12.03.2024: Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) haben ihr neues Rentenkonzept vorgestellt. Ein Teil davon die sogenannte Aktienrente, ein Lieblingsprojekt der Liberalen.++ Rentenexperte Holger Balodis: "Bei der Aktienrente handelt es sich um ein kreditfinanziertes Spekulationsgeschäft, für das der Bund das Ausfallrisiko trägt."
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) präsentierten am 5. März ein Reformpaket, mit dem das Rentenniveau von 48 Prozent des aktuellen Durchschnittsgehalts für Rentner:innen, die 45 Jahre mit Durchschnittsgehalt gearbeitet und in die Rentenversicherung eingezahlt haben, auch für die Zukunft garantiert werden soll.
Kürzungen bei der Rente schloss Bundeskanzler Olaf Scholz aus. "Für mich kommen Kürzungen bei der Rente nicht in Betracht", sagte der SPD-Politiker. Scholz kritisierte Vorschläge zur Anhebung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre und Forderungen nach Renten-Null-Runden. Heil versprach: "Es wird keine Rentenkürzung geben und auch keine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters."
Noch ist das Absicherungsniveau der Rente – aktuell rund 48,2 Prozent – nur bis 2025 festgeschrieben. Bis 2037 dürfte das Rentenniveau nach offizieller Schätzung aber auf 45 Prozent sinken. Der Grund: Millionen Babyboomer:innen mit Geburtsjahren in den 1950er und 1960er Jahren werden in den Ruhestand gehen. Nun soll ein 48-Prozent-Niveau zunächst bis 2040 gesichert werden. Das Reformpaket solle noch vor der parlamentarischen Sommerpause im Juli vom Bundestag beschlossen werden.
Weil das hohe zusätzliche Milliardensummen kostet, die Rentenbeiträge aber nicht zu stark steigen sollen, soll die Finanzierung auf ein zusätzliches Standbein gestellt werden. Um Beitragssprünge in Zukunft zu vermeiden, will die Bundesregierung Milliarden am Kapitalmarkt anlegen und aus den Erträgen ab Mitte der 2030er-Jahre Zuschüsse an die Rentenversicherung zahlen. Damit erhält die Rentenversicherung zusätzlich zu Beiträgen und Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt eine dritte Finanzierungsquelle.
Finanzminister Christian Lindner sprach bei der Vorstellung des Rentenpakets davon, dass es "überfällig" sei, "die Chancen der Kapitalmärkte auch für die gesetzliche Rentenversicherung zu nutzen". Da will sich Christian Lindner sogar ausnahmsweise verschulden - nicht für große Investitionen in Deutschlands Infrastruktur oder Bildung, sondern um das Geld an den Finanzmärkten anzulegen.
Aktienrente ist ein Lieblingsprojekt der Liberalen,
Das schon immer verfolgte Ziel der Liberalen ist, das kollektive Sicherungssystem zu schwächen und dafür möglichst viel private Elemente zu schaffen, wie eben eine Aktienrente und mehr private Altersvorsorge.
Ein besonderer Dorn im Auge der FDP ist das Umlageverfahren, mit dem die gesetzliche Rente (genauso wie die anderen Zweige der Sozialversicherung) finanziert wird. Denn was die Beschäftigte und Unternehmen an Beiträgen einzahlen, wird nahezu ohne Zeitverzug in Form von Renten an die mehr als 21 Millionen Rentner:innen ausgezahlt. Inklusive des Bundesanteils wurden so im Jahr 2023 rund 375 Milliarden Euro ein- und ausgezahlt oder eben "umgelegt". Grundsätzlich wird nichts im klassischen Sinne angespart und angelegt. Die Befürworter des Umlageverfahrens sehen darin große Vorteile: Es funktioniert unabhängig von der Höhe der Kapitalmarktzinsen. Niedrig- oder gar Nullzinsen, wie sie in den vergangenen Jahren den Lebensversicherungen stark zu schaffen machten, sind kein Problem. Auch Inflation, Wirtschaftskrisen, ja sogar staatliche Umbrüche verkraftet die gesetzliche Rente in der Regel gut. Und sie funktioniert naturgemäß ohne langjährige Ansparphase und mit geringen Kosten in von ungefähr vier Prozent.
Zum Vergleich: Zum Betrieb der Riester-Rente werden bis zu 25 Prozent der eingezahlten Prämien abgezweigt. Wenn diese Betriebskosten ausgeglichen werden sollten, müsste die Rendite schon ausgesprochen hoch sein. Das gilt auch für die jetzt wieder vorgeschlagenen Methode, die "Aktienrente".
Die Aktienrente ist ein Lieblingsprojekt der Liberalen, das gegen den Widerstand insbesondere der linken Sozialdemokraten Eingang in den Koalitionsvertrag fand. In ihrem Wahlprogramm forderte die FDP, dass zwei Prozentpunkte aus dem Rentenbeitragssatz in Höhe von 18,6 Prozent des Bruttolohns der Beschäftigten nicht mehr länger an die Deutsche Rentenversicherung fließen sollen, sondern an einen unabhängigen Fonds gehen, der die Gelder "chancenorientiert" in Aktien investiert. "Durch unser Modell erwerben zukünftig alle Beitragszahlerinnen und Beitragszahler (…) echtes Eigentum für ihre Altersvorsorge und erhalten höhere Altersrenten", verspricht die FDP.
Dieses Ziel hat die FDP verfehlt. Zwar wird der Bundestag wohl noch in diesem Sommer eine Reform der Alterssicherung beschließen, die den Namen "Aktienrente" oder auch "Generationenkapital" trägt, doch der Gesetzentwurf, den Finanzminister Lindner und Sozialminister Heil jetzt gemeinsam vorlegen werden, bleibt deutlich hinter den Wünschen der FDP zurück.
Aber für eine Stabilisierung der Rentenfinanzen taugt der Vorschlag der Ampel wenig. Er wird die Renten nicht erhöhen, die Beiträge wenn überhaupt nur marginal senken und dafür mit Sicherheit die Schulden erhöhen.
Die Akteinrente wird auf Pump finanziert.
Anders als es die FDP ursprünglich vor hatte, werden keine Beitragsgelder verwendet und es wird auch kein persönliches Vermögen für einzelne Versicherte in Form von Aktien oder Aktienfonds gebildet. Stattdessen wird der Bund Schulden machen, die nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden. In diesem Jahr sind das erst einmal 12 Milliarden Euro, in den kommenden Jahren soll es jeweils etwas mehr werden. Lindner stellt sich auch vor, Beteiligungen des deutschen Staates an Unternehmen (wie etwa der Deutschen Bahn) in den Fonds zu überführen. Insgesamt sollen so 2035 mindestens 200 Milliarden Euro in Aktien und Fonds angelegt werden. Aus den Erträgen am Aktienmarkt sollen dann ab 2036 jährlich zehn Milliarden Euro an die gesetzliche Rentenversicherung fließen, um Beitragssatzanstiege zu verhindern oder zu dämpfen.
"Deutlich wird: Es dauert zunächst viele Jahre, bis eine kapitalgedeckte Anlage eine Wirkung entfalten kann, und sei sie noch so klein. In den nächsten zehn Jahren, wenn Millionen sogenannter Babyboomer in Rente gehen werden, kann und wird die Aktienrente also nichts bewirken", kritisiert der Rentenexperte Holger Balodis.[1]
Nach Lindners Konzept soll die Aktienrente vom KENFO verwaltet werden – dem öffentlichen Fonds, der bisher vor allem damit betraut war, die Entsorgung von Atommüll zu finanzieren. Nun soll sich dieser Fonds auch um die Rentenbeiträge kümmern, indem er für die Renten am Finanzmarkt spekuliert. Aktuell hat er das Ziel, zu 30 Prozent in "Private Equity, Private Debt und Infrastruktur" zu investieren.
Neben dem Fonds soll auch der gesetzlichen Rentenversicherung ermöglicht werden, ihre Reserven auf dem Kapitalmarkt anzulegen. Staatliche Geldtöpfe sollen also in größerem Umfang auf den Finanzmarkt umgeleitet werden.
Bei der Aktienrente handelt es sich um ein kreditfinanziertes Spekulationsgeschäft, für das der Bund das Ausfallrisiko trägt.
Holger Balodis [1]
Finanzmärkte sind immer volatil und spekulativ - deshalb sahen vor allem die Grünen die Pläne zunächst skeptisch. Der Grünen-Rentenexperte Markus Kurth brachte im vergangenen Sommer das Beispiel des bereits existierenden Staatsfonds zur Finanzierung der Atommüll-Entsorgung (KENFO), der sich künftig auch um die Rente kümmern soll. Dieser Fonds habe 2022 einen Verlust von 12,2 Prozent eingefahren.
Finanzminister Lindner hat deshalb mehrfach klargestellt, dass die Rentenversicherung kein Risiko tragen solle. Falls Verluste anfallen, wolle der Staat Geld nachschießen. Es handelt sich also um ein kreditfinanziertes Spekulationsgeschäft, für das der Bund das Ausfallrisiko trägt.
Nach 2036, wenn ein Kapitalstock von 200 Milliarden erreicht ist, sollen die Erträge aus Kursgewinnen, Dividenden etc. planmäßig zugunsten einer Beitragsstabilisierung abgeschöpft werden. Das heißt der Wert des Kapitalstocks wird nicht mehr wachsen, ist aber stattdessen beständig von der Inflation bedroht. "Sollte ein Sparvolumen von 200 Milliarden Euro auf eine Geldentwertung von 10 Prozent treffen, wie wir sie in weiten Teilen der Welt in der jüngsten Vergangenheit gesehen haben, so würde sich sein Wert bereits nach wenigen Jahren halbieren", warnt Holger Balodis.
Da der Staat für den Aufbau des Kapitalstocks Kredite an den Kapitalmärkten, d.h. bei Finanzinvestoren und Großbanken, aufnimmt, muss er für diese Fremdfinanzierung Zinsen zahlen. Somit handelt es sich bei der neuen Aktienrente um eine Wette, die darauf baut, dass die Rendite aus der Anlage stets höher ist als der Zins, den der Staat für das aufgenommene Darlehen leisten muss.
Dazu kommt das Risiko, dass Aktien- und Finanzmärkte abstürzen, es also keinen Ertrag aus dem "Generationenkapital" gibt, sondern Verluste. Es gäbe nicht nur keine Zuschüsse für die Rentenkasse, auch der Wert des Kapitalstocks selbst würde sinken. Dann müsste der Staat für die Verluste geradestehen, um für das Folgejahr wieder die Voraussetzungen für die planmäßige Entnahme sicher zu stellen. "Statt wie behauptet mehr Sicherheit für die Rentenkasse, drohen mit der Aktienrente also in schlechten Börsenjahren gewaltige finanzielle Risiken für den Bundeshaushalt", stellt Holger Balodis fest.
Fachleute gehen auch davon aus, dass die Effekte des "Generationenkapitals" gering ausfallen werden. Denn auch bei den guten Renditen, von denen die Bundesregierung voller Optimismus ausgeht, würde der Beitrag um gerade einmal 0,23 bis 0,3 Beitragssatzpunkte sinken. Die Plattform "Finanztip" hat eine Beispielrechnung gemacht. Danach würde diese Senkung bei einem Bruttoarbeitslohn von 3.000 € zu einer Entlastung um gerade einmal 4,50 Euro im Monat jeweils für Beschäftigte und Unternehmen führen.
Eine echte Stabilisierung der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente ist also durch die Einführung der Aktienrente nicht zu erwarten. Vor allem gilt: Immer müssen die Leistungen für die Rentnergeneration von der arbeitenden Generation aufgebracht werden.
Aber anstatt gute Arbeit mit guten Löhnen und damit hohen Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung zu gewährleisten, wird ein Grundpfeiler des Sozialstaats – die gesetzliche Rentenversorgung – für die Profitlogik der Finanzmärkte geöffnet.
Zudem ist zu befürchten, dass das Generationenkapital in Zukunft noch zu einer "richtigen" Aktienrente ausgeweitet wird. Denn das jetzt verabschiedete Modell ist nur eine abgeschwächte Form des FDP-Vorschlags. Der FDP schwebt nach wie vor vor, dass zukünftig unsere Rentenbeiträge direkt an den Finanzmarkt fließen sollen.
Julia Bernard schreibt in der Zeitschrift Jacobin:
"Warum stecken wir die 12 Milliarden Euro nicht einfach in Bildung und gute, klimagerechte Arbeitsplätze? Bessere Arbeit würde schließlich auch dafür sorgen, dass Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite mehr in die Rentenkasse einzahlen."
"Die Logik der Aktienrente ist völlig verkehrt. Denn sie impliziert, man könne mit Aktienbesitz gesellschaftlichen Wohlstand fördern. Dabei hängen die Renten in Wirklichkeit davon ab, wie produktiv wir sind, wie viel gut bezahlte Arbeit es gibt und wie viel wir auf Grundlage dessen real umverteilen können.
Die eigentliche Frage ist nämlich: Warum sind unsere Rentenkassen eigentlich so leer? Warum sorgen wir nicht auf viel direkterem Wege für eine gute Rente – nämlich durch gut bezahlte Arbeit? Warum stecken wir die 12 Milliarden Euro nicht einfach in Bildung und gute, klimagerechte Arbeitsplätze? Bessere Arbeit würde schließlich auch dafür sorgen, dass Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite mehr in die Rentenkasse einzahlen.
Was eine gute Rente ermöglicht, sind gute und vor allem gut bezahlte Jobs. Umwege über die Finanzmärkte zu gehen, ist reiner Klassenkampf für Finanzinvestorinnen und -investoren. Auch die Aktienrente zeigt es wieder: Der gesellschaftliche und vor allem gewerkschaftliche Einsatz für gute und nachhaltige Arbeit muss unser aller Priorität sein – auch um die Rentenfrage zu lösen." [2]
Hans-Jürgen Urban zur AktienrenteVor einem Jahr, am 21. April 2023, hatte die IG Metall zu Protesten vor dem FDP-Bundesparteitag gegen die Pläne von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) zur Einführung einer sogenannten Aktienrente aufgerufen. Im Nachgang war das Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban bei »Update Wirtschaft« auf dem Frankfurter Börsenparkett zu Gast und konnte im Gespräch die Kritik der IG Metall an den Plänen der FDP erklären. |
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https://www.ardmediathek.de/video/tagesschau24/update-wirtschaft-vom-27-04-2023/tagesschau24/Y3JpZDovL3RhZ2Vzc2NoYXUuZGUvZjk2NTgzNmYtN2FhZi00ZjNlLWE4NmUtYmYwYjVkNzgyNjY2?startTime=843 |
Anmerkungen
[1] Rosa Luxemburg Stiftung, 6.3.2024: Die neue «Aktienrente»: weitgehend nutzlos. Der Kapitalmarkt rettet die gesetzliche Rente nicht
https://www.rosalux.de/news/id/50118
[2] Jacobin, 5.2.2024: Die Aktienrente macht Spekulation zur Staatsräson
https://jacobin.de/artikel/aktienrente-generationenkapital-spekulation