25.03.2022: Energiehilfen für Familien und Unternehmen wegen der gestiegenen Energiekosten ++ Deutschland: Finanzierung durch neue Schulden ++ Italien: Finanzierung durch Sondersteuer für Unternehmen der Energiebranche ++ Gewerkschaft: Sondersteuer nicht nur für Energiekonzerne, sondern für alle Pandemie- und Kriegsgewinnler
Im Verlauf des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sind die Energiepreise so stark angestiegen, dass die Rufe nach Preisbremsen oder staatlicher Kompensation immer lauter wurden. Diese Rufe stoßen bei den politischen Entscheidungsträgern der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsländer nicht auf taube Ohren. Vor allem die Autofahrer*innen sollen an den Tankstellen entlastet werden: In Frankreich gilt ab April ein Tankrabatt, Schweden senkt die Energiesteuer. Schließlich kann man sich mit solchen Aktionen als bürgernah und problemorientiert präsentieren – zumindest kurzfristig. Außerdem sitzt der Schock über die "Gelbwesten" in Frankreich noch in den Knochen.
Big Oil schreibt Milliardengewinne
Die großen Öl- und Gaskonzerne vermelden aktuell eine Rekordzahl nach der anderen. Dabei haben sie bereits im vergangenen Jahr die höchsten Gewinne seit sieben Jahren eingefahren, einen Cashflow wie zuletzt 2008 und so wenig Schulden wie seit Langem nicht mehr. Wo die fünf Branchengrößen Exxon Mobil, Chevron, Shell, BP und Total Energies im Jahr 2020 noch ein Minus von mehr als 60 Milliarden Dollar verkraften mussten, verbuchte "Big Oil" 2021 ein Plus von fast 90 Milliarden.
Rohölpreis sinkt, Gewinnmarge bleibt: In den Ölkonzern-Etagen "knallen die Champagnerkorken"
Nachdem der Rohölpreis seit Kriegsbeginn um über 30 Prozent angestiegen war, ist er nun wieder auf das vorherige Niveau zurückgefallen. Davon ist an den Tankstellen jedoch noch nichts zu bemerken, die Spritpreise verbleiben auf Rekordniveau. Von Anfang Februar bis Mitte März sind die Benzinpreise nach einem Bericht der Tagesthemen um 23% gestiegen, die Steuern um 6% und die Gewinnmargen um satte 108%.
Dabei sind es nicht die Tankstellen, die ihre Gewinnmarge erhöht haben, sondern es sind die Raffinerien und Mineralölkonzerne, die das Rohöl importieren und zum Großteil sowohl die Raffinerien als auch die Tankstellen betreiben oder zumindest beliefern. Ihre Einnahmen dürften von wenigen Cent pro Liter vor einem Jahr auf, je nach tagesaktuellem Preis, 50 Cent oder mehr gestiegen sein.
"Verstörend dabei ist die starke Verflechtung und die hohe Marktkonzentration, denn die meisten der zwölf Raffinerien in Deutschland befinden sich im Eigentum der gleichen wenigen Mineralölkonzerne, die ihnen das Rohöl liefern", schreibt Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW. (DIW, 21.3.2022: "Das beste Mittel gegen zu hohe Tankkosten")
"Daher sollte man überprüfen, derartige Kriegsgewinne zu besteuern, vermutlich kann auch eine Finanztransaktionssteuer helfen."
Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW
Die DIW-Energieexpertin Claudia Kemfert schlägt angesichts der Extragewinne der Ölkonzerne vor, "derartige Kriegsgewinne zu besteuern". Von einer Spritpreis-Bremse über eine Senkung der Mehrwertsteuer hält sie nicht viel. "Das ist nicht nur teuer, sondern auch keine Garantie für automatisch sinkende Spritpreise, da oftmals die Margen einfach nur erhöht werden. Statt einer Erhöhung der Pendlerpauschale wäre ein einkommensunabhängiges Mobilitätsgeld sinnvoll, das insbesondere Menschen mit niedrigen Einkommen hilft", so Kemfert.
Deutschland: Energiehilfen und Subventionierung der Energiekonzerne
Gestern (24.3.) haben sich die Spitzen der Ampel-Regierung vor allem für eine Entlastung der Fernpendler durch zeitweise Senkung der Kraftstoffsteuern sowie der Beschäftigten durch ein Energiegeld von 300 Euro pro Kopf plus 100 Euro pro Kind entschieden. Rentner*innen, Studenten*innen bleiben außen vor, Transferempfänger erhalten einmalig 100 Euro. Ob dies ausreicht, um gerade finanziell benachteiligten Gruppen das Gefühl einer sozial gerechten Klima- und Energiepolitik zu geben, ist mehr als fraglich. Zudem werden die Kosten alsbald, wenn die "Schuldenbremse" wieder in Kraft tritt, von der Allgemeinheit finanziert. Denn die "Kriegsgewinne" der Ölkonzerne sind für die Ampel tabu. Für die Energiekonzerne bedeutet dies hohe Mitnahmeeffekte und garantiert hohe Gewinnmargen, wenn der Staat die hohen Preise subventioniert.
Italien: Finanzierung der Energiehilfen durch Besteuerung der Extra-Profite
In Italien sind seit Dienstag (22. 3.) die Verbrauchssteuersätze für Benzin und für Diesel gesenkt. Für die Autofahrer*innen bedeutet dies etwa 30 Cent weniger pro Liter. Der Rabatt ist vorerst bis Ende April zeitlich befristet. Bei Familien mit einem Jahreseinkommen von weniger als 12.000 Euro wird die Erhöhung der Energiepreise gekappt - vor allem die Gas- und Strompreise sind explodiert - und auf dem Niveau des letzten Jahres eingefroren. 5,2 Millionen Familien werden davon profitieren. Unternehmen, deren Energieausgaben im Vergleich zu 2019 um mehr als 30 % gestiegen sind, erhalten Steuergutschriften. Unterstützung gibt es auch für die Fischerei und die Landwirtschaft.
"Wir müssen die Kaufkraft der Familien, insbesondere der schwächsten, verteidigen, das Produktionsgefüge unterstützen und den Aufschwung schützen", sagte Ministerpräsident Mario Draghi. Der Unterschied zu Deutschland liegt in der Finanzierung der Energiehilfen.
"Diese Ausgaben werden nicht vom öffentlichen Haushalt finanziert, sondern von den Unternehmen der Energiebranche. Wir besteuern einen Teil der Gewinne, die die Erzeuger aufgrund der gestiegenen Rohstoffkosten erzielen."
Mario Draghi, italienischer Ministerpräsident
4,4 Milliarden Euro stellt die italienische Regierung für dieses Programm zur Verfügung, vermeidet aber, mit dem Haushaltsloch neue Schulden zu machen: "Anders als bei den vorangegangenen Maßnahmen werden die Ausgaben heute nicht vom öffentlichen Haushalt finanziert, sondern von den Unternehmen der Energiebranche. Wir besteuern einen Teil der Gewinne, die die Erzeuger aufgrund der gestiegenen Rohstoffkosten erzielen", erklärte Draghi.
Draghi weiß, dass diese Hilfen unzureichend sind. "Die Ukraine-Krise ist europäisch und die Antwort muss europäisch sein", sagt er bei der Vorstellung des Paketes. Er drängt gemeinsam mit Spanien, Portugal und Griechenland auf die Auflegung von Eurobonds zur Deckung der "Preisobergrenze", d.h. der Obergrenze für die Gas- und Ölpreise.
Gewerkschaft: Sondersteuer nicht nur für Energiekonzerne, sondern für alle Pandemie- und Kriegsgewinnler
Auch für Pierpaolo Bombardieri, Generalsekretär des sozialdemokratischen Gewerkschaftbundes UIL, reichen die Maßnahmen der Regierung nicht aus. Vor einem Jahr hatte Bombardieri erfolglos gefordert, die in der Pandemie erzielten Zusatzgewinne zu besteuern. Jetzt sieht er sich durch die Maßnahme der Regierung bestätigt. "Wir fordern jedoch weiterhin, dass die Besteuerung von Zusatzgewinnen auf Pharma- und Rüstungsunternehmen ausgedehnt wird, nicht zu vergessen all die Logistik-, Internet- und Social-Media-Giganten, die in dieser langen Zeit der Pandemie und jetzt des Krieges riesige Gewinne gemacht haben. Besteuerung, die einheitlich angewendet werden muss. Was wir brauchen, ist mehr Mut: Die Politik sollte nicht nur wünschen, sondern konsequent handeln und diejenigen besteuern, die auf Kosten der leidenden Menschen Geld verdienen."