Wirtschaft

Siemens2020 DSC 001007.02.2020: Normalerweise sind Aktionärsversammlungen eher langweilig. Die Vertreter von Großaktionären fordern höhere Renditen, einen steigenden Aktienkurs und mehr Unternehmenswachstum ein. Für die Mehrheit der anwesenden Aktionäre – überwiegend verrentete Belegschaftsaktionäre - sind sie eine Gelegenheit frühere Kolleg*innen zu treffen. Doch am Mittwoch (5.2.) erlebten die Siemens-Aktionäre in München eine turbulente Hauptversammlung, die auch Siemens-Chef Joe Kaeser so schnell nicht vergessen dürfte: Ein Aktionärstreffen mit Protesten, lauter Kritik und schlechten Zahlen.

Kaeser musste seinen Großaktionären erst einmal die schlechten Zahlen erklären. Der operative Gewinn im Industriegeschäft im ersten Quartal des laufenden Geschäftsjahres, bei Siemens vom 1. Oktober bis 30. September des Folgejahres, um 30 Prozent auf 1,43 Milliarden Euro gefallen; Schwächen im Digitalgeschäft, Schwächen im Geschäft mit Kunden aus der Autoindustrie und dem Maschinenbau. Dazu belastet der Windanlagenbauer Gamesa, der im ersten Quartal wegen der Verzögerung bei Projekten in die Verlustzone gerutscht ist und Personal abbaut. Das allein würde wohl schon für schlechte Stimmung beim Siemens-Chef reichen. Und da sind auch noch die Klimaaktivist*innen und eine Imagekatastrophe mit einem Projekt, das exemplarisch vorführt, dass Siemens Nachhaltigkeit predigt, in Wahrheit aber skrupellos mit der fossilen Industrie zusammenarbeitet.

Aktionäre müssen an Menschenkette vorbei ...

Siemens2020 DSC 0021Mit Plakaten mit Slogans wie "Wir brauchen keine Kohle" oder "Siemens als Brandbeschleuniger für die Klima-Kriminellen", begrüßten Aktivist*innen von Fridays for Future, Campact, Greenpeace, Extinction Rebellion und dem Antikapitalistischen Klimatreffen München die Aktionäre vor dem Eingang. Das Antikapitalistische Klimatreffen versuchte kurzzeitig aus der Aktionärsversammlung eine Bürger*innenversammlung zu machen und auch ohne Aktionärseintrittskarte in die Olympiahalle, in der die Hauptversammlung stattfand, zu kommen. Doch Polizei und eine massiv mit scharfen Hunden agierende Siemens-Security unterbanden dies schon im Ansatz.

... und drinnen geht es weiter

Trotzdem gingen die Proteste im Inneren der Hauptversammlung weiter. 63 Redner*innen ergriffen das Wort, mehr als die Hälfte davon kritisierten Siemens wegen seiner Kohlegeschäfte und anderen fragwürdigen Geschäften, die mit der Zerstörung der Umwelt und der Missachtung von Menschenrechten verbunden sind. Möglich wurde dies dank der Unterstützung durch den Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre, der rund 600 Anteilseigner vertritt und seit Jahren die Kritik aus der Zivilgesellschaft in die Hauptversammlungen der großen Aktienunternehmen trägt - auch bei Siemens. Er hatte den meisten von ihnen das Rederecht übertragen.

Siemens-Chef Joe Kaeser musste sich bei einem Großteil der Fragen rechtfertigen, warum er sich letztlich dafür entschieden hatte, seine Unterschrift unter den Vertrag mit dem indischen Kohlekonzern Adani nicht zurückzuziehen. Eigentlich ein relativ kleiner und auf den ersten Blick unspektakulärer Auftrag: Siemens soll für eine Bahntrasse von knapp 200 Kilometern Länge im Nordosten Australiens die digitale Signaltechnik liefern, Auftragswert rund 18 Millionen Euro. Ein Klacks für den Konzern mit einem Umsatz von 87 Mrd. Euro im Geschäftsjahr 2018/2019. Doch die Signalanlage für die Eisenbahnlinie gilt als Symbol dafür, wie ernst es Siemens mit Klimaschutz und Nachhaltigkeit nimmt.

Das »Adani-Projekt«

Den Zorn der Umwelt- und Klimaschützer*innen erregt der Zweck dieser Bahntrasse. Sie ist Teil eines gigantischen Projektes. Der indische Energiereise Adani hat nach jahrelangen Auseinandersetzungen im Juni 2019 von der australischen Regierung die Genehmigung für den Abbau von Kohle im Nordosten Australiens erhalten. Die »Carmichael-Mine« soll mit fünf Untertage- und sechs Tagebaustätten auf einer Fläche von 447 Quadratkilometern und mit einer geplanten Förderung von 60 Millionen Tonnen pro Jahr eines der größten Kohlebergwerke der Welt werden.

Siemens Kohlemine Australien

Die Kohle soll per Schiene zum Hafen Abbot Point und von dort nach Indien verschifft und dort zur Stromgewinnung genutzt werden. Für diesen Transportweg muss zudem ein Kanal durch das Great Barrier Reef, das weltgrößte zusammenhängende Korallenriff der Welt und UNESCO-Welterbe, gebaggert werden.

Damit ist die Siemens-Signalanlage Teil eines gewaltigen Bergbau-Projekts, das bei Spitzenproduktion jährlich ca. 128 Millionen Tonnen CO2 - mehr als die Gesamtemission von Vietnam oder Belgien, das Doppelte der Emissionen Österreichs, oder mehr als ein Sechstel der deutschen Emissionen – ausstoßen wird. (Carmichael coal mine

Adani Projekt DSC 0005Ein Rückzug von Siemens wäre ein Rückschlag für das Projekt. Die Signaltechnik liefern könnten global zwar auch andere Unternehmen, sagt die australische Umweltaktivistin Lindsay Simpson, aber es sei fraglich, ob Konzerne wie Alstom oder Hitachi einsteigen würden. "Es ist ziemlich dumm von Siemens", an dem Projekt festzuhalten, weil dies mit einem riesigen Imageeschaden verbunden ist, meint sie und verweist darauf, dass sich viele Banken, u.a. die Deutsche Bank, aus der Finanzierung zurückgezogen haben. Aber auch wenn ein anderer Konzern einsteige, müsste der Auftrag neu ausgeschrieben werden. Dies würde zu erheblichen Verzögerungen führen, und nach den verheerenden Bränden wachse der Widerstand in Australien gegen die ungebremste Kohleförderung. Ohne Signaltechnik, keine Bahn, und ohne Bahn keine Kohleförderung. Deshalb müsse Siemens aus dem Projekt aussteigen, bekräftigte Simpson in einer Veranstaltung am Vorabend der Hauptversammlung.

Proteste kommen ungelegen

Gerade jetzt kommen für Siemens die öffentlichkeitswirksamen Proteste äußerst ungelegen. Zwar beteuert Kaeser, dass nur wenige Unternehmen den Wandel von Öl, Kohle und Gas zu erneuerbaren Energien so gut begleiten könnten wie Siemens Energy. Doch die Klimaschützer*innen werfen ihm vor, mit der Beteiligung am »Adani-Projekt« vor allem in seiner Energiesparte die unternehmenseigenen Klimaschutz-Ziele zu untergraben.

"Obwohl Siemens als Konzern breit aufgestellt ist, verharrt der Bereich »Gas and Power« im fossilen Zeitalter und will weltweit am Neubau von Kohle-, Gas- und Ölkraftwerken verdienen", kritisierte Regine Richter von der Umweltorganisation Urgewald. Das sei weder vorausschauend noch einem selbsterklärten Technologieführer würdig. Um die Klimaziele von Paris zu erreichen, dürften keine neuen Kohlekraftwerke gebaut werden.

Dabei muss Konzernchef Joe Kaeser den Finanzmärkten just diesen Bereich schmackhaft machen, denn er will ihn im Lauf des Jahres an die Börse bringen. Und immer mehr Investmentfonds scheuen das langfristige Risiko für Investitionen in der fossilen Industrie. Ausgerechnet der Chef des US-Finanzinvestors Blackrock, Larry Fink, hatte erst kürzlich Konzernchefs in aller Welt dazu aufgerufen, das Thema Klimaschutz ernst zu nehmen. Blackrock, einer der Großaktionäre bei Siemens, könne Vorständen und Aufsichtsräten durchaus die Zustimmung verweigern, wenn beim Thema Nachhaltigkeit nicht genug getan werde, so Fink. Deshalb wollte Kaeser die Aktivistin Luisa Neubauer von Fridays for Future in einen Beirat - in der Presse fälschlicherweise als Aufsichtsrat bezeichnet - holen, um dem Bereich ein »grünes« Image zu verpassen.

Aktionärsvertreter befürchten Imageschaden

Vor diesem Hintergrund gibt es nicht nur Kritik von Klimaschützer*innen, sondern auch von Investoren. "Der Fall Adani war ein kommunikatives Desaster für Siemens", der auch den Start von Siemens Energy an der Börse belaste, sagte Portfoliomanagerin Vera Diehl von Union Investment auf der Hauptversammlung. "Bei einer sorgfältigen Prüfung aller Umwelt- und Reputationsrisiken hätte Siemens diesen Auftrag niemals unterzeichnen dürfen."

Zerknirscht räumte Kaeser auf der Hauptversammlung ein, dass Siemens das gesamte Bild des Auftrags in Australien "nicht richtig und rechtzeitig" gesehen habe. "Wären wir noch einmal in einer Situation, frei entscheiden zu können, sähe die Sache sicherlich anders aus." Aber unterschriebene Verträge müssten erfüllt werden, sonst könne es teuer werden. Zudem verteidigte er die Entscheidung damit, dass Siemens alle gesetzlichen Vorschriften erfülle. Da sei es "fast grotesk, dass wir durch ein Signaltechnik-Projekt in Australien zur Zielscheibe zahlreicher Umweltaktivisten geworden sind", beklagte er sich.

"Wir können die Nachhaltigkeit der Welt nicht in der Hauptversammlung lösen", sagte Aufsichtsratschef Jim Hagemann Snabe und ermahnte die Aktionäre mehrmals, die Fragerunde nicht als "politische Bühne" zu nutzen.

"Lassen Sie die Finger von der Kohlemine"

Den Unmut von Kaeser und Hagemann Snabe erregten Beiträge wie der von Murrawah Johnson. Murrawah Johnson ist eine Wirdi-Frau und eine der Sprecherinnen des indigenen Wangan & Jagalingou Traditional Owners Family Council, das dafür kämpft, die auf ihrem traditionellen Land liegende Adani-Carmichael-Kohlemine zu stoppen.

Murrawah JohnsonMurrawah Johnson stellte sich als "Nachfahrin der Ureinwohner" vor und fordert Siemens auf, den Vertrag mit Adani aufzulösen. Sie wies die Darstellung von Joe Kaeser entschieden zurück, dass die indigenen Wangan und Jagalingou den Bau der geplanten Kohlemine genehmigt hätten. "Meine Leute kämpfen schon seit Jahren gegen das Adani-Projekt auf unserem Land", sagte sie. Ein Projekt, das nur zehn Kilometer von natürlichen Quellen entfernt in den Boden gegraben werde, die für das Volk der Wangan und Jagalingou ein heiliger Ort sind. Die Wangan und Jagalingou haben dem Projekt nie ihre freie, vorherige und informierte Zustimmung gegeben, sagte sie. Vielmehr sei der Wangan and Jagalingou Family Council auch juristisch gegen Adani vorgegangen und wehrt sich weiter gegen die Zerstörung des eigenen Landes.

Am Vorabend hatte sie bei einer Veranstaltung im EineWeltHaus die Zustimmung der australische Regierung für das Projekt kritisiert. "Unsere Regierung glaubt, entscheiden zu können, was die beste Zukunft für uns ist: einen Job in der neuen Kohlemine zu finden", sagt sie. "Das wäre dann unsere Rettung vor Armut." Genau das aber wollen sie nicht: Einen Job annehmen in einer Industrie, die aus ihrem Land eine Kohlengrube macht. Außerdem würde durch die Kohlemine ein mehrfaches an Arbeitsplätzen vernichtet, die jetzt im Tourismussektor bestehen.

Die ebenfalls aus Australien angereiste 17-jährige Varsha Yajman vom australischen Fridays-for-Futere Ableger »Australian School Strike for Climate« sagte, das Adani-Bergwerk zerstöre den Lebensraum der australischen Ureinwohner. "Adani ruiniert ihr Land, Adani nimmt ihr Land." Auch sie warf Siemens-Chef Joe Kaeser vor, falsche Informationen über die Haltung der Aborigines zu dem Projekt zu verbreiten. Anders als von Kaeser behauptet, hätten diese nicht mehrheitlich für das Projekt gestimmt. "Sie haben vier Mal dagegen gestimmt", sagte sie. Falls Siemens den Vertrag mit Adani nicht kündige, werde man zu Hause weiter Front gegen das Unternehmen machen. "Alle wachen jetzt auf wegen der verheerenden Buschbrände", so die 17-jährige Aktivistin.

Siemens2020 Lara EcksteinLara Eckstein von Campact überreicht am Ende ihrer Rede eine Petition an Siemens. "Wenn Sie wollen, dass Siemens eine Zukunft hat, dann müssen Sie die Finger lassen von der Kohlemine. 330.000 Menschen stehen hinter dieser Forderung: Kündigen Sie den Vertrag mit Adani! Kommen Sie hier zu mir nach vorne und nehmen Sie diese 300.000 Unterschriften an. Entscheiden Sie selbst: Was ist wichtiger - kurzfristige Rendite oder das Weltklima und die Zukunft von uns allen?"

 

Vorstand und Aufsichtsrat nicht entlasten

 
 

Die »Kritischen Aktionäre« stellten den Antrag, Vorstand und Aufsichtsrat nicht zu entlasten.
Sie begründen dies u.a. so:

Australien: Beteiligung an Adani-Mine konterkariert bisherige Klimaschutzversprechen

Die Entscheidung, Signaltechnik für die Bahnstrecke der geplanten Adani-Kohlemine in Australien zu liefern, steht beispielhaft für mangelhaftes Problembewusstsein für Beteiligungen an klimaschädlichen Projekten.
Wenn Siemens Klimaschutz ernst nehmen würde, dann würde sich der Konzern nicht an einem Projekt beteiligen, das insgesamt 700 Mio. Tonnen CO₂ freisetzen könnte – pro Jahr. Dies konterkariert alle anderen Beiträge von Siemens zum Klimaschutz.
Siemens gibt an, die von der Mine betroffenen indigenen Wangan und Jagalingou hätten das Projekt gebilligt. Doch haben diese nie ihre freie, vorherige und informierte Zustimmung gegeben, vielmehr ist der Wangan and Jagalingou Family Council auch juristisch gegen Adani vorgegangen und wehrt sich weiter gegen die Zerstörung des eigenen Landes.

Westsahara: Windkraft von Siemens ermöglicht illegale Plünderung der Rohstoffe

Windräder von Siemens Gamesa stehen in dem von Marokko besetzen Teil der Westsahara. Internationale Gerichte haben immer wieder klargestellt, dass es sich dabei um eine unrechtmäßige Besatzung handelt. Jegliche das Gebiet der Westsahara betreffenden Projekte bedürfen der vorherigen Zustimmung der anerkannten Vertretung der Sahrauis. Siemens Gamesa hat diese Erlaubnis bisher nicht eingeholt. Stattdessen hat Siemens Gamesa einen weiteren Wartungsvertrag mit der marokkanischen Regierung bis 2033 unterschrieben.
Bisher hat sich weder Siemens noch SGRE klar dazu geäußert, weshalb sie die demokratischen Rechte auf Selbstbestimmung der Sahrauis nicht achten. Marokko selbst hat ein Interesse daran, es zu keiner solchen Befragung kommen zu lassen, denn die illegale Ausbeutung der wertvollen Ressourcen der Westsahara wird für Marokko durch die Windräder von Siemens noch profitabler.
Anders als von Siemens angenommen bringt die Stromproduktion den Sahrauis keinen nachhaltigen Nutzen. Nach Angaben der marokkanischen Staatsfirma OCP, die illegal eine Phosphatmine im besetzten Gebiet betreibt, stammen 95 Prozent der benötigten Energie aus Windrädern von Siemens Gamesa. Die Pensionsfonds der norwegischen und schwedischen Regierung sind zu dem Schluss gekommen, dass OCP mit dem Export dieser nicht erneuerbaren Rohstoffe gegen internationales Recht verstößt.
Der Wert des Phosphats von drei Schiffsladungen entspricht etwa der Höhe der humanitären Hilfe, die die saharauischen Flüchtlinge in einem Jahr erhalten. Siemens Gamesa trägt durch seine Windräder direkt zu dieser Plünderung und der weiterhin andauernden Besetzung bei. Der Vorstand von Siemens hat eine klare Verantwortung gegenüber den Tätigkeiten von Siemens Gamesa, schließlich ist die Siemens AG Mehrheitseigentümerin.
Quelle: https://www.kritischeaktionaere.de/siemens/gegenantraege-2020-2/

 

 

Zwar zogen Kritische Aktionär*innen, Umweltschützer*innen und Menschenrechtler*innen Siemens zur Rechenschaft und die Kritischen Aktionär*innen stellten den Antrag, Vorstand und Aufsichtsrat nicht zu entlasten, aber am Ende sorgten die Großaktionäre - Banken und institutionelle Anleger - dafür, dass Vorstand und Aufsichtsrat entlastet wurden.

 

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