21.10.2017: Zwei Züge rasen aufeinander zu und weder Mariano Rajoy noch Carles Puigdemont wollen die Bremse ziehen. Sowohl die Separatisten wie auch Rajoy treiben Spanien und Katalonien in eine tiefe gesellschaftliche Spaltung, sagt Pablo Echenique, Organisationssekretär von Podemos. Podemos werde weiter versuchen, als "Brücke zwischen den sich gegenüberstehend Blöcken" zu dienen und zum Dialog aufzurufen. Aber die Sozialisten der PSOE hätten es sich im "monarchistischen Block" - nahe an der PP, weit entfernt von Unidos Podemos - "bequem eingerichtet".
Frage: Die Regierung von Rajoy hat am Donnerstag (19.10.) angekündigt, dass sie den Artikel 155 anwenden wird. Ist die Entwicklung noch umkehrbar?
Pablo Echenique: Hoffen wir, dass es so ist. Beide Seiten erzeugen absichtlich eine gesellschaftliche Spaltung. Dies ist eine der schlimmsten Konsequenzen der Eskalation der Spannungen. Sowohl die Unabhängigkeitsbewegung wie die Regierung von Mariano Rajoy, unterstützt von der PSOE und den Ciudadanos, denken nur an ihre eigenen wahltaktischen Interessen. Für uns ist das politisch verantwortungslos, erst an seine Partei zu denken und nicht an das Land. Dies führt zu großen Spannungen in der katalanischen Gesellschaft und im gesamten Spanien. Klar ist das umkehrbar, aber für eine Umkehr fehlen die politischen Kräfte die das umkehren wollten, die die Spannungen vermindern und eine Lösung suchen möchten. Wir sehen so viele Briefe, Ultimaten und Drohungen - alles das Gegenteil einer Suche nach demokratischen Lösungen. Wir sind die einzige Kraft, die einen Vorschlag zur Lösung der territorialen Krise auf den Tisch legt, der über ein vereinbartes und verbindliches Referendum mit demokratischen Garantien geht.
Frage: Was meine Sie, welche Mittel die außerordentliche Tagung des Ministerrates am Samstag beschließen wird?
Pablo Echenique: (…) Alles deutet darauf hin, dass der monarchistische Block den Artikel 155 in Katalonien anwendet, möglicherweise mit der Absicht, Wahlen in Katalonien einzuberufen. Die PP, die nicht in der Lage ist, in Katalonien ein gutes Wahlergebnis zu erzielen, denkt dabei an ihren orangefarbenen Ableger, die Ciudadanos, der ihr vielleicht erlauben könnte, in Anführungszeichen in Katalonien zu regieren. Wir haben die Pflicht, weiter zum Dialog aufzurufen, demokratische Lösungen auf den Tisch zu legen.
Frage: Wenn der Artikel 155 angewendet wird und anschließend die einseitige Unabhängigkeitserklärung folgt, wie Puigdemont droht, steigt die Spannung weiter. Wie kann man da den Menschen erklären, dass der einzige Ausweg ein durch Dialog und Vermittlung vereinbartes Referendum ist?
Pablo Echenique: Uns scheint, dass zwei Dinge ein Fehler sind. Es ist ein historischer politischer Fehler, den Artikel 155 anzuwenden, wenn 80% der Bevölkerung Kataloniens mehr Souveränität und mehr Selbstverwaltung verlangen. Und es ist auch ein Fehler, wenn Puigdemont die Unabhängigkeit auf einen illegitime Weise erklärt. Damit man von der Unabhängigkeit eines Territoriums sprechen kann, muss es ein Referendum mit Garantien geben, und das ist nicht passiert. Der 1. Oktober war das nicht (..).
In seinem jüngsten Brief hat Puigdemont einerseits bestätigt, dass er die Unabhängigkeit nicht erklärt hat, und deshalb die Anwendung des Artikels 155 eine Entscheidung des monarchistischen Blockes ist, andererseits hat er mit der Unabhängigkeit gedroht. Die PSOE und die Ciudadanos drohen ihrerseits mit dem Artikel 155. Hoffen wir, dass das nicht passiert, denn es wäre tragisch für Katalonien und die gesamte Gesellschaft Spaniens.
(…)
Frage: Was ist das Wahrscheinlichste, dass Puigdemont die Unabhängigkeit erklärt oder dass Wahlen ausgerufen werden? Sie haben in einem Pressegespräch gesagt, dass Wahlen nicht dazu dienen, das Problem zu lösen.
Pablo Echenique: Wir haben keine Angst vor Wahlen, aber wir meinen, dass damit der politische Konflikt nicht verschwindet. Mehr als zwei Millionen Menschen waren am 1. Oktober auf der Straße, die gleiche Anzahl hat bei den letzten Wahlen für die Unabhängigkeitsparteien gestimmt, und 80% der katalanischen Bevölkerung möchten eine vereinbartes Referendum mit Garantien - einschließlich der Hälfte der Wähler der PP und der Ciudadanos. Würde das nach Wahlen nicht mehr existieren? Offensichtlich schon!
Dies hat mehr mit den wahltaktischen Interessen einiger Parteien mehr zu tun, als damit, eine Lösung für das Problem Kataloniens zu suchen.
Was werden Puigdemont und die Regierung machen? Ich habe den Eindruck, dass man nach der Anwendung des Artikels 155 durch die PP-Regierung, unterstützt von ihrem monarchistischen Block, Neuwahlen in Katalonien forcieren wird. Dies unabhängig, ob Puigdemont die Unabhängigkeit proklamiert oder nicht. Aber sicher wird Puigdemont seine Drohung wahrmachen und nach der Anwendung von Artikel 155 im Parlament eine Abstimmung durchführen und die Unabhängigkeit ausrufen - was er bei der letzten Tagung des Parlaments nicht gemacht hat.
(…)
Frage: Pablo Iglesias ist an diesem Donnerstag sehr kritisch mit dem PSOE gewesen: er hat gesagt, dass Pedro Sánchez die "korrupte extreme Rechte" unterstützt, die "Spanien zerbricht". Die Strategie von Sánchez könne ihn im besten der Fälle dazu bringen, Vizepräsident von Rajoy zu werden. Außerdem hat er wieder die Idee eines Misstrauensantrages auf den Tisch gelegt, der von der PSOE zurückgewiesen wird. Ist dieser Misstrauensantrag näher oder weiter?
Pablo Echenique: Offensichtlich weiter entfernt. Es ist unmöglich, die notwendige Stimmenzahl ohne PSOE zu erreichen- und Pedro Sánchez will nicht. In diesen Momenten sind wir sehr auf die katalanische Krise zentriert und wir fassen die Möglichkeit eines anderen Misstrauensantrages in den nächsten Monaten nicht ins Auge. Auf jeden Fall würden wir, wenn wir das machen würden, nicht weiter kommen, weil die PSOE die Reihen mit der PP geschlossen hat. In seiner Kampagne für seine Wahl als Generalsekretär der PSOE hat Sánchez versprochen, dass das Erste was er machen werde, die Forderung nach dem Rücktritt von Rajoy sein wird. Und jetzt unterstützt er Rajoy.
Frage: Die Entwicklung in Katalonien hat die Brücken zwischen Unidos Podemos und der PSOE gesprengt? Hat man die Türe für Vereinbarungen mit der PSOE geschlossen?
Pablo Echenique: Wir haben die Position wie immer: für die Verteidigung der sozialen Rechte, gegen die Korruption der PP und für ein plurinationales Spanien, in dem die Menschen ein Stimme haben, um die territorialen Konflikte wie in Katalonien zu lösen. Wer sich bewegt hat ist Sánchez, der vor fünf Monaten bei seiner Wahlkampagne als Generalsekretär von Plurinationalität gesprochen hat, vom Rücktritt Rajoys, von der Annäherung an Unidos Podemos, und heute Positionen verteidigt, die seine Opponenten vertreten. In diesem Moment deutet alles darauf hin, dass er es sich nach dem Aufruf von König Felipe zur Disziplin an der Seite der PP bequem eingerichtet hat. Hoffentlich täuschen wir uns, aber in diesen Momenten schaut es nicht danach aus.
(...)
Auszug aus einem Interview mit Pablo Echenique, das die Zeitung Público am 20. Oktober veröffentlicht hat.
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