sache der Palästinenser.
Palästina ist das Thema, dem sich Israel, egal wie viele Kriege es führt, niemals entziehen können wird. Und zukünftige Generationen von Israelis werden einen hohen Preis für das Leid zahlen, das ihr Land den Palästinensern und Libanesen über Jahrzehnte hinweg zugefügt hat."
Lubna Masarwa, in Middle East Eye, 30.9.2024: Drunk with power, Israel's 'victory' opens the gates for war without end
Gestern Abend protestierten Familienangehörige der israelischen Gefangenen erneut vor dem Armeehauptquartier in Tel Aviv und warnten davor, die Vereinbarung mit der Hamas über einen Gefangenenaustausch aufzugeben. "Netanjahu hat sich für eine regionale Eskalation entschieden und will die Geiseln auf dem Altar des Machterhalts opfern“, erklärte Einav Zangauker, die Mutter einer Gefangenen.