Im Interview

Yanis Varoufakis Berlin 2015 02 05 Joerg Rueger23.03.2015: Die „Humanité“ hat nun das gesamte mit dem griechischen Finanzminister Varoufakis gemachte Interview auf ihrer Internetseite veröffentlicht, von dem am 17.3. der erste Teil bereits vorab publiziert worden war. Da es auch zu weiteren Fragen interessante Äußerungen von Varoufakis enthält, hier der Gesamtwortlaut in deutscher Übersetzung (Zwischenüberschriften redaktionell eingefügt):

Unterschied zwischen Troika und Institutionen

Frage: Können Sie uns den Unterschied zwischen der Troika und dem erklären, was Sie nunmehr „die Gruppe von Brüssel“ nennen, die außer den Vertretern der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) auch die des Europäischen Finanzstabilitätsfonds (EFSF) umfasst? Wird Griechenland nicht den gleichen Formen von politischer Kontrolle unterworfen sein?

 

Yanis Varoufakis: Der Hauptunterschied ist, dass während der letzten fünf Jahre die aufeinander folgenden Regierungen in Griechenland völlig abhängig waren vom Willen der Gläubiger. Sie haben kapituliert gegenüber der Logik der Gläubiger, gegenüber der Europäischen Union. Letztere hat wie ein äußerst harter Despot funktioniert, die einer bankrotten Nation Anleihen aufgezwungen hat, deren Ziel einfach war: es dem offiziellen Europa zu erlauben zu behaupten, dass Griechenland gerettet sei, und dabei die Fehler in der Architektur der Euro-Zone weiter zu außer Acht zu lassen.

Die Troika war eine Gruppe von Technokraten, die von unseren Gläubigern nach Griechenland geschickt worden sind, um ein undurchführbarer Programm durchzuführen, ein Programm, das die Krise verschärfen musste. Warum haben sie das getan? Vor allem, weil es in der ersten Phase der Krise, nach 2010, einen zynischen Versuch gab, die Verluste der französischen und deutschen Banken auf die Steuerzahler abzuwälzen. Diese Operation ist ihnen gelungen, wobei sie zugleich vorgaben, das die griechische Krise geregelt sei. Der Preis, und deshalb gilt die Troika in Griechenland als Synonym für ein Kolonialregime, war eine massenhafte humanitäre Krise. Das ist es, wozu die Troika gedient hat.

Wir wurden gewählt, weil das griechische Volk sich dafür entschieden hat, eine Partei an die Macht zu bringen, die diesen Prozess verurteilt. Die administrative Behandlung Griechenlands ist gescheitert. Wir sind gewählt worden, um die Philosophie und die politische Logik des Austeritätsprogramms anzufechten.

Sicherlich, wir gehören zur Euro-Zone. Wir haben keine eigene Zentralbank. Unsere Ansicht als linke Regierung ist es, dass man nicht aus der Euro-Zone ausscheiden muss. Wir hätten nicht in sie eintreten sollen. Aber daraus auszuscheiden, unter den gegenwärtigen Umständen, würde einen massiven Einkommensverlust verursachen und weitere Millionen Menschen in die Armut stürzen. Aus der Euro-Zone auszutreten, würde dem griechischen Volk keinerlei Fortschritt bringen. Wenn Sie einer Union angehören, müssen Sie sie ausbessern, nicht sie demontieren. Das erfordert Verhandlungen.

Zum Unterschied von der Troika ist die Gruppe von Brüssel die Frucht des Abkommens, das wir der Eurogruppe am 20. Januar unter Schmerzen entrissen haben. Wir haben einen neuen Prozess eröffnet. Ermessen wir den durchlaufenen Weg: am Tag nach den Wahlen erteilten uns die europäischen Instanzen die Order, ihre Bedingungen zu akzeptieren, sonst würden den griechischen Banken die Mittel entzogen. Es ist uns gelungen, eine Regelung zu vereinbaren, die eine Zwittersituation schuf. Wir setzen unser Reformprogramm um und wir werden auf dieser Grundlage beurteilt. Die Zwiespältigkeit besteht weiter, dass unsere Gesprächspartner auch beabsichtigen, uns nach einem Teil des früheren Programms zu beurteilen. Die Gruppe von Brüssel bezeugt unseren Willen, das Problem im Herzen Europas zu stellen. Nicht in einem kolonialen Vorposten. Das ist nicht das Kolonialregime, das seine Technokraten, seine Beamten an die Peripherie schickt. Wir sind nunmehr in einem europäischen Prozess. Das ist unser Bestreben, die Demokratie wiederzugewinnen. Nicht nur für Griechenland, sondern für ganz Europa.

Wie die griechischen Schulden umstrukturieren?

Frage: Am letzten Donnerstag hat Alexis Tsipras am Sitz der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) klar bestätigt, dass die griechischen Schulden nicht tragbar sind. Wie können diese nicht tragbaren Schulden umstrukturiert werden?

Yanis Varoufakis: Wissen Sie, die Kapitalisten kennen die Antwort auf diese Frage sehr gut. Als die amerikanische Firma General Motors in den Jahren 2000 eine schwere Überschuldungskrise durchgemacht hat, wurden ihre Schulden zu 90 Prozent gestrichen. General Motors würde heute nicht mehr existieren, wenn seine Schulden nicht umstrukturiert worden wären. Die auf Konkurse spezialisierten Anwälte behandeln diese Art von Geschäften an der Wallstreet, in der City von London, in Paris oder in Frankfurt alle Tage. Sie verhandeln die von den Unternehmen aufgenommenen Anleihen neu, die nicht in der Lage sind, ihre Schulden zu bewältigen. Ich gebe zu, dass eine gewisse Ironie darin liegt, dass wir von den Linken die Mentalität von Anwälten übernehmen, die auf Konkurse spezialisiert sind. Aber vergessen wir nicht die Gründe, weshalb der Kapitalismus im 19. Jahrhundert einen Aufschwung genommen hat. Dazu gehört die Gründung von Aktiengesellschaften. Was bedeutet diese Erfindung? Dass Schulden keine Schulden sind! Wenn die Aktiengesellschaft untergeht, kann niemand deshalb Ihr Haus beschlagnahmen. Tatsächlich beruht die ganze Logik des Kapitalismus auf der Idee, dass Schulden, die nicht bezahlt werden können, umstrukturiert werden müssen. Alle Welt weiß das. Außer der Eurozone… Aber de facto waren auch die griechischen Schulden schon einmal Gegenstand einer umfangreichen Umstrukturierung im Jahr 2012. Sie haben diesen Prozess nur nicht „Umstrukturierung“ oder „haircut“ genannt, sondern PSI für „privat sector involvement“ („Beteiligung des Privatsektors“). Es ist die Ironie der Situation, dass eine Regierung der radikalen Linken Europa an die Eigenlogik des Kapitalismus erinnert. Das ist schon ziemlich krass…

Was heißt „Reformen“?

Frage: Wenn Sie ‚strukturellen Reformen‘ zustimmen, was verstehen Sie darunter? Der Begriff „strukturelle Reformen“ klingt nicht sehr gut in unseren Ohren hier in Frankreich, wo dieser Ausdruck das Synonym für neoliberale Anpassungsmaßnahmen ist…

Yanis Varoufakis: Als ich jünger war, verwies der Begriff „Reform“ mehr auf eine Logik der Linken. Später, mit der Verschuldungskrise in den Staaten der Dritten Welt und den strukturellen Anpassungsplänen, hat der IWF sich dieses Begriffs bemächtigt. Er ist zum Synonym geworden für den Preis, den die armen Länder bezahlen sollten als Gegenleistung für Anleihen des IWF: Schließung von Schulen, Krankenhäusern, Privatisierung der Dienstleistungen und öffentlichen Unternehmen usw. Heute ist es in Griechenland wie in Frankreich so, wenn die Leute der einfachen Volksschichten das Wort ‚“Reform“ hören, dann sagen sie sich sofort, dass ihre Rente gekürzt, ihr Zugang zu Gesundheitsleistungen eingeschränkt wird, dass ihre Kinder ein Kreuz über einer hochwertige Ausbildung machen können. Das Schicksal des Begriffs „Reform“ ist da dem Begriff „Demokratie“ im Irak vergleichbar. Wenn heute ein Iraker das Wort „Demokratie“ in Bagdad hört, vor allem, wenn es mit amerikanischem Akzent ausgesprochen wird, bekommt er Angst und flieht.

Aber die Worte werden mit der Bedeutung belegt, die man ihnen gibt. Es gibt eine reformerische (reformistische) Tradition der demokratischen Linken, und wir bekennen uns dazu. Tiefgehende Veränderungen sind unerlässlich. Seit fünf Jahren bedeuten Reformen in Griechenland ganz wie in Frankreich einen Rückzug des Vorsorgestaats, mehr Freiheiten für das Kapital, weniger Freiheiten für die Arbeit. In Griechenland ist das Ergebnis dieser großen Depression, dass wir sowohl Kapital wie Arbeit nicht mehr haben. Das Kapital ist nach Paris, Frankfurt, Lausanne, Genf, New York geflohen. Das kleine griechische Kapital ist heute in einer eher miserablen Lage, ohne Zugang zu Bankkrediten, ohne innere Nachfrage, um die Produktion in Gang zu bringen.

Was die Arbeit angeht – es gibt keine Arbeit mehr. Und selbst wenn die Leute arbeiten, werden sie nicht wirklich bezahlt. 600 000 Menschen im Privatsektor haben seit Monaten keinen Lohn mehr bekommen. Sie arbeiten weiter, weil sie nichts anderes tun können, und vor allem, weil sie fürchten, die Summen niemals wieder zu sehen, die man ihnen schuldet, wenn sie gehen. Das ist schlimmer als Sklaverei, weil Sie nicht mal mehr Essen und Unterkunft haben.

Bisher waren die Reformen Synonym für Angriffe auf die Schwächsten und für Milde gegenüber den Konzernen und den Oligarchen. Wir sind der Meinung, dass die Krise, jenseits der schwächelnden Architektur der Eurozone, auch in dem Gewicht dieser Konzerne und dieser Oligarchen zum Ausdruck kommt, mit dieser Machtstruktur, die die Dynamik und Energie der griechischen Gesellschaft erstickt. Mit unseren „Reformen“ beabsichtigen wir, die Oligarchie anzugehen, die Einkommen der Rentiers, die Praktiken, die die Innovation und den Fortschritt hemmen und die Jugend daran hindern, sich zusammenzutun und ihre Kreativität zum Ausdruck zu bringen.

Verhältnis zu Merkel und Schäuble

Frage: Wie erklären Sie sich die Unnachgiebigkeit, die Aggressivität der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und ihres Finanzministers Wolfgang Schäuble Ihnen gegenüber?

Yanis Varoufakis: Das ist keinesfalls eine persönliche Angelegenheit! Das ist ein ideologisches Problem. Das ist auch die menschliche Natur.

Nichts bildet sich so leicht heraus wie Machtstrukturen. Wir lernen es von großen Philosophen, von David Hume bis Karl Marx. Diese erklären sehr gut, wie unser Glaube an die Konventionen, die in einem gewissen Sinn von der Ideologie herrühren, sich im Denken der Leute verankert und am Anfang von Erwartungen und von einem falschen Rechtssinn stehen. „Ich verfüge über etwas, also habe ich ein Recht darauf“. Die reichen Familien, die in der ersten Klasse reisen, meinen, dass dies ihr Recht sei. Natürlich ist es kein Recht. Hume sprach von ‚künstlicher Tugend‘. Er beschreibt in seinem „Traktat über die menschliche Natur“ sehr schön die Art und Weise, wie die Menschen, die sich nicht den Erwartungen derjenigen anpassen, die meinen, die Macht über sie zu haben, eine Art Wut auslösen. Das ist es, was passiert.

Seit fünf Jahren kommen die Finanzminister der von der Krise betroffenen Länder zur Eurogruppe, um zu fragen, wo sie unterschreiben müssen. Weil es das Mandat des griechischen Volkes so verlangte, haben wir im Gegensatz dazu verlangt, das zu überprüfen, zu dessen Unterzeichnung man uns drängte. Wir sind nicht gekommen mit der Absicht, unseren Willen durchzusetzen. Wir vertreten ein kleines geschwächtes Land, das wissen wir. Wir sind hoch verschuldet, wir können diese Schulden nicht zurückzahlen. Aber wir haben das Recht, Fragen zu stellen, bevor noch mehr Geld geliehen wird, so wie es jede beliebige andere verschuldete Instanz auch tut. Und plötzlich passt die Tatsache, dass ein Minister Fragen stellt und eine Meinung über das äußert, was man ihn unterschreiben lassen will, nicht mit dem zusammen, was man von ihm erwartete! Sie erhofften von uns eine fügsame Einwilligung wie von unseren Vorgängern. Als wir uns dieser Erwartung nicht gebeugt haben, gab es Dissonanzen und Spannungen.

Das Ergebnis dieses Clashes ist, dass einige führende Politiker der mächtigsten Mitgliedsstaaten der Europäischen Union versucht sein könnten, uns zu zerquetschen. Das wäre schrecklich für Europa. Das würde bedeuten, dass die Demokratie darin nicht mehr ihren Platz hat. Ich hoffe… ich vertraue darauf, dass wir ein Terrain der Verständigung finden können. Ich sage dies mit Optimismus: gerade so kommt Europa voran, indem es seine Gegensätze überwindet.

Droht die „Goldene Morgenröte“, wenn Syriza scheitert?

Frage: Haben Sie wirklich Wolfgang Schäuble gesagt, dass wenn er sich weigerte, mit Ihnen zu verhandeln, er in Zukunft mit den Glatzköpfen der „Goldenen Morgenröte“ konfrontiert sein könnte?

Yanis Varoufakis: Das habe ich der Gesamtheit der Eurogruppe gesagt. Vor den Wahlen haben uns die Medien als Populisten gezeichnet. Sie warfen uns in einen Topf mit Marine Le Pen in Frankreich, mit Nigel Farage in Großbritannien. Wir sind jedoch aufrichtige Pro-Europäer, auf dem Gegenpol des Nationalismus! Die politischen Entscheidungen des offiziellen Europa in Frage zu stellen, heißt nicht, antieuropäisch zu sein. Es ist unsere Pflicht, das zu kritisieren, was nicht funktioniert, das lehrt uns die Geschichte dieses Kontinents.

Griechenland erlebte, dass ihm ein Programm aufgezwungen wurde, das von ideologischen Gesichtspunkten geleitet war, ein Programm, das Erniedrigung, Hunger, Entrechtung und Verzweiflung hervorbrachte. Wir wissen seit den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts, dass ein solcher Cocktail, kombiniert mit Massenarbeitslosigkeit, den Nazismus produziert. Dieses Phänomen gibt es heute in Griechenland. Die Partei, die bei den Wahlen auf den dritten Platz kam, bezieht sich offen auf den Nazismus. Wie in der Weimarer Republik ist das Zentrum gescheitert. Die PASOK hat sich aufgelöst. Die „Neue Demokratie“ ist diskreditiert. Ich habe meinen Gesprächspartnern der Eurogruppe klar gesagt, dass von unserem Scheitern die extreme Rechte profitieren würde. Wenn man uns daran hindert, eine alternative Politik zu betreiben, wird Frau Le Pen in Frankreich an die Macht kommen und die „Goldene Morgenröte“ die Zügel in Griechenland übernehmen. Inwiefern wäre dies ein Fortschritt für Europa?

Kein griechisches und kein französisches, sondern ein europäisches Problem

Frage: Sie haben Ihren französischen Gesprächspartner Michel Sapin vorige Woche in Paris getroffen. Eine eher kurze Unterredung…

Yanis Varoufakis: Nein, ich habe ihn lange getroffen…

Frage: Sind Sie enttäuscht von der Haltung der französischen Regierung? Erhofften Sie sich mehr Unterstützung von Paris?

Yanis Varoufakis: Nein. Das war mein zweites Zusammentreffen mit Michel Sapin in Paris. Ich habe darauf bestanden, dass wir nicht mit einem „griechischen Problem“ oder einen „französischen Problem“ konfrontiert sind, sondern mit einem Systemproblem, mit einem europäischen Problem jenseits der Nationen. Als Internationalisten sollten wir so die Situation analysieren. Wohin ich auch gehe, ob meine Gesprächspartner Franzosen, Deutsche, Niederländer, Irländer oder Briten sein mögen, sage ich ihnen, dass wir uns alle auf die gleiche Seite des Tisches setzen und das Problem auf der anderen Seite platzieren sollten, statt dass wir gegeneinander in Konfrontation gehen, dass jeder seine kurzfristigen Interessen verteidigt. Das ist meine Haltung von Anfang an. Es ist sehr hart, dabei voranzukommen, selbst die Sprache ist gekennzeichnet durch diese Konfrontationslogik. Aber wir werden auf diesem Weg weitergehen. An dem Tag, wo ich nicht mehr in der Lage wäre, dieses Herangehen zu unterstützen, wäre es Zeit für mich zu gehen, ich würde zurücktreten.

Haltung gegenüber Spanien

Frage: Werden Sie leichter atmen, wenn Podemos im Herbst die spanischen Wahlen gewinnt?

Yanis Varoufakis: Meine Botschaft an die gegenwärtige spanische Regierung wie an alle Regierungen ist, dass sie einen Irrtum begehen, die Syriza-Regierung als Feind zu behandeln. Sie verlieren eine Gelegenheit. Es gibt zwei Herangehensweisen. Die eine besteht darin, die Konfrontation zu schüren. Die Konsequenzen wären dramatisch für alle. Eine andere Herangehensweise würde darin bestehen, in uns eine Gelegenheit zu erkennen. Wenn wir zu einer beiderseitig nützlichen Vereinbarung kommen, können sie diesen Vorteil ebenfalls einfordern. Sie haben die Wahl. Von unserer Seite her haben wir uns dafür entschieden, kooperativ zu sein.

Frage nach den Reparationen

Frage: Premierminister Alexis Tsipras hat letzte Woche noch einmal die Zahlung der zwangsweise von Deutschland während der Nazi-Okkupation erzwungenen Anleihe verlangt. Warum hält Griechenland an dieser Forderung fest, wenn es selbst eine Umstrukturierung seiner eigenen Schulden verlangt?

Yanis Varoufakis: Ich bin nicht der Minister, dem man diese Frage stellen muss. Ich werde also als Bürger, als politischer Mensch antworten. Während der Besatzung haben die deutschen Streitkräfte die Bank von Griechenland gezwungen, ihnen diese Anleihe zu gewähren. Es wurde eine Anerkennung dieser Schuld festgeschrieben, die sogar Zinsen vorsah. Die Bank von Griechenland ist noch immer im Besitz dieses Dokuments. Diese Frage ist niemals geregelt worden. Ich weiß nicht, um welche Summen es sich dabei handelt. Persönlich denke ist, dass jede Schuld umstrukturiert werden kann, dass keine Schuld heilig ist. Aber das muss im Rahmen eines gegenseitigen Abkommens geregelt werden. Für uns ist der Krieg nicht 1944 zu Ende gegangen, als die deutsche Armee das Land verlassen hat. Wir haben danach einen Bürgerkrieg zwischen den Nazi-Kollaborateuren und den Linken erlebt. Keine einzige Familie Griechenlands ist davon verschont geblieben. Ich selbst bin in den Jahren von 1967 – 1974 unter einer Diktatur groß geworden. Diese Politiker waren Neonazis, Neofaschisten, die laut manchen Angaben während der Besatzungszeit ausgebildet worden sind. Das ist eine moralische Schuld, die geregelt werden muss.

Biographische Angaben

Yanis Varoufakis wurde am 24. März 1961 in Athen geboren. Nach dem Erwerb der Hochschulreife studierte er in England Wirtschaftsmathematik und Mathematische Statistik an den Universitäten Essex und Birmingham. Er promovierte 1987 in Essex als Wirtschaftswissenschaftler. Danach war er in Essex, Cambridge und Glasgow als Hochschullehrer tätig, bevor er ab 1990 eine Lehrtätigkeit in Sydney (Australien) übernahm. Im September 2000 wurde er als Professor an die Universität von Athen berufen, wofür er vom damaligen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Andreas Papandreou, dessen Bekanntschaft der zwischenzeitlich gemacht hatte, ein Empfehlungsschreiben erhalten hatte. Ab 2004 war er auch als Wirtschaftsberater der PASOK tätig. Er löste sich von dieser jedoch wieder ab 2006, weil er deren Wirtschaftskurs nicht mittragen wollte. Ab 2012 wechselte er in die USA, wo ihm der Geschäftsführer des US-Softwareunternehmens Valve Corporation einen Job als Ökonom und Analyst, später als Unternehmensberater angeboten hatte. Zugleich war er auch als Gastprofessor an der Schule für Öffentliche Angelegenheiten an der Universität Texas tätig. In zahlreichen Artikeln, Interviews und Vorträgen nahm er zu den Vorgängen in Griechenland und der internationalen Finanzkrise Stellung. Während er sich vorher einer aktiven politischen Betätigung immer fern gehalten hatte, setzte er sich bei den griechischen Parlamentswahlen 2012 erstmals öffentlich für SYRIZA ein, mit dessen Vorsitzenden Alexis Tsipras er inzwischen persönlich bekannt geworden war. Aber noch 2014 lehnte er eine Kandidatur für Syriza ab. Erst bei der Parlamentswahl 2015 übernahm er eine Kandidatur im Wahlkreis B von Athen, wo er mit 135 638 die meisten Stimmen in diesem Wahlkreis erhielt und damit ins griechische Parlament gewählt wurde. Bei der Bildung der Syriza-Regierung im Januar 2015 erklärte er sich auf Vorschlag von Tsipras bereit, das Finanzministerium zu übernehmen.

Varoufakis ist zum zweiten Mal verheiratet mit der griechischen Künstlerin und Galeristin Danae Stratou. Aus erster Ehe hat er eine in Australien lebende Tochter, mit der er regelmäßig in Kontakt steht. In wirtschaftstheoretischer Hinsicht wurde V. vielfach als „Keynesianer“ dargestellt. Er selbst versteht jedoch nach eigener Aussage aus dem Jahr 2013 als „unorthodoxer Marxist“ und insofern als ein entschiedener Gegner des herrschenden Neoliberalismus wie auch als Kritiker des Keynesianismus. Varoufakis schrieb mehrere international stark beachtete Bücher, darunter „Game Theory. Critical Concepts in the Social Sciences“ („Spieltheorie – kritische Konzepte in den Sozialwissenschaften“), 5 Bände, 2001, „The Global Minotaur: America, the True Origins of the Financial Crisis and the Future of the World Economy“ („Der globale Minotaurus: Amerika, die Ursprünge der Finanzkrise und die Zukunft der Weltwirtschaft“), 2011, und „A Modest Proposal for Resolving the Eurozone Crisis Version 4.0“ („Ein bescheidener Vorschlag zur Lösung der Eurokrise Version 4.0“), zusammen mit den bekannten Wirtschaftswissenschaftlern Stuart Holland und James K. Galbraith, 2013.

Übersetzung: Georg Polikeit

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