22.09.2021: Seit im April 2021 die ersten Tarifforderungen von ver.di auf dem Tisch liegen, geht der Handelsverband in Deutschland (HDE) durch Nichtstun auf Konfrontationskurs. Bundesland um Bundesland wurden zunächst durch Null-Angebote die Verhandlungen nach kurzer Zeit beendet. Es hat schon Seltenheitswert, wie wenig sich die Handelsunternehmen mit ihren Verbänden in den Tarifgebieten bewegen.
Es gab bereits in den Tarifgebieten Termine mit dem Verband der Handelsunternehmen, das muss natürlich erwähnt werden. Doch in den ersten Gesprächen gab es außer der Forderung, die Tarife sollen nach zweierlei Maß vereinbart werden. In einen Tarif für Beschäftigte in Unternehmen "die gut durch die Coronapandemie gekommen sind", mit anderen Worten, die sich eine goldene Nase verdient haben durch Hamsterkäufe in Supermärkten oder durch Onlinehandel, und in Unternehmen, die schließen mussten und dadurch Einnahmeausfälle haben. Keine weitere Aussage zu den Forderungen der Gewerkschaft ver.di waren zunächst zu hören.
Die Forderungen sind:
Tabellenwirksame Entgelterhöhungen in Höhe von 4,5 Prozent plus 45 Euro bei einer Laufzeit von maximal 12 Monaten für alle Beschäftigten. Das bedeutet Reallohnerhöhungen für die Kollegen*innen. Tarifvertraglicher Mindestlohn von 12,50 € die Stunde, damit die Kolleg*innen auch von ihrer Rente leben können. Allgemeinverbindlichkeit unserer Tarifverträge. Dies beugt dem Verdrängungswettbewerb auf Kosten der Beschäftigten vor und sichert allen existenzsichernde Entgelte. (aus dem ver.di-Flyer Tarifrunde EH 5 wichtige Gründe)
Zunächst gab es in den ersten Monaten seitens der Unternehmen keine Aussage für Verhandlungen: keine Prozentzahl, keinen Festbetrag, keine Laufzeit. Nichts, niente, ingenting, rien, nic, nothing!
Versuche der Spaltung der Beschäftigten im Handel gibt es viele.
Da sollen die Handel organisierten Gewerkschaftsmitglieder in Beschäftigte in "guten" und "schlechten" Unternehmen (entsprechend der Einnahmen während der Corona-Pandemie) entlohnt werden. Ein Skandal!
Soll dies eine Antwort an die Belegschaften sein, nachdem der versuchten Spaltung mit der Gewerkschaft DHV im Frühjahr 2021 gerichtlich endlich eine Absage erteilt wurde? Fakt ist, dass die DHV als "gelbe Gewerkschaft" einen Billigtarifvertrag für real-Beschäftigte mit dem HDE vereinbarte, ver.di dagegen geklagt hat und die DHV keine rechtskräftigen Tarifvereinbarungen mehr abschließen kann.
Einige Unternehmen erhöhen schon mal vorsorglich "freiwillig" die Löhne, und möchten damit Streiks und gewerkschaftliche Solidarität verhindern.
Die Antwort der Kolleg*innen lässt nicht auf sich warten: Wir lassen uns nicht spalten!
Die ver.di-Mitglieder im Handel wollen gute Arbeitsbedingungen und nicht zu Dumpinglöhnen ihre Arbeitskraft verkaufen. Und sie fordern die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge – in einer Branche, deren Unternehmen nur noch zu ca. 30 % tarifgebunden sind, ist AVE ein Muss gegen Armutslöhne und Altersarmut. Das wird dem HDE deutlich.
Seit Mai gehören in ganz Deutschland Streiks im Einzel-, Versand- und Großhandel zur Tagesordnung.
Heute ist kein Arbeitstag – Heute ist Streiktag!
Das ist bei vielen streikbereiten Kolleginnen und Kollegen wie ein Weckruf, der bedeutet, die Arbeitskraft in den Streik und in den Kampf um die Durchsetzung der Tarifforderungen zu legen.
Dabei kann ein Anfang September viel zu geringes "Angebot" von 2% nach zwei Nullmonaten nicht als Entspannung gezählt werden.
Im Gegenteil: die Beschäftigten und die Streikenden fühlen sich mittlerweile geradezu verschaukelt. Zum Beginn des Tarifkampfes wurde noch festgestellt, dass es fehlende Wertschätzung sei, wenn Klatschen für systemrelevante Arbeit im Handel – nicht von den Profiteuren im Handel, sondern von die Käufer*innen – als Zufriedenheitsgarantie der Beschäftigten genügen sollte. Inzwischen wird immer deutlicher, dass es dem HDE und dessen Mitgliedern anscheinend um eher um ein Aussitzen der abseits von wirklichen Verhandlungen geht.
REWE, Lidl, H&M, ZARA, Edeka, Sonepar, Metro C+C, Bofrost Dormagen, Primark, TK Maxx, Aldi, Kaufland, Netto, Galeria Karstadt Kaufhof, Douglas und Thalia – dies ist nur ein Beispiel der bestreikten Unternehmen. Ob Lebensmittel-Handel, Möbelmärkte, Textilwaren, Großhandel und Versandhandel, überall stehen streikende vor den Türen und fordern endlich Tarifangebote, die eine wirkliche Verhandlungsgrundlage darstellen.
An den Streiks beteiligen sich auch Gewerkschaftsmitglieder und Kolleg*innen aus Unternehmen, die sich aus dem Tarif geschlichen haben und teilweise als OT (ohne Tarifbindung) weiter Mitglied im HDE sind.
Esprit beispielsweise will in Deutschland Läden schließen, trotz schwarzer Zahlen seit 2017. Die Anerkennung der Tarifverträge ist für Streikende aus solchen Betrieben ohne Tarifbindung eine der wesentlichen Forderungen.
Wichtig ist inzwischen auch bei vielen der Kampf um einen zukunftsfähigen Tarifvertrag, der dem digitalen Wandel auch und in Handelsunternehmen – vom Versandhandel über den Großhandel bis hin zum Einzelhandel.
Zum Tag der Tarifverhandlungen am 21.9. in NRW sind die Streikenden direkt zum Ort der Verhandlung erschienen und haben vor der Tür ihrer Tarifkommission den Rücken gestärkt.
Bei IKEA war der 21.9. der Tag des bundesweiten Streiks!
In der Pressemitteilung von ver.di heißt es: "Die Beschäftigten des schwedischen Möbelriesen wollen mit ihren Warnstreiks am heutigen Dienstag (21. September 2021) bundesweit Flagge zeigen. Zentrum der Aktivitäten werden Niedersachsen und Bremen sein. Einrichtungshäuser aus anderen Regionen werden sich am bundesweiten Streiktag ebenfalls beteiligen, darunter Einrichtungshäuser in Bayern, Hessen, Hamburg, Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Nordrhein-Westfalen. "Die Beschäftigten bei IKEA setzen damit ein deutliches Zeichnen für einen guten Tarifabschluss. Noch nie war die Streikbeteiligung dort so hoch, wie in diesen Tarifrunden", so Maren Ulbrich, zuständige Gewerkschaftssekretärin. ….."Momentan geht es um die Entgelterhöhungen. Bei Ikea fordern die Beschäftigten aber auch einen Tarifvertrag, der die rasante digitale Transformation des Unternehmens im Sinne der Beschäftigten regelt", so Maren Ulbrich.
Mit ihren Aktionen wollen die Beschäftigten daher auch auf den Tarifvertrag Zukunft. Ikea aufmerksam machen. Diesen will die ver.di-Bundestarifkommission bei Ikea mit der Unternehmensleitung verhandeln." (die gesamte PM hier https://www.verdi.de/presse/pressemitteilungen/++co++60c62012-1ac6-11ec-9262-001a4a16012a?kws=Verlage)
Das die Forderungen mit Streiks Nachdruck bekommen müssen, macht die Aussage von Conny Weißbach, Verhandlungsführerin und Fachbereichsleiterin in Berlin-Brandenburg deutlich: "Verkäufer*innen haben weniger im Portemonnaie als bisher. Darüber hinaus wird es den außergewöhnlichen Belastungen der Beschäftigten nicht im Geringsten gerecht. Und das bei enormen Umsatzzuwächsen im Einzelhandel."
Aus NRW kommt von ver.di : "Als Reaktion auf diese Respektlosigkeit kann nur eines folgen: ein stürmischer Herbst!"
txt: Bettina Jürgensen
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