28.11.2013: Am 24. und 25. November tagte der 6. außerordentliche Gewerkschaftstag der IG Metall in Frankfurt am Main. 481 Delegierte wählten einen neuen Ersten und Zweiten IG-Metall- Vorsitzenden sowie weitere drei geschäftsführende Vorstandsmitglieder. Außerdem beschlossen sie eine gesellschafts- und gewerkschaftspolitische Erklärung. Die UZ sprach mit dem Delegierten Uwe Fritsch, Betriebsratsvorsitzender im VW-Werk Braunschweig über den Gewerkschaftstag.
UZ: Der außerordentliche Gewerkschaftskongress der IG Metall hat am Montag Detlef Wetzel zum neuen Vorsitzenden der IG Metall gewählt. Wie schätzt du diese Wahl, mit ihren bescheidenen Stimmergebnissen ein? Steht Detlef Wetzel in der Kontinuität von Bertold Huber oder wird er neue Akzente setzen?
Uwe Fritsch: Detlef Wetzel steht auf der einen Seite für Kontinuität, da er ja als bisheriger 2. Vorsitzender gerade für die erfolgreichen Kampagnen der IG Metall verantwortlich war. Die Jugendkampagnen 'Operation Übernahme' und 'Revolution Bildung' deren bundesweiten Abschluss mit einer großen Aktion für den 27. September 2014 geplant ist. Dazu gehört die größte Befragung von Beschäftigten bundesweit und letztlich die Klammer aller einzelnen Kampagnen 'Kurswechsel: Gemeinsam für ein gutes Leben'.
Detlef Wetzel wird aber auch neue Akzente setzen müssen. Die aktuelle politische Lage in unserem Land und in Europa, die wirtschaftlichen Entwicklungen in den Betrieben, in Deutschland, Europa und in der gesamten Welt brauchen, zwingen aus meiner Sicht zu neuen Forderungen, Antworten und Methoden zur Durchsetzung unserer berechtigten Forderungen. Gleichzeitig stellt die sich andeutende 'Große Koalition' auch die IG Metall vor neue Herausforderungen, wollen wir in den Betrieben weiter ernst genommen werden. Dies ist für mich auch durch die geschickten Auftritte von Sigmar Gabriel und Angela Merkel deutlich geworden.
Die Mitglieder der IG Metall, meine Kolleginnen und Kollegen im Betrieb wollen auch politische Antworten, Beschlüsse und Gesetze zu Mindestlohn, Werkverträgen, Zeitarbeitskräften, Gleichstellung von Mann und Frau, sowie der sichtbaren nationalen und internationalen sozialen Aufgabenstellungen. Insgesamt ist für alle sichtbar geworden: Unser gesellschaftliches Engagement soll, muss und wird verstärkt.
UZ: In der Tat. Detlef Wetzel zeichnete sich für eine neue Kampagnentätigkeit in der IG Metall aus. Doch steht das neugewählte Duo Detlef Wetzel (75,5 %) und der jetzige Vize und ehemalige Bezirksleiter von Baden-Württemberg, Jörg Hofmann (77,7 %) auch für eine Lohnentwicklung zumindest entsprechend der Inflationsrate- und Produktivitätsentwicklung, statt der eher bescheidenen Lohnabschlüsse in den letzten Jahren?
Uwe Fritsch: Der Tarifabschluss von Pforzheim und viele folgende betriebliche Regelungen sind auch entstanden, aus der Hoffnung von Beschäftigten, mit betrieblichen Sondervereinbarungen, mit Verzicht, wenn auch nur für einen begrenzten Zeitraum, Arbeitsplätze zu sichern, damit nicht ganze Belegschaften in die Arbeitslosigkeit gehen. Solange der Organisationsgrad in manchen Branchen, Betrieben oder Teilen von Belegschaften noch so niedrig ist, solange die Angst vor sozialem Abstieg durch Arbeitsplatzverlust die Verzichtsmentalität fördert, solange sich Unternehmen mit ihrem Austritt aus Arbeitgeberverbänden tariflichen Vereinbarungen entziehen können, brauchen wir neue Formen des Kampfes und politische Initiativen.
Ich bin sicher, dass immer mehr Belegschaften, Kolleginnen und Kollegen erkennen: Verzicht macht Unternehmer nur noch gieriger. Verzicht löst kaum ein betriebliches Problem mit Werkverträgen, Leiharbeitern, Belegschaften erster, zweiter und dritter Klasse. Das drängt nach neuen Aktionen, neuen Kämpfen und neuen Antworten.
UZ: Die Delegierten des 6. außerordentlichen Gewerkschaftstages der IG Metall haben eine gesellschafts- und gewerkschaftspolitische Erklärung diskutiert und verabschiedet. Was sind die Kernpunkte dieser Erklärung?
Uwe Fritsch: Kernpunkte sind: Arbeit sicher und fair. Arbeit muss wieder etwas wert sein und gesellschaftlich mehr geachtet werden. Die Vereinbarkeit von Arbeit und Leben. Die Gleichstellung von Frau und Mann. Zukunftssicherung für die junge Generation. Mehr Gewerkschaftsrechte, mehr Arbeitnehmerrechte und Bürgerrechte. Mehr internationales Engagement für ein demokratisches und soziales Europa.
UZ: Wie beurteilst du diese Erklärung? Was sind aus deiner Sicht die positiven Aspekte und wo müsste sie weitergehender sein?
Uwe Fritsch: Positiv ist die deutliche Akzentverschiebung von der Betonung der tariflichen und betrieblichen Aufgaben, hin zu mehr gesellschaftspolitischer Einmischung, mehr politisches Engagement in unserem Land und in Europa.
Es ist aber auch deutlich geworden, welches gesellschaftliche Bewusstsein in der Mitgliedschaft, den Betrieben und der Gesellschaft (noch) vorherrscht. Die Hoffnung mit starken Gewerkschaften, mit guten Betriebsräten und vielen neuen Mitgliedern eine soziale Marktwirtschaft wiederherstellen zu können, mit einem 'aktiven Staat' ein sozialeres Europa mit einheitlichen sozialen Standards, überwiegt deutlich. Die Debatte eines neuen Gesellschaftsmodells, von Reformalternativen und den ersten Schritten dazu, kam dabei zu kurz.
UZ: Mit welchen neuen Impulsen und Aufgaben gehen die Delegierten zurück in die Betriebe?
Uwe Fritsch: Kurz vor den Betriebsratswahlen 2014 geht es natürlich um die weitere Stärkung der IG Metall, mehr Mitglieder, mehr Betriebe mit Betriebsräten, mehr Vertrauen in die eigene Kraft und mehr Teilnahme an gesellschaftlichen, politischen Aktionen und Bewegungen. Das möchte ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen, mit den Vertrauensleuten und im Betriebsrat diskutieren.
Die Fragen für die UZ stellte Wolfgang Teuber (UZ vom 29.11.2013)
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Anlage: Frankfurter Erklärung der IG Metall: Aktiv für eine demokratische und solidarische Gesellschaft