15.08.2019: In der Stichwahl (11.8.) um das Präsidentenamt in Guatemala hat mit Alejandro Giammattei ein Vertreter der extremen Rechten und Vertrauter der Militärs gewonnen. Es ist davon auszugehen, dass er nichts unternehmen wird, um Armut, Unterernährung oder Korruption zu bekämpfen, dafür aber fleißig weiter privatisieren wird (das wenige was noch nicht privatisiert ist) und die Repression gegen soziale Bewegungen weiter gehen wird. So gab es in den Wochen nach den Wahlen Mitte Juli mittlerweile vier Morde an Mitgliedern von Codeca, alle im Landkreis Livingston in Izabal.
Die Morde waren neben dem Betrug bei den Wahlen, dem »sicheren Drittstaat Abkommen« mit den USA und der geplanten Privatisierung der öffentlichen Universität einer der Gründe für landesweite Straßenblockaden an 22 Orten am Dienstag vergangener Woche (6.8.).
Bisher bietet die staatliche San-Carlos-Universität – der zentrale Campus der Universität befindet sich in Guatemala-Stadt, darüber hinaus verfügt die Universität über 10 über das ganze Land verteilte Standorte - mit einem immer noch guten Bildungsangebot eine Alternative auch für ärmere Bevölkerungsschichten zu den teuren Privathochschulen.Bis jetzt, denn vor kurzem beschloss die Universitätsleitung die drastische Erhöhung der Gebühren für Anmeldungen und Prüfungen. Viele Studierende befürchten nun, dass die Maßnahme ein Schritt in Richtung Privatisierung der staatlichen Universitäten ist. Seit Donnerstag, den 1. August, sind alle staatlichen Universitäten im Land von Studierenden besetzt. Deren Vertreter*innen haben angekündigt, den Protest bis zur Rücknahme der Gebührenerhöhung fortzusetzen.
Thorben Austen führte ein Interview mit Rolando, Carlos und Antonio* vom Colectivo Estudiantes Cunoc, Besetzer*innen der San Carlos Universität in Quetzaltenango.
Frage: Was sind die Gründe für die Besetzung der Universität?
Rolando: Die Gründe sind vielfältig, ein zentraler Punkt ist aber die geplante Privatisierung der San Carlos Universität, der einzigen öffentlichen Universität. Die Universitätsleitung hat eine Erhöhung der Gebühren für jedes Examen von 50 auf 100 Quetzales beschlossen und die Kosten für notwendige Kurse vor Beginn des Studiums von 350 auf 1.000 Quetzales pro Kurs erhöht, wenn man zum Beispiel fünf Kurse machen muss, sind das 5.000 Quetzales. Viele Studierende haben nicht die Möglichkeit, das zu bezahlen.
Carlos: Ein anderer Punkt ist ein Abkommen der Universitätsleitung mit der Industriekammer, das Praktikas in privaten Firmen gemacht werden sollen. Zum Beispiel Medizinstudent*innen werden dann ihre Praktikas nicht mehr in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen auf dem Land machen, wo der Bedarf am grössten ist, sondern zum Beispiel im privaten Krankenhaus hier in Quetzaltenango.
Frage: Wie ist die Situation der Besetzer*innen und was sind ihre Forderungen konkret hier für Quetzaltenango?
Rolando: Die Besetzung der San Carlos Universität hier in Quetzaltenango ist Teil des Kampfes im ganzen Land, der Besetzungen überall im Land. Wie gesagt die zentrale Forderung ist das Nein zur Privatisierung, als regional größtes Universitätszentrum außerhalb der Hauptstadt sind wir an der Seite des Kampfes an der Universität in der Hauptstadt.
Wir in Xela haben noch eine Reihe Forderungen, zum Beispiel der besseren Qualifizierung der Dozenten. Viele Dozenten unterrichten nicht in ihrem Fachgebiet und sind nicht ausreichend vorbereitet für ihren Unterricht. Desweiteren fordern wir weitere Studiengänge zu schaffen, zum Beispiel Fächer wie Geschichte, Sozialwissenschaft oder Politik fehlen hier völlig, dabei ist die Universität in Xela die zweitgrösste im Land.
Carlos: Auch wollen wir bessere Mitbestimmung zum Beispiel in der Frage der Universitätsleitung. Zum Beispiel der aktuelle Rektor für Quetzaltenango ist seit acht Jahren Rektor, aber er wurde nie von den Student*innen gewählt.
Frage: Gibt es Unterstützung aus der Bevölkerung?
Rolando: Ja, es gibt viel Unterstützung, viele Personen solidarisieren sich, kommen hier an das Tor der Universität und bringen Lebensmittel vorbei. Die Mehrheit der Student*innen und auch der Dozent*innen unterstützt den Kampf, nicht alle, aber die grosse Mehrheit. Es gibt Veranstaltungen, Foren und Kulturveranstaltungen hier vor den Toren der besetzten Universität.
Frage: Und die Unterstützung von Organisationen?
Rolando: Auch die ist gut, allen voran die Gewerkschaft der Arbeiter*innen der Universität unterstützt uns sehr. Ein Vertreter des Menschenrechtsobmannes für Guatemala war die ersten Tage der Besetzung hier vor Ort und hat uns unterstützt.
Die Privatisierung der Bildung, Gesundheit etc. ist eines der zentralen Geschäfte heute in Guatemala.
Frage: Wie sehen Sie die Situation der Privatisierungen in Guatemala generell?
Carlos: Die Privatisierung der Bildung, Gesundheit etc. ist eines der zentralen Geschäfte heute in Guatemala. Seit Jahren betreiben alle Regierungen in Guatemala diese Politik der Privatisierung. Die öffentliche Bildung und Gesundheit wird seit Jahren nicht mehr verbessert, um danndie Privatsierung als angeblichen Ausweg zu präsentieren. Neben grossen Teilen der Gesundheit und Bildung ist es beispielsweise die Strom- und Wasserversorgung seit langem privatisiert. Jetzt geht es um die staatlichen Universitäten, aktuell die Gebührenerhöhung und in ein paar Jahren dann wahrscheinlich die vollständige Privatisierung.
Frage: Gibt es Gespräche mit der Universitätsleitung und wie lange wollen Sie die Proteste fortsetzen?
Antonio: Wir setzen die Proteste fort, bis die Universitätsleitung die Gebührenerhöhung zurücknimmt. Bisher gab es keine direkten Gespräche zwischen uns und der Universitätsleitung, für die kommende Woche ist aber ein Gespräch geplant.
Frage: Gibt es Repression gegen die Besetzer*innen, Drohungen von Seiten der Polizei?
Rolando: Bisher gab es keine Drohungen oder Konfrontration von Seiten der Polizei oder der Armee. Die San-Carlos Universität hat einen Automiestatus und ist öffentliches Eigentum, was jetzt auf Beschluss der gewählten Gremien der Studierenden besetzt wurde. Zur Zeit versuchen sie eher mit Desinformation uns zu schaden und auseinanderzubringen, aber das wird ihnen nicht gelingen, täglich sind wir besser organisiert.
Antonio: Aber wir kennen natürlich die Geschichte unseres Landes, wir wissen wieviele politisch aktive Student*innen ermordet wurden, während des Bürgerkrieges. Daher treten wir in der Öffentlichkeit zur Zeit auch nur maskiert auf. Die Repression in der Vergangenheit hat auch die Privatisierung gefördert, viele Leute hatten Angst vor der Repression und haben es deshalb vorgezogen, an einer privaten Universität zu studieren.
*alle Namen geändert.
Interview: Thorben Austen